Читать книгу Einer von vier - Helen David - Страница 14

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Kapitel 6

Ich verstand gar nichts mehr. Waren die Menschen wirklich so tief gesunken? Die Antwort war mir klar und trotzdem stellte ich mir die Frage immer wieder. Lustlos und betrübt fegte ich den Boden des Gasthauses. Heute Abend war mein erster Arbeitstag. Luzifer hatte ich seit dem Treffen im Wald nicht mehr gesehen; die Tür öffnete sich; erst sah ich nicht auf, es war mir auch egal. Kurz passierte nichts, dann kam die Person zu mir; ich hörte Schritte. Ich fegte weiter. Die Schritte kamen näher; ich ließ den Blick etwas mehr nach oben gleiten und sah - dieses schwarze Gewand kannte ich doch! Meine Augenbrauen zogen sich zusammen und mein Kopf schoss hoch - Luzifer! Wie konnte der jetzt hier auftauchen! Ehe er noch etwas sagen konnte, schmiss ich den Besen auf den Boden, packte ihn am Gewand und zerrte den kurz überraschten Erzengel hinter mir her, bis er sich wieder gefangen hatte und meine Hand wegstieß.

„Sag mal, wie kannst du bloß?!“, fauchte ich und musste mich mühsam beherrschen. Er starrte mich an. „Was kann ich bloß?!“

„Da werden Menschen verbrannt!“

„Ja, ich weiß.“ Entgeistert starrte ich ihn an. „Du weißt es?! Das ist ja schön, dass du das weißt, und lass mich raten - es ist dir egal! So egal, wie es dir nur sein kann.“

„Es gibt noch wesentlich Schlimmeres das du hier zu sehen bekommen wirst“, gab er ruhig zurück.

„Ach ja?!“

„Nur, dass du schon einmal gewarnt bist.“ Fassungslos schüttelte ich den Kopf. „Wie bist du nur?“

„Was machst du jetzt? Arbeitest du in diesem Wirtshaus?“, fragte er statt einer Antwort.

„Ja! Willst du dich hier nicht vielleicht ein bisschen umsehen?!“ Luzifer blickte mich immer noch genauso gleichgültig an wie vorher. Er lenkte das Gespräch in die Richtung, vor der ich mich schon die ganze Zeit gefürchtet hatte.

„Was erhoffst du dir eigentlich von dieser Sache hier?“ Ich starrte ihn an. „Was?“

„Was du hier machst!“, wurde er deutlicher. „Was soll das werden?!“

„Dass ich dich in einen menschlichen Körper auf die Erde zwinge, um dich mit mir abzugeben?!“, schoss ich hitzig zurück.

„Ja, ganz genau“, knurrte er warnend.

Ich stellte mich aufrecht hin und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das hätten wir schon lange tun sollen, weißt du? Vielleicht verlierst du ja mal etwas von deiner totalen Gleichgültigkeit, solltest du dich hier mal umschauen. Der Wahnsinn hier betrifft dich genauso.“

„Das wohl eher nicht. Mein Leben hier wird niemand anderes beenden. Aber eins kann ich dir versprechen: du wirst dir wünschen, tot zu sein.“

Mein erster Abend auf der Arbeit brachte mich dazu, meinen Kummer zumindest vorübergehend zu vergessen; es war so viel los, dass ich kaum zum Nachdenken oder zum Stillsitzen kam; kaum war eine Bestellung fertig oder Gäste gegangen, kamen schon wieder neue dazu. Und von den Gassen her drang immer wieder der Lärm, der draußen herrschte, ins Wirtshaus. Zwischendurch wischten wir die Tische ab oder halfen kurz beim Abwasch mit. Den Nachmittag über waren die Lebensmittel in der Küche vor- und zubereitet worden und als ich einmal kurz hereingeschaut hatte, musste ich mich doch wundern, wie vielfältig das abendliche Speiseangebot ausfiel. Gar nicht so einseitig, wie ich es vermutet hatte: nicht nur Brot, Käse und Eier. Im Gegenteil, es gab auch viel eingelegtes Obst und Gemüse. Die Hygiene in dieser Zeit ließ allerdings zu wünschen übrig, wenn Seife zum Abwasch vorhanden war, war es schon gut. Aber meistens wurde nur mit Wasser gearbeitet. In der Küche war die Wirtin Teresa für das Kochen und den Abwasch zuständig. Neben mir gab es noch eine weitere Bedienung, die ich vorhin erst kennen gelernt hatte: Rebecca. Sie war eine junge Frau, ungefähr in meinem Alter und sehr nett, hatte lange hellbraune Haare und grüne Augen. Samuele arbeitete an der Theke beim Getränkeausschank. Den gesamten Abend über wurde kein Wasser getrunken wurde; von niemandem. Es gab leichtes Bier, Wein oder Milch. Aber kein Wasser. Ich traute mich nicht zu fragen, was der Grund dafür war, sonst wäre ich wieder völlig aus der Art gefallen, also nahm ich diese befremdliche Tatsache erst einmal so hin und erfuhr im Laufe des Abends durch die Gespräche nach und nach von selbst den Grund. Das Wasser war oft verdreckt und ungenießbar, das bedeutete voller Keime und Bakterien - wer wusste schon, was alles in die Brunnen gekippt wurde. Wenn ich nur an die Lebensmittelabfälle und Ratten in den Straßen dachte, wurde das sehr plausibel. Das kalte Wasser musste immer erst herangeschafft und erwärmt werden, nicht nur zum Kochen, auch zum Baden. Hier im Florenz des 15. Jahrhunderts waren die Bedingungen lange nicht so angenehm und komfortabel, wie ich es gewohnt gewesen war. Endlich wusste ich auch, in welchem Jahr ich hier war: ich befand mich im Jahr 1492, in einem der bedeutendsten Handels- und Kulturzentren Europas.

Die Arbeit als Bedienung in einem hiesigen Wirtshaus war überaus praktisch, man gelangte leicht und unauffällig an Informationen. Auch hatte ich beim Bedienen erfahren, dass hier in Florenz derzeit ein gewisser Clan die Herrschaft besaß, die Medici. Lorenzo de Medici, so hieß das Oberhaupt, hatte im Moment noch alle Fäden in der Hand. Aber nun war Lorenzo schwer krank, und es war nicht klar, wie es mit ihm oder mit der Stadt weitergehen würde. Und ich hörte in den Gesprächen von einem wohl bekannt gewordenen, seltsamen Prediger, einem Mönch mit Namen Savonarola. Dieser Mönch zog durch Florenz und predigte immer wieder, warnte die pulsierende Stadt vor ihren Sünden und der ewigen Verdammnis, wenn sich nichts grundlegend änderte. Er predigte gegen die Freizügigkeit, gegen den Zeitgeist, sogar gegen den moralischen Verfall der Kirche und war darin wohl auch recht erfolgreich. Er schien ein düsterer Mann zu sein, über den niemand etwas Genaues oder Persönliches wusste, den aber doch irgendwie fast jeder hier zu kennen schien, oder schon einmal gehört hatte. Alles in allem waren diese ganzen Umstände ziemlich schwierig und verworren und für einen Außenstehenden wie mich wirklich schwer zu durchschauen. Immer wieder schnappte ich auch Gespräche über die florentinischen Hexenjäger auf. Zumindest zeigten die Menschen hier etwas mehr Mitgefühl als auf der Piazza. Ich versuchte, das Bild schnell wieder aus meinem Kopf zu bekommen das ich bei solchen Gesprächen unmittelbar wieder vor Augen hatte.

Der Abend wurde länger, als ich dachte. Erst gegen ein Uhr waren die letzten Gäste gegangen, die letzten Tische abgeräumt, die Theke geschlossen und alles Geschirr und Besteck sauber. Als gegen zehn Uhr gerade weniger los war durfte ich auch etwas essen und mich in den Wirtsraum in eine Ecke setzen. Ebenso war es mit meiner Kollegin Rebecca. Sie half, nachdem sie gegessen hatte, in der Küche noch die letzte halbe Stunde beim Abwasch, während ich draußen im Gastraum mit abräumte und kassierte. Den Lohn bekam ich sofort auf die Hand. Auch das kannte ich so nicht. Immer am Ersten des Monats hatte ich die Miete für mein Zimmer an den Wirt zu zahlen. Ganz zum Schluss schaute ich nochmal kurz in die Küche und verabschiedete mich, dann ging ich die Treppe hinauf zu meinem Zimmer. Müde und erschöpft legte ich die Schürze ab und ließ ich mich auf das Bett sinken. Die Kleidung war eigentlich recht bequem, wenn auch etwas gewöhnungsbedürftig. Eine Weile lag ich einfach nur auf dem Bett und blickte die Wand an ohne mich zu rühren; alles Mögliche ging mir durch den Kopf, was ich erlebt hatte, angefangen mit dem Strohkarren, auf dem ich zu mir gekommen war. Wo Luzifer wohl war? Ihn zu suchen hatte keinen Sinn, er konnte überall sein. Und schließlich wusste er, wo ich war, also sollte er herkommen. Einige Minuten später stand ich auf und ging ans Fenster.

Unten in der Wirtsstube war alles dunkel. Ich war froh, dass ich mich mit den Leuten hier gut verstand.

Ich stützte den Kopf auf die Hände und blickte über die Straße. Nur hier und da brannte in einzelnen Häusern noch Licht. Ich hatte eine Kerze auf meinem Tisch und eine auf der Fensterbank stehen. Es war ganz schön seltsam, so weit in die Zeit zurückversetzt zu werden, wo alles noch so anders war. Schon die Tatsache, dass es keinen Strom gab, machte mir zu schaffen. Die Leute hier mussten alles von Hand machen. Mit einem tiefen Seufzer schaute ich zum Himmel hoch. Was taten wohl Gabriel, Michael und Raphael gerade? Ob sie an mich dachten? Oder an Luzifer? Es musste auch für sie schwer sein, dass ich hier unten ganz allein in dieser gefährlichen Zeit war. Ich blickte erneut nach oben. Es waren kaum Wolken zu sehen.

„Ach Gabriel…ich weiß ja, ich hätte das hier eigentlich gar nicht machen dürfen, es war viel zu überstürzt. Schau mich doch an. Ich stehe hier am Fenster von irgendeinem Wirtshaus und das einzige, was ich sicher weiß ist, dass ich keine Ahnung habe, was ich machen soll!“ Ich schwieg kurz und blickte über die Straßen und die Dächer der Häuser. Ab und zu kamen unten Leute vorbei.

„Ich habe Luzifer schon zweimal getroffen, aber das wisst ihr ja sicher“, murmelte ich, um sicherzugehen, dass mich niemand hörte. „Es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich bin in diesen Wald gegangen und war mir sicher, er geht auf mich los.“ Bei dem Gedanken darüber musste ich kurz über mich selbst glucksen. Aber schon der nächste Gedanke ließ mich wieder sehr ernst werden. „Und dann…diese ganzen Leute auf der Piazza…das war wirklich viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte…“

Ich wurde von lauten Stimmen abgelenkt und richtete mich schlagartig auf, die Arme am Fenstersims abgestützt; was ging da draußen vor sich?! In einer der anderen Seitengassen war es auf einmal unruhig, einige Leute kamen am Wirtshaus vorbeigerannt um nachzusehen, was los war. Ich beugte mich nach draußen, soweit ich konnte, aber es war nichts zu machen, von hier oben sah ich nichts. Immer wieder waren Geschrei und laute Männerstimmen zu vernehmen, dann kam Pferdewiehern dazu; Türen wurden zugeschlagen. Das alles entzog sich meinem Blick, aber aus dem Haus zu gehen um nachzuschauen war zu gefährlich. Nach etlichen, quälenden Sekunden der plötzlichen Stille sah ich, wie zwei Frauen hinter Männern auf Pferden durch die Gasse gezerrt wurden; sie weinten und eine von ihnen wehrte sich heftig, wurde aber dennoch weiter mitgezerrt. Erschrocken fuhr ich zurück und duckte mich, als mir schlagartig klar wurde, wer diese Männer waren.

Am nächsten Tag stand ich erst spät auf, es musste fast schon Mittag sein. Die ersten Minuten versagte meine Motivation vollends, als mir die Szenen von gestern Abend wieder in den Sinn kamen. Die florentinischen Hexenjäger; das war ein ganz übles Pack. Ich wollte gar nicht wissen, wohin sie diese beiden Frauen gebracht hatten und was mit ihnen gemacht wurde, ehe sie verbrannt wurden und fürchtete mich vor dem Anblick von Rauch, den ich vielleicht gleich zu sehen bekommen würde, sobald ich aufgestanden war. Eine Minute später zwang ich mich dann dazu. Ich hatte keine Chance, vor der Realität zu fliehen. Aber ich fühlte mich so hilflos bei der Erinnerung an diesen Scheiterhaufen. Umsichtig blickte ich aus dem Fenster; suchten diese Hexenjäger ihre Opfer wahllos aus? Oder musste es erst Gerüchte und Beschuldigungen geben, damit sie zuschlugen? Und von wem mussten diese Beschuldigungen kommen? Direkt von der Kirche? Oder genügten schon die Nachbarn? Wer konnte mir das sagen? Ich würde später einmal die Wirtin fragen.

In Florenz gab es mehrere große Plätze, unter anderem die Piazza della Signoria und die Piazza del Duomo, die zu Fuß von der Piazza della Signoria eine knappe halbe Stunde entfernt war und auf der das wohl berühmteste Gebäude der Stadt prangte, der Dom von Florenz. Beide Plätze waren nahe der Altstadt und gut besucht, Menschen aller Berufe und Stände trafen sich hier. Wenn es also Scheiterhaufen gab, wäre diese beiden eine gute Wahl, denn hier sah man und wurde gesehen und dieser ganze Schrecken war nur zu einem gut, den Leuten Angst einzujagen und der Kirche die Kontrolle über die Menschen hier zu ermöglichen. Und es wirkte fantastisch, das hörte ich an den Gesprächen hier immer wieder. In den ersten Tagen suchte ich meist die Piazza della Signoria auf.

Während ich auf den Stufen vor einem Brunnen saß, fiel mir ein Mann auf, der auf einigen Treppenstufen kniend, die Hände gefaltet und den Kopf gesenkt, unablässig vor sich hin wimmerte. Im ersten Moment sah das für mich einfach nur komisch aus. Die Leute um ihn herum schienen das anders zu sehen, niemand außer einigen Kindern blieb stehen um ihn zu fragen, was er da tat. Er kniete mit nackter Haut auf den harten Stufen. Seine Kleidung sah etwas schäbig aus. Ich stand auf und näherte mich unauffällig um zu hören, was er unablässig vor sich hinmurmelte. Es war besser, als ausgebrannte Scheiterhaufen zu sehen, auch wenn mich dieser Anblick ebenso ärgerte. Wer hatte diesem armen Kerl denn eingeredet, dass er sich hier in aller Öffentlichkeit hinzuknien und zu winseln hatte? Dass ich mich näherte fiel ihm nicht auf, zu sehr war er in sein Gebet versunken. Ich schüttelte innerlich den Kopf bei dem Gedanken an Gabriel, wenn er das hier sehen würde. Ich wusste schon, was er täte; er würde zu dem Mann hingehen und ihn anfahren, dass er gefälligst seine Fehler auf vernünftige Art wiedergutmachen müsste.

„…bitte Heiliger Vater, ich bereue ja schon, ich bereue…ich weiß, dass ich die beiden letzten Sonntage die heilige Messe nicht besucht habe, aber ich habe ein krankes Kind zu Hause und es war mir einfach nicht möglich in die Kirche zu kommen…der Pfarrer hat mir die Beichte heute Morgen abgenommen und ich werden das restliche Jahr jeden Sonntag die heilige Messe aufsuchen, es wird nicht wieder vorkommen…“

Ich schüttelte nur fassungslos mit dem Kopf. Der Mann tat mir wirklich leid, ich fragte mich ernsthaft, wer ihm diesen Unfug eingeredet hatte. Er tat ja gerade so, als hätte er ein schlimmes Verbrechen begangen.

„Er wird nicht anfangen, auf Knien die Treppen hochzukriechen, du brauchst dir darüber keine Gedanken machen.“ Luzifer! Ich fuhr herum; erst im nächsten Moment war mir klar, wie dumm meine Reaktion gewesen war, denn sie war schon wieder viel zu auffällig. Mein Blick glitt rechts und links an dem Erzengel vorbei, der wie selbstverständlich neben mir stand. „Was machst du hier?!“, zischte ich halb erschrocken und halb aufgebracht. „Dasselbe wie du, ich schaue mich um.“ Ich versuchte, die Reaktion der Leute auf Luzifer, falls es denn eine gab, zu deuten. Tatsächlich schien sich keiner besonders um ihn zu kümmern. Es verhielt sich niemand auffällig oder starrte uns an. Mein Blick ging zu dem Mann zurück, der immer noch ein paar Meter von uns entfernt auf dem Platz kniete.

„Willst du nicht hingehen und ihm sagen, dass er das lassen soll?“ Kurz starrte ich Luzifer mit halb offenem Mund an und verschränkte dann die Arme. „Wieso sagst du es ihm nicht, auf dich hört er ja vielleicht eher. Schließlich wäre er nicht der einzige hier, der auf dich hört!“ Seine Augen verengten sich kurz, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle.

„Ich verstehe schon, du denkst immer noch, das hier ist alles meine Schuld.“

„Tu nicht so, du wirst ja wohl eine Mitschuld nicht bestreiten! Ich weiß ja nicht, wie viele von deinen Helfern in Menschengestalt hier herumlaufen, um die Leute irre zu machen! Gestern Nacht haben diese verdammten Hexenjäger zwei Frauen mitgenommen!“, fuhr ich Luzifer an. Ich musste mich mächtig beherrschen, meine Stimme zu zügeln und nicht zu laut zu reden, denn die ganze Situation war dermaßen abstrus. Aber da das mein Todesurteil gewesen wäre, hielt ich mich zurück. „Wo bringen die die Leute hin, die ihnen nicht passen?!“

„Ich weiß es nicht. Glaubst du, ich würde den ganzen Tag nur hier herumlaufen, um es herauszufinden?“

Sein Tonfall machte mich wahnsinnig. „Und warum genau läufst du hier herum?! Willst du die Stadt besichtigen oder was?!“

„Das hat dich nicht zu interessieren.“

„Das hat mich sehr wohl zu interessieren, ich bin schließlich mit dir hier!“ „Entschuldigung“, wurden wir beide abrupt aus dem Gespräch gerissen. Erschrocken fuhr ich herum. Eine ältere Dame stand mit einem Beutel vor uns. Wie viel hatte sie gehört?, war mein erster Gedanke. Aber anscheinend wirklich nicht viel, denn sie hielt uns nur weiter den Lederbeutel vor die Nase. Ich atmete einmal aus.

„Kann ich Ihnen helfen?“

„Möchten Sie etwas für die Kirche geben?“

„Ja, sicher. Hier, bitte sehr.“ Freundlich lächelnd drückte ich der Frau ein paar Münzen in die Hand und mit einem ebenso freundlichen Lächeln verabschiedete sie sich.

„Ich frage mich ernsthaft, wie lange es einem so emotionalen Wesen wie dir gelingt, unauffällig zu bleiben.“ Luzifer sah mich spöttisch an. Ich blickte zurück. „Weißt du, bis eben dachte ich, ich könnte dich respektieren, aber ich glaube, da habe ich mich geirrt.“ Mit den Worten ließ ich ihn stehen und verließ die Piazza, um zurück in das Wirtshaus zu gehen. Ich musste das eben erst einmal verdauen.

„Hallo, schon wieder zurück?“, begrüßte mich die Wirtin, als ich eintrat.

„Ja, ich habe mich nur ein bisschen umgesehen. Es ist ziemlich viel los da draußen.“

„Wie gefällt dir denn Florenz?“ Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Es ist sehr schön, es gibt viel zu sehen, was hier alles gebaut wird ist schon wirklich beeindruckend.“

„Setz dich doch, ich bringe dir einen Tee.“

„Danke.“ Sie ging in die Küche. Ich musste mich beruhigen, das hatte alles keinen Sinn. Sich dauernd über alles hier aufzuregen brachte mich nicht weiter. Aber immerhin durfte ich annehmen, dass Luzifer zumindest immer wieder einmal zu mir zurückkam. Langsam glaubte ich zu verstehen, was sein Vorgehen war. Er schien einfach abzuwarten. Oder er wartete auf den richtigen Moment.

Die Wirtin kam mit zwei Tassen und einem Krug aus der Küche zurück zu mir an den Tisch. „Hier, bitte.“

„Danke schön.“

„Nun, du sagtest, dir gefällt die Stadt. Und wie gefällt es dir denn bei uns?“

„Es ist sehr gut hier, wenn ich bleiben dürfte, wäre ich darüber froh.“

„Wenn es heute Abend wieder so problemlos läuft, kannst du bleiben.“

„Danke.“ Wir tranken beide kurz etwas.

„Teresa, darf ich dich etwas fragen?“

„Nur zu, was liegt dir auf dem Herzen?“

„Gestern Nacht, nachdem ich auf mein Zimmer gegangen bin, ist etwas wirklich…“ Ich suchte nach dem passenden Wort. „…Beängstigendes passiert und ich glaube zu wissen, was es war.“ Sie schaute mich an. Ich fuhr fort: „Einige Männer auf Pferden mit roten Umhängen haben zwei Frauen durch die Gasse gezerrt und anscheinend mitgenommen. Ich habe nicht alles gesehen von meinem Fenster aus…waren das die Hexenjäger hier?“, fragte ich halblaut. Teresa sah mit einem Mal sehr beunruhigt aus.

„Was machen die mit den Frauen, wo bringen sie sie hin?“

„Das weiß ich nicht. Es heißt, es gibt Gefängnisse und Folterkammern, in die sie sie schaffen. Aber Außenstehende wissen darüber kaum etwas. Es gibt genug Gerüchte zu dem Ganzen.“

„Sie wollen Geständnisse, dass sie Hexen sind, stimmt das?“ Teresa zuckte die Schultern. „Ja, das wollen die florentinischen Hexenjäger. Entweder foltern sie so lange, bis sie das Geständnis kriegen und dann wird die Frau verbrannt…oder sie stirbt dabei. Manchmal kommen Frauen aber auch wieder raus, wenn die Hexenjäger Gnade zeigen. Manchmal.“ Ich nickte. Also so lief das ab. „Das klingt grauenvoll.“

„Das geht alles auch von der Kirche aus. Rom ist nicht weit entfernt“, zischte Teresa mir zu. „Was dort angeordnet wird, wird hier umgesetzt.“

„Ja, ich verstehe. Und wie oft finden Verbrennungen statt?“

„Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal sind es mehr als zwanzig in einer einzigen Nacht. Manchmal geschieht tagelang gar nichts. Niemand weiß, wann der nächste Scheiterhaufen errichtet wird.“

Eine Weile sagte keiner von uns etwas, wir tranken beide unseren Tee. Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf. Schließlich erhob ich mich. „Na ja, ich will mal sehen, ob ich ein paar passende Kleider für mich finde. Ich gehe noch ein bisschen einkaufen.“

„Deine Sachen sind übrigens trocken, wenn du sie brauchst. Ich lege sie dir bis heute Abend rauf.“

„Danke.“

Einer von vier

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