Читать книгу Einer kam heim aus Afghanistan - Heinz-Joachim Simon - Страница 6

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So kam die Geschichte ins Rollen. Ich war der verdammte Odysseus und hatte keinen blauen Dunst, wohin ich segelte.

Ich ging auf mein Zimmer, von dem ich einen hübschen Ausblick auf den Pariser Platz und das Brandenburger Tor hatte. Schmude ließ sich nicht lumpen. Ich duschte mich und rief meinen Boss beim Security–Service an und schilderte ihm meine Lage. Nachdem ich ihm erklärt hatte, worum es ging und ihm den Namen meines Vaters nannte, zierte er sich nicht lange und sagte mir zu, morgen einen Ersatz für mich zu schicken.

«Aber passen Sie auf sich auf. Dort unten soll die Hölle los sein. Kabul ist jetzt unsicherer als Bagdad.»

«Sie wissen doch, Blut ist dicker als Wasser. Ich muss meinen Bruder dort rausholen.»

Blöder Schnack. Den Teufel musste ich. Aber ich hatte mich nun einmal breitklopfen lassen und konnte nicht mehr zurück. Als ich Schmude davon erzählte, machte der natürlich kein glückliches Gesicht. Er hatte es nicht gern, wenn sich in seinem Umkreis ohne sein Zutun etwas veränderte.

«Muss denn das sein? Müssen gerade Sie nach Kabul? Das kann doch auch jemand anders übernehmen.»

Ich war völlig seiner Meinung, aber die Sache war nun einmal so gelaufen.

«Mein Vater hat es sich in den Kopf gesetzt, dass ich der Richtige dafür bin.»

Als ich damit herausrückte, wer mein Vater ist, schwenkte er sofort um.

«Sie sind der Sohn des Hoch– und Tiefbau Gernot? Donnerwetter! Warum haben Sie das nie gesagt? Ich habe große Achtung vor dem, was Ihr Vater aufgebaut hat. Warum sind Sie Bodyguard? Ein Gernot?»

Er schaute mich an, als wäre ich der Kalif von Bagdad, der sich als Bettler verkleidet unter das Volk gemischt hatte. Ich war für ihn von nun an kein Ding mehr, sondern er behandelte mich zum ersten Mal wie einen richtigen Menschen. Ich sagte ihm natürlich nicht, dass ich der faule Apfel unter den Gernots war.

«Na schön, wenn morgen der Neue kommt und der so zuverlässig ist wie Sie, geht das in Ordnung. Aber sagen Sie Ihrem Boss, dass ich Sie wiederhaben will, wenn Sie zurück sind. Wir beide sind ja recht gut miteinander ausgekommen.»

Das war für Schmude schon ein gewaltiges Kompliment. Ich bemühte mich, ein erfreutes Gesicht zu zeigen. Schließlich geschah es nicht so oft, dass ein Möbel wie ich gelobt wurde.

Am Abend saßen wir im Restaurant des Adlon. Ich war gern dort, denn es hatte eine mediterrane Atmosphäre. Das Essen war ausgezeichnet, und ich bekam auf Schmudes Kosten Weine vorgesetzt, die ich mir mit meinem Bodyguardgehalt nicht leisten konnte. Aber nun denken Sie nicht, dass ich am gleichen Tisch saß und mich wie er besaufen konnte. Ich musste mich hinter ihm platzieren und dabei ständig die Gäste im Auge behalten, und mehr als zwei Gläser Wein waren nicht drin. Ich saß schließlich nicht zum Vergnügen im Adlon. Trotzdem ließ ich es mir wohl ergehen. Schmude sah es als Selbstverständlichkeit an, dass ich mich an der Küche des Adlon erfreute. Er tat dies jedenfalls nicht. Er futterte die Adlonente in sich hinein, als säße er an der Frittenbude am Kudamm. Wir saßen auf den besten Plätzen in der Ecke des Restaurants, von der man einen guten Ausblick hatte. Mein Gott, wie ich es liebte, hier zu sitzen und auf das golden schimmernde Tor zu schauen, das sich wie die Pforte eines Zauberschlosses aus der Dunkelheit schälte. Schmudes Gast war ein General a.D. Borstel, ein hoch gewachsener, schlanker Mann mit energischen Gesichtszügen und ergrautem Stoppelhaar, der sich sehr gerade hielt, als hätte er den Ladestock der ‚Langen Kerls’ des Soldatenkönigs verschluckt. Er vermittelte das Gefühl von Wichtigkeit und mühsam gezügelter Dynamik. So der Typ «Alles hört auf mein Kommando», wenn Sie wissen, was ich meine. Dabei war er nur noch ein Lobbyist mit fantastischen Beziehungen zu den Parteien, der sich von Schmude bezahlen ließ. Obwohl ich nicht am gleichen Tisch saß, konnte ich ihr Gespräch gut mitverfolgen. Am Anfang achtete ich nicht darauf, was die beiden ausbaldowerten, aber als das Stichwort «Afghanistan» fiel, hörte ich genauer hin.

«Es steht nicht gut in Afghanistan. Gar nicht gut!» hörte ich Schmude sagen.

Er schüttelte dabei den Kopf und warf mir einen nachdenklichen Blick zu. Er machte sich wohl mit dem Gedanken vertraut, dass mein Nachfolger eine Daueranstellung bekommen könnte. Ich tat so, als würde ich auf der anderen Seite des Saales den Flug einer Fliege verfolgen.

«Wenn sich die Taliban und al-Qaida mit den Warlords verbinden, sind unsere Männer dort verloren», stimmte Borstel zu.

«Können wir nicht Panzer dorthin schicken?» kam Schmude auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. «Hundert Leopard, und das Pack hat keine Chance!»

«Damit haben es bereits die Russen versucht. Panzer würden höchstens zum Schutz der Städte etwas bringen. Unser Hauptproblem ist, dass wir zu wenig Leute dort haben. Die ISAF–Truppen sind ja nur eine Schutztruppe für ‚Sicherheit und Wiederaufbau’. Wir haben zu wenig Kampftruppen dort. Um Afghanistan zu halten, brauchten wir wenigstens hunderttausend Mann. Um zu siegen, mindestens vierhunderttausend. Aber die Politiker haben die Hosen voll und werden den Teufel tun, dort noch mehr Leute hinzuschicken. Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist zu unpopulär, und die Burschen im Bundestag wollen schließlich wiedergewählt werden.»

«Wir verteidigen Deutschland am Hindukusch», entgegnete Schmude mit einem Zitat des ehemaligen Verteidigungsministers Struck.

«Absoluter Blödsinn. Man begegnet dem Feind besser im vertrauten Gelände. Außerdem kann man keinem Land Demokratie aufzwingen, zumal die Turbanträger nicht einmal kapieren, was das ist», brummte Borstel.

«Mich erinnert die ganze Situation an Vietnam», sorgte sich Schmude.

«Ja. Es fehlt nur noch so etwas wie eine Tet–Offensive, und es werden eine Menge Särge nach Deutschland zurückkommen. Die Engländer und selbst die Russen haben Afghanistan nicht befrieden können. Die Engländer hatten im 19. Jahrhundert 16.000 Mann dorthin geschickt, und nur einer kam zurück. Lernt jeder Offizier», spielte Borstel sein militärisches Prestige aus. Er war schließlich General gewesen.

«Doch das war im 19. Jahrhundert! Die Feuerkraft unserer Truppen kann man doch mit denen der Briten damals nicht vergleichen.»

«Die Russen hatten damals mehr Feuerkraft dort als die Amerikaner heute. Sie haben es mit hunderttausend Mann versucht, und mussten wie verprügelte Hunde abziehen.»

«Richtig. Und was ist die Konsequenz?»

«Man muss sich mit den Taliban an einen Tisch setzen. Sonst erleben unsere Jungs dort einen heißen Tanz. Ich weiß nicht, wie sie aus dem Kessel Kabul herauskommen sollen. Die al-Qaida–Leute werden sich keinen Deut darum scheren, dass die ISAF überwiegend beim Aufbau geholfen hat.»

«Heißt das, es gibt nur die Alternativen: Entweder schicken wir dort mehr Jungs runter, oder wir ziehen ab?»

«Genau. Und geben ihnen an Material das Beste, was wir haben. Doch das kostet. Und die Stimmung in Deutschland ist dagegen, noch mehr Jungs runterzuschicken. Die Bevölkerung ist völlig ahnungslos, in welcher Gefahr sich die ISAF durch das Lavieren der Politiker befindet. Das gilt nicht nur für Deutschland.»

«Na, so schlimm wird es schon nicht werden. Es gibt doch sicher Evakuierungspläne.»

«Die gibt es. In mehreren Varianten. Eine sieht vor, nach Khost und durch die Tribal Areas nach Islamabad durchzubrechen. Aber die Tribal Areas gehören zur Hölle. Berge, so weit das Auge reicht, und vor allem: es ist al-Qaida–Land. So ein Durchbruchversuch wäre irrsinnig. Die Truppe würde in den Bergen umkommen. Der andere Weg führt von Kabul nach Bagram. Aber das ist genau so blödsinnig, weil die Passstraßen ohne große Schwierigkeiten von den Taliban abgesperrt werden können. Kabul ist eine Mausefalle. Wenn man eine Truppen– und Materialverstärkung nicht durchsetzen kann, gibt es nur eine Antwort: Die Truppen evakuieren, ehe es zu spät ist.»

«Aber dafür wären Politiker wie der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt notwendig. Männer, die einen Krieg miterlebt haben. Doch wenn Afghanistan verloren geht, könnte al-Qaida dort noch mehr Anhänger ausbilden. Ganz Zentralasien würde an die Islamisten fallen.»

«Pakistan wird ohnehin bald an die Islamisten fallen. Die Taliban rekrutieren dort bereits tausende von Kämpfern. al-Qaida ist bereits in der Bundesrepublik. Aber hier – auf unserem Territorium – können wir die Mörderbande besser bekämpfen als in den Bergen Asiens. Wenn es uns wirklich um die Menschen dort geht, dann hilft nur Klotzen und nicht Kleckern. Selbst dann wird es eine Generation dauern, ehe Menschen herangewachsen sind, die sich an unseren Werten orientieren.»

«Dann müssen wir die Politiker bearbeiten, Material dorthin zu schicken, zumindest besseres», sagte Schmude energisch, winkte dem Ober zu und bestellte die zweite Flasche Mouton–Cadet. Klar, dass ihm diese Alternative am besten gefiel. German Metal brauchte Aufträge.

«Ich werde es bei den Christdemokraten versuchen. Die Sozis zu bearbeiten hat keinen Sinn. Die werden bald wieder ihre Friedensliebe entdecken.»

«Besteht die Möglichkeit, dass die Amerikaner klein beigeben?» sorgte sich Schmude.

«Nein. Auf keinen Fall. Sie wollen schließlich eine Öl–Pipeline von Usbekistan durch Afghanistan bis ans Arabische Meer bauen. Das große Spiel geht heute ums Öl. Aber selbst die militärische Kraft der USA reicht nicht aus, um Afghanistan zu befrieden. Man wird unsere bürgerlichen Parteien zum Teufel jagen, wenn hier passiert, was ich befürchte. Bei uns wird dann die Linke zu einer bestimmenden Kraft werden.»

«Sie glauben wirklich, dass die Roten …? Aber die sind doch am Ende.»

«Das kann sich ändern. Eines Tages wird sich die Bevölkerung nicht mehr gefallen lassen, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinanderklafft. Wir sind doch unter uns: Sie, Herr Schmude, haben doch mehr Macht als eine Bundeskanzlerin. Die Konzerne beherrschen heute die Welt. Der Bevölkerung geht es immer schlechter und den Aktionären immer besser, und wenn dann noch zu viele Särge nach Hause kommen, dann möchte ich mal sehen, was hier los ist.»

«Zuviel der Ehre!» winkte Schmude ärgerlich ab. «Wir bewegen uns in den Leitlinien, die die Politik vorgibt.

«Ach, hören Sie doch auf!» entgegnete Borstel lachend. «Von sozialer Marktwirtschaft kann doch heute keine Rede mehr sein. Es geht ums Geld».

«Ihnen geht es doch auch ums Geld», höhnte Schmude.

«Klar», gab der General lächelnd zu. «Aber ich mache mir keine Illusionen, wie es um diese Gesellschaft steht.

«Glauben Sie, dass Sie Chancen haben, Unterstützung dafür zu finden, dass wir mehr Material nach Afghanistan schicken?» fragte Schmude unbeeindruckt.

«Machbar!» versicherte Borstel. «Material werden sie gern schicken, wenn sie nur nicht mehr Männer schicken müssen.»

«Machen Sie sich an die Arbeit!» erwiderte Schmude zufrieden und prostete dem General a.D. zu.

Dann ging es um neue, besser gepanzerte Fahrzeuge, um Geländewagen und Helikopter, und ich hörte nicht mehr hin. Nach der dritten Flasche waren sie beide ganz schön bedient und nun in der Stimmung, das Berliner Nachtleben zu genießen. Ich musste natürlich mit, damit sich Schmude dabei sicher fühlte.

Es ging mit dem Taxi zum Kurfürstendamm und gegenüber dem Kempinski zu einer Bar, die zu seinen Lieblingsetablissements gehörte. Es war dort so dunkel und eng wie in einem U–Boot, und es roch muffig nach Rauch und Alkohol. Auf einer Bühne mühte sich ein Mädchen mit Verrenkungen ab, die es wohl als erotisch ansah. Die beiden setzten sich an die Bar und wurden gleich von Mädchen umringt. Natürlich versuchten sie es auch bei mir, aber ich winkte ab. Ich war schließlich im Dienst. Schmude und Borstel verschwanden in den Separées. Ich bestellte mir einen Kaffee. Die Bardame sah mich mitleidig an, eine große Blondine mit einem beachtlichen Dekolleté und warmen, braunen Augen, gegen die ich nichts einzuwenden hatte.

«Scheißjob, was?» fragte sie, als sie mir den Kaffee über die Theke schob.

«Manchmal», gab ich zu.

Sie beugte sich weit vor, damit ich ihren Vorderbau besser betrachten konnte. Es war ein erfreulicher Anblick, ich machte reichlich Gebrauch davon, und sie freute sich darüber.

«Ich heiße Samantha. Gibst du mir einen aus?» bekam ich auch gleich die Rechnung für meine tiefsinnige Betrachtung ihrer weiblichen Vorzüge präsentiert.

«Was kostet mich das?»

Sie nannte den Preis. Sie hatte mir ein recht kostspieliges Sightseeing gestattet, aber um die Zeit totzuschlagen, bestellte ich ein Piccolo.

«Dein Chef ist wohl ein wichtiger Mann?»

«Er geht davon aus.»

«Hast du ihn denn schon einmal beschützen müssen?»

«Nein. Ich stehe nur so herum, damit jeder sieht, dass er ein wichtiger Mann ist.»

«Du hast noch niemals einen Attentäter erschossen?»

«Nein. Das Aufregendste, was mir passiert ist, das war, einen Popstar vor kleinen Mädchen zu retten.»

Sie wollte den Namen wissen, aber Diskretion gehört zu meinem Job. Trotzdem legte sich der Mantel des Ruhmes des ihr unbekannten Popstars auf meine Schulter, sie nahm meine Hand und gurrte:

«Was für ein aufregendes Leben du führst.»

«Eigentlich nicht.»

«Hast du eine Waffe bei dir?» fragte sie und deutete auf die ausgebeulte Stelle an meiner linken Schulter.

Ich nickte.

«Kann ich die mal sehen?»

Diese Bitte hatte ich von Frauen schon öfter gehört. Offensichtlich hat ein Revolver auf sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Von wegen zweiter Penis und so. Aber davon habe ich zu wenig Ahnung; ein Freudjünger kann dies besser beantworten. Ich schüttelte den Kopf. So unprofessionelles Gehabe lag mir nicht.

«Schade. Ich hätte gern mal so einen Revolver gesehen», schmollte sie und trank das Glas aus. Bevor ich meine halbe Tasse Kaffee ausgetrunken hatte, war sie schon auf dem Grund des Piccolo.

«Du hast einen ganz schönen Zug», staunte ich.

«Das gehört zu meinem Beruf. Gibst du noch ein Fläschchen aus? Auf einem Bein steht man schlecht.»

«So viel verdiene ich nicht.»

«Ach komm. Sei kein Spielverderber, sonst muss ich mich um andere Kerle kümmern. Und du gefällst mir.»

Es war ja nicht so, dass sie mir nicht gefiel.

«Na gut, schreib sie auf das Konto vom Chef.»

«Klar. Mach ich doch. Der wird ohnehin eine Rechnung bekommen, bei der die Piccolöchen nicht weiter auffallen.»

Nun drängte eine Gruppe stiernackiger Männer in die Bar, die meine Statur hatten und Fäuste wie die Klitschko–Brüder. Ich konnte nur hoffen, dass sie so friedliche Kerle waren wie die beiden Klitschkos.

«Schon wieder die Russen», seufzte meine blonde Sirene.

Einer der Burschen, der größte von ihnen mit einigen Brillanten an den Fingern, Nasenflügeln und Ohrläppchen, drängte sich zum Tresen durch und fragte die Bardame:

«Wo ist Elvira?»

«Hat Kundschaft.»

«Wo ist sie?» wiederholte er mit schwerer Zunge.

Sie nickte mit dem Kopf zu den Separées. Der Kerl war, ehe ich ihn davon abhalten konnte, mit wenigen Schritten bei dem Separée und zog den Vorhang beiseite. Die ganze Bar konnte sehen, wie zwei Mädchen vor Schmude und Borstel knieten und sie ordentlich bedienten. Sie sahen mit ihren heruntergelassenen Hosen lächerlich genug aus. Der Russe stieß einen gurgelnden Laut aus und zerrte das Mädchen an den Haaren von meinem Dienstherrn fort. Mir blieb nichts anderes übrig, als mein Geld zu verdienen. Ich nahm den Russen bei der Schulter, riss ihn herum und gab ihm einen ordentlichen Kinnhaken. Leider schien ihn dies nicht sonderlich zu beeindrucken. Er ließ das Mädchen los und stürzte sich auf mich. Er schrie dabei etwas seinen Kumpels zu, und diese waren auch nicht faul und griffen mich von hinten an. So etwas habe ich oft genug trainiert. Ich verpasste meinem liebeshungrigen Russen einen Handkantenschlag, einen anderen warf ich über die Schulter, sodass einige Stühle und Tische durch die Bar flogen. Trotzdem hätte es jetzt brenzlig werden können, da die anderen nicht besonders eingeschüchtert wirkten und auch ihren Spaß wollten.

«Ganz ruhig!» herrschte ich sie an und zog den Revolver.

Natürlich hatte ich nicht die Absicht, damit herumzuballern, aber nach meiner Erfahrung beruhigte eine Smith & Wesson ganz ungeheuer die Gemüter. Der Brillanteniwan hatte jedenfalls genug, rappelte sich auf und winkte beschwichtigend ab. Die Russen verließen fluchend die Bar. Nicht alle der Mädchen in dem Etablissement machten darüber ein zufriedenes Gesicht. Ich steckte den Revolver weg und lächelte meiner Sirene zu.

«So. Jetzt können Sie mir einen Chivas bringen.»

«Mach ich doch, mein Held. Der geht auf Rechnung des Hauses. Ich kann die Schläger nicht ausstehen.»

Ein dünner, etwas klapprig aussehender Ober räumte vor sich hinfluchend die Tische und Stühle zurecht. Ich sah zum Separée hinüber. Der Vorhang war wieder zugezogen. Die beiden hatten Nerven oder es zumindest sehr nötig. Doch dann waren die Mädchen wohl doch noch zum Erfolg gekommen, denn Schmude und Borstel kamen mit roten Köpfen hinter dem Vorhang hervor.

«Haben Sie es denen gegeben?» fragte mich Schmude.

«War kein Problem, Chef», erwiderte ich und nippte betont gleichmütig an meinem Chivas. Wenn man was Gutes im Glas hat, sollte man sich nicht stören lassen. Ein Chivas gehört neben einem zwölfjährigen Ballentines und dem etwas schärferen Glenfiddich zu meinen Lieblingswhiskys.

Schmude klopfte mir gönnerhaft auf die Schulter.

«Gut gemacht. Schade, dass ich Sie verliere.»

«Waren Sie bei den Fallschirmspringern?» fragte mich Borstel.

Plötzlich existierte ich also für den Herrn General. Vorher hatte er mich keines Blickes gewürdigt.

«Nein. Man muss nicht bei der Bundeswehr gewesen sein, um mit ein paar Grobianen fertig zu werden.»

«Sie hätten bei den Spezialeinheiten etwas werden können», sagte er bedauernd. Für ihn war ich falsch eingesetztes Menschenmaterial.

«Möglich. Aber der Verdienst ist mir dort zu mager.»

«Ja. Mein Gernot kostet mich eine Stange Geld», bestätigte Schmude, aber es klang nicht so, als wenn er dies sehr bedauerte.

«Das mein Chef einstreicht. Ich bekomme nur ein Nasenwasser davon», stellte ich richtig.

«Es waren fünf Mann, und er wurde mit ihnen fertig. Unser Erich draußen, der auch nicht von schlechten Eltern ist, hätte sich nie mit den Bullen angelegt», lobte mich die Bardame.

Glauben Sie nicht, dass mir dies viel bedeutete, aber es war ganz gut, dass Schmude erfuhr, was er an mir hatte. Von wegen Berufsehre und so. Die beiden Herren tranken noch ein paar Cognacs und waren dann in jeder Beziehung bedient, und wir fuhren zurück ins Adlon. Ich spielte Kindermädchen und schleppte Schmude in seine Suite.

«Tut mir leid, dass ich Sie verliere», brabbelte er noch auf dem Flur.

«Schätze, dass ich in vierzehn Tagen zurück bin. Sie können ja dann meinem Chef sagen, dass ich Ihnen wieder zugeteilt werde.»

«Wenn Sie wieder zurück sind, Gernot, wenn… Sie gehen da in einen Höllenpfuhl, kann ich nur sagen. Voller Schlangen, Skorpione, Ratten und …»

Mehr fiel ihm in seinem Zustand dann doch nicht ein. Aber mir reichte die Aufzählung an Scheußlichkeiten. Täuschte ich mich, oder war in seiner Stimme tatsächlich so etwas wie Häme? Jedenfalls hörte es sich nicht nur besorgt an. Wahrscheinlich wurmte es ihn, dass ich ihn mit heruntergelassenen Hosen gesehen hatte. Nachdem ich den schwankenden Kerl in sein Zimmer bugsiert und ihn auf das Bett gelegt hatte, fuhr ich mit dem Fahrstuhl noch einmal nach unten.

An der Bar des Adlon hingen noch einige Typen auf den Barhockern. Ich bestellte mein zweites Glas Chivas. Ich fand, ich hatte es verdient. Der Kerl neben mir quatschte mich an und fragte, welches die geilste Bar in Berlin sei. Ich mochte ihn nicht. Er war von der Sorte Jungmanager. Dunkler Anzug, gegeltes Haar, dicke Uhr am Handgelenk. Ich sagte ihm, dass ich mich darin nicht besonders gut auskenne, ließ den Chivas auf die Zimmerrechnung schreiben und ging hinaus, um noch ein wenig frische Luft zu schnappen. Der Portier fragte mich, ob er ein Taxi rufen solle, aber ich schüttelte den Kopf. Ich ging den Boulevard hinunter bis zur Charlottenstraße, am Regent vorbei zum Gendarmenmarkt. Der Platz war leer, aber die beiden Dome waren angestrahlt. Die Engel auf den Löwen lagen geheimnisvoll im Dunkel. Ich ging die Stufen des Schauspielhauses hoch, lehnte mich gegen eine Säule und rauchte eine Partagas Club. Es war schön, auf dem Platz allein zu sein und nur Engel als Zuschauer zu haben. Ich wünschte mir, so viel Geld zu besitzen, dass ich mir gegenüber eine Wohnung leisten könnte. Aber mit meinem Gehalt war ich froh, wenn ich einen Monat ohne Miese auskam. Na ja, wenn ich mit meinem Alten besser stünde, wäre dies kein Problem. Aber ich hatte keine Lust, mit ihm besser auszukommen, dann hätte ich so werden müssen wie das Brüderchen. Ich dachte an Detlef und fragte mich, wie es ihm wohl bei den Mudjaheddin gehen mochte. Hoffentlich war er nicht al-Qaida in die Hände gefallen. Ich mochte Detlef nicht, aber in den Bergen Afghanistans gefangen zu sein, war mit Sicherheit kein Zuckerschlecken. Das wünschte ich nicht einmal diesem Früchtchen, das ich oft genug zum Teufel geschickt hatte. Seine Schleimscheißerei und Wichtigtuerei waren mir schon als Kind auf den Keks gegangen. Ich hatte keine Ahnung, wie ausgerechnet ich ihm in Afghanistan helfen konnte. Und wenn ich dazu zählte, worüber Schmude und Borstel im Adlon gesprochen hatten, dann begab ich mich tatsächlich in eine Schlangengrube. War nicht auszuschließen, dass ich zu denen gehörte, die man in einer Kiste zurückschickte.

Mit diesen Gedanken ging ich vom Gendarmenmarkt zurück zu den Linden. In der russischen Botschaft brannte noch Licht. Neben dem Wachhäuschen vor der Botschaft schob ein Polizist Wache. Alle Botschaften der Großmächte wurden bewacht. Vor der englischen Botschaft hatte ich auch einige Polizisten gesehen. Indirekt hing dies auch mit Afghanistan zusammen. Wir befanden uns im Krieg, und die Politiker sagten der Bevölkerung nicht, was tatsächlich in Afghanistan los war und welche Konsequenzen dies forderte. Die Medien berichteten auch nur, was «embedded» Journalisten dort erfuhren. Und ich hatte nun vor, mich ausgerechnet in dieses Schlangennest zu begeben. Ich kannte eine Menge Reiseziele, die mehr Spaß versprachen.

Einer kam heim aus Afghanistan

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