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ОглавлениеYvonne ging Lars Toftlund nicht mehr aus dem Sinn. Verträumt sah er sie vor seinem geistigen Auge, als sie in dem Blümchenkleid mit dem Fahrradhelm auf dem Kopf vor ihm kniete, weil der Baum, der auf ihr Haus gefallen war, von der Haustür nur einen niedrigen Durchgang übriggelassen hatte. Sie war so anmutig und so hübsch und so attraktiv und so nett gewesen. Noch bevor er ärgerlich an den netten, aber doch naiven Deutschen denken konnte, der zugleich sein Konkurrent gewesen war, wurde seine Tagträumerei jäh vom Klingeln seines Smartphones unterbrochen und sein Bild von Yvonne zerplatzte wie eine Seifenblase. Es war die Polizei.
„Wir haben einen Hehler ausfindig gemacht, der vermutlich gestohlene Computersachen in seinem An- und Verkaufsladen anbietet, doch solange die Sachen nicht als das Diebesgut identifiziert wurden, haben wir keine Handhabe gegen ihn.“
„Ich habe hier eine Liste und ein paar Fotos vorliegen von den bei meinen Kunden entwendeten Sachen. Vielleicht könnten die hilfreich sein.“
„Wir schicken zwei Beamte in dein Büro, die sich das mal ansehen können.“
Die Wohnungstür, die zu einem abgedunkelten Zimmer führte, in dem es leicht süßlich roch und in dem die Deckenlampe leuchtete, öffnete sich, und ein junger Mann trat mit einigen Einkaufstüten im Arm ein. „So, jetzt haben wir für ein paar Tage wieder genug zu essen und zu trinken. Die ganze Kohle ist aber dabei draufgegangen.“ Es störte ihn offenbar nicht, dass er keine Antwort bekam, doch er hatte ja auch keine Frage gestellt. Er schlurfte wie ein kleines Kind in den zu großen Schuhen seiner Mutter in den Raum, den sie Küche nannten, und verstaute seine Einkäufe im Kühlschrank. „Hast du bei dem Computerkram schon was rausgekriegt?“ Er kam in das Zimmer mit der Deckenlampe zurück und bemerkte, dass alle Computer und deren Beiwerk eigentlich noch so dastanden wie vorher. Allerdings war einer der kleinen Rechner an das Stromnetz angeschlossen. „Hey, was ist? Kannst du mir nicht mal antworten?“
Dem sehr pinkfarbenen KR war die Rückkehr des zweiten Diebes natürlich nicht entgangen, und da er ihn für geistig nicht gerade sehr helle und nach wie vor für ständig umnebelt hielt, imitierte er die Stimme des anderen jungen Mannes so, als käme sie aus dem Nebenraum: „Sieh dir mal den neueren kleinen Rechner an und schalte ihn ein!“
„Und dann?“, fragte er.
„Dann tust du, was er sagt.“
„Er kann sprechen?“
„Quatsch! Tu genau das, was er auf sein Display schreibt!“
„Ach so.“ Er ging auf KR zu, und als er dessen Schalter berührte, aktivierte KR seinen Monitor.
„Touch the blue stick!“
„Häh?“
KR übersetzte ins Schwedische: „Berühre den blauen Stick!“
„Ach so.“
KR war kurz davor, mächtig ungeduldig zu werden, als der Mann schließlich doch noch den blauen Stick anfasste, den KR auch sofort aktivierte und dadurch die Reise in Gang setzte.
In Lars Toftlunds Büro befanden sich drei Personen. Eine davon war natürlich Lars Toftlund selbst, daneben studierten eine Polizistin und ein Polizist eine Liste und einige Fotos von als gestohlen gemeldeten elektronischen Gerätschaften und glichen sie mit eigenen Listen und Fotos ab.
„Sieh mal hier!“, sagte die Polizistin und deutete auf das Foto eines Rechners, „dieser Computer hat eine Macke an der rechten Seite. Die findet sich auch auf unserem Bild.“
„Ja“, bestätigte der Polizist. „Das ist ziemlich eindeutig dasselbe Gerät. Und dieser Laptop hatte mal einen Aufkleber, der offensichtlich entfernt wurde. Man sieht noch die Spuren von Kleberresten.“
Auf diese Weise identifizierten die beiden insgesamt acht Geräte, die sich sowohl in der Sammlung der Versicherung als auch auf den Fotos der Polizei wiederfanden.
„Bingo! Jetzt können wir diesen Hehler unter Druck setzen. Danke Lars, du hast uns damit sehr geholfen.“
Sam hatte in Malmö diverse An- und Verkaufsläden und Pfandleihen aufgesucht, jedoch weder die beiden KRs, den alten, von ihm reparierten Rechner noch die blauen und roten Sticks und das restliche Equipment, das er für KRs Versuchsaufbau besorgt hatte, wiederentdeckt. Enttäuscht machte er sich auf den Heimweg, um Yvonne von seinem Misserfolg zu berichten.
In einem Kinosaal saß urplötzlich ein junger Mann auf dem Schoß einer Frau, die ebenso urplötzlich laut aufschrie. Der junge Mann hatte ein schrill pinkfarbenes, flaches Kästchen in der Hand, beziehungsweise hielt das Kästchen an einem kleinen blauen Teil fest, das aus dessen Seite ragte. Es lief ein Kriminalfilm in englischer Sprache, der in Dänisch untertitelt war und dessen Handlung in einem amerikanischen Motel spielte. Ganz unvermittelt landete die Faust eines Mannes, der neben der Frau saß und offenbar ihr Begleiter war, im Gesicht des jungen Mannes, der daraufhin das kleine Kästchen losließ, welches im selben Augenblick auch schon wieder verschwunden war.
In einem abgedunkelten Zimmer, in dem es leicht süßlich roch und die Deckenlampe leuchtete, tauchte KR den Bruchteil einer Sekunde vor seinem gemeinsamen Verschwinden mit dem Komplizen eines Diebes, der sich im London des Jahres 1969 aufhielt, wieder auf.
Ich habe ihm gar nichts mehr zurufen können , dachte KR. Wenn ich nicht sofort gehandelt hätte, wäre ich womöglich hart auf dem Fußboden aufgeschlagen. 70% Akkuladung. Die beiden Reisen haben jeweils 15% der Ladung verbraucht, obwohl sie beide nur sehr kurz waren. Das muss ich mir unbedingt merken, denn es könnte für weitere Reisen wichtig sein. Wenn man mich denn findet. Bis auf weiteres muss ich Strom sparen . KR schaltete sich aus.
In einem An- und Verkaufsladen in Malmö tauchten zwei Polizisten auf. Es waren ein Mann und eine Frau, also ein Polizist und eine Polizistin, die unverzüglich den Geschäftsführer sprechen wollten. Als die Kassiererin sich in ein Hinterzimmer aufgemacht hatte, schossen die beiden fleißig Fotos von den angebotenen Waren.
„Was macht ihr da?“, fragte der herbeigerufene Ladeninhaber mürrisch.
„Beweismaterial sammeln“, antwortete die Polizistin beiläufig, ohne ihr Tun zu unterbrechen.
„Was soll das heißen: Beweismaterial sammeln?“, gab sich der Chef nun etwas empört.
Der Polizist erläuterte ihm sogleich die Situation: „Wir haben eine Liste und Fotos von gestohlenen Gegenständen, die wir hier in deinem Laden wiederfinden. Das, was du damit machst, nennt man in unserem Jargon gemeinhin Hehlerei.“
„Das ist ja wohl die Höhe! Ich kaufe in gutem Glauben Sachen an, die ich dann mit einem klitzekleinen Gewinn wieder verkaufe. Was ist daran Hehlerei?“
„Nun, wenn die Sachen vorher gestohlen wurden, kannst du sie nicht verkaufen, ohne den Tatbestand der Hehlerei zu erfüllen. Außerdem wäre ein Verkauf nicht rechtswirksam. So ist das.“
„Ich kann mir doch nicht von jedem Anbieter einen Eigentumsnachweis vorlegen lassen! Dann kann ich meinen Laden gleich dichtmachen!“
„Na, ein bisschen hat er ja recht“, sagte der Polizist an seine Kollegin gewandt.
„Aber er wird ja sicher eine Buchführung haben“, meinte diese lakonisch. „Dann lässt sich ja einiges aufklären. Ankaufs- und Verkaufsdatum, Verkäufer, Käufer und so weiter.“
„Ja, also …“, der Geschäftsführer kam etwas ins Stottern.
Die Polizistin deutete siegessicher nacheinander auf acht Geräte im Laden: „Diese Sachen haben wir eindeutig als gestohlen identifiziert.“
„Na, dann könnt ihr sie eben mitnehmen. Aber nur, wenn ihr mir dem Empfang quittiert.“
„Das dürfte kein Problem sein. Doch wir wollen auch die Namen und Anschriften der Leute, von denen du sie gekauft hast.“
„Äh, das geht nicht.“
„Warum nicht? Keine Buchführung? Das wird das Finanzamt brennend interessieren …“
Die Stirn des Ladeninhabers zeigte eine leichte Tröpfchenbildung, woraufhin die Polizistin ein Papiertaschentuch zückte und es ihm reichte: „Du fängst da oben an auszulaufen.“
Der Chef nahm es wortlos an und tupfte sich die Stirn trocken, bevor er stammelte: „Ja, nun, äh, also … bei einigen angekauften Waren habe ich wohl nicht die Zeit gehabt, mir alles bis ins Kleinste zu notieren.“
„Zum Beispiel bei gerade den acht Gegenständen, die ich dir eben gezeigt habe, stimmts? Vielleicht kannst du uns ein Gedächtnisprotokoll liefern?“
„Es gehen hier so viele Leute ein und aus. Da kann ich mir nicht alles merken.“
„Wir wollen auch nicht alles, sondern vorerst nur die Daten der Verkäufer dieser Computersachen. Um den Rest kümmert sich dann eventuell die Finanzverwaltung.“
„Sagt mal, ihr wollt doch euren Fall lösen. Kann man da das Finanzamt nicht aus dem Spiel lassen?“
„Namen und Adressen der Verkäufer“, beharrte die Polizistin.
Der Geschäftsführer griff sich einen Zettel vom Verkaufstresen, zückte einen Kugelschreiber, notierte zwei Vornamen und schob ihn ohne Worte in ihre Richtung.
„Nur zwei Vornamen? Keine Nachnamen? Keine Adressen?“
„Mehr weiß ich nicht. Die beiden Typen kamen vor einiger Zeit in den Laden und boten mir das Zeug an. Äh, sie sagten, sie wären vor kurzer Zeit aus dem Jugendknast entlassen worden und müssten nun ihr Hab und Gut verscherbeln, weil sie dringend Geld bräuchten. Da wollte ich helfen.“
„Oh, ein Samariter aus dem Milieu“, rief die Polizistin.
„Ich habe selbst mal gesessen und weiß, wie es einem nach der Entlassung geht.“
„Lass mich raten. Hehlerei? Diebstahl? Drogenhandel? Steuerhinterziehung? Unterschlagung?“
„Das tut hier nichts zur Sache. Ich habe die Strafe abgesessen.“
„Lass mal gut sein“, beschwichtigte der Polizist seine Kollegin und wandte sich dem Mann zu. „Was kannst du uns noch zu den beiden erzählen?“
„Rein gar nichts. Die beiden tauchten hier auf, haben ihren Krempel dagelassen, ich habe einen deutlich zu hohen Preis dafür bezahlt, und sie sind dann wieder verschwunden. Seitdem habe ich sie auch nicht wieder in der Gegend gesehen.“
„Und woher weißt du ihre Vornamen?“
„Sie haben sich gegenseitig so angesprochen.“
„Ach so. Wenn wir sie nicht finden, kommen wir wieder. Bis dahin raten wir dir, dich ein bisschen umzuhören. Du hast doch deine Verbindungen.“
Die beiden schnappten sich die gestohlenen Sachen aus den Regalen, quittierten deren Empfang und verließen den Laden.
„Finn und Lasse“, sagte der Polizist zu seiner Kollegin. „Wahrlich keine außergewöhnlichen Vornamen in Schweden. Ob wir in dieser Richtung fündig werden?“