Читать книгу Der leiseste Verdacht - Schweden-Krimi - Helena Brink - Страница 10
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ОглавлениеAm selben Tag
Doch PM ging nicht unmittelbar zur Bibliothek zurück. Während eines flotten Spaziergangs steuerte er plötzlich eine leere Bank im Stadtpark an. Er verspürte ein starkes Bedürfnis, seine Gedanken zu ordnen. Aber wo anfangen? Er stocherte in zähem Nebel. Ein unbändiger Zorn tobte in ihm, sein Herz raste. Im Grunde hatte es zu rasen begonnen, als Roffe ihm den Brief gezeigt hatte. Verdammt noch mal, gestern hatte er den Schock seines Lebens bekommen und heute ... heute sah alles fast noch schlimmer aus.
Er ließ den Blick über das Gewimmel im Park schweifen. Es war Mittagszeit, und auf den Bänken ringsum wandten die Leute ihre Gesichter gen Himmel, um sich mit ihrer Tagesration Sonne zu versorgen. Zwei Pudel, ein weißer und ein grauer, hatten auf dem Kiesweg vor seinen Füßen eine leidenschaftliche Liaison, während sie ihre menschlichen Anhängsel hinter sich her zogen. Auf dem Rasen, ein Stück weit entfernt, saß eine Horde Jugendlicher auf ihren Jacken und ließ ein unausgesetztes Geschnatter hören. Ab und zu prustete jemand los, gefolgt von kollektiven Lachsalven.
Seine Gedanken kreisten beharrlich um das Gespräch mit Roffe. Wenn er doch nur kapieren könnte, welche Rolle er in dieser Angelegenheit spielte. Offensichtlich hatte Marianne ihm eins auswischen wollen. Aber warum? Nur um sich zu revanchieren? Er atmete tief durch. Sobald er sich ein wenig beruhigt hatte, wollte er weitergehen. In seiner momentanen Verfassung konnte er Katharina jedenfalls nicht unter die Augen treten. Sie hatte zuweilen die unheimliche Fähigkeit, direkt in sein Herz zu blicken.
Ein Rentner mit Alkoholfahne gesellte sich zu ihm und begann mit einer komplizierten Schilderung seiner Beziehung zu den Tauben der Stadt. Während er ein paar trockene Brotkanten zerkrümelte und unter den Vögeln, die sich um die Bänke scharten, verteilte, vertraute er PM an, dass Tauben keinesfalls so dumm seien, wie es den Anschein habe. Viele von ihnen kenne er persönlich, sagte er und begann sehr überzeugend einige beim Namen zu nennen und ihre Charaktereigenschaften zu schildern. Dankbar für dies bisschen Ablenkung lauschte PM fasziniert seiner Suada und stellte ihm einige Fragen. Doch der umnebelte Alte wurde des Themas bald überdrüssig und begann stattdessen, sich über die Inkompetenz der Politiker und den unaufhaltsamen Verfall der Gesellschaft zu verbreiten. PM war im Grunde geneigt, ihm in vielem Recht zu geben, fand das Thema jedoch allzu deprimierend. Er verabschiedete sich höflich und schlenderte gemächlich der Bibliothek entgegen.
Katharina stand bereits auf der Treppe und wartete auf ihn.
»Ich habe früher Schluss gemacht«, sagte sie und fasste ihn liebevoll am Arm. Sie gingen zum Parkplatz. Katharina schaute ihn verstohlen an und lachte unsicher.
»Du siehst aus, als müsstest du dringend ins Bett und dich ausschlafen.«
Er entgegnete nichts.
Sie stiegen in ihren kleinen Fiat, den sie mit sicherer Hand durch den dichten Stadtverkehr lenkte. Als sie vor einer roten Ampel hielten, wandte sie sich ihm zu.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass du eine Stinklaune hast?«
Er kauerte auf seinem Sitz und stierte vor sich hin.
»Ja, meine Laune ist miserabel«, gab er schließlich zu. »Außerdem ist mir kalt. Kannst du die Heizung anmachen?«
»Hab ich schon, aber es dauert eine Weile, bis es warm wird.«
Die Ampel schaltete auf Grün, und sie fuhren durch die äußeren Stadtbezirke.
»Willst du darüber reden?«, fragte sie.
Er seufzte gequält. »Ja, ist wohl besser, ich bringe es gleich hinter mich. Die Reise war ein totales Fiasko.«
»Kein Geld?«
»Kein Geld. Ich hab den Kerl nicht zu Gesicht bekommen. Die ganze Reise war umsonst.«
»Wie merkwürdig ...«
»Ja.«
»Du hast doch bestimmt seine Adresse gehabt. War er nicht zu Hause?«
»Er war nicht zu Hause, und ans Telefon ist er auch nicht gegangen. Genauso vom Erdboden verschluckt wie Axel.«
»Das verstehe ich nicht. Glaubst du, er wollte dich reinlegen?«
»Sieht ganz so aus.«
»Aber warum? Das ergibt doch alles keinen Sinn. Was hat er denn davon, dich nach Stockholm zu locken?«
»Frag mich was Leichteres.«
Katharina schaute ihn erzürnt an.
»Was soll ich denn anderes fragen? Du hast mir ja überhaupt nichts verraten. Nicht einmal seinen Brief hast du mir gezeigt.«
PM kniff die Augen zusammen und massierte sich mit den Fingerspitzen die Schläfen.
»Ehrlich gesagt ist mir jetzt alles scheißegal. Dass das Geld weg ist, hatte ich doch längst akzeptiert. Ich werde jedenfalls keinen Finger mehr krumm machen, um es zurückzukriegen. Ich bin müde und habe keine Lust mehr, über das Thema zu reden.«
»Du scheinst ja wenig geschlafen zu haben.«
»Ich habe im Zug ein bisschen vor mich hin gedöst, das ist alles. Du weißt doch, wie man sich nach solch einer Nacht fühlt. Jedenfalls war es schön, Stockholm wieder zu verlassen. Die Stadt geht mir mehr und mehr auf die Nerven.«
»Was wollte Roffe?«
»Reden.«
»Das hab ich mir schon gedacht. Gestern am Telefon klang es aber so, als ginge es um eine sehr dringliche Angelegenheit.«
PM gähnte und versuchte sich zu strecken, soweit es sein Gurt und das kleine Auto zuließen.
»Er hat sich Sorgen gemacht, aber das wird sich alles regeln. Lass uns ein anderes Mal darüber reden.«
»Wie du willst.«
Katharina bog von der großen Ausfallstraße auf eine kleinere Straße ab. Sie hatten die Stadt hinter sich gelassen.
PM richtete sich wieder auf und sah sich aufmerksam um.
»Endlich kann man wieder durchatmen«, sagte er, jetzt schon entspannter. »Diesen Anblick habe ich vermisst, seit ich Montagabend in den Zug gestiegen bin. Saftige Wiesen, knospende Bäume und ein weiter, blauer Himmel. Keine Ampeln, keine Tankstellen, keine Reklameschilder ... Fahr mich einfach zu unserem bescheidenen Zuhause am Ende der Welt. Lass mich an meinem eigenen Herd sitzen und gib mir ein großes Glas von meinem besten Whisky. Wenn du dann noch versprichst, den Fernseher aus zu lassen, gibst du mir den Glauben an die Welt zurück.«
»Natürlich fahre ich dich nach Hause, aber es ist schon ein starkes Stück, dass ausgerechnet du mich bittest, den Fernseher aus zu lassen.«
»Stimmt, wenn es einen Dauerglotzer bei uns gibt, dann bin ich das.«
Schweigend setzten sie ihren Weg durch die helle Frühlingslandschaft fort. Schließlich drehte PM den Kopf und betrachtete Katharinas Profil.
»Jetzt bin ich wieder schrecklich egozentrisch gewesen, nicht wahr?«, sagte er.
»Ja, das bist du.«
»Gibst du mir noch eine neue Chance?«
»Ja.«
»Wie ist es dir ergangen, während ich fort war, mein Liebling?«
»Och, ich hatte es eigentlich ganz ruhig und gemütlich.«
»Höre ich da einen betrübten Unterton?«
Katharina lachte. »Es hört sich zwar merkwürdig an, aber irgendwie bin ich doch froh, dich wieder am Hals zu haben.«
»Ist irgendwas Erwähnenswertes passiert?«
»Marika hat gestern angerufen. Sie und Daniel kommen am Wochenende nach Hause.«
»Wie schön.«
Katharina warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Du hast doch nicht vergessen, dass Kajsa, Olle und Joakim zur Walpurgisnacht zu uns kommen?«
PM griff sich seufzend an den Kopf. »Doch, das hatte ich vergessen. Ich nehme an, daran lässt sich nichts mehr ändern?«
»Wenn du unbedingt willst, sage ich ihnen ab. Aber ich würde sie sehr gern sehen.«
»Gut, vergiss, was ich gesagt habe. Ich bin heute nicht zurechnungsfähig. Nachdem ich ausgeschlafen habe, wird es mir schon viel besser gehen. Natürlich möchte ich sie auch gern sehen.«
»Sicher?«
»Sicher!«
Eine Weile sah er sie schweigend an. Danach legte er vorsichtig seine Hand auf ihre, die das Steuer umfasste. Er drückte sie leicht. Dann blickte er wieder starr vor sich hin und fühlte eine beklemmende Selbstverachtung. Er unternahm einen ernsthaften Versuch, sich zusammenzureißen, und sagte eine Spur zu munter: »Irgendwas Neues von der Jaucheleiche?«
Katharina sah etwas erstaunt aus, ging aber auf seinen Ton ein: »Kann schon sein. Ich habe gestern Besuch von einem alten Verehrer gehabt.«
»Ach, wirklich. Hat er sich an dich rangemacht?«
»Nicht körperlich.«
»Ah, wahrscheinlich der Pfarrer der Freikirche in Äsperöd.«
»Nein, ein Schweinehirte.«
»Ein Schweinehirte, der einen platonischen Annäherungsversuch wagt, wie interessant.«
»Ich habe mit ihm Kaffee und ein paar Gläser Schnaps getrunken, Gammeldansk, versteht sich. Wir haben eine gemeinsame Leidenschaft für dieses Getränk.«
»Nisse!«, verkündete PM triumphierend.
»Genau.«
Er runzelte die Brauen und sagte mit gespieltem Zorn: »Ich werde diesem Casanova die Hammelbeine lang ziehen, wenn er meint, er könnte meiner Frau nachstellen und ihren Gammeldansk austrinken, wenn ich nicht zu Hause bin. Setz mich am Schweinestall ab, wenn wir da sind, damit ich ihm eine Tracht Prügel verpassen kann.«
»Kommt nicht in Frage. Nisse ist ein faszinierender alter Mann, wenn man seinen Gestank außer Acht lässt. Wir hatten eine äußerst anregende Konversation.«
»Ich dachte, man kann mit ihm über nichts anderes reden als über die Niedertracht des Menschen.«
»Nun, er hat mir wirklich sein Herz geöffnet und mir das eine und das andere erzählt.«
»Was zum Beispiel?«
»Zum einen meint er zu wissen, wer die Leiche in der Jauchegrube war. Das hat er übrigens auch der Polizei erklärt. Und jetzt ist er stinksauer, weil sie ihn offenbar nicht ernst genommen haben.«
»Und wer war es seiner Meinung nach?«
»Kannst du dich noch an den Polen erinnern, der zu Sandströms Zeit schwarz auf dem Hof gearbeitet hat?«
»Wen meinst du? Polen gab es so viele.«
»Ich meine den, der letzten Sommer hier war. Netter Kerl. Sprach ziemlich gut Schwedisch. War so zwischen dreißig und vierzig Jahre alt.«
»Ach, du meinst den, der auch als Taxifahrer in Malmö gearbeitet hat.«
»Genau den meine ich. Nisse ist sich sicher, dass er in der Jauchegrube gelandet ist. Sandström hatte ihm einen Teil seines Lohns vorenthalten, was einen Riesenkrach zwischen den beiden zur Folge hatte. Nisse war Zeuge der Auseinandersetzung. Sandström ist auf den Polen losgegangen und besaß sogar sie Frechheit, ihm mit der Polizei zu drohen. Als Nisse den Polen das letzte Mal gesehen hat, hatte er eine blutige Nase und heulte. Am nächsten Tag war er verschwunden. Als Nisse Sandström fragte, wo der Pole geblieben sei, erntete er nur ein verächtliches Schnauben. Ich halte es für durchaus möglich, dass dieser Mistkerl einen polnischen Schwarzarbeiter erschlägt, nur damit er ihn nicht bezahlen muss. Das würde zu ihm passen. Ich nehme doch an, dass auch die Polizei in dieser Richtung ermittelt. Aber du weißt ja, wie Nisse ist. Von einigen Dingen hat er etwas verworrene Vorstellungen. Er kann nicht begreifen, warum sie Sandström nicht gleich einbuchten, nach allem, was er der Polizei erzählt hat.«
»Komisch, davon hat Roffe gar nichts gesagt.«
»Warum sollte er das? Habt ihr über die Leiche gesprochen?«
»Ja, unter anderem.«
»Was hat er gesagt? Haben sie schon irgendeine Spur?«
»Ich weiß es nicht. Wir haben das Thema nur gestreift. Was hat Nisse noch gesagt?«
Katharina lachte und verzog das Gesicht. »Er hat eine ganze Menge gesagt. Ich habe ihn selten so gesprächig erlebt. Er beschrieb mir haarklein das Aussehen der Leiche, nachdem er sie aus der Grube gezogen hatte. Mir wäre fast der Kaffee hochgekommen, und ich habe ständig versucht, das Thema zu wechseln, aber Nisse gab keine Ruhe, ehe ich nicht jedes ekelhafte Detail kannte.«
»Ich dachte, Nygren hätte die Leiche gefunden.«
Katharina rümpfte die Nase. »Nygren gibt sich doch nicht mit Schweinekot ab. Und Marco auch nicht. Nein, Nisse war dabei, die Jauche aus der Grube zu pumpen, weil er die Felder düngen wollte. Da bemerkte er plötzlich, dass der Schlauch nicht mehr richtig ansaugte. Als er mit einer Stange in der Jauche herumstocherte, erschien plötzlich etwas Großes an der Oberfläche, was bei näherem Hinsehen Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte. Ich will seine malerische Beschreibung lieber nicht wiederholen. Jedenfalls hat er Nygren geholt, der Nisse zufolge ganz grün im Gesicht wurde.«
Sie waren fast zu Hause. An der Biegung zur schmalen Zufahrt erblickte Katharina ihren blauen Briefkasten und verlangsamte das Tempo. Zur Rechten lagen Knigarps Schweineställe wie riesige rote Blechcontainer auf kahlen Feldern. Vor fünfzehn Jahren hatte es hier noch fruchtbares Weideland gegeben. Vor den Schweineställen, nahe am Weg, befand sich die offene Jauchegrube in Gestalt eines rundes Bassins mit breiten Betonkanten, ungefähr zwanzig Meter im Durchmesser, das von einem soliden, engmaschigen Zaun umgeben war. Im Übrigen stapelten sich vor dem Zaun allerlei Gerümpel, alte Autoreifen und Benzinkanister, halb verfaulte Strohballen sowie zahlreiche landwirtschaftliche Maschinen unterschiedlichen Alters und Verfallsstadiums.
Die Zufahrt zu ihrem Haus befand sich anfangs zwischen den Schweineställen auf der einen und den übrigen Gebäuden des Hofs auf der anderen Seite. Im weiteren Verlauf wurde der Anblick zunehmend erfreulicher. Genau am Kreuzungspunkt zwischen dem kleinen und dem großen Weg stand die bescheidene, einst dem Gesinde vorbehaltene Hütte, in der sich mittlerweile das Büro befand. An der einen Außenwand war ihr Briefkasten befestigt. Hinter der Hütte erhoben sich im Schutz einiger uralter Buchen imponierend große und schöne Stallungen aus Granit. Früher waren hier Milchkühe und Pferde untergebracht, jetzt dienten sie als Depot. Das Haus des Vorarbeiters wurde fast vollständig von einem alten Weißdorn verdeckt, obwohl es an sich sehr sehenswert war. Dieses Gebäude sowie das alte Waschhaus lockten immer wieder kulturhistorisch interessierte Touristen nach Knigarp. Das Wohnhaus lag in vornehmer Abgeschiedenheit. Ein stattlicher, zweigeschossiger Backsteinbau mit dem Charakter eines herrschaftlichen Gutshofes. Er stammte aus dem Jahr 1905, die Jahreszahl war über dem Eingang zu lesen, und auch jetzt noch konnte man mit dem Auto über eine alte Lindenallee bis zum Haus gelangen.
Das Außergewöhnliche an Knigarp war jedoch die Lage. Der Hof stand auf einer Anhöhe, von der aus man einen kilometerweiten Blick über ein flaches Tal hatte, durch das sich ein Bach schlängelte. Zwischen den Feldern und Gehöften erstreckten sich dichte Buchenwälder, und im Frühling, wenn die Wälder zum Leben erwachten, lag ein hellgrüner Schimmer über dem weiten Tal. Die Aussicht war zu Recht in der gesamten Umgebung berühmt.
Katharina hielt neben dem Briefkasten, kurbelte die Scheibe hinunter und angelte sich mit gestrecktem Arm die Post, ohne aus dem Wagen zu steigen. Dann fuhr sie die letzten fünfhundert Meter, die zwischen Weiden und Laubbäumen hindurchführten, zu ihrem Haus.
Nachdem sie das Eingangstor durchfahren hatte, stellte sie den Motor aus und löste den Gurt.
Sie gab ihrem Mann einen sanften Schubs.
»Raus mit dir. Im Kofferraum ist eine Kiste. Die kannst du mit reinnehmen.«
Er wand sich mühsam aus dem Wagen und machte sich an der Kofferraumklappe zu schaffen. Katharina schloss die Haustür auf.
»Stell sie einfach in die Küche«, sagte sie. »Dann kannst du dich an deinen Herd setzen. Schenk mir ruhig auch einen Whisky ein. Ich komme gleich.«
Trotz des sonnigen, milden Wetters zögerte PM nicht lange und entfachte ein Feuer im Kamin. Er zog zwei Sessel an den Kamin heran und füllte die Gläser mit seinem besten Whisky, während die Flammen emporloderten. Er ließ sich in einen der Sessel sinken, legte die Füße auf die vordere Kante des Kamins und seufzte wohlig auf, als er die Hitze an den Fußsohlen spürte. Als Katharina hereinkam, zeigte er auf ihr Glas, das auf dem Kaminsims stand.
Sie nahm Platz, nippte an dem Whisky und sah ihren Mann prüfend an.
»Geht es dir jetzt besser?«, fragte sie.
Er blickte sie unschlüssig an. »Na ja, mir geht es so gut, wie es nach zweitägigem sinnlosem Herumirren in einer verrückten Welt eben möglich ist«, entgegnete er.
»Was wollen wir essen?«, fragte sie.
»Müssen wir was essen?«
»Ich denke schon, aber ich habe heute keine Lust zu kochen. Du vermutlich auch nicht.«
»Lass uns einfach ein paar Stullen schmieren.«
Katharina trat sich die Schuhe von den Füßen und kuschelte sich tiefer in ihren Sessel.
»In Ordnung. Ich mache einen Salat dazu. Aber erst mal muss ich mich ein bisschen entspannen.«
»Was hat er dann gemacht?«, fragte PM.
»Wer?«
»Nygren, nachdem Nisse ihm gezeigt hat, was er aus der Jauchegrube gezogen hat.«
»Vermutlich wird er umgehend die Polizei verständigt haben. Über Nygren hatte Nisse übrigens so einiges zu sagen.«
»Und was?«
»Er meint, Nygren interessiert sich gar nicht für die Schweine, nimmt sie nicht richtig ernst, und das kann Nisse einfach nicht nachvollziehen. Außerdem fährt Nygren immer wieder für ein paar Tage weg, ohne jemandem zu sagen, wo er erreichbar ist. Er gibt seinen Angestellten keine klaren Anweisungen. Schon ein paar Mal ist es zu Missverständnissen bei den Lieferungen für die Schlachterei gekommen. Dass er sich mit den praktischen Aspekten der Schweinezucht nicht auskennt, macht Nisse nichts aus, denn in dieser Hinsicht gibt es sowieso niemanden, der ihm das Wasser reichen kann. Aber dass Nygren nicht einmal versucht, finanziell das Maximale aus den Schweinen herauszuholen, kommt Nisse verdächtig vor.«
PM lachte auf. »Jemand, der die Schweine so ernst nimmt wie Nisse, findet sich ja auch kein zweites Mal. Du scheinst dich zu freuen, jemanden gefunden zu haben, der deine Theorie bekräftigt - du weißt schon, die vom falschen Bauern, der sich bei Vollmond in einen Nachtclubbesucher verwandelt.«
»Meinst du wirklich?«
»Das sind doch ganz normale menschliche Eigenschaften. Wenn die größten Vorwürfe darin bestehen, dass er nichts von Schweinen und vom Geldverdienen versteht, dann ist Nisse ein alter Querulant.«
»Natürlich ist er ein Querulant, das ist er schon immer gewesen, aber das ändert nichts daran, dass Nygren ein undurchsichtiger Typ ist. Ich frage mich, warum er sich ausgerechnet für die Schweinezucht entschieden hat, wenn er offenbar nichts davon versteht. Außerdem mag ich seinen Hund nicht. Nisse sagt, er sei lebensgefährlich. Und dann ist da noch die Sache mit Marco.«
»Ich gebe zu, dass man dem Köter nicht trauen kann, aber was ist mit Marco?«
»Du weißt doch, dass Nisse vor Wut schäumt, wenn auch nur die Rede von Marco ist. Eigentlich merkwürdig, denn Marcos Charme erliegt doch fast jeder. Fragt sich nur, warum er als Vorarbeiter eingestellt wurde. Er besitzt keinerlei Ausbildung, die irgendwas mit der Landwirtschaft zu tun hätte. Nisse zufolge hatte er noch nie ein lebendes Schwein gesehen, ehe er hierher kam. Und ausgerechnet er wird von Nygren mit der Gesamtverantwortung für den Hof betraut. Ist doch kein Wunder, dass Nisse sich darüber aufregt. Er hat mit Schweinen mehr als vierzig Jahre Erfahrung, und da kommt plötzlich so ein junger Schnösel daher und will ihm vorschreiben, was er zu tun hat.«
»Ich glaube gar nicht, dass Marco so jung ist. Ich denke, er ist über fünfunddreißig. Außerdem macht er einen energischen und intelligenten Eindruck. Er wird sicher schnell dazulernen. Nisse ist schon in Ordnung, aber mit Marco kann man viel besser reden.«
Katharina lachte. »Außerdem sieht er viel besser aus.«
PM sah seine Frau forschend an. »Du scheinst eine Schwäche für Marco zu haben.«
»Ist schon ein ziemlich attraktiver Kerl«, sagte sie. »Gib zu, dass er Reklame für Zahnpasta, Haarshampoo oder exklusive Krawatten machen könnte.«
»Zugegeben, aber was kann er schon dafür? Jedenfalls ist es praktisch, einen Vorarbeiter zu haben, der auf dem Hof wohnt, im Gegensatz zu Nisse. Was hat Marco eigentlich gemacht, bevor er hierher kam?«
»Er hat mit Annika in Stockholm gewohnt und war Fernfahrer. Ist für irgendeine Spedition durch ganz Europa gefahren. Muss eine ziemlich anstrengende Zeit gewesen sein. Schließlich hatte er keine Lust mehr und wollte auf dem Land wohnen. Im Gegensatz zu Annika, die am liebsten nach Stockholm zurückziehen würde.«
PM nahm die Kaminzange und rückte die Holzscheite zurecht. Seine Gedanken kreisten erneut um das Gespräch mit Roffe, und er spürte, wie die Unruhe wieder von ihm Besitz ergriff.
»Aha«, sagte er geistesabwesend.
»Ich kann das gut verstehen«, fuhr Katharina fort. »Sie gehört einfach nicht auf einen Bauernhof. Sieh sie doch an, wie sie mit engem Rock und hochhackigen Schuhen hinter Marco her stöckelt, wenn er die Schweine füttert. Die Dinge, auf die man normalerweise Wert legt, wenn man auf dem Land lebt, interessieren sie alle nicht. Was ist los mit dir? Du hörst ja gar nicht zu.«
PM zuckte zusammen.
»Entschuldige, fast wäre ich eingeschlafen. Was hast du gesagt? Ach, natürlich, Annika. Was interessiert sie denn?«
»Sie scheint nur Augen für Marco zu haben. Sie vergöttert ihn regelrecht. Natürlich hat sie das nicht gesagt, aber man sieht es ihr an. Ich glaube, sie würde mit ihm auch auf einer Müllhalde wohnen. Sie muss ziemlich einsam sein. Vielleicht sollte ich mal mit ihr Kaffee trinken, oder meinst du, wir sollten sie lieber zusammen zum Essen einladen?«
»Ja ...?«
Katharina beugte sich vor und klopfte ihm an die Stirn.
»Wo bist du nur mit deinen Gedanken?«
PM stellte sein leeres Glas auf den Kaminsims. Der Whisky hatte seine Fantasie beflügelt. Er ließ sich erschöpft in den Sessel zurücksinken und warf seiner Frau einen unsicheren Blick zu.
»Glaubst du, ich könnte einen Menschen erschlagen?«
Sie sah ihn forschend an, streckte die Beine aus und legte die Füße in seinen Schoß.
»Was für eine seltsame Frage. Ich weiß es nicht. Aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich. Eigentlich kannst du doch keiner Fliege was zu Leide tun. Warum?«
»Alle kennen doch meine Wutausbrüche.«
Katharina lachte. »Denkst du an einen bestimmten Menschen, den du gern ins Jenseits befördern möchtest?«
»Ich weiß nicht, wozu ich imstande gewesen wäre, hätte ich Axel in meiner größten Wut in die Finger bekommen.«
»Ich denke, du hättest ihn ziemlich vermöbelt, hättest aber auch darauf geachtet, ihn nicht ernsthaft zu verletzen.«
PM beugte sich vor und legte ein paar Holzscheite ins Feuer.
»Du hältst es also für unwahrscheinlich, dass ich ihn erschlagen und in Nygrens Jauchegrube geworfen habe?«
Katharina kicherte. »Was für ein absurder Gedanke. Obwohl es zeitlich genau hinkäme. Axel ist ja wirklich seit Monaten spurlos verschwunden. Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: ›Rasender Künstler wirft ermordeten Galeristen in Jauchegrube.‹ Ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse.«
Als er nichts entgegnete, fuhr sie irritiert fort: »Was ist eigentlich los mit dir? Setzt dir die Geschichte mit Axel schon wieder so zu? Du musst endlich einen Schlussstrich unter etwas ziehen, das sich nicht mehr ändern lässt. Es gibt wichtigere Dinge im Leben.«
Ein lang gezogenes Maunzen ließ beide aufhorchen. Katharina ging zur Haustür und ließ die gelb getigerte Katze herein, die sofort in Richtung Kamin tippelte und auf Katharinas Sessel sprang. Katharina nahm sie in den Schoß. PM beugte sich vor und streichelte ihr sanft über den Rücken.
»Wie dick sie geworden ist«, sagte er.
»Weißt du nicht, dass sie wieder trächtig ist?«
»Herrgott, schon wieder? Hoffentlich werden es diesmal nicht so viele.«
Sie blickte der Katze tief in ihre jadegrünen Augen und fragte: »Was meinst du, Lady Pamela, wie viele werden es?«
Sie erhielt einen undurchdringlichen Blick zur Antwort, gefolgt vom mehrfachen Zucken des buschigen Schwanzes.
PM lehnte sich seufzend zurück. »Mindestens zwanzig.«
»Was sagst du?«
»Ich habe nicht richtig mitgezählt, aber ihr Schwanz hat mindestens zwanzigmal gezuckt.«
Katharina setzte Lady Pamela auf seinen Schoß.
»Ich mache uns jetzt was zu essen«, sagte sie.