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Kapitel 2

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Joshua

So hatte sich Joshua Bellamy seinen Hochzeitstag nicht vorgestellt.

Er konnte nicht behaupten, zu den Menschen zu gehören, die herumsaßen und darüber fantasierten, den Mann ihrer Träume zu heiraten, aber gütiger Gott. Wenn er sich schon band, dann doch zumindest an jemanden, den er liebte. Mochte. Scheiße, im Augenblick würde er jemanden akzeptieren, den er wenigstens kannte.

Darius Legrand machte keinen sonderlich freundlichen ersten Eindruck. Er war auf eine Art und Weise groß, die zumindest nahelegte, dass er eher aus Muskeln als aus Fett bestand. Aber trotzdem war er doppelt so breit wie Joshua und mindestens dreißig Zentimeter größer.

Es war schwierig, nicht eingeschüchtert zu sein.

Darius hatte ein finsteres Gesicht gemacht, als Joshua in eine Art Büro gescheucht worden war. Die Tapete schien ungefähr dreißig Jahre alt zu sein und löste sich bereits und der Teppich hatte leicht modrig gerochen.

Wie romantisch.

Die Einrichtung war nicht wirklich wichtig. Joshua wusste, dass er sich auf diese Einzelheiten konzentrierte, um sich von dem größeren Problem abzulenken.

Er hatte panische Angst.

Er zitterte, als ihm eine freundlich aussehende Frau mittleren Alters sagte, wo er sich hinstellen sollte und ihn mitfühlend anlächelte. Sie war schwarz und hatte einen gepflegten Afro und trug einen Hosenanzug mit Bluse, der darauf hindeutete, dass sie zu den Angestellten gehörte. Ihre mütterliche Art beruhigte Joshua ein wenig.

Aber alles andere in ihm schrie, dass er vor dem bärenhaften Kerl neben sich weglaufen sollte. Der schwarze Anzug spannte über seinem beeindruckenden Körper und war so staubig und ausgefranst, dass sich Joshua fragte, wann er das letzte Mal Tageslicht gesehen hatte. Sein Bart war zottelig und die dunklen Haare, die ihm über die Ohren fielen, sahen nicht besser aus. Als Joshua allerdings seinen Platz in dem schäbigen Büro einnahm, richtete Darius seinen Blick auf ihn und er konnte seine Augen sehen.

Und… oh… was für Augen. Sie waren erstaunlich blau, wie klarer Himmel über frisch gefallenem Schnee. Aber Joshua ignorierte entschieden die aufkommende Lust, als sich ihre Blicke kurz trafen.

Denn der Rest von Darius Legrand war verdammt noch mal barbarisch.

Wobei Joshua zugeben musste, dass er sich im abgetragenen Anzug seines Vaters auch nicht wie ein guter Fang fühlte. Sie hatten es sich nicht leisten können, Joshua für den Anlass etwas Eigenes zu kaufen, also hatte er Glück, dass ihm der alte Anzug seines Vaters überhaupt passte. Aber es machte keinen guten ersten Eindruck auf den Mann, den er heiraten musste. Darius war wahrscheinlich extrem sauer, dass er an ein erbärmliches kleines Wesen wie Joshua gebunden wurde. Immerhin war er schwul. Aber Joshua war sicher, dass ihre Gemeinsamkeiten damit endeten.

Abgesehen von der freundlichen Frau waren noch drei weitere Männer mit ihm und Darius in dem kleinen Zimmer. Joshuas Vater Christopher. Mr. Victor Legrand, der das Geschäft leitete, dem die ehemalige Reederei seines Vaters gehörte. Und zu guter Letzt ein hochnäsig aussehender Standesbeamter, der mit der Zunge schnalzte und auf seine Uhr sah, um anzudeuten, dass er nicht den ganzen Tag Zeit hatte.

Joshua spürte, wie Ärger in ihm aufstieg. Was für diesen Mann eine lästige Unannehmlichkeit war, brachte Joshuas Leben vollkommen aus den Fugen. Aber sein Ärger verwandelte sich schnell in sachliche Akzeptanz. Er hatte tagelang getobt, als Legrands Anwälte in das kleine Haus gekommen waren, das er sich mit seinem Dad teilte und sie über diese lächerliche Ehe informiert hatten, die anscheinend die Schulden der Firma und die katastrophalen Verluste aufheben würde.

Nicht, dass irgendetwas die Crew des gesunkenen Schiffs zurückbringen würde.

Ein Kloß bildete sich in Joshuas Kehle. Ihnen war unmissverständlich mitgeteilt worden, dass er und sein Dad obdachlos wären, wenn er nicht mitmachte. Sein Vater stand ohnehin kurz vor dem Bankrott, denn die Tragödie hatte ihn tief erschüttert. Obwohl ihm die Firma gehörte, hatte Joshua nie verstanden, warum sein Dad immer so knapp bei Kasse war. Vermutlich war es jetzt egal. Joshua würde nicht zulassen, dass er auf die Straße geworfen wurde, aber vor allem nicht im Winter. Allerdings musste Joshua nicht nur an ihre Familie denken.

Er verstand den Kern der Sache nicht, aber die Anwälte hatten deutlich gemacht, dass es ohne die Verbindung keine Rettung für die todgeweihte Reederei geben würde, die sein Vater sein ganzes Leben lang geführt hatte.

Das schloss auch die Hinterbliebenenrenten und Lebensversicherungspolicen aller Crewmitglieder ein, die auf See ihr Leben verloren hatten.

Joshua versuchte, nicht an die Trauer zu denken, die dutzende Familien gerade empfinden mussten. Der Unfall war erst wenige Wochen her.

Kurz vor Weihnachten.

Das Mindeste, was Joshua tun konnte, war, sicherzustellen, dass sie nicht auch ruiniert wurden. Die meisten von ihnen waren zusätzlich Immigranten, die ohne entsprechende Geldmittel ausgewiesen werden könnten. Also würde Joshua seinen Stolz und seine Angst hinunterschlucken und seine Pflicht als Sohn erfüllen. Den jüngeren Legrand zu heiraten, war das Einzige, das noch in Joshuas Macht stand, um diesen Menschen zu helfen.

Nicht, dass Darius wirklich jung war. Joshua riskierte einen weiteren Blick auf ihn, als der Standesbeamte weiter schwafelte und sein Herz schlug bei all den verworrenen Gefühlen einen Purzelbaum. Darius war zwischen Mitte und Ende dreißig, was an sich nicht alt war, aber um einiges älter als seine eigenen einundzwanzig Jahre. Er fühlte sich wie ein Baby, als er unsicher die Gelübde aussprach, von denen er geglaubt hatte, sie erst in einigen Jahren zu sagen.

Himmel, einer der Gründe, warum er nie viel über die Ehe oder Gelübde nachgedacht hatte, war, weil er noch nicht einmal einen Freund gehabt hatte. Wie viele Erfahrungen wurden ihm mit dieser qualvollen Vereinbarung geraubt? Er war nie ausgegangen… War nie auch nur von einem anderen Mann berührt worden. Er war so jungfräulich, wie man nur sein konnte.

Scham wallte in ihm auf und er versuchte angestrengt, nicht rot zu werden. Jetzt war wahrscheinlich nicht der beste Zeitpunkt für solche Gedanken. Aber was würde Darius von ihm erwarten? Immerhin heirateten sie. Es gab bestimmte Dinge, die Leute erwarteten, wenn das passierte. Aber Joshua hatte keine Ahnung, ob er es durchziehen konnte, falls – oder wenn – die Zeit kam, ungeachtet der Lust, die kurz in ihm aufgeflammt war. Es gab einen großen Unterschied zwischen einem Lustgefühl und tatsächlich Sex mit jemandem zu haben.

Erneut wurde ihm übel und er versuchte, in seiner Panik nicht das Bewusstsein zu verlieren. Das Letzte, was er wollte, war, ohnmächtig zu werden und seinem Dad noch mehr Sorgen zu bereiten, als er bereits hatte. Aus dem Augenwinkel sah er, dass der arme Mann versuchte, nicht aus Kummer zu weinen. Er war klein, wie Joshua, mit schütter werdendem Haar und einem kleinen Bierbauch und sah gebrechlicher aus, als er war, in seinem sauberen, aber alten Hemd und der Hose. Immerhin trug Joshua seinen einzigen Anzug.

So aufgebracht und verzweifelt Joshua auch darüber war, dass man ihm seine Freiheit nahm, wusste er, dass sich sein Vater deshalb mit Schuldgefühlen quälte. Also hatte Joshua sein Bestes gegeben, um sich nichts anmerken zu lassen und seinem Dad gesagt, dass es wirklich nicht so schlimm war. Er würde in einem Schloss wohnen.

In einem feuchten, kühlen Schloss. Gütiger Gott, Joshua war in Parkhäusern gewesen, die einladender waren. Als sein Dad und er durch die Flure geführt worden waren, hatte er nur Düsternis und Verfall gesehen. Joshua hatte ein paarmal einen Blick auf sein Handy geworfen, ehe dieser jämmerliche Abklatsch einer Zeremonie begonnen hatte und kein einziges Mal hatte er auch nur einen Balken Empfang gehabt. Vielleicht würde er klarkommen, sobald er sich mit dem WLAN verbunden hatte. Aber was zum Teufel sollte er hier mitten im Nirgendwo tun?

Sie befanden sich irgendwo in den Kent Downs, Kilometer von jeglicher Zivilisation entfernt. Es gab ein kleines Dorf – das ebenfalls Thorncliff hieß – durch das sie auf der Fahrt hierher gekommen waren, aber es bestand nur aus einem Postgebäude und ein paar Cottages. Selbst im Vergleich zu Folkstone, wo Joshua sein ganzes Leben verbracht hatte, erbärmlich. Gott, und er hatte gedacht, dass er dort einsam gewesen war.

Wie würde das Leben hier sein? Das sollte nicht passieren. Er sollte nicht hier sein. Eigentlich wünschte er, irgendwo anders zu sein. Ganz egal, wo.

Er wurde aus seiner Träumerei gerissen, als der ungeduldige Beamte seinen Namen sagte. »I-ich will«, stammelte Joshua mit rauer Kehle. »Ich meine, ja. Ich meine… ähm, was meine ich?«

Der Standesbeamte schnaubte und hob eine Braue. »Wir sind noch nicht so weit, Mr. Bellamy. Sprechen Sie mir nach.«

Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich Darius' Mundwinkel für den Bruchteil einer Sekunde zu einem angedeuteten Lächeln hob, doch dann kehrte sein harter Blick zurück. Wunderbar, sie hatten noch kein einziges Wort miteinander gesprochen und schon hielt er Joshua für einen Witz.

Doch dann standen sie einander gegenüber und hielten billige Silberringe in der Hand, die sie einander an den Finger stecken würden. Joshua hob den Blick und sah länger als nur diesen einen Augenblick in die Tiefen von Darius' strahlend blauen Augen. In ihnen loderte eine solche Intensität, dass Joshua den Blick senken und sich stattdessen auf ihre Hände konzentrieren musste. Es fühlte sich wie eine grausame Verhöhnung eines intimen Moments an, der eigentlich von zwei Menschen geteilt werden sollte, die sich wahnsinnig liebten.

Nicht zwei Fremden, die offensichtlich nichts gemeinsam hatten.

Joshua atmete ein paarmal tief ein. Tausende – wahrscheinlich Millionen – Menschen hatten es in der Vergangenheit getan. Eigentlich taten sie es noch immer auf der ganzen Welt. Nachdem er sich der Situation ergeben hatte, hatte sich Joshua etwas besser gefühlt, nachdem er online recherchiert hatte. In vielen Kulturen gab es noch immer arrangierte Ehen. Meist kümmerten sich die Familien gut um die Verbindungen und das besagte Paar hatte oft eine lange und glückliche Ehe.

Er war sich fast sicher, dass das hier nicht der Fall sein würde, aber der Gedanke gab ihm trotzdem etwas Trost. Er war nicht allein in dieser Situation, egal, wie sehr es sich danach anfühlte.

Viel zu früh war alles gesagt, was gesagt werden musste und Joshua unterschrieb zusammen mit Darius die Papiere. Anschließend verstaute der Standesbeamte alles in einer ledernen Aktentasche und murmelte vor sich hin, als er aus dem Raum huschte.

»Hervorragend«, sagte der alte Mr. Legrand. Er grinste Joshua kalt an, als er seinem Dad eine schlanke Hand um die Schulter legte und sie sichtbar drückte. »Nun, da das geklärt ist, müssen Bellamy und ich über das Geschäftliche reden. Ich bringe Sie hi-naus, Christopher.«

Was? Jetzt schon? »Aber – !«, stammelte Joshua.

»Oh, ähm, Sir«, mischte sich die freundliche, mollige Frau ein, indem sie die Hand hob. »Camille und ich haben zur Feier ein kleines Abendessen im Esszimmer vorbereitet. Ich…«

»Niemand hat Sie darum gebeten«, sagte Mr. Legrand abweisend und führte Joshuas Dad bereits aus dem kleinen Büro.

»Dad?«, rief Joshua und versuchte, sich nicht wie ein kleines Kind zu fühlen, das gleich in Tränen ausbrach.

»Es ist in Ordnung, Joshua«, erwiderte er aus dem Flur und außer Sichtweite. »Wir unterhalten uns bald.«

Und dann war er weg. Joshua hatte nicht einmal die Möglichkeit gehabt, sich zu verabschieden.

Er unterdrückte das Schluchzen, das drohte, aus seiner Kehle zu dringen, biss die Zähne zusammen und sah auf den Steinfußboden.

»Nun ja, dann«, sagte die Frau unbehaglich. »Sollen wir, ähm…«

»Wir finden den Weg«, sagte Darius. Seine Stimme war ein tiefes Grollen, das durch Joshuas bereits zitternden Körper vibrierte. »Vielen Dank, Mrs. Weatherby«, fügte er hinzu, als wäre er es nicht gewohnt, mit ihr zu sprechen. »Das war nett von Ihnen.«

Mrs. Weatherby sah zwischen ihnen hin und her, als wäre sie unsicher, ob sie sie allein lassen sollte. Joshua musste zugeben, dass es ihm ebenso ging. Doch dann nickte sie und huschte zur Tür hinaus. Joshua hatte beinahe Angst, zu laut zu atmen.

Darius brummte und streckte die Hand aus, um Joshua zu bedeuten, dass er vorausgehen sollte. Im Flur war niemand zu sehen, geschweige denn sein Dad. Joshua versuchte, seinen Ärger und das Bedauern zu unterdrücken. So würde es von nun an sein, nicht wahr? So würde er behandelt werden, jetzt, da er zum Inventar des Legrand-Anwesens gehörte.

Bedrückende Stille breitete sich zwischen ihnen aus, als sie über den kalten Steinfußboden gingen. Konnte man sich hier keine Teppiche leisten? Oder wenigstens Läufer? Joshua würde sich heute Nacht zu Tode frieren, da war er sich sicher.

Oh… Gott. Ihm kam ein Gedanke. Wo sollte er schlafen? Erneut stieg Furcht in ihm auf, als er nach einem Weg suchte, danach zu fragen. Er hatte wirklich keine Ahnung, wie ihr Leben hier ablaufen sollte.

Aber er brachte kein Wort heraus. Es war, als wären alle Worte weggeschlossen und kämen nicht an dem Kloß in seiner Kehle vorbei. Er schob die Hände in die Taschen, damit sie aufhörten zu zittern.

»Was machst du beruflich?«, platzte Darius heraus, als sie den Korridor hinuntergingen. Joshua sah zu ihm und stellte fest, dass er den Blick auf den Boden gerichtet hatte, die Hände fest hinter dem Rücken verschränkt.

Joshua schluckte und versuchte, nicht verlegen zu sein. Er war seltsamerweise dankbar für den Gesprächseinstieg, mochte jedoch die Einzige mögliche Antwort nicht sonderlich. »Ich, ähm, ich arbeite in einem Pub. Habe in einem Pub gearbeitet, meine ich. Ich war Barkeeper.« Das würde Darius sicher beeindrucken und für ihn einnehmen. Joshua verdrehte gedanklich die Augen.

Das Problem war, dass Joshua erst versucht hatte, herauszufinden, was zum Teufel er mit seinem Leben anfangen wollte. Er gehörte nicht zu denen, die mit einem bestimmten Karriereplan zur Uni gegangen waren. Sein Dad hatte ihn nie unter Druck gesetzt, das Geschäft zu übernehmen, sobald er sich zur Ruhe setzte, auch wenn Victor Legrand denken mochte, dass Joshua irgendeine Art Erbe war. Sein Dad hatte immer gesagt, dass Joshua seinen eigenen Weg schaffen würde. Er hatte gedacht, er hätte Zeit. Viel Zeit sogar. Nicht in seinen wildesten Träumen hätte er sich in dieser Situation, in diesem zugigen Schloss und mit einem Fremden verheiratet gesehen.

Er war nicht sicher gewesen, ob er überhaupt geheiratet hätte.

Joshua war ein unbeholfenes Kind gewesen, schlaksig und schüchtern. Weder er noch sein Dad hatten nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter gewusst, was sie tun sollten, also hatten sie gemeinsam gekämpft, nur sie beide. Er war leicht zu übersehen gewesen und Joshua hatte es so gefallen.

Als Joshua das Teenageralter erreicht hatte und dank der Pubertät vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan geworden war, war es schmerzhaft offensichtlich gewesen, dass die Leute versucht hatten, ihn aufgrund seines Aussehens anders zu behandeln. Es war viel schwerer, nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, wenn alle annahmen, dass man Model war oder eins werden wollte.

Es war keine Eitelkeit. Eigentlich wünschte Joshua, nicht so schön zu sein. Er persönlich glaubte aufrichtig daran, dass Schönheit in allen Formen und Größen kam. Aber ob es ihm gefiel oder nicht, die Leute schienen sich im Allgemeinen einig zu sein, dass er gesegnet war und wollten ihn deshalb bevorzugt behandeln. Allerdings war jede Tür, die sich wegen etwas so Wahllosem wie guten Genen öffnete, eine Tür, an der Joshua kein Interesse hatte. Also hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, so unauffällig wie möglich zu sein und sich ganz klein zu machen. Lieber hatte er nichts erreicht, als Möglichkeiten zu nutzen, die er sich nicht fair verdient hatte.

Nicht, dass Kerle nicht dauernd versuchten, ihn anzumachen. Aber die lüsternen Blicke und die klischeehaften Anmachen waren ermüdend gewesen. Also war Joshua nie in Versuchung gekommen, mit jemandem auszugehen und hatte sich entschieden, sein Verlangen privat zu befriedigen. Die Ehe war so unerwartet gewesen wie eine Reise zum Mond.

Aber trotz allem konnte er seine Schönheit nicht hassen. Er wusste von unzähligen alten Fotos, dass er sein Aussehen von seiner Mum hatte und das liebte er. Als hätte er immer etwas von ihr bei sich, egal, was, das wie ein Schutzengel auf ihn aufpasste.

Vielleicht würde sie ihn jetzt, in seinem neuen Leben mitten im Nirgendwo mit diesem angsteinflößenden Riesen beschützen. Was hielt er von Joshuas Aussehen?

Wenn er Joshua mehr als nur eine Sekunde ansehen würde, könnte er es vielleicht erraten. Aber scheinbar konnte er es nicht einmal ertragen, seinen Ehemann anzusehen. Joshua konnte ihm keinen Vorwurf machen. Soweit er es von seinem Vater verstanden hatte, hatte Darius genauso viel Mitspracherecht gehabt wie Joshua. Aber aus irgendeinem albernen Grund hatte Joshua das Gefühl, dass es ihn nicht stören würde, wenn Darius ihn hübsch fand. Vielleicht würde es diese ganze Angelegenheit erträglicher machen.

Innerlich tadelte er sich. Wenn Darius ihm gegenüber nur nett sein wollte, weil er ihn umwerfend fand, war er nicht besser als all die anderen Typen, die Joshua über die Jahre abgewiesen hatte. Letztendlich wäre es kein Trost.

Vielleicht war es besser, wenn Darius von Joshua angewidert war und nur große, starke und muskulöse Männer wie sich selbst mochte? Wahrscheinlich wäre es so sicherer. Immerhin sah Darius aus, als wäre er seit Monaten nicht beim Friseur gewesen und bis jetzt war sein Gesichtsausdruck ausschließlich finster gewesen. Joshua war sich sicher, dass er ihn nicht in seiner Nähe haben wollte.

Darius hatte lediglich genickt, als Joshua gesagt hatte, dass er Barkeeper war. Aber aus irgendeinem Grund wollte Joshua weiterreden. Wenn es auf dieser Welt irgendwo Glück gab (und er war sich sicher, dass es das nicht gab), könnten er und Darius zumindest anständig miteinander umgehen. Vielleicht sogar Freunde werden.

»W-was ist mit dir? Was ist dein Job?«

Die Frage schien Darius zu überraschen, denn er hob die Brauen und blickte auf Joshua hinab, als sie auf ein Zimmer zugingen, in dem zur Abwechslung Licht brannte. »Importe und Exporte«, antwortete Darius und wandte natürlich den Blick ab. Aber in der Sekunde, als sich ihre Blicke getroffen hatten, war ein winziger Funke durch Joshua hindurchgeschossen. Zumindest nahm Da-rius ihn wahr, wenn auch nur kurz. »Ich war in der Army, aber…«

Sie erreichten eine Tür im Erdgeschoss und Joshua stellte fest, dass es das Esszimmer war, das Mrs. Weatherby erwähnt hatte. Aber im Gegensatz zu den anderen leblosen Räumen, war dieser voller Leben.

Im Vergleich zu dem, was Joshua vom Rest des Schlosses gesehen hatte, war das Zimmer nicht groß, aber wahrscheinlich immer noch groß genug, um das gesamte Erdgeschoss von Joshuas Reihenhaus in Folkstone aufzunehmen. Ein Kristalllüster glitzerte über einem langen Tisch, der mit einem makellosen Tischtuch bedeckt war. Köstlich aussehende Häppchen stapelten sich auf silbernen Platten und in einem verzierten Eimer befand sich eine Flasche mit echtem französischem Champagner. Nicht der Sekt, den Joshua im Rose and Crown ausgeschenkt hatte.

Die aufflammende Begeisterung kam so unerwartet, dass Joshua beinahe nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Ohne darüber nachzudenken, drehte er sich zu Darius um und strahlte ihn an. Selbst an diesem komplizierten und verwirrenden Tag konnten sie vielleicht einen schönen Moment miteinander teilen, sodass ihre Ehe am Ende doch keinen so schlechten Start hatte.

Aber sobald Joshuas Blick auf seinem Ehemann landete, rutschte ihm der Magen in die Kniekehlen. Auf Darius' Miene zeichneten sich Entsetzen und Panik ab. Er zog sich zurück, taumelte gegen den Rand der Holztür und das Geräusch seiner Lederschuhe auf dem Steinfußboden hallte laut, als er den Raum verließ.

»Es… es tut mir leid«, sagte er. Seine blauen Augen weiteten sich, als Wut über sein Gesicht huschte und die Panik überschattete. »Bitte entschuldige – ich kann nicht – bitte, bedien dich.« Unbeholfen verbeugte er sich leicht, ehe er in die Dunkelheit des Flures flüchtete und die Tür hinter sich schloss.

Joshua starrte die Holztür an und Tränen traten ihm in die Augen, als sich Stille ausbreitete. Darius war von ihm also so angewidert, dass er nicht einmal den Gedanken ertragen konnte, ihm ein falsches Lächeln zu schenken und auf ihre Ehe anzustoßen. Nicht einmal für zehn Minuten. Joshua schniefte und ließ den Tränen freien Lauf, ehe er sich schnell übers Gesicht wischte. Tja, es war auch sein Hochzeitstag und wenn es sonst nichts zu bejubeln gab, würde er die Tatsache feiern, dass er nicht ohnmächtig geworden war und das Richtige für seinen Dad und die Familien der verstorbenen Mitarbeiter getan hatte.

Mit einem entschlossenen Schnauben ging Joshua zum Tisch, schenkte sich ein Glas Champagner ein und ging zu einem der großen Bogenfenster, von denen aus man über das Gelände blicken konnte.

Die Sonne ging an diesem grauen, verregneten Januartag unter. Die Bäume waren kahl und der Boden schlammig. Abgesehen von den Stallungen des Schlosses war kein anderes Gebäude zu erkennen und Joshua konnte bis zu den weißen Klippen von Dover blicken. Es war einsam und trostlos, aber Joshua atmete zittrig ein und zwang sich anzuerkennen, dass diese Landschaft eine raue und schroffe Schönheit besaß.

Also setzte er sich auf das Fensterbrett, knöpfte das alte Jackett auf, entledigte sich seiner Schuhe und zog die Füße auf die Fensterbank, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Die Kälte des Glases und des Steins drang durch seine Kleidung, aber er blieb sitzen, nippte an seinem Champagner und ließ den Alkohol durch seine Adern kreisen.

Das war es. Die Hochzeit war erledigt. Das Geschäft, sein Dad und die Familien, die sie unterstützen, waren gerettet und nun war er auf sich allein gestellt. Er sollte also das Beste daraus machen, denn niemand würde kommen und ihn retten.

Egal, wie sehr er es sich wünschte.

Joshua und das Biest

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