Читать книгу Einer kam heim aus Afghanistan - Heinz-Joachim Simon - Страница 7

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Ich bin Hamburger. Nicht nur, weil ich in Eppendorf zur Welt gekommen bin, sondern durch die handfesten Regeln, die mir meine Mutter mitgegeben hat. Ich bin für klare Verhältnisse, stehe zu meinem Wort und hüpfe nicht gleich auf jede Palme, was mir von etwas leichtfertigen Mädchen den Ruf einbrachte, etwas langweilig zu sein. Jedes Mal, wenn ich am Hamburger Hauptbahnhof ins Taxi steige und das vertraute Idiom der Hamburger höre, geht mir das Herz auf. Wenn wir dann an der Binnenalster vorbeifahren und ich das Hotel Vierjahreszeiten sehe, weiß ich, dass ich Zuhause bin. Ich erinnere mich dann jedes Mal an jene alkoholgeschwängerte Nacht in der längst entschwundenen Jugend, als ich mit meinem Freund Dieter und unserer gemeinsamen Freundin Marianne früh am Morgen mitten auf dem Jungfernstieg bis hin zum Hotel Vierjahreszeiten tanzte.

Ich sagte also auch diesmal dem Taxifahrer, dass er einen Umweg um die Binnenalster fahren sollte. Das Wetter war wie für meinen Empfang gemacht. Die Sonne schien, und auf dem Wasser explodierten Millionen kleine Flammen. Ich fuhr nicht, wie Vater es verlangt hatte, gleich in sein Kontor am Hafen, sondern zu unserem Haus an der Rothenbaumchaussee. Als ich durch den Garten auf das säulenumrahmte Portal zuging, war mir doch ein wenig wehmütig zumute. Ich war schon seit Jahren nicht mehr hier gewesen. Meine Stiefmutter empfing mich wie immer mit einem kühlen «Ach, du bist es, Peter!» und schlug die Hände zusammen. Sie wusste nichts mit mir anzufangen und fragte nur besorgt: «Warst du schon bei Vater?»

«Nein. Das habe ich mir noch erspart.»

«Er erwartet dich!» sagte sie vorwurfsvoll. Dann kam die ewig gleiche Tirade, dass mein Vater es doch nur gut mit mir meine, ich ihm das nie gedankt hätte und ähnliches. Ich nahm es gleichmütig zur Kenntnis. Sie war trotz ihrer Jahre immer noch eine schöne Frau, wenn sie es auch mit der Kosmetik übertrieb und ihr Goldschmuck stets zu üppig ausfiel. Sie war eine ängstliche Seele, die ständig von ihrem Mann unter Druck gehalten wurde. Auch diesmal hatte sie Angst, dass er mit schlechter Laune nach Hause kommen und diese an ihr auslassen würde. Ich ging in mein Zimmer. Obwohl ich seit Jahren nicht mehr hier gewesen war, befand es sich im gleichen Zustand. Es war das Zimmer eines jungen Mannes, der ich längst nicht mehr war. An der Wand hingen Poster von Che und Zeichnungen von Picasso mit den wunderlichen Stiermenschen der griechischen Mythologie. Natürlich billige Reproduktionen. In unserem Wohnzimmer hingen Originale. Kokoschka und Nolde. Vater konnte sich so etwas leisten. Auf dem alten Schreibtisch aus Vaters Kontor, den er mir in einer Anwandlung von Großzügigkeit überlassen hatte, standen Fotos meiner Lieblingsschriftsteller Thomas Wolfe, William Faulkner und F. Scott Fitzgerald. Ich ging an das Bücherregel und nahm ‹Absalom, Absalom!› heraus, das von einem Vater handelte, der einen Sohn zuviel gezeugt hatte.

Die Tür hinter mir ging auf. Irene stürzte herein und drückte mich an sich, und ich bekam als Zugabe ein paar feuchte Küsse.

«Schön, dich Teufelskerl wieder einmal zu sehen!»

Sie hätte wirklich glatt als Double von Julie Christie durchgehen können. Sie war das erste Mädchen, das ich bereits als Zwölfjähriger richtig gut fand. Mit ihr konnte man Fußball spielen und über die Dächer klettern, und auf Bäumen stellte sie sich auch ganz ordentlich an. Wir hielten schon damals immer zusammen, und sie tröstete mich, wenn ich mir mal wieder wie ein ungebetener Gast im Hause meines Vaters vorkam. Sie war der einzige Mensch, für den es sich lohnte, in die Rothenbaumchaussee zurückzukommen.

«Du gehst doch hoffentlich nicht auf Vaters verrückte Vorstellungen ein!» kam sie gleich auf den Punkt.

«Du weißt davon?»

«Ja. Als die Nachricht kam, dass Detlef entführt ist, hat Paps geschrien, dass du zum ersten Mal zu etwas nütze sein könntest und so weiter. Du kennst ihn ja.»

Sie setzte sich zu mir auf den Schreibtisch und drückte meine Hand. Ihre blauen Augen sahen mich beunruhigt an.

«Du gehst doch nicht nach Afghanistan?»

«Ich habe mich breitschlagen lassen. Außerdem ist es vielleicht eine ganz angenehme Abwechslung.»

«Du bist verrückt!» erwiderte sie und stieß mir in die Rippen. «Sprich mit Abdurrahman. Der wird dir sagen, was dort los ist. Er hält Vaters Idee für Wahnsinn. Mehr als der Krisenstab in Berlin kannst du in Kabul auch nicht ausrichten. Im Gegenteil. Du würdest nur stören, meint Abdurrahman. Und ich will nicht, dass mein Lieblingsbruder in den Bergen Afghanistans umkommt.»

«Lieb von dir. Wenigstens einer, der sich um mich Sorgen macht und nicht um den Erben.»

«Detlef kann ja nichts dafür, dass Vater ihn vergöttert», erwiderte sie in ihrem für sie typischen Gerechtigkeitssinn.

«Nein, Detlef ist die bessere Ausgabe eines Gernot–Sprösslings. Er kann alles, ist eloquent, natürlich hochanständig und eine Zierde des Menschengeschlechts», sagte ich ein wenig bitter; auch deswegen, weil er wirklich einige Eigenschaften hatte, die ich nicht aufweisen konnte. Ihm fiel das Lernen leicht, er hatte sein Studium glänzend abgeschlossen. Er hatte so eine Art, dass jeder dachte, wäre doch mein Sohn wie er. Etwas Strahlendes ging von ihm aus. Schon als Jugendlicher kleidete er sich wie ein Erwachsener, und sein «Summa cum laude» war nur eine von vielen Bestätigungen, dass er Vaters würdiger Nachfolger sein würde. Natürlich war er Studentensprecher und Vorsitzender der Studentenvereinigung gewesen, und natürlich würde er Senator werden, wenn nicht mehr, sollte er sich dies in den Kopf setzen. Wenn man schon als Kind so einen vollkommenen Tausendsassa ständig vor der Nase hat, dann setzt sich schon eine Menge Frust in einem fest, und ich habe Brüderchen so manches Mal eine blutende Nase verpasst.

«Mir tut er leid. Seine Verlobte Patricia muss sicher Höllenqualen leiden. Du wirst sie heute Abend kennen lernen. Sie wollen demnächst heiraten.»

«Ach ja? Und wer ist sie?»

«Die Tochter des Bausenators, du verstehst?»

Ich verstand. So läuft das. Detlef machte alles richtig.

«Sie ist eine Schönheit», sagte Irene. «Aber ich weiß nicht, ob das mit den beiden gut geht. Detlef ist ja total auf Vater und die Firma fixiert. Patricia ist dagegen sehr kapriziös. Es wird zwischen den beiden schon bald ganz schön krachen. Sie hat in Paris studiert und in New York in einem Architekturbüro volontiert. Gala und Bunte haben die ‚Tochter aus gutem Hause’ auch schon entdeckt.»

«Und, was hältst du von ihr? So als Mensch?»

«Ich mag sie. Sie ist ein unabhängiger Geist. Ihr Schicki–Micki–Getue ist nur die eine Seite ihres Charakters.»

Ich staunte, dass Irene trotz Schicki-Micki für diese Patricia Partei ergriff. Meine Stiefschwester war keine, die viel auf Ansehen und Reichtum gab. Schon gar nicht konnte sie sich für Modepüppchen aus der High Society erwärmen. An Detlefs Zukünftiger musste also etwas dran sein. Ich war nun doch ein wenig auf Brüderchens Braut neugierig.

«Na schön. Und wie läuft es bei dir?»

«Meine Ehe ist schon in Ordnung», erwiderte sie trocken.

«Immer noch die große Liebe?»

«Unverändert. Abdurrahman ist ein Schatz. Er ist ein Gentleman. Ein feiner Mensch … und ein großartiger Liebhaber, falls du das wissen wolltest», gestand sie lachend.

Wir standen so zueinander, dass wir uns sogar intime Dinge erzählten. Sie wusste über meine verkorkste Ehe bestens Bescheid und hatte mir von Anfang an prophezeit, dass es mit der bigotten Kirchgängerin nicht gut gehen würde.

«Du willst doch nicht wissen, wie wir es im Bett treiben?» setzte sie mit funkelnden Augen hinzu.

«Lass man. Aber wenn es zwischen euch stimmt, bin ich froh.»

«Und was läuft bei dir?»

«Nichts Festes. Im Moment läuft gar nichts. Nach meiner Ehe bin ich etwas vorsichtig geworden, was feste Bindungen betrifft.»

«Ich wusste, dass dein Ehegespons nur auf den Gernot–Erben scharf war. Als sie merkte, dass du das schwarze Schaf bist, war es mit der großen Liebe vorbei.»

«Stimmt. Als sie merkte, dass ich nicht zu denen am Futtertrog gehöre, hat sie sich schnell anders orientiert. Immerhin ist mein Nachfolger Mitglied einer Autodynastie.»

«Denkst du manchmal noch an sie?»

«Nein. Nie. Manchmal träume ich von ihr. Und das sind meistens keine guten Träume.»

«Es bleibt immer etwas zurück, mein Lieblingsbruder. Du solltest dich nach einer neuen Liebe umsehen», sagte sie und legte den Kopf auf meine Schulter und gab mir einen zärtlichen Kuss auf meine Schläfe.

«Mit einem Bodyguardgehalt lässt sich kaum eine Familie ernähren.»

«Denk nicht so materialistisch. Wenn man liebt, wirklich liebt, spielt Geld keine Rolle. Doch du solltest jetzt ins Kontor fahren, sonst ist der ‚König des Betons’ heute den ganzen Abend grantig, und Mutter muss es ausbaden. Übrigens, der dunkle Anzug steht dir gut. Früher trugst du doch nur Jeans und Polohemden.»

«Arbeitskleidung. Wenn man neben Managern oder Politikern herläuft, muss man so aussehen wie diese.»

«Und wie sind diese Leute?»

«Reich, mächtig und … langweilig.»

Als ich das Arbeitszimmer meines Vaters betrat, empfing er mich hinter seinem großen Schreibtisch. Ich war schon lange nicht mehr in seinem Allerheiligsten gewesen. Aber es war unverändert. Stellen Sie sich einen englischen Club vor, dann wissen Sie, wie es bei ihm aussieht. Viel Mahagoni, blinkendes Messing und fette, rotbraune Sessel; an der Wand ein paar Stiche von Hamburg und Bilder von alten Luxuslinern. Es hätte auch das Büro eines Reeders sein können, aber mein Vater war nur ein skrupelloser Baulöwe, immerhin in der zweiten Generation. Mein Großvater gehörte zu denen, die Deutschland wieder aufgebaut haben. Vorher hatte der Sturmbannführer ehrenhalber viel Geld mit Bunkern gemacht.

Er sah immer noch gut aus und hätte mit seinem nordischen Aussehen einen guten hanseatischen Bürgermeister abgegeben. Blondes, volles Haar, blaue Augen und die Statur einer Eiche. Nur um seine Mundwinkel lagen tiefe Kerben. Sein energisches Kinn mit dem tiefen Grübchen verriet, dass man sich mit ihm besser nicht anlegte.

«Da bist du ja endlich!» empfing er mich ungnädig. «Dein Zug ist doch bereits vor Stunden angekommen.»

«Ich habe schon einmal in der Rothenbaumchaussee vorbei gesehen und Irene begrüßt», erwiderte ich ungerührt, warf mich in den Sessel und lümmelte mich hinein. Ich wusste, dass ihn dies ärgern würde.

«Ich habe dir doch gesagt, dass …», wollte er anfangen, aber besann sich dann. Schließlich wollte er etwas von mir.

«Hast du. Aber ich wollte vorher Irene sehen. Übrigens, ich halte deine Idee, mich nach Afghanistan zu schicken, immer noch für Schwachsinn.»

«Das zu beurteilen überlass denen, die mehr Grips im Kopf haben als du.»

«Aber ich soll meinen gripslosen Kopf hinhalten.»

«Es geht um deinen Bruder. Wir müssen ihn schnellstens herausholen.»

«Mein Halbbruder», korrigierte ich ihn. «Detlef ist mir so egal wie ich ihm.»

«Was redest du? Die Familie muss zusammenhalten.»

Da war es wieder, das Einschwören auf die Familienbande. Dabei hatte ich in den letzten Jahren nicht einmal eine Weihnachtskarte bekommen. Zugegeben, ich hatte auch nicht daran gedacht, meiner Familie zu schreiben. Aber Familiensinn hatte ich bei den Gernots bisher nie festgestellt.

«Also, ich stelle mir das so vor», begann mein Vater, mir umständlich seinen großen Kriegsplan zu erklären. Breitbeinig, mit verschränkten Armen, ganz Bau–Tycoon, schwadronierte er durch seine Luftschlösser.

«Du stellst Kontakt zu den Entführern her. Faiz, der Sohn unseres Repräsentanten Sayed Khan, wird dir dabei helfen. Er weiß schon Bescheid. In der Schweiz liegen fünf Millionen Euro für dich bereit. Konto und Pin–Nummer bekommst du nachher. Wenn du mehr Geld brauchst, meldest du dich. Aber ich glaube, der Betrag dürfte reichen. Biete zuerst mal nur dreihunderttausend Euro an. Man soll die Kerle nicht überfüttern, und die Orientalen haben ja Freude am Feilschen. Wir wollen ihnen den Spaß nicht verderben, nicht wahr? Wenn ich mir die früheren Entführungen ansehe, dürften wir – Schmiergelder und so weiter eingerechnet – mit einer Million wegkommen. Aber spare nicht am falschen Ende.»

«Du machst eine Menge Geld für Brüderchen locker!» staunte ich. Mit solchen Summen hatte ich noch nie zu tun gehabt, und die Verantwortung dafür gefiel mir gar nicht.

«Es geht um meinen Sohn», erwiderte Vater pathetisch.

Auch eine Erklärung, die nicht gerade meine Stimmung verbesserte. Er meinte damit wohl seinen legitimen Sohn.

«Um ihn herauszuholen, wären mir zehn Millionen nicht zu viel. Wir sind schließlich nicht die Ärmsten», setzte er grinsend hinzu.

Er war eben ein Parvenü. Ein echter Hanseat prahlt nicht mit seinem Vermögen. Aber wir Gernots waren ja erst in der zweiten Generation Pfeffersäcke.

«Die Papiere habe ich bereits. Du kannst übermorgen fliegen. Faiz wird dich vom Flughafen abholen. Vermassle es nicht. Wenigstens einmal möchte ich stolz auf dich sein. Wenn du das ordentlich hinbekommst, hast du so manche Enttäuschung wettgemacht. Du brauchst dich dann nicht mehr als Bodyguard verdingen. Wir werden etwas Passendes für dich in der Firma finden.»

Typisch für meinen Alten. Nun wollte er mich kaufen. Er dachte, Geld regelt alles, bei Detlefs Entführung und auch bei mir. Ich hatte nichts dagegen, vom Gernot–Kuchen ein gutes Stück abzubekommen, aber nicht um den Preis der Unterwerfung. Er merkte, dass ich nicht gerade in Euphorie geriet und verzog unwillig das Gesicht.

«Unter tausend jungen Burschen würden neunundneunzig Prozent über das Angebot glücklich sein, aber für dich bedeutet es wohl nichts!»

«Nicht so viel wie deinen neunundneunzig Prozent», gab ich zu. «Warten wir mal ab, wie es ausgeht, und ob du dann noch dazu stehst. Doch mach mir keine Vorwürfe, wenn es nicht klappt. Was ich bisher über Afghanistan gehört habe, klingt nicht besonders gut.»

«Du bist die zusätzliche Option. Natürlich bleibe ich mit dem Krisenstab hier in Verbindung. Du wendest dich an Bromke in der Deutschen Botschaft in Kabul. Ich habe schon mehrmals mit ihm telefoniert. Scheint ein tüchtiger Mann zu sein. Er ist uns verpflichtet.»

Toll. Wir hatten wohl überall Leute, die den Gernots verpflichtet waren. Ich zuckte mit den Achseln.

«Er wird alles tun, um uns zu helfen», versicherte mein Vater, missmutig über meine Reaktion. «Er ist schon seit Jahren in Kabul und der Erste Sekretär des Botschafters.»

«Was kann das schon für ein Kerl sein, wenn er in den letzten Hinterhof geschickt wird», ärgerte ich den Alten.

«Wie dem auch sei», fuhr er ärgerlich abwinkend fort. «Sprich mit Abdu. Er müsste in seinem Büro sein. Er kann dir sicher so manches über Afghanistan erzählen. Pakistan und Afghanistan sind wie Topf und Deckel. Vielleicht hat Irenes verrückte Heirat in diesem Fall etwas Gutes.»

Mein Alter ist Pragmatiker. Mit Händen und Füßen hatte er sich gegen die Heirat gewehrt, aber damit nur erreicht, dass Irene ihren Kopf nun erst recht durchsetzte. Vielleicht wäre die Sache mit Abdu nur eine Affäre geblieben, aber Vaters Widerstand hatte dazu geführt, dass sich Irene mit Abdu verlobte. Schließlich hatte Väterchen zähneknirschend klein beigeben müssen. Abdu war schließlich ein unentbehrlicher Mitarbeiter für das Fernostgeschäft. Aber vergessen hatte er Irene den Widerstand mit Sicherheit nicht.

«Wir sehen uns wohl heute Abend am Familiennapf», sagte ich bewusst flapsig und zog ab.

Ich ging durch den langen Flur mit den angrenzenden Büros zum Empfang. Da ich schon lange nicht mehr hier gewesen war, musste ich die lange Brillenschlange fragen, wo Abdus Büro war. Als ich sein Kabuff betrat, erhob er sich mit ausgebreiteten Armen hinter dem Schreibtisch, auf dem eine Menge Rollen mit Bauplänen lagen.

«Der verlorene Sohn ist heimgekehrt!» sagte er und umarmte mich.

Ich hatte ihn von Anfang an gemocht und das nicht nur, weil mein Vater gegen die Heirat gewesen war. Er sah aus wie ein Inder, dunkelhäutig, mit pechschwarzem Haar und braunen, treuherzig blickenden Dackelaugen. Jeder hatte ihn gern. Fast jeder.

«Schon beim Betonkönig gewesen?» fragte er und zeigte seine perlweißen Zähne.

«Habe ich schon hinter mich gebracht», erwiderte ich und hockte mich auf seinen Schreibtisch. Er tat das gleiche und legte seinen Arm um meine Schulter.

«Und was sagst du zu seiner Schnapsidee?»

«Das gleiche, was du mir sicher gleich sagen wirst. Absoluter Blödsinn. Aber du kennst ihn ja, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, hält ihn niemand auf.»

«Du willst tatsächlich nach Afghanistan?»

«Sieht so aus.»

«Ach du Scheiße. Willst du einen Cognac?»

Er war ein richtiger Kerl, weder Turbanträger noch Kostverächter. Mit der islamischen Enthaltsamkeit hatte er ohnehin kein Problem.

«Einen Whisky gern.»

«Auch gut. Ich habe einen vortrefflichen Jameson.»

«Jameson ist genau richtig. Die Iren können Whiskey destillieren.»

Er ging an seinen Schreibtisch und öffnete ihn. Seine Bar stellte sich als gut bestückt heraus. Er selbst schenkte sich jedoch ein Perrier ein.

«Nicht wegen des Korans», sagte er grinsend. «Ich muss nachher noch arbeiten.»

Ich süffelte meinen Whisky und sah mir auf der Landkarte an der Stirnwand Zentralasien an. An einigen Stellen steckten kleine Fähnchen.

«Unsere Projekte dort!» erklärte er überflüssigerweise.

«Wir scheinen dort gut im Geschäft zu sein.»

«Kann man wohl sagen. Usbekistan, Tadschikistan, Pakistan und natürlich Afghanistan.»

«Hast du eine Vermutung, wer Detlef entführt hat?» fragte ich und wandte mich ihm wieder zu.

«Keine Ahnung. Wenn es einer der Warlords war, dann ist es eine Sache des Geldes, ihn herauszukaufen. Also kein Problem. Wenn es irgendein verrückter, beutesüchtiger Malik war, also ein Clan–Oberhaupt, dann hat er ihn vielleicht weiterverkauft.»

«An wen? Das ist doch der reinste Menschenhandel», erwiderte ich empört.

«Das ist Afghanistan. Entführungen sind dort ein interes­santes Geschäft. Wenn er an die Taliban verkauft wurde, dann werden zu den Geldforderungen auch politische Forderungen kommen, und Berlin ist gefordert. Wenn er an al-Qaida verkauft wurde, werden so hirnrissige Bedingungen gestellt werden, die sogar dein Vater nicht erfüllen kann, und Detlef wird sterben.»

«Was Väterchen um den Verstand bringen würde. Dort scheint ein gehöriges Kuddelmuddel zu herrschen.»

«Kuddelmuddel?» fragte er erstaunt. Bis in alle Feinheiten war er doch nicht mit der deutschen Umgangssprache vertraut.

«Durcheinander, Chaos», versuchte ich zu erklären.

«Kuddelmuddel? Schönes Wort, klingt wie Hummel Hummel», begeisterte er sich. «Mehr Kuddelmuddel als in Afghanistan gibt es auf der ganzen Welt nicht. Die Amis sind dabei, im Süden zu wiederholen, was sie bereits in Vietnam verbockt haben. Man hasst mittlerweile die selbst ernannten Befreier genauso wie die Vietnamesen die Amis einst gehasst haben. Die Deutschen haben einen Bonus aus der Geschichte und sind unsere Lieblingsfarangi. Die Afghanen halten sich für Arier und glauben, dass die Deutschen die gleichen Ahnen haben. Rassenblödsinn. Euer Adolf ist bei manchem Paschtunen immer noch beliebt.»

«Paschtunen?»

«Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat. Die Mehrzahl der Einwohner sind Paschtunen, genauso wie ich.»

«Ich denke, du bist Pakistani.»

«Bin ich auch. Ich komme aus Peschawar, das liegt direkt vor dem berühmten Khyberpass. Die Engländer haben seinerzeit die Durand–Linie gezogen, damit die Ostgrenze Afghanistans zum damaligen Indien festgelegt und somit später zu Pakistan. Beiderseits der Grenze leben Paschtunen. Wir haben diese Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan nie anerkannt. Sie ist widernatürlich. Die Zentralregierung in Islamabad hat an der Grenze nicht viel zu sagen. In den Bergen der Tribal Areas herrschen Taliban und al-Qaida. In Quetta sind die Taliban bereits die eigentlichen Herrscher der Stadt. Krieg ist für Paschtunen so selbstverständlich wie Essen und Trinken. Männer werden für den Krieg geboren. Bei uns geht alles nach dem Ehrencodex des Paschtunwali. Er verpflichtet uns zu Ehre, Blutrache und Gastfreundschaft. Außerdem gibt es in Afghanistan noch Usbeken, Tadschiken, Turkmenen und die Hazara, verlorene Horden des Dschingis Khan.»

«Tiefstes Mittelalter also.»

«Schlimmer. Du kannst dort niemandem trauen. Nicht umsonst sagt man: Traue lieber einer Schlange als einer Hure, lieber einer Hure als einem Paschtunen. Die einzelnen Völker gehen miteinander nicht sehr brüderlich um. Es sei denn, es geht gegen einen äußeren Feind. Dauernd wechseln die Bündnisse. Das geht schon seit Menschengedenken so. Hinzu kommt: Kabul ist nicht Afghanistan. Zwanzig Kilometer weiter hat Präsident Karsai nichts mehr zu sagen. Man nennt ihn deswegen den Bürgermeister von Kabul. Seine Operettenarmee aus Turkmenen und Usbeken, hauptsächlich Söldner der Nordallianz, ist ein Witz. Die werden sofort überlaufen, wenn es ernst wird oder die Taliban mit Geld wedeln. Nun hast du einen ungefähren Überblick, was dich erwartet.»

Ich trank meinen Whisky aus und blickte meinen Schwager an, als sähe ich ihn zum ersten Mal. Mein geschätzter Abdu war, wenn ich es richtig verstanden hatte, Angehöriger eines recht mordlustigen Völkchens. Er merkte wohl, dass ich mir über seine Volkszugehörigkeit Gedanken machte und schlug mir lachend auf die Schulter.

«Nein. Ganz so schlimm ist es auch wieder nicht. Es gibt eine, zugegebenermaßen recht dünne Schicht durchaus westlich denkender und auf englischen und deutschen Schulen ausgebildeter Afghanen. Nimm mich. Alle meine Vettern haben in Oxford und Cambridge studiert. Ich war, wie du weißt, in Heidelberg und Göttingen. Aber wenn wir zurück sind …»

«… seid ihr afghanische Schurken», unterbrach ich ihn grinsend.

«Falsch! Paschtunische Schurken oder Turkmenen und Usbeken. Auf jeden Fall Mitglieder eines Stammes oder einer Familie. Der Staat bedeutet in Afghanistan nicht viel. Die Familie ist alles. Familienehre und das Paschtunwali können ein paar Jahre Aufenthalt in Oxford oder Hamburg nicht wegwischen.»

«Und was ist mit der Religion?»

«Natürlich beten wir ‚Inschallah’. Aber der Fanatismus der Taliban, der Anhänger des Dorfmullahs Omar, ist vielen von uns suspekt.»

«Aber er hat viele Anhänger?»

«Gibt es nicht auch in Deutschland einen Haufen Idioten, die ‹Sieg Heil› schreien?»

«Und was ist mit Osama bin Laden?»

«Ein verrückter Araber. Er hat seine Landsleute und viele Usbeken und Tadschiken um sich versammelt. Wir sind froh, wenn wir die wieder los sind. Omar konnte ihn nicht so ohne weiteres ausliefern, denn dies hätte gegen das Gesetz der Gastfreundschaft verstoßen. Es gibt ein Gerücht, dass ihn der Große Rat, eine Versammlung der Stammesführer, trotzdem ausliefern wollte. Allerdings sollten die Amerikaner Beweise für seine Beteiligung am 11. September liefern. Aber die USA sind nicht darauf eingegangen. Wollten sie ihn etwa nicht haben? War ihnen dieser Schreckensmann für ihre Politik gerade recht? Es gibt eine Vielzahl offener Fragen, warum Osama bin Laden noch immer frei herumläuft.»

«Komme ich dort mit Englisch zurecht?»

«Auf jeden Fall. Die Gebildeten sprechen alle Englisch. Du wirst auch einige Deutsch sprechende Paschtunen und Usbeken kennen lernen, die einst in der alten DDR studiert haben. Ohnehin wird dir in Afghanistan Faiz, der Sohn unseres Repräsentanten, zur Seite stehen. Die meisten Paschtunen sprechen Paschtu, im Norden spricht man Dari, so eine Art Küchenpersisch.»

«Kennst du diesen Faiz?»

«Ja. Hat in Bochum studiert. Integerer junger Mann. Sein Vater hat großen Einfluss in Kabul. Ich glaube, du wirst ihn mögen.»

«Und welche Rolle spielt sein Vater, dieser Sayed Khan?»

«Unser Repräsentant? Ein Mann mit Beziehungen zu allen Seiten.»

«Auch zu den Terroristen?»

«Auch zu den Mudjaheddin. Vielleicht sogar zu Gulbuddin Hekmatyar oder den Taliban. Bei dem ist alles möglich. Aber uns ist er ein guter Partner. Er liebt das Geld. Sicher ist der Mann ein Hebel, um an die Entführer heranzukommen. Wenn du Lust hast, komm heute Abend nach Farmsen. In der Nähe der Trabrennbahn gibt es das ‚Haus der Afghanen’. Wir versammeln uns jede Woche dort, um über die Heimat zu reden und Palau und Nan zu essen und grünen Tee zu trinken. Ich begleite dich gern dorthin. Für dich wäre es eine Gelegenheit, Afghanen und unsere Lebensart kennen zu lernen.»

Ich sagte natürlich zu, denn soviel war mir nun klar: Ich ging, wie Schmude es vorausgesagt hatte, einen schweren Gang, und ich konnte nicht genug über dieses Land der Arier wissen.

«Wie schätzt du meine Erfolgsaussichten ein?»

Abdu stöhnte und sah mich mit seinen braunen Dackelaugen traurig an.

«Gleich Null. Ich habe Angst, dass du da zwischen die Mühlsteine gerätst. Du kannst froh sein, wenn du heil aus Afghanistan zurückkommst.»

Meine Aussichten waren wirklich nicht sehr rosig. Aber ein Gernot hält sich an sein Versprechen. Muss an den Genen liegen. Wenn ich etwas zugesagt habe, dann halte ich mich auch daran. Darin bin ich so stur wie Väterchen. Wenn Sie dies für eine Eselei halten, werde ich nicht widersprechen.

Einer kam heim aus Afghanistan

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