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Es war ein sonniger Samstag Anfang August. Die Familien des zweiten Ferienturnus waren nach dem Frühstück fröhlich und erholt abgefahren, nachdem sie alle versprochen hatten, im nächsten Jahr wiederzukommen. In der Ruhe nach dem Sturm bereiteten Thekla, Käthe und Marie das Ferienheim Waldesruh für die nächste Gruppe am Montagmorgen vor. Käthe saugte Staub und putzte die Böden, Thekla und ihre Tante Marie zogen die Betten frisch an, wischten mit einem feuchten Lappen über die Tische in den Zimmern und die alten Nachtkästchen aus den Fünfzigerjahren und kontrollierten, ob in den Schränken nichts liegen geblieben war.

Das Ferienheim war ursprünglich ein Gasthof, den Maries Mann Josef von seinem Onkel geerbt hatte. Josef und Marie funktionierten ihn jedoch in ein Ferienheim um, boten im Sommer zweiwöchige Familienferien an und beherbergten im Winter Schulklassen, die in Sonnleiten ihre Schulschikurse abhielten.

Marie strich sorgfältig die Kissen glatt und legte einen Glückskäfer aus Schokolade als Willkommensgruß darauf. Auf ihrer Liste hakte sie Zimmer zwölf ab. „Gerhard Sommer kommt auch wieder“, erzählte sie ihrer Nichte. „Du weißt schon, der nette Witwer mit den beiden Kindern.“ Thekla schüttelte den Kopf: „Der Name sagt mir nichts. Ich war letztes Jahr nicht hier.“ Sie verzog selbstironisch das Gesicht. „Da war ich in Indien und träumte von meiner tollen Künstlerlaufbahn.“ „Mach dir keine Vorwürfe, jeder kann sich einmal irren“, tröstete Marie die junge Frau.

Thekla war Ende Mai zu ihr gekommen, nachdem ihr Jahr in einer Künstler-WG in Wien mit der Räumung des Hauses durch die Polizei geendet hatte. Mit ihren Träumen ging auch Theklas Beziehung zu „Angelo“, ihrem langjährigen Freund in die Brüche. Und anstatt sie aufzunehmen, wie es sich für liebende Eltern gehört hätte, machte Theklas Mutter ihr nur Vorwürfe und ihr Vater, Maries Bruder Engelbert, half ihr auch nicht. Das nahm ihm seine Schwester wirklich übel. Wenn sie und Josef Kinder hätten, würden sie ihnen in der Not beistehen, dessen war sie sich sicher. Auf der anderen Seite war Thekla fast wie eine Tochter für sie beide und dass sie bei ihnen Zuflucht suchte, freute Marie aufrichtig. Blass und verzweifelt war sie aus Wien zurückgekommen, aber inzwischen sah sie gesund und braungebrannt aus und hatte ein wenig Fleisch auf den Rippen. Thekla selbst sah das völlig anders. Sie behauptete, es sei Frustspeck, den sie so schnell wie möglich wieder loswerden müsse. In ihrem Jahr in der Künstler-WG habe sie gesehen, dass viele der selbsternannten Künstler sich ihr überragendes Können nur einbildeten. Zu diesen Möchtegern-Genies wolle sie nicht gehören, betonte sie. Es sei besser, mit ehrlicher Arbeit sein Geld zu verdienen, als auf einen Dummen zu hoffen, der für ein Pseudokunstwerk einen Haufen Geld bezahlte.

Um ihre Tante von sich selbst abzulenken und auf ihr ursprüngliches Thema zurückzukommen, hakte Thekla nach: „Was ist mit diesem Sommer und seinen Kindern?“ „Ach, das ist eine tragische Geschichte“, seufzte Marie. „Seine Frau ist vor drei Jahren vom Balkon gestürzt. Sie war psychisch krank.“ „Bist du sicher, dass er nicht nachgeholfen hat, bei dem Sturz?“, zog Thekla ihre Tante auf. „So etwas würde er nie machen“, rief diese entrüstet, „er ist doch Polizist!“ „Na, dann ist er natürlich über jeden Zweifel erhaben“, spottete die junge Frau. Seit ihrer jüngsten Erfahrung in Wien war sie auf die Ordnungshüter nicht gut zu sprechen. „Ich bin nicht interessiert“, erklärte sie Marie dann entschlossen, da diese ständig versuchte, einen „netten Mann“ für ihre Nichte zu finden. In Maries Augen waren ein netter Mann und ein paar Kinder der Schlüssel zum Glück für jede Frau. Ihr selbst waren die Kinder versagt geblieben, ihren Josef aber liebte sie nach mehr als dreißig Jahren immer noch innig. Ein Polizist mit zwei Kindern ist bestimmt mein Traummann, dachte Thekla und verdrehte die Augen. Das musste sie Bea erzählen, nahm sie sich vor. Mit ihrer besten Freundin lästerte sie immer über die wohlgemeinten Versuche ihrer Tante, sie zu verkuppeln.

Als die Zimmer fertig waren, ging Marie in die Waschküche, um die Waschmaschine zu füllen, während Thekla Käthe beim Putzen half. Käthe war ein richtiger „Putzteufel“ und arbeitete seit mehr als 20 Jahren bei Marie und Josef. Als junge Frau hatte sie bei ihnen Zuflucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann gefunden. Ihre Tochter Monika, ihr ganzer Stolz, arbeitete inzwischen als Lehrerin in Bregenz. Auch sie war eines der Kinder, dem Marie eine zweite Mutter war. Käthe hatte wohl das Gespräch zwischen Marie und Thekla gehört, denn sie warnte die junge Frau sogleich: „Lass die Finger von diesem Sommer. Er selbst ist ein sympathischer Mann, aber seine Kinder sind schrecklich. Das Mädchen stopft den ganzen Tag Essen in sich hinein und der Bub ist völlig verzogen. Letztes Jahr hat er mir den halben Sandhaufen ins Haus getragen.“ Gegen ihren Willen weckte Käthes Kritik an Familie Sommer Theklas Interesse und der kleine Bub tat ihr automatisch leid.

Unweigerlich stand sie auf der Seite der vom Leben und von der Gesellschaft Benachteiligten, genau wie ihr Vater. Dieser war seit vielen Jahren Lehrer an der Sonderschule, wo er die schwachen und schwierigen Kinder unterrichtete. Thekla hatte nach ihrer Ausbildung als Erzieherin mit behinderten Menschen gearbeitet, bevor sie auf die Idee gekommen war, Kunst zu studieren. Marie rief ihre Mitarbeiterinnen zum Kaffee und beendete damit das Gespräch der beiden. Sie gingen in den Garten neben dem Haus, wo drei lange Tische mit Bänken an beiden Seiten standen. Josef hatte sie gezimmert, wie fast alles im und rund ums Haus.

Der Tisch war für vier Personen gedeckt, aber die Menge an Essen hätte leicht für acht Leute gereicht. Es gab Kipferln vom Frühstück, Marmelade und Schlagsahne und Maries berühmten Apfelkuchen. Josef wusch sich am Brunnen die Hände und das Gesicht. Er hatte gerade den Rasen gemäht, damit die Kinder barfuß laufen konnten, ohne von einer Biene gestochen zu werden. Käthe und Thekla setzten sich an den Tisch und Marie kam mit einer großen Kanne Kaffee. Sie goss jedem eine Tasse ein und setzte sich neben Thekla auf die Bank. Diese nahm einen Schluck Kaffee, aß ein Kipferl mit Sahne und Maries köstlicher Erdbeermarmelade und genoss den Blick über Sonnleiten auf die hohen Berge am Ende des Tals.

Ach, ich wünschte, es könnte immer so sein, dachte sie in einem Anflug von Wehmut. Sie wusste, dass Marie und Josef sie nicht wegschicken würden. Marie würde sie im Ferienheim mitarbeiten lassen, mit der Begründung, dass es immer genug Arbeit gab für ein Paar flinke Hände, aber nach den Familienferien wurde sie eigentlich nicht mehr gebraucht. Marie, die die Gedanken ihrer Nichte zu erahnen schien, drückte zärtlich ihre Hand und lächelte sie an. „Es ist so schön, dass du da bist“, meinte sie und Thekla fragte sich zum hundertsten Mal, warum ihre Mutter nicht so sein konnte, wie ihre Tante, liebevoll, umgänglich und zufrieden mit dem, was sie hatte.

Wie als Antwort auf ihre Frage kamen ihr Vater und ihre Großmutter aus dem Haus. Diese war Marie ähnlich, eine gütige Frau, die sieben Kinder großgezogen und sich nie über ihr arbeitsreiches Leben als Bergbäuerin beklagt hatte. Sie war nicht zu vergleichen mit der herrischen Thekla, geborene von Falkenberg, ihrer Großmutter mütterlicherseits. Ein strahlendes Lächeln erhellte das runzelige Gesicht der alten Frau und ihre warmen braunen Augen funkelten schelmisch. „Siehst du, Engelbert, ich hab dir gesagt, wir kommen gerade recht zum Kaffee“, wandte sie sich an ihren Sohn und grüßte dann die ganze Runde. Marie eilte bereits in die Küche, um zwei weitere Gedecke zu holen und Großdam, wie sie von allen genannt wurde, ließ sich neben Thekla auf der Bank nieder. Diese unterhielt sich gleich mit der alten Frau und vermied es, ihren Vater anzusehen. Seit ihrer Rückkehr aus Wien sprachen sie kaum miteinander. Er hatte sie zwar nicht beschimpft und weggeschickt, wie ihre Mutter, seine Missbilligung aber ebenfalls deutlich gezeigt.

So fand Thekla dann auch bald einen Grund, wieder an ihre Arbeit zu gehen, und wie sie befürchtet hatte, dauerte es nicht lange, bis Engelbert auftauchte. Er schaute ihr eine Weile schweigend zu und sagte dann in seiner ruhigen Art: „Komm, Tete, es ist Zeit, dass wir uns wieder vertragen.“ Damit breitete er seine Arme aus und die vertraute Geste, verbunden mit dem Kosenamen aus ihrer Kindheit, tat verlässlich ihre Wirkung. Thekla ließ den Lappen fallen, mit dem sie so eifrig die großen Waschbecken im Waschraum geschrubbt hatte und ging auf ihren Vater zu. Dieser hielt sie so lange in den Armen, bis alle Unstimmigkeiten zwischen ihnen geklärt waren. Thekla schlang die Arme um seinen Hals, wie sie es schon als kleines Mädchen getan hatte und sagte: „Friede.“ „Friede“, gab ihr Vater schmunzelnd zur Antwort, „du kannst ja nichts dafür, dass du mir ähnlich bist.“ Dann erzählte er seiner Tochter, dass ihre Mutter und die Buben, wie er die Zwillinge immer im Doppelpack nannte, für drei Wochen nach Hamburg fahren wollten.

Friederike verbrachte seit ihrer Heirat nach Österreich jedes Jahr den Sommer bei ihrer Mutter in Hamburg. Nach drei Wochen hatten die beiden Frauen dann stets so genug von einander, dass es mindestens Weihnachten wurde, bis sie sich wieder nacheinander sehnten. Diese verbrachte Omi dann immer in Dornbirn. Und inzwischen waren es wohl eher ihre Enkelsöhne, die Omi sehen wollte, als ihre Tochter. Die achtzehnjährigen Zwillinge, hoch aufgeschossen, blond und blauäugig, wie es sich für echte „von Falkenbergs“ gehörte, waren der ganze Stolz der alten Dame. Das einzige, was sie an ihnen störte, war, dass sie „Eber“ hießen. Aber sie selbst hatte ja auch den Fehler gemacht, einen Mann zu heiraten, der den gewöhnlichen Namen „Müller“ trug. Ihr junger Ehemann war im Krieg gefallen und sie blieb mit der kleinen Friederike und diesem schrecklichen Namen zurück. „Wenn man jung ist, weiß man nicht, worauf es ankommt“, pflegte Omi zu sagen. Theklas Vater blieb nie mehr als drei Tage in Hamburg. Als die Kinder noch klein waren, führte er seine Familie mit dem vielen Gepäck im Auto hin und holte sie wieder ab. Später brachte er sie nur noch zum Zug. Er respektierte den alten Drachen und redete nie schlecht über seine Schwiegermutter und sie akzeptierte ihn, weil er sich nie für sie verbogen hatte. Dass er 1,85 Meter groß und kräftig gebaut war, erwies sich dabei als Vorteil.

Wenn seine Frau in Hamburg Urlaub machte, verbrachte Engelbert viel Zeit bei Josef und Marie. Er arbeitete in Josefs Werkstatt oder half diesem bei seinen verschiedenen Projekten im und ums Haus. Im Gegenzug half Josef ihm, das alte Rheintalhaus zu renovieren, das er als junger Lehrer gekauft hatte. Jetzt war es ein stattliches Haus mit einem großen Garten, um das seine Frau von ihren Freundinnen im Tennisclub oft beneidet wurde. Thekla blieb schon mit fünf Jahren lieber bei ihrem Vater, als nach Hamburg zu fahren. Sie brieten sich dann Spiegeleier und Speck und aßen „Stopfer“, den beliebten Grießschmarren, aus der Pfanne. Bevor Friederike zurückkam, putzten sie mit Maries und Käthes Hilfe das Haus und zum Dank lud Engelbert die Damen in Dornbirns bestes Café ein. Nicht zuletzt deshalb waren Vater und Tochter so ein eingeschworenes Team. Während Thekla weiterputzte, dachte sie an diese Sommerwochen, in denen endlos die Sonne schien und ihr Vater sie noch vor allem Unheil beschützen konnte. Bis zum Abendessen war das Ferienheim sauber und bereit für die neuen Familien. Thekla ließ das Essen ausfallen, nachdem sie vorhatte, sich mit ihrer Freundin Bea zu treffen.

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