Читать книгу Einer kam heim aus Afghanistan - Heinz-Joachim Simon - Страница 5

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«Du musst nach Afghanistan!» sagte mein Vater.

So fing es an, was mir Schmerzen, Kummer und die Liebe meines Lebens einbringen sollte.

Es begann in Berlin. Es regnete an diesem Morgen, und ich lief vom Hotel Adlon den Boulevard hinunter, bog in die Charlottenstraße ein und rannte zwischen Schauspielhaus und dem Französischen Dom auf den Gendarmenmarkt, grüßte zu dem Engel auf dem Löwen hinüber und lief weiter zur Oper. Der Wind kam von vorn, und mein Gesicht brannte. Die Regentropfen liefen von meinem Hals in mein T–Shirt. Ich lief über die Stelle, an der die Nazis Bücher verbrannt hatten, lief am Museum für deutsche Geschichte vorbei zum Pergamon–Museum. Ich tat das jeden Morgen, seit ich mit dem Vorstand von German Metal in Berlin war. Ich musste in Form bleiben, schließlich war ich sein Bodyguard, was sich martialisch anhört, denn genau genommen war ich sein Mädchen für alles und zudem ein Statussymbol, das seine Wichtigkeit anzeigte. Schmude war ein mächtiger Mann, mit dem sich die Politiker gern schmückten. In den Wirtschaftszeitungen nannte man ihn einen großen Manager, schließlich hatte er dafür gesorgt, dass sich der Aktienkurs von German Metal verzehnfachte. Die Aktionäre waren mit Schmude zufrieden. Ich hielt den kleinen, übergewichtigen Mann, den ich oft betrunken aus einem Bordell schleppen musste, für einen Scheißkerl ohne Moral und Prinzipien. Nicht dass er mich schlecht behandelt hätte. Im Gegenteil. Er benahm sich zu mir so gönnerhaft wie zu einem Haushund und machte sich keine Gedanken darüber, was ich von ihm hielt. Ständig hatte er das Handy am Ohr und bellte seine Anweisungen hinein, und oft genug erlebte ich, dass die ihm unterstellten Manager Schweiß auf der Stirn hatten, wenn sie vor seinem Allerheiligsten standen.

Nun wissen Sie, womit ich, Peter Gernot, mein Geld verdiene. Ich bin also kein bedeutender Mann, und mein Intelligenzquotient liegt auch nicht über dem Durchschnitt. Ich muss gestehen, dass ich das schwarze Schaf der Familie bin, das Ergebnis einer Liaison meines Vaters mit einer Verkäuferin. Erst als meine Mutter starb, hat mich mein Vater bei sich aufgenommen und mir seinen Nachnamen verpasst. Doch ich war mehr geduldet als geliebt. Im Gegensatz zu meinem Stiefbruder Detlef habe ich nicht das Abitur geschafft, also auch nicht studiert und meine Zeit lange damit vertan, mich mit einer Band herumzutreiben. Ich spiele ganz ordentlich Gitarre, und meine Stimme reicht dafür aus, Bob Dylans Songs nachzukrächzen, und auch den Mick Jagger bekomme ich ganz ordentlich hin. Wenn ich Street Fighting Man herauskotzte, kam Stimmung in den Laden. Ich war einmal verheiratet, und es ging natürlich schief, weil ich die Gesellschaft von Jim Beam und Jack Daniels mit den Kumpels allemal bevorzugte.

Nun bekommen Sie keinen falschen Eindruck von mir. Ein abgewrackter Typ bin ich nicht, von Keith Richards keine Spur im Gesicht, obwohl ich sicher eine Zeit lang sein Bruder im Geiste war. Ich habe schon immer gern Sport getrieben. Ich habe Handball gespielt und beim Biathlon war ich sogar für die Olympiamannschaft vorgesehen, bevor ich unserem Trainer eine verpasste, als er die Italiener Spaghettifresser und die Türken Kanaken schimpfte. Ich kann Rassis­mus nun einmal schlecht vertragen. Sein gebrochener Unterkiefer beendete jedenfalls meine sportliche Karriere.

Wenn man nicht gerade ein Einstein oder ein Arschkriecher ist und zudem die Statur eines Zehnkämpfers hat, sind die Möglichkeiten, Geld zu verdienen, recht eingeschränkt. Als unsere Band wegen der Mädchen auseinanderfiel, lernte ich in einer Muckibude den Leibwächter eines Ministers kennen. Nachdem ich ihn beim Judo ein paar Mal auf die Matte gelegt hatte, stellte er mich seinem Boss vom Security–Service vor. Da ich so unwichtige Fähigkeiten wie Karate vorweisen konnte und aus Biathlonzeiten ein guter Schütze war, wurde ich von ihm engagiert. Ich habe also aus meiner körperlichen Verfassung einen Beruf gemacht. Es gibt schlechtere.

Als ich durch die Charlottenstraße zurück zum Adlon trabte, winkte mir der Portier vor dem Regent wie jeden Morgen zu. Ich mochte den langen Kerl und grüßte zurück. Wir waren beide im gleichen Club Die Angeschissenen der Gesellschaft.

Als ich durch die Friedrichstraße lief und mir, bei der VW–Niederlassung auf der Stelle tretend, wieder einmal den Bentley ansah, klingelte mein Handy. Ich nahm natürlich an, dass der «Herr des Stahls» meiner bedurfte und holte das Telefon aus meiner Adidashose. Doch es war mein Vater, und dies war ein noch nie da gewesenes Ereignis. Wir standen nicht besonders gut miteinander.

«Wo bist du, Peter?» fragte er ohne Umschweife.

Ich sagte es ihm, und er forderte mich auf, sofort nach Hause zu kommen.

«Was ist denn los?» fragte ich erstaunt, trennte mich mit wehmutsvollem Blick von dem Bentley und nahm meinen Lauf wieder auf.

«Ich brauche dich. Du musst nach Afghanistan. Detlef wird seit Tagen vermisst. Vermutlich ist er entführt worden.»

Ich war überrascht über diese Forderung. Schließlich war ich für den Baulöwen Philipp Gernot immer eine Null gewesen, und er hatte sich Mühe geben müssen, nicht das Gesicht zu verziehen, wenn er mich sah. In meiner Kindheit war dies nicht besonders aufbauend. Meinen Werdegang hatte er als Bestätigung seiner Einschätzung betrachtet. Ich hieß für ihn immer nur der Leibwächter.

Ich dachte gar nicht daran, auf seine Forderung einzugehen.

«Ich habe einen Job!» stellte ich mich stur. «Ich kann nicht so mir nichts dir nichts hier Leine ziehen.»

«Job? Lächerlich. Es wird doch noch ein anderer Muskelprotz deine Stelle einnehmen können. Es gibt schließlich genug von deiner Sorte.»

Väterchen war wieder richtig lieb. Bei ihm stand ich irgendwo zwischen Hartz IV–Empfänger und Hippie. Mein Stiefbruder dagegen war sein Liebling und auch der designierte Nachfolger in seinem Bauladen. Ja, die Gernots sind stinkreich. Die Gernot Hoch– und Tiefbau Aktiengesellschaft war kein Häuslebauer, sondern zog Wolkenkratzer in Dubai hoch und baute Straßen überall auf der Welt. Mein Vater vermischte also genug schlechten Beton, und Brüderchen würde eines Tages die Geschäfte weiterführen, wenn mein Vater die Zügel aus der Hand gab. Aber davon war er noch weit entfernt.

«Du kannst endlich auch einmal etwas für die Familie tun!» bellte er.

Als wenn die Familie je etwas für mich getan hätte, außer mir in meiner Kindheit ein Dach über dem Kopf zu geben und mich am Katzentisch durchzufüttern. Manche hielten dies für eine großzügige Leistung des Alten. Aber es bleibt etwas zurück, wenn man in einem Haus als Bastard aufwächst.

«Was soll ich in Afghanistan? Was stellst du dir vor?» fragte ich, um nicht nur die Weigerung im Raum stehen zu lassen.

«Ihn suchen, was sonst!? Lösegeld übergeben. Immerhin geht es um deinen Bruder.»

«Halbbruder!» korrigierte ich. «Für solche Geschichten gibt es Behörden, die Verbindungen dorthin haben. Bestimmt gibt es bereits einen Krisenstab, dem du Beine machen kannst.»

«Das Außenministerium ist eingeschaltet, aber ich traue den Sesselfurzern in Berlin nicht. Bis die in die Gänge kommen, kann es zu spät sein.»

In dem Punkt war ich durchaus seiner Meinung, aber deswegen war ich noch lange nicht bereit, meines Bruders Hüter zu spielen, um einmal die Bibel zu bemühen. So besonders waren Detlef und ich auch nie miteinander ausgekommen, was noch leicht untertrieben ist. Mit Strebern und Arschkriechern habe ich schon immer Probleme gehabt.

«Du bist mein Sohn, Peter. Ich kann von dir verlangen, dass du herkommst und einmal Pflichten für die Familie übernimmst!»

«Ich habe mit deinem Laden nichts zu tun. Wenn du dem Krisenstab nicht traust, dann schick doch einen von deinen vielen hoch bezahlten Managern nach Afghanistan. Du hast doch genug Lakaien, die das gern für dich tun. Versprich eine Prämie, und du wirst dich vor Hilfswilligen nicht retten können.»

«Ich will, dass du das tust. Ich habe dich noch nie um etwas gebeten. Du kommst sofort her und fliegst dann nach Kabul. Du bist mir das schuldig!»

Mit diesem Trompetenstoß glaubte er, mich weich gekocht zu haben. So heftig war er mir in letzter Zeit noch nie gekommen. Für die Familie war ich ein Thema, über das zu sprechen sich nicht lohnte. Als feststand, dass ich ein Versager war, setzte man eine unglückliche Miene auf, wenn irgendein Ahnungsloser das Gespräch auf mich brachte. Meine Stiefmutter seufzte immer, wenn sie mich sah, was besagen sollte, dass sie sich einen angenehmeren Anblick vorstellen konnte. Nur meine Stiefschwester Irene muss ich von all dem ausnehmen. Sie hat mir stets zur Seite gestanden, wenn es wieder einmal hoch herging, weil ich Vaters Erwartungen nicht erfüllt hatte. Sie war genau so ein rebellischer Geist wie ich und kein bisschen etepetete. Auch ihr ging die ganze hanseatische Gesellschaft und ihr Getue an ihrem Allerwertesten vorbei.

Das Haus meines Vaters lag an der Rothenbaumchaussee, nicht unweit vom NDR. Es gibt in Hamburg zwar bessere Gegenden, aber es war das Haus meines Großvaters, und mein Alter gab nun einmal viel auf Tradition. Irene war nicht gerade in Ungnade gefallen, aber renommieren tat die Familie auch nicht mit ihr, zumal sie einen Pakistani geheiratet hatte, der in Vaters Bauladen Ingenieur war. Ein tüchtiger, netter Kerl. Dass er Muslim war, hatte sich nie als Problem herausgestellt. Ich hatte ihn auch nie auf einem Gebetsteppich rutschen sehen, und für Vaters Asiengeschäfte war er ein Glücksfall. Abdurrahman, den wir alle Abdu nannten, hatte Vater die besten Verbindungen nach Pakistan und Afghanistan eingebracht. Jedenfalls bauten wir Straßen und auch anderes im Fernen Osten.

Nun wissen Sie, warum die Gernots als stinkreich gelten, was mir nichts nützte, da – wie mein Vater mir vielfach versichert hatte – ich nichts von ihm erwarten konnte. Nun, mein Schwesterchen teilte also meine Abneigung. Sie ähnelte rein äußerlich ein wenig Julie Christie in Doktor Schiwago, und in der Pubertät war ich ganz schön in sie verschossen gewesen. Nein, mehr war da nicht. Aber wenn sie nicht meine Stiefschwester gewesen wäre …

«Du kommst also sofort!» wiederholte mein Vater.

Ich war am Adlon angelangt, stoppte und wischte mir den Regen aus dem Gesicht. Der Portier eilte herbei und hielt mir einen Regenschirm über den Kopf.

«Ich muss erst sehen, dass ich einen Stellvertreter bekomme. Der Job ist erträglich. Ich habe keine Lust, ihn zu verlieren.»

«Job?» schnaubte Vater verächtlich. «Sieh zu, dass du es bis Morgen auf die Reihe bringst! Ich kümmere mich derweil um die Papiere. Dein Flieger geht in drei Tagen.»

«Was hat denn Detlef in Afghanistan zu suchen? Die Drecksarbeit lasst ihr doch immer vom Prekariat erledigen.»

«Er ist in der Nähe von Kandahar. Wir kommen dort seit Wochen nicht mehr voran. Er sollte dort mal den Hammer reinlassen.»

«Da traf er wohl auf den falschen Amboss», konnte ich mir nicht verkneifen.

«Rede kein dummes Zeug. Ich werde dafür sorgen, dass dich in Kabul der Sohn unseres Repräsentanten abholt. Wenn du dir ein Bild gemacht hast, werden wir beraten, was zu tun ist.»

«Also, ich weiß nicht», wehrte ich mich weiter. «Ich halte es für eine Schnapsidee, gerade mich dorthin zu schicken. Ich habe keine Ahnung von deinen Machenschaften dort. Schick doch Abdu hin. Dein Schwiegersohn ist Pakistani und wird dort besser zurechtkommen.»

«Abdu brauche ich hier. Er hat uns gerade das Dubaigeschäft gesichert und muss dafür noch einiges vorbereiten. Habe ich dich jemals um etwas gebeten? Na also. Du machst es.»

Der Alte war nicht dumm. Tatsächlich war es das erste Mal, dass er mich um etwas bat. Er wusste, dass ich mich dem nicht entziehen würde. Nun ja, irgendwie freute ich mich tatsächlich darüber, dass er mich brauchte.

«Was kann ich dort unten schon erreichen? Der Krisenstab hat doch Verbindungen zu Karsai, dem dortigen Präsidenten, und dessen Regierung hat, wie andere Entführungen gezeigt haben, Verbindungen zu den Mudjaheddin.»

«Kannst du nicht einmal, nur ein einziges Mal das tun, worum ich dich bitte?»

Noch nie hatte ich seine Stimme zittern hören, und so strich ich endgültig die Segel.

«Na schön. Ich bin morgen Mittag in Hamburg.»

«Komm gleich in mein Büro am Hafen.»

Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, warum er mich erst einmal in sein Büro zitierte. In seiner Machtzentrale fühlte er sich als Master of the Universe und hatte natürlich ein Heimspiel. Mit edlen Hölzern verkleidet, wirkte es wie das Büro eines Reeders. Er hatte dort sogar eine Wohnung, und es kam oft genug vor, dass er dort und nicht am Rothenbaum schlief. Ich nahm an, dass er dort auch seine Techtelmechtel abwickelte. In solchen Dingen war er sehr diskret. Meine Mutter hatte mir genug von seinen Schweinereien erzählt. Nun, obwohl weit über sechzig, schien er sich auch darin nicht geändert zu haben. Dass die Gernots ein Bauunternehmen im Hamburger Hafen, ein riesiges Areal mit ehemaligen Speichern besaßen, gehörte zu den dunklen Geheimnissen der Familie. Unser Großvater hatte es sich während des Dritten Reiches unter den Nagel gerissen. Ehemals gehörten das Gelände und die Speicher einem jüdischen Großreeder. Auch deswegen war ich einmal mit Vater aneinandergeraten.

Wir Gernots sind eine zerstrittene Sippe. Mein Vater stand mit seinem Bruder überquer, weil dieser sich im Testament übervorteilt gefühlt hatte, und meines Vaters Schwester Lieselotte, die sich einst einen vornehmen Senator gekapert hatte, hielt meinen Erzeuger für einen Störtebeker, der auf den Richtblock gehörte. Nun wissen Sie alles über meine Familie.

Besonders stolz konnte ich wirklich nicht auf sie sein.

Auf meine Zusage antwortete er mit einem satten Grunzen. Begeisterungsstürme hatte ich von ihm auch nicht erwartet. Es begann also ganz harmlos. Dass daraus Odysseus’ Abenteuer werden sollten, war wirklich nicht zu erwarten gewesen.

Einer kam heim aus Afghanistan

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