Читать книгу Jemand Sticks? - Heinz Hoffmann - Страница 9
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ОглавлениеAm 30. August 1969 verließ ein junger Mann gegen 12:00 Uhr einen Modeladen in der Londoner Carnaby Street 26. Er wäre kein waschechter Dieb gewesen, wenn er nicht hätte etwas mitgehen lassen. In der Plastiktasche, die er nun mit sich führte, befand sich ein fliederfarbener Samtanzug, den er nicht leiden konnte, und ein hellgrünes Oberhemd mit einem ausladenden Hemdkragen, das er ebenfalls nicht leiden konnte. Geschickt hatte er einen Kleiderständer manipuliert, sodass dieser gerade in dem Moment lautstark umfiel, als die Verkäuferin kassieren wollte. Sie war sofort zu dem Ständer geeilt und der junge Mann komplettierte seinen Diebstahl mit einem beherzten Griff in die unbeobachtete Kasse, bevor er den Laden verließ und auf die Straße trat. Es roch sehr stark nach Abgasen, die von den Verbrennungsmotoren der vielen Fahrzeuge herrührten, die sich auf der Straße zahlreich tummelten. „Viel Glück in London!“, hatte ihm der kleine hässliche Rechner zugerufen, bevor er verschwand. Er musste also auf mysteriöse Weise nach London gelangt sein, schloss er daraus. Den Kalender an der Kasse der Boutique hatte er nicht gesehen. Mal sehen, was sich hier so anstellen lässt , versuchte er sich mit seiner Situation zumindest für den Augenblick zu arrangieren. Verglichen mit den vielen Passanten auf dem Gehweg, sah er völlig heruntergekommen aus. Von jedem Einzelnen wurde er von oben bis unten mit demselben Gesichtsausdruck belustigt gemustert, mit dem er seinerseits jeden Einzelnen bedachte. Ich muss mich erst mal klamottenmäßig anpassen, damit ich nicht so auffalle , dachte er sich und verschwand in einem Hinterhof, in dem er ein Versteck fand, um sich unauffällig umzuziehen. Das Oberhemd und der Samtanzug waren nicht gerade das, was er gemeinhin als bequem bezeichnete, aber sie zwangen ihn zu einer aufrechteren Haltung. Jetzt sah er ungefähr so aus, wie die anderen Leute, die hier in der Stadt herumliefen, allein seine klobigen Springerstiefel wollten nicht so recht zu seinem neuen Outfit passen. Seine alten Sachen verstaute er in der Plastiktasche und trat aus dem Hinterhof wieder auf die Straße, um seine Verwandlung an den Blicken der Passanten zu messen. Und siehe da: Er wurde nicht mehr von oben bis unten belustigt gemustert. Die Blicke der Leute richteten sich überwiegend auf seine Stiefel. Seine Englischkenntnisse waren gut genug, um zu verstehen, dass ein Mann aus einer kleinen Gruppe seine Begleiter fragte, ob das nun ein neuer Trend sei und wo man wohl solche Stiefel bekäme. Als er seine Barschaft kontrollierte, stellte er fest, dass er im Besitz von 340 Pfund Sterling war. Das würde nach seiner Einschätzung einige Tage reichen, in denen er einen Plan für seine Rückkehr nach Malmö schmieden wollte. Zunächst aber müsste er mal ins Internet. Er zückte sein Smartphone, das er stets bei sich trug und das den Weg aus seiner alten Hose in den Samtanzug gefunden hatte. Hmm …kein Netz .
Am 30. August 1960 verließ ein junger Mann fluchtartig mit blutender Nase ein Kino in Kopenhagen. Der Film, von dem er einige winzige Ausschnitte mitbekommen hatte, hieß Psycho . Ein Film von Alfred Hitchcock mit Anthony Perkins in der Hauptrolle, was die große Tafel am Eingang des Kinos verriet. Psycho. Nie gehört , dachte der Mann bei sich und schüttelte den Kopf. Als er sich auf der Straße umsah, war er völlig verwirrt. Hier muss es ein Oldtimertreffen geben, und wie die Leute hier rumlaufen! Irgendwie muss ich im Ausland gelandet sein. Sieht aus wie Dänemark. Und die Leute hier klingen auch so. Was das wohl für ein Zeug war in dem Trip, den ich mir vorhin eingeworfen habe? Und wo ist der kleine Rechner bloß geblieben? Er nahm sein Smartphone und schaltete es ein. Merkwürdig …kein Netz .
Sam berichtete Yvonne enttäuscht, dass sein Ausflug in die An- und Verkaufsszene Malmös erfolglos gewesen war.
„Vielleicht haben sie ihr Diebesgut noch nicht angeboten“, meinte Yvonne, eher um Sam zu beruhigen, denn sie machte sich ebenfalls große Sorgen um KR.
„Wahrscheinlich hast du recht“, sagte Sam mutlos. „Aber wir müssen doch irgendwas unternehmen …“
„Ich habe gerade das letzte Kapitel meiner Übersetzung am Wickel. Wenn ich damit fertig bin, habe ich wieder mehr Zeit zum Nachdenken. Es ist eine wissenschaftliche Arbeit, die meine ganze Konzentration erfordert. Doch hör mal, der Autor befasst sich nebenher mit Zeitreisen. Er meint, dass Zeitreisen möglich wären und sogar schon stattgefunden hätten. Ein russischer Kosmonaut hätte zum Beispiel im Lauf seiner Karriere 803 Tage im Weltraum verbracht. Nach Einsteins Theorie vergehe die Zeit für Objekte in Ruhe schneller als für solche, die sich relativ dazu in Bewegung befinden. Mit der Raumstation Mir war dieser Kosmonaut mit rund 27000 Stundenkilometern um die Erde unterwegs und ist dadurch weniger gealtert als seine auf der Erde gebliebenen Mitmenschen, zwar nur den 48. Teil einer Sekunde, aber er ist damit eine 48stel Sekunde in die Zukunft gereist. Wäre er mit nahezu Lichtgeschwindigkeit gereist und hätte er um die 1000 Lichtjahre zurückgelegt, dann wären aus seiner Sicht nur etwa zehn, aber auf der Erde über 1000 Jahre vergangen. Folglich wären Reisen in die Zukunft bereits jetzt möglich, technisch allerdings nur in ganz engen Grenzen. Er hält sogar Reisen in die Vergangenheit rein wissenschaftlich grundsätzlich für möglich, denn es gebe kein Naturgesetz, das sie verbiete.“
„Na, wenn der von unseren Memory-Sticks wüsste …“, orakelte Sam.
Die Polizei hatte mit Lars Toftlund telefonisch Kontakt aufgenommen und ihm berichtet, dass sie acht Gegenstände in einem An- und Verkaufsladen sichergestellt hätte, die mit seiner Liste übereinstimmten.
„Dann können wir die Sachen ja meinen Kunden zurückgeben und die Erstattung des Geldes verlangen, das wir ihnen bereits gezahlt haben“, freute sich Lars zu früh.
„Das geht nicht“, sagte der Polizist. „Die Sachen sind erst mal in der Asservatenkammer gelandet, bis wir die Diebe haben und ihnen der Prozess gemacht wird.“
„Dann kann ich meinen Kunden wenigstens schon mal Bescheid geben.“
„Geht auch nicht. Die Ermittlungen laufen ja noch und du darfst niemandem etwas erzählen. Ist das klar?“
„Okay. Aber schade finde ich das schon ein bisschen.“
Der Polizist wurde vertraulich: „Wir haben nur die Vornamen der beiden Diebe. Sie heißen Finn und Lasse. Unsere Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Aber das bleibt unter uns.“
„Das ist ja mal eine heiße Spur!“, dachte Lars etwas zu laut, doch bevor der Polizist ärgerlich werden konnte, schob er nach: „Selbstverständlich bleibt das unter uns. Ich werde doch unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht aufs Spiel setzen.“
In einem abgedunkelten Zimmer, in dem es leicht süßlich roch und die Deckenlampe leuchtete, schaltete KR sich ein, um den blauen Memory-Stick in einem seiner USB-Ports näher zu untersuchen. Sorgsam darauf bedacht, den Stick keinesfalls zu aktivieren, versuchte er Anhaltspunkte dafür zu finden, nach welchem System die Reiseziele in die Vergangenheit ausgewählt wurden: Also, die erste Reise mit diesem Stick führte ins London des Jahres 1969, genauer gesagt zum 30. August 1969 um 11:30 Uhr, London, Carnaby Street 26. Die zweite Reise führte nach Dänemark, wenn ich das richtig sehe. Aber in welche Stadt und zu welchem Zeitpunkt? Dieser Kinofilm könnte ein Anhaltspunkt sein, aber ohne Netz kann ich nicht recherchieren. Oh, halt! Da gibt es einen Zähler, der auf zwei steht. Ich habe bislang zwei Reisen aktiviert und der Stick war anfangs noch unbenutzt …