Читать книгу Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere - Heinz-Dietmar Lütje - Страница 12

7. Täuschungsmanöver

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Mit südlichem Kurs durchpflügte „Chamäleon“ den Nordatlantik Richtung Äquator. Seit der ersten Versenkung war kein weiterer Gegner mehr in Sicht gekommen. Unablässig beobachteten Brücke und Ausguckposten die ihnen zugewiesenen Sektoren. Trotz des relativ guten Wetters, verbunden mit weiter Sicht, wollte keinerlei über der Kimm aufsteigende Rauchfahne eine weitere Beute ankündigen.

Tage später, gegen 10.00 Uhr vormittags – der Kommandant hatte gerade sein zweites Frühstück eingenommen – ließ sich bei diesem der zweite Offizier, Oberleutnant Uwe Semmler, melden und wurde von Waldau sofort empfangen. Nach dessen militärischer Meldung bot Waldau seinem IIO Platz vor seinem Schreibtisch, der am Boden fest verankert war, um auch bei schwerer See nicht Gefahr zu laufen, sich selbständig zu machen, an und schaute sein Gegenüber erwartungsvoll an. „Na, Semmler, was gibt’s?“ „Ich habe auftragsgemäß die persönlichen Habseligkeiten der Gefangenen überprüft“, berichtete der IIO, „Herr Kaptän.“ Der Kommandant merkte seinem Untergebenen sofort an, dass dieser kaum abwarten konnte, ihm offenbar außerordentlich interessante Feststellungen zu melden. Waldau grinste ob des kaum verhohlenen Eifers des jungen Offiziers und ermunterte ihn, „na, was interessantes dabei?“

„Das kann man wohl sagen, Herr Kaptän“, meldete der junge Oberleutnant und zog einen Briefumschlag aus der Innentasche seines Bordjacketts. „Dieses stammt aus der Jacke des Funkers.“ Der Kommandant nahm den Umschlag entgegen und betrachtete ihn zunächst von beiden Seiten. Gerichtet war der Brief an einen Edward Simmons, Funkoffizier, MS Jolante, Liverpool.

„Der Absender“, platzte Semmler heraus, um sich sofort zu entschuldigen, „Verzeihung Herr Kaptän, der Absender erscheint mir sehr interessant.“ Waldau wendete den Brief und staunte ehrlich.

„Sir Walter Hawkens, Rear-Admiral, London“, las er zu seiner Überraschung und widmete sich nunmehr mit größtem Interesse dem Brief selbst.

Dieser trug ebenfalls den Kopf des Rear-Admirals, der neben vielen persönlichen Floskeln in diesem Schreiben seinen Neffen, um diesen handelte es sich nämlich bei dem Funkoffizier der aufgebrachten Jolante, wissen ließ, dass er ein Kreuzergeschwader im Südatlantik übernehmen werde und seinen geliebten Neffen aufforderte, sich unmittelbar nach Beendigung der Fahrt als Reserveoffizier der Royal-Navy zur Verfügung zu stellen und ihn sofort über die Admiralität in London zu informieren, damit er ihn, seinen Neffen, für eines seiner Schiffe anfordern könne.

„Das ist ja wirklich interessant“, versetzte Waldau, „leider hilft es uns wenig weiter, wir werden aber entsprechende Mitteilung über die zu erwartenden Operationen eines Kreuzergeschwaders im Südatlantik per FT an die SLK senden. Gibt es sonst noch irgendetwas von Bedeutung unter den Habseligkeiten der Männer?“

„Nein, Herr Kaptän“, antwortete der IIO. „In Ordnung, Semmler“, versetzte Waldau, „dann veranlassen Sie, dass den Leuten ihre persönlichen Sachen zurückgegeben werden. Im Übrigen möchte ich Sie dann bitten, sich neben Ihren Aufgaben als II WO auch als „Gefangenenoffizier“ zu betrachten und sich um Sorgen und Probleme der Gefangenen zu kümmern. Sprechen Sie mit den Leuten, kümmern Sie sich auch um persönliche Wünsche und Bedürfnisse und sorgen Sie vor allem dafür, dass alle nur denkbaren Erleichterungen gewährt werden können. Versuchen Sie hierbei auch weitere für uns interessante Einzelheiten in Erfahrung zu bringen. Kurzum, versuchen Sie, für die Gefangenen nicht der böse Hunne zu sein, sondern bemühen Sie sich – soweit möglich selbstverständlich – auch um einen kameradschaftlichen Ton.“

Damit entließ der Kommandant seinen IIO.

Am folgenden Morgen – Waldau saß gerade mit seinen Offizieren – mit Ausnahme des IIO, der als diensthabender Offizier zur Zeit den Hilfskreuzer fuhr – in der Offiziersmesse nach dem zweiten Frühstück zusammen und erörterte die Lage – als eine erneute Sichtmeldung erfolgte. Waldau und Terra stürzten auf die Brücke.

„Rauchfahne Backbord querab, Herr Kaptän“, meldete Oberleutnant Semmler als wachhabender Offizier. Waldau und Terra hoben die schweren Marinegläser an die Augen und starrten angestrengt in die angegebene Richtung. Endlich, nach dem Nachjustieren der Gläser, erkannte der IO, Graf Terra, den feinen verwischten Strich an der Kimm und bedeutete dem Kommandanten die genaue Richtung. Jetzt sah es dieser auch. „Verdammt gute Sicht, also verdammt weit weg“, brummte Waldau. „Was meinen Sie, IO, wollen wir das Flugzeug erstmals aussetzen?“ „Wäre sicherlich empfehlenswert, Herr Kaptän.“ „Gut, veranlassen Sie das IO.“

Kurz darauf meldete sich der Fliegeroffizier, Leutnant Elmar Spaß mit dem Flugzeugführer, Feldwebel Gottfried Schütze, bei dem Kommandanten. Beide erklärten, es bestehen keine Bedenken gegen den Einsatz des Bordflugzeuges, das kurz darauf gestartet wurde.

Kommandant und IO, sowie alle Mann, soweit es ihnen möglich war, blickten dem startenden Bordflugzeug nach, dass sich ohne Schwierigkeiten von der glatten See erhob, noch eine Ehrenrunde über den Hilfskreuzer drehte und dann Kurs auf die gesichtete Rauchfahne nahm.

„Na, nun heißt es abwarten“, brummte der IO und grinste den Kommandanten an.

Die Arado stieg schnell auf etwa 600 Meter Höhe und nahm Kurs auf das gesichtete Schiff. Nach wenigen Minuten bereits war von Leutnant Spaß klar auszumachen, dass es sich bei der erhofften zweiten Beute des „Chamäleons“ um einen tief im Wasser liegenden, also bis zur Halskrause vollgelutschten, Tanker von etwa 7.000 BRT handelte.

Das Schiff war eindeutig anhand der britischen Handelsflagge als Gegner zu identifizieren.

„Lohnenswerte Beute“, bedeutete der Fliegeroffizier seinem Flugzeugführer. Feldwebel Schütze, der gerade die Maschine in eine leichte Linkskurve legte, um das Ziel in etwa 500 Meter Höhe zu umrunden, nickte, „hoffentlich funkt er nicht gleich.“

„Wollen wir unser Glück versuchen“, bedeutete der Leutnant und griff zum zwischen seinen Füßen befindlichen Leinenbeutel, in dem sich eine vorbereitete Mitteilung befand, die – selbstverständlich durch das nötige Gewicht beschwert – auf Deck eines gegnerischen Schiffes abgeworfen werden sollte. Diese Meldung besagte, dass ein britisches Kriegsschiff – in diesem Fall der britische Kreuzer Dorsetshire – in der Nähe stand und aufgrund des Kriegsausbruches wichtige Befehle für den eigenen Frachter habe. Dieser möge nicht funken, um den Standort britischer Einheiten dem deutschen Gegner nicht zu verraten. Das Kriegsschiff werde näher kommen und ein Boot aussenden, um weitere Befehle zu übermitteln.

Zwischenzeitlich hatten die britischen Seeleute auf dem Tanker selbstverständlich das Flugzeug bemerkt und hielten dieses erkennbar für das Bordflugzeug eines eigenen Kriegsschiffes. Wie anders wäre das Winken der auf Oberdeck gekommenen Seeleute sonst zu erklären?

„Scheint zu klappen“, meinte der Flugzeugführer und legte die Maschine in eine neue Kurve, um erheblich tiefer den Tanker erneut zu überfliegen. Leutnant Spaß bereitete sich vor, den Beutel so abzuwerfen, dass dieser wirklich auf dem Vordeck des Handelsschiffes auftreffen möge.

Die Maschine verringerte deutlich Ihre Flughöhe. In ca. 40 Metern Höhe flog die Arado 196 von hinten an. Von achtern aufkommend hielt Leutnant Spaß – die Windrichtung wohlberechnend – den Beutel vor sich und warf diesen ab, als das Flugzeug etwa die achtere Heckreling des Tankers in etwa 40 bis 50 Meter Höhe überflog.

Erwartungsgemäß schlug der Leinenbeutel auf dem Vordeck des Schiffes – zwischen den verschiedenen Tanks- auf.

„Wollen sehen, was jetzt passiert“, schrie Spaß seinem Flugkollegen, Feldwebel Schütze, zu. Dieser nickte lediglich, obwohl er aufgrund des erheblichen Fluglärms, verbunden mit den starken Windgeräuschen, wohl kaum genau verstanden haben dürfte.

Die Maschine ging auf ca. 100 Meter Höhe und umkreiste den Tanker.

Bei der dritten oder vierten Runde bemerkten sowohl Spaß als auch Schütze, dass ihre Nachricht ohne Argwohn aufgenommen wurde. Der Leinenbeutel war auf die Brücke gebracht und einer der Schiffsoffiziere, an der Kopfbedeckung erkennbar, winkte dem Flugzeug zu.

Gleichzeitig ging das Flaggengensignal für „verstanden“ hoch und das Gegnerschiff verlangsamte deutlich erkennbar seine Fahrt.

Die Arado umkreiste noch mehrere Male den gegnerischen Tanker, bei der letzten Runde wurde mit leichtem Wackeln der Tragflächen angedeutet, dass das Aufnehmen und Befolgen der Nachricht verstanden war und nahm dann wieder Kurs auf den Hilfskreuzer.

Währenddessen auf „Chamäleon.“

Auf der Brücke standen die Offiziere zusammen und diskutierten, ob wohl der Einsatz des Flugzeuges den gewünschten Erfolg bringen möge? „Wird schon klappen“, äußerte sich Graf von Terra und verbreitete wohltuenden Optimismus. Anders der Kommandant, der – nach außen hin vollkommen ruhig und beherrscht, innerlich aber völlig aufgewühlt – an einen derartigen leichten Erfolg noch nicht glauben wollte. „Glaube ich kaum, wir haben wohl einen klassischen Fehler begangen.“ Alle schauten den Kommandanten bestürzt an. „Wieso, Herr Kaptän“, fasste sich Graf von Terra als erster.

Waldau musterte seinen ersten Offizier und meinte, „will Ihnen ja nicht die Hoffnung verderben – und mir bestimmt auch nicht – IO“, um nach einer längeren Pause fortzufahren, „aber in dem vorbereiteten Abwurfbeutel geben wir uns als britischer schwerer Kreuzer aus.“ Betretenes Schweigen bereitete sich auf der Brücke aus. Allen Offizieren und den sonstigen Besatzungsmitgliedern,die diese Äußerung aufnahmen, war klar, dass auf dem gegnerischen Tanker jeder bei Annäherung sofort erkennen würde, dass hier kein britischer schwerer Kreuzer herangebraust kam, sondern sich ein Handelsdampfer näherte.

Terra fasste sich wieder als erster und entgegnete, „dann, Herr Kaptän, dürfen wir uns eben erst bei Dunkelheit nähern.“

„Ha, Sie Spaßvogel, belieben einmal mehr zu scherzen, obwohl dieser Zeitpunkt absolut unangebracht ist“, versuchte der Kommandant seinen ersten Offizier zurechtzuweisen, um fortzufahren, „meinen Sie etwa, der Gegner wundert sich nicht, wenn nicht innerhalb der nächsten ein, zwei Stunden der erwartete Kreuzer in Sicht kommt?“

Graf von Terra äußerlich absolut ungerührt, „doch, muss das Flugzeug eben erneut mit ergänzenden Befehlen zum Tanker fliegen.“

„Hmmhmmhm“, überlege Korvettenkapitän Waldau, „Sie Teufelskerl, haben ja vollkommen Recht, wir könnten ja wesentlich weiter abstehen. Wollen wir sofort eine weitere Order schriftlich entwerfen.“

„Herr Kaptän“, meldete der Steuerbordausguck, „unser Bordflugzeug nähert sich.“ Alle rissen die Gläser an die Augen und sahen auch prompt – vom Ausguck die Richtung angedeutet – die Maschine sich nähern.

Näher gekommen, meldete Fliegeroffizier Spaß per Signallampe, dass es sich bei dem Gegner um einen Tanker handelt und dieser offenbar keinen Verdacht geschöpft hat, und gestoppt liegen bleibe, um die Ankunft des Kreuzers zu erwarten.

„Signalmaat auf die Brücke“, befahl der Kommandant. Sekunden später bedeutete er dem auf die Brücke kommenden Signalmaaten, Flaggensignal für Kmdt. des Flugzeuges: Neben dem Hilfskreuzer wassern!“

Im Flugzeug wurde dieses Signal mit gemischten Gefühlen aufgenommen. „Sollen wir etwa hier rumschwabbeln und nachher vom Schiff wieder aufgenommen werden, Herr Leutnant?“ Diese Frage stellte der Flugzeugführer seinem Fliegeroffizier. „Ich weiß auch nicht, Schütze, aber Befehl ist Befehl.“ Das Flugzeug flog eine ausgedehnte Kurve und wasserte dann in der Nähe des Kreuzers. Mit Verwunderung nahm die Flugzeugbesatzung davon Kenntnis, dass der Hilfskreuzer ein Boot aussetzte, das sich dem Flugzeug näherte. Das Bootskommando, geführt von Maat Lange, übergab Leutnant Spaß einen neuen Leinenbeutel mit dem Bemerken, „Herr Leutnant, Befehl des Kommandanten, erneut Kurs auf Gegner und erneutes Abwerfen neuerer Befehle.“ Spaß nahm den Beutel entgegen und sofort legte der Kutter wieder ab und strebte „Chamäleon“ zu.

„Na denn, Sie haben es gehört“, versetzte der Leutnant und Feldwebel Schütze drehte die Arado 196 in den Wind, um vom – glücklicherweise relativ ruhigen Wasser – zu starten.

Nach wenigen Minuten verlor sich die Silhouette des Flugzeuges in den Gläsern des Hilfskreuzers als kleiner schwarzer Punkt mit Kurs auf den Engländer.

An Bord des Flugzeuges hatte Leutnant Spaß zwischenzeitlich die neue Order für den Tankerkapitän gelesen und erläuterte den Inhalt seinem Kameraden und Flugzeugführer. „Wird schon klargehen“, entgegnete dieser lakonisch. Gut 50 Minuten später kam der Tanker erneut in Sicht. Schütze umkurvte – unter entsprechendem Wackeln mit den Tragflächen – erneut den Tanker, der ohne Fahrt in der langen Dünung des Atlantiks dümpelte.

Nach mehreren Kurven – jeweils unter erneutem Wackeln der Tragflächen und Anblinken mit der Morselampe – dass erneuter Befehl abgeworfen werden würde – flog Schütze erneut das Schiff von achtern an und der Flugzeugführer, Leutnant Spaß, platzierte ähnlich geschickt, wie beim ersten Anflug – obwohl bei jetzt ohne Fahrt dümpelndem Schiff etwas einfacher – erneut den Meldebeutel auf dem langen Vordeck des Tankers.

Wie beim ersten Mal wurde die Meldung schnellstens aufgenommen und der Schiffsführung überbracht. Es dauerte ca. 2 Minuten, bis erneut das Signal „verstanden“ an den Signalleinen am Mast des Tankers auswehte. Das Flugzeug kreiste noch einige Male über dem Tanker, bis schließlich erkennbar war, dass dieser Fahrt aufnahm und seinen bisherigen Kurs fortsetzte.

Nachdem der Abwurfsack auf dem Deck des britischen Tankers aufgenommen war und dem Kapitän, Master Stanley Meesen, vorgelegt war, äußerte sich dieser, „hmm, gar nicht gewusst, dass die Bordflugzeuge unserer Kreuzer einen derartigen Aktionsradius haben und derart hohe Geschwindigkeit fliegen können. Aber meine Herren, was soll’s, werden wir also unsere Fahrt entsprechend mit verminderter Geschwindigkeit fortsetzen und dann eben in den frühen Morgenstunden den Kreuzer erwarten.“

„Entschuldigen Sie, Sir“, ließ sich der erste Offizier, Walter Jackson, vernehmen, „das erscheint mir doch alles sehr merkwürdig. Sollten wir nicht vielleicht lieber per Funk Bestätigung einholen, dass wirklich der britische schwere Kreuzer Dorsetshire sich in diesem Seegebiet befindet?“

„Auf keinen Fall“, ließ sich der Tankerkapitän vernehmen, „schließlich könnte der Spruch von einem deutschen U-Boot aufgenommen werden. Wir müssen schließlich alle damit rechnen, dass die Jerrys ihre Boote bereits in See haben.“

„Entschuldigen Sie, Sir“, meldete der erste Offizier des Tankers erneut seine Bedenken an, „ich halte es nach wie vor bei dieser merkwürdigen Order für angebracht, Funkmeldung abzusetzen. Außerdem ist mir das Flugzeugmuster als Bordflugzeug unserer Kreuzer nicht geläufig.“

„Ach, was wollen Sie denn“, versetzte der Captain, „wir sind doch durch die Admiralität darauf hingewiesen, dass von den Jerrys lediglich eines ihrer Taschenschlachtschiffe vor Kriegserklärung ausgelaufen ist. Welche Überwassereinheit sollte hier wohl rumschwabbeln? Oder meinen Sie etwa, die Jerrys verfügen als Geheimwaffe bereits auf ihren U-Booten über Bordflugzeuge?“ Das weitere Brückenpersonal belachte den als Witz verstandenen letzen Satz ihres Masters entsprechend und der besorgte erste Offizier verzichtete auf weitere Einwendungen. Wortlos wandte er sich ab, ihm war aber durchaus anzumerken, dass er nach wie vor seine Zweifel nicht verbergen konnte.

„Und“, setzte der Captain noch einen drauf, „Number One, dieses Westentaschen-schlachtschiff, die Graf Spee, ist bekanntlich nach dem Gefecht mit unseren Kreuzern Ajax, Achilles und Exeter in den Hafen von Montevideo, Uruguay geflüchtet und wird dort von unserer Royal Navy blockiert und wird da kaum wieder rauskommen. Das haben wir doch erst gestern von der Admiralität bestätigt bekommen.“

Auch auf der „Chamäleon“, auf der ebenfalls auch die britischen Radiostationen abgehört wurden, war das Gefecht des Panzerschiffs Graf Spee mit dem britischen schweren Kreuzer Exeter und den beiden leichten Kreuzern Ajax und Achilles aus Nachrichten der BBC bekannt. Selbstverständlich wurden auch auf dem Hilfskreuzer die feindlichen Radiostationen, insbesondere die BBC abgehört und die wesentlichen Nachrichten dem Kommandanten bekannt gegeben, der sie nach eigenem Dafürhalten ggf. seinen Offizieren und meistens auch der Besatzung über Bordlautsprecher bekannt gab, wenn er dies für erforderlich oder sinnvoll erachtete. Am Bord beider Schiffe wusste man am frühen Morgen des 17.Dezember 1939 noch nicht, dass am gleichem Tage Kapitän zur See Langsdorff im Interesse der Rettung seiner Besatzung und im Hinblick auf die nur noch geringen Munitionsvorräte die Graf Spee außerhalb der Dreimeilenzone vor Montevideo in den Fluten des Rio de la Plata selbst versenken würde.

Auf dem deutschen Kriegsschiff war man in der Zwischenzeit nicht untätig, die von der Flugzeugbesatzung als „Kate Winslow“ ausgemachte zweite Sichtung näher zu überprüfen. Laut Lloyds Register handelte es sich hierbei um den 7952 BRT (Bruttoregistertonnen) vermessenen, 1931 vom Stapel gelaufenen,Tanker der Reederei Winslow Brothers mit Sitz in London. Noch bei vollständiger Dunkelheit näherte sich die „Chamäleon“ bis auf knapp 1000 Meter von achtern aufdampfend dem Briten. Auf der Brücke des deutschen Kriegsschiffes waren – wie fast immer bei der Annäherung an einen Gegner – auch die wachfreien und nicht durch ihre Funktionen anderweitig gebundenen Offiziere in gebannter Erwartung.

„Artillerie klar“, fragte der Kommandant beim 1. Artillerieoffizier, Oberleutnant z. S. Fritz Bolte, nach. Sofort kam die Antwort des AO: „Artillerie klar und Ziel aufgefasst.“

„Flawaffen ebenfalls klar und Ziel aufgefasst“, kam der 2. AO Leutnant z. S. Fischer der Nachfrage des Kommandanten zuvor, was dieser mit einem leichten Schmunzeln zur Kenntnis nahm. Für die Torpedowaffe meldete der TO Curt Carstens: „Torpedowaffe ebenfalls klar, Herr Kaptän, TO am Zielgerät.“

Der Korvettenkapitän hob nochmals das schwere Marineglas an die Augen, überzeugte sich davon, dass nach wie vor offenbar die Annäherung des Hilfskreuzers vom gegnerischen Schiff nicht bemerkt war, sowie ob die Kriegsflagge gehisst war und befahl: „Blinkspruch vorbereiten, Stop advance, or I shall fire (stoppen Sie sofort, sonst werde ich schießen), don’t wireless (benutzen Sie nicht Ihre FT-Anlage)!“

„Ausführung jetzt!“ Sofort nach dem Befehl trat der Signalscheinwerfer in Tätigkeit und übermittelte der diensthabende Signalgast die Aufforderung.

Auf der „Kate Winslow“ zuckten Captain und 1. Offizier, sowie Rudergänger und Wachmatrose zusammen, als plötzlich an Ihrer Backbordseite der helle Scheinwerferstrahl das Dunkel der Nacht durchschnitt. Der 1. Offizier des Tankers überwand seine Überraschung zuerst. Fragend schaute er seinen Captain an und schrie diesen in der Erregung fast an: „Und das soll ein britischer Kontrollkreuzer sein? Das glaube ich nie und nimmer.“ „Das sind die verfluchten Germans“, setzte er noch hinzu und maß seinen Captain mit einem bösen Blick, „aber auf mich wollte ja keiner hören!“ Der Captain wollte seinem Ersten wütend das Wort verbieten, als plötzlich das ganze Schiff in helles Licht getaucht wurde, verursacht von der starken Scheinwerferanlage des zwischenzeitlich auf wenige hundert Meter angenäherten Fremden. Den 1. Offizier riss es förmlich auf den Absätzen herum und schon war er am Sprachrohr, das die Brücke mit dem Funkraum verband und schrie hinein: „Wir werden angegriffen, geben Sie sofort QQQ (britischer Code für: verdächtiges Schiff) und unsere Position.“

„Belege das“, schrie der Captain dazwischen, stieß seinen Ersten vom Sprachrohr weg, „geben Sie RRR (britischer Code für Raider – Angriff durch Überwasserkriegsschiff) mit Schiffsnamen und Position.“ Lange Sekunden vergingen. Rudergänger und Wachmatrose schauten sich an, wandten dann Ihren Blick auf Captain und Ersten, um zu sehen, welche weiteren Anordnungen die Schiffsführung geben würde. Die Hände des Rudergängers umkrampften das Ruderrad. Wieder fasste sich der Erste am schnellsten und fragte seinen Schiffsführer: „Sollen wir stoppen?“ Die Lippen im zornrotem Gesicht des Captains sprangen auf: „Damn …“, weiter kam er nicht. In diesem Moment flog ein Teil der Brückenaufbauten, wie von der Hand eines Riesen zerfetzt, vor seinen Augen davon. Dort wo der Wachmatrose eben noch mit schreckverzerrtem Gesicht gestanden hatte, klaffte ein großes Loch. Er selbst war verschwunden. Das fremde Schiff hatte das Feuer eröffnet. Rudergänger und Erster warfen sich zu Boden. Der Erste lief zum Sprachrohr und wollte mit der Rechten den Stöpsel abziehen. Unverständnis und Verwirrtheit breiteten sich auf seinem Gesicht aus. Er griff dann mit dem rechtem Arm zum Sprachrohr. Allein die rechte Hand und der halbe Unterarm fehlten. Er starrte auf den verkürzten Unterarm, aus dem das Blut in breitem Strahl aus einer verletzten Arterie spritzte und sackte langsam auf die Knie. Jetzt endlich hatte auch der Captain seinen Schock überwunden. Glücklicherweise funktionierte die Sprachverbindung zur Maschine noch und er gab Befehl zu stoppen. Eine Verbindung zum Funker kam hingegen nicht zustande. Mehrmals schrie er nach dem Funkoffizier, erhielt jedoch keine Antwort. Erst jetzt registrierte er, dass das Schießen bereits wieder aufgehört hatte.

Zu dieser Zeit auf dem deutschen Hilfskreuzer.

„Gegner funkt“, meldete der 1. Funkoffizier Oberleutnant z.S. Fritz Borchard. „Sofort stören“, befahl der Kommandant, „1 AO, eine Salve auf die Brücke! 2 AO, Flawaffen Oberkante Schiffsbrücke bestreichen, Antenne zerschießen!“

Ruumms donnerten alle 15 Zentimeter Geschütze, die den Gegner auffassen konnten, los. „Treffer, Treffer“, jubelten die mittlerweile vollständig auf der Brücke erschienenen Offiziere, soweit sie nicht dienstlich wie die beiden Artillerieoffiziere, Funker und Torpedooffizier auf ihren Gefechtsstationen gebraucht wurden. Graf von Terra fuhr dazwischen: „Ruhe! Wir sind doch hier nicht zum Ringreiten.“

„Gegner hat aufgehört zu funken“, kam die Meldung des FO (Funkoffizier). „Gegner stoppt“, bemerkte der Kommandant, „Blinkspruch rübermachen: Haben Sie Verletzte? Benötigen Sie ärztliche Hilfe?“ Der Kommandant wollte die Anfrage gerade wiederholen lassen, als nach langen Minuten per Blinkspruch erwidert wurde: „Ich ergebe mich. Ein Toter, ein Schwerverwundeter, drei leicht Verletzte.“

Noch in der Dunkelheit setzte das Prisenkommando unter Leitung des 2. Offiziers, Oberleutnant z. S. Uwe Semmler, mit dem 2. Schiffsarzt und 2 Sanitätsgasten über. Alle Bemühungen des Schiffsarztes waren vergebens, kurz nach Eintreffen war der tapfere 1. Offizier des Engländers seinem Blutverlust erlegen. Die Überprüfung durch den LI und seine Mannschaft ergab, dass die Brücke stark beschädigt war, zudem eine der 15 Zentimeter Granaten den Maschinenraum getroffen hatte, sodass auch dieser Tanker als Prise nicht in die Heimat geschickt werden konnte und somit nach Übernahme der Besatzung, die selbstverständlich Kleidung und persönliche Habe mitnehmen durfte, durch öffnen der Seeventile versenkt wurde. Drei Stunden dauerte es, bis das Schiff endlich auf ebenem Kiel letztlich ganz in seinem Element versunken war. In die britische Flagge gehüllt wurde kurz darauf die Leiche des 1. Offiziers im Beisein seiner gesamten Besatzung und seines Captains sowie eines angetretenen deutschen Ehrenkommandos der See übergeben. Die Leiche des zweiten Briten wurde nicht gefunden. Der Funker hingegen hatte Glück, er wurde vom Einschlag lediglich gegen die Wand seiner Kammer geschleudert und hatte kurzfristig das Bewusstsein verloren und konnte daher seinem Captain nicht antworten.

Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere

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