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4. Auslaufen zur Feindfahrt

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Am 20. November 1939, dem Tag der Einführung einer sogenannten Reichskleiderkarte für den Bezug von Textilien im Deutschen Reich, macht der Handelsstörkreuzer seeklar. Die Ausrüstung des Schiffes war zwischenzeitlich beendet. Als Bordflugzeuge wurden zwei Arado 196 A 1 an Bord genommen, deren Aus- und Einsetzen nicht ein einziges Mal auf dem Schiff selbst überhaupt manövermäßig geübt werden konnte. Eine Maschine befand sich einsatzklar, unter Persenningen getarnt, an Oberdeck, die zweite in Einzelteilen verpackt in einem der Laderäume. Im Bedarfsfall würde diese später von den Bordmechanikern nach mitgelieferten Bauplänen zusammenzusetzen sein. Als Fliegeroffizier war Leutnant Spaß und als Flugzeugführer der Feldwebel Schütze an Bord kommandiert. Die Werft hatte zwischenzeitlich ebenfalls wahrhaft erstaunliches geleistet. Ein Tarnschornstein, der im Bedarfsfalle aufgebaut und entfernt werden konnte, sowie ein Originalschornstein, der sich durch Ein- und Ausfahren beliebig verlängern oder verkürzen ließ, war installiert. Ebenso zu Tarnzwecken befanden sich an Bord Masten, Lüfter, Pfosten, Decksaufbauten und Ladegeschirr, die heute aufgebaut, morgen wieder beseitigt werden konnten. Unvorstellbare Mengen an Verpflegung und Material aller nur denkbaren Art waren an Bord genommen und verstaut. Eisenbahnwagenweise Proviant, insgesamt fürs erste rund 350 t Verpflegung, hektoliterweise Bier, zentnerweise Kaffee, Tee, Fruchtsäfte, Fette aller Art, Bekleidung für Tropen und Nordpol. Ebenso waren sämtliche Munitionskammern des Schiffes gefüllt, ein Sollbestand von 32 Torpedos und 100 Minen an Bord genommen worden, Die Ausrüstung des Schiffslazaretts war ebenso wie die Ausrüstung aller anderen Abteilungen vervollständigt. Alle Ölbunker waren zum Bersten gefüllt. Insgesamt wurden 5.320 t Heizöl übernommen und auf die verschiedenen, im ganzen Schiff untergebrachten, Bunker verteilt. Die Ölvorräte gaben dem Schiff die Möglichkeit, bei der sparsamsten Fahrt von ca. 10 bis 11 Seemeilen in der Stunde über ein Jahr, ohne Ergänzung, von der Heimat fern zu bleiben. Dieses bedeutete einen Fahrbereich von annähernd 70.000 Seemeilen, ein gewaltiger Aktionsradius. Bemerkt werden darf noch, dass selbstverständlich außer Proviant, Getränken, Wasser, Schmiermitteln sämtlicher Art, Flugzeugbenzin und Munition auch Damen- und Kinderbekleidung in größeren Mengen übernommen wurde. Diese selbstverständlich in Kisten verpackt und nur dem zuständigen VO (Schiffsverwaltungsoffizier), sowie Kommandant und Offizieren bekannt. Schließlich musste ja damit gerechnet werden, dass von gegnerischen Schiffen außer der männlichen Besatzung und Passagieren auch Frauen und Kinder zu übernehmen sein werden, ohne dass es immer möglich wäre, deren persönliche Habe an Bord zu nehmen.

Gegen 16.00 Uhr hieß es „Leinen los.“ Der Kommandant fuhr das Ablegemanöver selbst und im Geleit von zwei Torpedobooten ging es fördeaufwärts. Das Schiff war als normaler Sperrbrecher getarnt und die Besatzung nahm an, es stehen lediglich ein weiteres gefechtsmäßiges Übungsschießen o.ä. Rollenübungen auf dem Programm. Dass es sich um den Beginn der tatsächlichen, von vielen ersehnten, von manchen auch mit Bangen erwarteten, Feindfahrt handelte, war außer dem Kommandanten niemandem wirklich bekannt, obwohl aufgrund der übereilten Ausrüstung und der diversen an Bord gekommenen Proviantmenge sowie der kriegsmarschmäßigen Ausrüstung an Munition und Treibstoff sich zumindest die Offiziere darüber im klaren waren, dass die endgültige Ausfahrt unmittelbar bevorstand.

Langsam wurde die Förde breiter und das Land wich weiter zurück. Der Kommandant befahl, „Umdrehungen für 10 sm!“ Plötzlich schnarrte das Brückentelefon, der IO, Graf Terra, hob ab und meldete, „Funkraum meldet, dass Einflug feindlichen Bomberverbandes auf Kiel gemeldet worden ist.“

„Verdammt noch mal“, versetzte der Kommandant, „ und das ausgerechnet jetzt. Fliegeralarm.“ Die Alarmsirenen gellten durch das Schiff. „Schotten dicht, Flakwaffen enttarnen!“ Die weiteren Kommandos des Kommandanten erfolgten sofort. „Feuererlaubnis nur auf mein Kommando!“ Kommandant und Offiziere auf der Brücke sowie die Ausgucks auf Oberdeck hoben die schweren Marinegläser und suchten gewissenhaft ihre Sektoren ab. Gleichzeitig mit dem eingehenden FT-Spruch des vorausfahrenden Torpedobootes entdeckte auch Oberleutnant zur See Graf von Terra die von Steuerbord voraus anfliegenden Feindflugzeuge. Die britischen Bomber vom Typ Lancaster hatten offenbar Befehl, die Werftanlagen und im Hafen befindliche Einheiten der Kriegsmarine anzugreifen. In einer Höhe von lediglich 2.000 bis 2.500 Metern näherten sich die Bomber, bereits aufgefasst vom vorderen E.-Messgerät. „Höhe 2500 Meter, Entfernung sechzig Hundert“, meldete das E.-Messgerät. Der Kommandant griff zum Hörer und befahl dem für die Flakwaffen zuständigen zweiten AO, „Ziel auffassen, sowie in Reichweite, Feuererlaubnis!“ Die Sekunden währten ewig. „Entfernung 30 hm (30 Hektometer = 3.000 Meter), Höhe 2.000“, meldete das E.-Messgerät. Gleichzeitig eröffnete das vorauslaufende Torpedoboot, das seine Geschwindigkeit, deutlich sichtbar am silbern aufquirlenden Kielwasser, erhöht hatte und auf volle Fahrt gegangen war, das Feuer und die Flakgranaten zischen dem Feind entgegen. Deutlich ließ sich die Leuchtspur verfolgen. Sekundenbruchteile später fielen auch die 3,7 Zentimeter Flakwaffen des Hilfskreuzers ein. Die gegnerischen Bomber versuchten ihrerseits durch Ausweichmanöver dem gezielten Feuer der Schiffsflak zu entkommen. Acht Flugzeuge waren nunmehr von allen Mann an Bord deutlich zu erkennen und näherten sich von Sekunde zu Sekunde dem Verband. Die ersten beiden Maschinen entschlossen sich, den vermeintlichen Frachter als Ziel anzunehmen. „Maschine dreimal AK, Ruder hart Backbord“, befahl der Kommandant. Währenddessen öffneten sich bei den beiden, das Schiff von Steuerbord voraus anfliegenden, Bombern bereits die Klappen der Bombenschächte, mit dem bloßen Auge schon gut zu verfolgen. Zwischenzeitlich hatten die beiden Torpedoboote ebenfalls erkannt, dass ihr Schützling das Opfer der feindlichen Flieger werden sollte und konzentrierten ihr Abwehrfeuer ebenfalls auf die beiden, den Hilfskreuzer angreifenden, Maschinen. Von der vorausgestaffelten Maschine lösten sich die ersten Bomben. Im gleichen Moment hatte die Steuerbord vordere 3,7 sowie eine der 2 Zentimeter-Doppellafetten das Flugzeug aufgefasst und deutlich war zu sehen, wie die Leuchtspurgeschosse im Flugzeugrumpf verschwanden. Plötzlich sprangen Funken aus der linken Tragfläche des Feindbombers und Sekundenbruchteile später zerbarst dieser in einem aufwallenden Feuerball. „Ruder hart Backbord“, folgte das nächste Kommando des Kommandanten – hinein in das Zerbersten der Feindmaschine. Mit Hartruderlage drehte das Schiff aus der zu erwartenden Flugbahn des abstürzenden Bombers. Der zweite Feindbomber, auf den sich nunmehr das Feuer der drei Kriegsschiffe vereinigte, drehte, ohne zum Bombenwurf gekommen zu sein ab. Gleichzeitig klatschten etwa hundert Meter hinter dem Schiff die Bomben des abgeschossenen Feindflugzeuges in die Förde und warfen hohe Wasserfontänen auf. Etwa 60 Meter an Steuerbord des Hilfskreuzers, stiebte die abgeschossene Feindmaschine in die hell aufspritzende See. Nur 20 Meter von der Bordwand hieb wie eine Bombe die abmontierte Fläche nebst Steuerbordmotor in die See. Zwei, drei kleinere Metallteile klirrten auf das Oberdeck des Schiffes, ohne jedoch Schäden zu verursachen.

Die Feindflugzeuge kamen aus dem Wirkungsbereich der Waffen und flogen im direkten Kurs weiter auf Kiel. „Feuer einstellen, Maschine Umdrehung für 10 sm“, kam das Kommando des Kommandanten und der Verband setzte seine Fahrt fort. Das führende Torpedoboot meldete sich, „ K an K, aussprechende Anerkennung zum ersten Abschuss. Von mir bestätigt“, ließ sich der Kommandant des Führertorpedobootes vernehmen. Korvettenkapitän Waldau fuhr sich mit dem Ärmel seines Bordjacketts über die vor Anspannung klatschnasse Stirn, „geben Sie zurück: K an K, vielen Dank, auch für Ihre segensreiche Unterstützung.“ Der Kommandant nahm noch einmal das Doppelglas vor das Gesicht, aber die Feindmaschinen waren nur noch als kleine Punkte in der Ferne auszumachen. Deutlich hörte man nunmehr auch, wie die Flakbatterien an Land sowie die Schiffsflak der im Hafen liegenden Marineeinheiten die Feindflugzeuge nunmehr unter Feuer nahmen. Kurz darauf dröhnten dumpf die Detonationen der Feindbomber über die Förde. Trefferwirkungen waren jedoch vom Schiff her nicht auszumachen.

„Na also“, meinte der IO und setzte das Glas ab, „haben die Tommys also nur die armen Fische erschreckt.“

„Nun lassen Sie mal, IO“, versetzte Waldau, „mir langt dieses Zwischenspiel als Ouvertüre zu unserer Unternehmung durchaus.

Der IO grinste den Kommandanten an, „habe ich’s mir nicht gedacht.“ „Was belieben zu denken, IO?“ Der Kommandant musterte seinen alten Freund und jetzigen ersten Offizier. Zwischenzeitlich spitzten auch die anderen Seeoffiziere sowie das sonstige Brückenpersonal gespannt die Ohren, um sich ja nichts vom Gespräch der beiden wichtigsten Männer an Bord, denn das waren Kommandant und IO im Hinblick auf die Schiffsführung allemal, entgehen zu lassen. Dem Kommandanten blieb die gebannte Aufmerksamkeit seiner Untergebenen selbstverständlich nicht verborgen und nach einem Blick in die Runde meinte er, „ na gut, Herrschaften, eigentlich solltet Ihr es ja erst in einigen Stunden erfahren, aber was soll’s. Die Unternehmung hat begonnen.“ Ob dieser Eröffnung des Kommandanten war es auf der Brücke so still, dass man die bekannte Stecknadel hätte zu Boden fallen hören können. Der IO, Graf Terra, wer sollte es auch anders sein, brach das andauernde Schweigen als erster und meinte, unbekümmert in die Runde blickend, „wenn das kein gutes Omen ist, kaum die Leinen gelöst und schon die Feuertaufe erfolgreich bestanden.“ Der Kommandant, der dieses Gespräch zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht vertiefen wollte – insgeheim ärgerte er sich, dass ihm nun doch zu früh herausgerutscht war, dass die Feindfahrt bereits begonnen hatte – versetzte knapp, „nun verfallen Sie mal nicht in grenzenlosen Optimismus, IO, hierzu besteht wahrhaftig derzeit keinerlei Anlass. Die wirklichen Probleme stehen uns weiß Gott noch bevor.“ Allen auf der Brücke war klar, dass hiermit zunächst der Durchbruch in den freien Atlantik gemeint war.

Der Kommandant befahl den II AO sowie die Bedienungen der erfolgreichen Flakwaffen auf die Brücke und beglückwünschte ihn und die gesamte Geschützbedienung zu ihrem Erfolg. Bevor die gehobene Stimmung auf der Brücke ausufern konnte, versetzte der Kommandant knapp, „IO, weisen Sie die Ausgucks noch einmal an, ihre Sektoren genau im Auge zu behalten, vielleicht war das ja nicht die einzige Überraschung. Befehl an II AO: Flakwaffen besetzt halten, volle Kriegswache bleibt bestehen!“

Zwei Stunden später saßen Kommandant und wachfreie Offiziere in der Offiziersmesse beim Abendessen. Die Dunkelheit war hereingebrochen und das Schiff kriegsmäßig abgeblendet. Auf der Brücke stand der II O. Während das Schiff, nach wie vor im Geleit der beiden Torpedoboote, weiterhin mit kontinuierlicher Marschfahrt von 10 sm sich seinen Weg durch die leicht bewegliche Ostsee bahnte, beendeten die Offiziere ihr Abendessen. Nach und nach verstummte das Klappern der Bestecke und die als Ordonanz eingeteilten Seeleute räumten ab. Augenblicklich unterbrachen die Offiziere ihre in Gang gekommenen Einzelgespräche und es trat absolute Stille ein.

„Meine Herren“, begann der Korvettenkapitän Waldau seine Ansprache, „wie ja mittlerweile vom IO bis zum letzten Mann als bekannt vorausgesetzt werden darf, hat die Unternehmung begonnen. Wie Sie wissen, trägt das Schiff bisher keinen Namen, sondern lediglich – wie im Übrigen alle Hilfsschiffe – eine taktische Nummer, in unserem Falle Schiff 66. Die SKL hat, an die Tradition des Weltkrieges anknüpfend, mir gestattet, den internen Schiffsnamen selbst zu wählen.“ Bei diesen Worten des Kommandanten steigerte sich das Interesse seiner Zuhörer nochmals, schließlich wollten sie sich alle mit ihrem Schiff identifizieren und hierzu gehört selbstverständlich nicht nur eine taktische Nummer, sondern das Schiff musste einfach einen Namen haben, nach Möglichkeit einen solchen, der auch der Aufgabenstellung ihrer Einheit gerecht werden würde. „Ich habe mich daher entschlossen, unser Schiff 66, den Hilfskreuzer A der deutschen Kriegsmarine, also den ersten Hilfskreuzer in diesem Kriege auf deutscher Seite, „Chamäleon“ zu taufen.“

Der Kommandant schaute in die Runde und bemerkte sehr wohl, dass diese Namenswahl nicht überall sichtbare Zustimmung hervorrief. „ Ich sehe Ihnen an, meine Herren“, fuhr der Kommandant fort, „dass einigen von Ihnen dieser Name für unser Schiff zu missfallen scheint. Vielleicht haben Sie sich einen kriegerischen oder aber auch einen traditionsreichen Schiffsnamen gewünscht. Ich darf Ihnen aber versichern, dass ich diesen Namen mit Bedacht gewählt habe.“ Der Kommandant machte eine Pause und nahm einen Schluck aus dem vor ihm stehenden Glas mit Fruchtsaft, in der Marinesprache Kujambel genannt. Alkohol war bekanntlich während einer Kriegsfahrt an Bord deutscher Kriegsschiffe, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht gestattet.

„Aber meine Herren“, fuhr der Kommandant fort, „ich will Ihnen begründen, was mich zu dieser Namenswahl veranlasst hat und ich hoffe und wünsche mir sehr, dass Sie mir dann beipflichten werden.“ Der Kommandant erteilte Raucherlaubnis, steckte sich selbst einen Glimmstängel an und fuhr fort, „ Aufgabe eines Hilfskreuzers ist es bekanntlich, feindliche Handelsschiffe aufzubringen bzw. zu versenken und allein durch seine bloße Anwesenheit den Gegner zu zwingen, zum Schutz seiner Versorgungslinien und zur Jagd auf einen Handelsstörer Seestreitkräfte von anderen Aufgaben abzuziehen, die somit zwangsläufig an anderen Brennpunkten fehlen und somit insgesamt die Schlagkraft der gegnerischen Flotte schwächen.“ Der Kommandant führte weiter aus, dass Hauptaufgabe eines Hilfskreuzers nicht unbedingt nur die Versenkung oder Aufbringung einer großen Zahl feindlicher Handelsschiffe sei, sondern insbesondere darin liege, sich dem Zugriff des übermächtigen Gegners solange irgend möglich zu entziehen, um den Gegner insoweit nicht zur Ruhe kommen zu lassen, in dem Bewusstsein, der Handelsstörkreuzer könne heute hier oder morgen dort zuschlagen, so dass der Gegner gezwungen war, seine Kräfte zu zersplittern, um seinen Nachschublinien den erforderlichen Schutz angedeihen zu lassen.

„Dieses Ziel, meine Herren“, setzte der Kommandant seine Ausführungen fort, „können wir nur erreichen, indem wir durch bestmögliche Tarnung und heimliches Verhalten sowenig Argwohn wie möglich wecken. Zuschlagen, aufbringen oder versenken und baldmöglichst wieder in der Weite der See zu verschwinden, ist die Devise. Unsere stärksten Waffen werden also beileibe nicht die 15-Zentimeter Kanonen oder die Torpedos sein. Vielmehr wird es weitgehend von unserer Tarnung abhängen, ob wir überleben oder nicht bzw. wie lange wir in See bleiben können? Und da Tarnung die Hauptwaffe eines Handelskreuzers ist, habe ich den Namen „Chamäleon“ gewählt.“

Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere

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