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Die nächsten Tage blieben regnerisch, sodass die Kinder und ihre Betreuerinnen viel Zeit im Spielzimmer verbrachten. Sie bastelten mit Hilfe von Kartonrollen, Papier und Kleister, Köcher für ihre Pfeile, Regenmacher und kleine Trommeln. Die Mädchen formten aus Salzteig Perlen für Halsketten und bemalten sie dann mit bunten Farben. Aus den alten Vorhängen des Speisesaals entstanden Indianerhemden, die ebenfalls mit Hingabe bemalt wurden, und auf dem Spielplatz übten sich die jungen Krieger im Bogenschießen. Sissi, das alte Shetlandpony, wurde in „Iltschi“ umbenannt und alle, die wollten, durften eine Runde auf ihr reiten. Während die meisten Eltern sich ausschließlich ihrer Erholung widmeten, blieb Gerhard bei seinen Kindern und schien sich dabei auch zu entspannen und zu erholen. Robert und die anderen Buben wichen ihm kaum von der Seite und scheinbar mühelos hatte er alles unter Kontrolle. Thekla war froh um die unerwartete Hilfe, mehrere Regentage hintereinander konnten nämlich sehr lange und anstrengend werden.

Am Freitagmorgen war es endlich sonnig und klar, also wollte die Gruppe auf die Alpe „Fahl“ wandern, die von Maries ältestem Bruder Konrad bewirtschaftet wurde. Während alle frühstückten, verteilte Marie massenhaft Proviant auf die Rucksäcke und um neun Uhr marschierten die Wanderer, geführt von Josef, endlich los. Jenny ging an Theklas Hand und erzählte vom Kindergartenausflug mit Schwester Tusnelda und Tante Brigitte. Doch bald hatte die Kleine einen hochroten Kopf und fing an zu jammern. Thekla zog Jenny die warme Jacke aus, gab ihr zu trinken und band ihr die Haare, die ihr feucht an der Stirn klebten, zu einem Pferdeschwanz zusammen. Mit Blumenpflücken und Auszählreimen lenkte sie das Kind so gut es ging ab und zog es hinter sich her. Von den anderen war weit und breit nichts mehr zu sehen. Als sich ein Traktor näherte, hielt Thekla ihn auf und bat den Bauern um eine Mitfahrgelegenheit. Eine hübsche junge Dame mit einem Elefantenbaby könne er natürlich nicht stehen lassen, grinste dieser. Thekla verkniff sich eine bissige Antwort und die beiden nahmen auf dem seitlichen Sitz Platz. Als sie an den Wanderern vorbeifuhren, die am Wegrand eine kurze Rast eingelegt hatten, winkten sie fröhlich und lösten damit Buhrufe und Protestgeschrei bei den anderen Kindern aus. Zum Glück war die Alpe des „Taxibauern“ nicht weit von ihrem Ziel entfernt und so erreichten sie die Alphütte nach einem letzten, steilen Aufstieg.

Die saftigen grünen Weiden lagen im Sonnenlicht und überall bimmelten die Glocken der friedlich weidenden Kühe. Thekla öffnete die Hüttentür und rief: „Holla!“. Sogleich erschien Erna, die Frau ihres Onkels und begrüßte sie freudig. „Da seid ihr ja! Wir haben uns schon gedacht, dass ihr heute kommt, aber ihr seid früh dran“, plauderte sie munter. „Die anderen kommen erst in einer Stunde“, grinste Thekla. „Jenny und ich sind per 'Traktorstopp' gekommen.“ „Na, ihr seid mir zwei Lausemädchen“, lachte Erna und strich Jenny eine Haarsträhne aus der verschwitzten Stirn. „Und jetzt habt ihr wohl Durst und Hunger, oder?“ „Ja, frisches Quellwasser wäre super“, meinte Thekla, „wir kühlen uns am Brunnen noch ein bisschen ab.“ Damit zog sie Jenny zum Laufbrunnen und zeigte ihr, wie sie die Hände, die Arme und das Gesicht kühlen konnte. Erna brachte einen Krug Wasser, zwei Gläser und ein Butterbrot mit frischer Alpbutter und stellte alles auf den Tisch neben der Haustür, dem ein ausgebleichter Sonnenschirm Schatten spendete. Thekla und Jenny setzten sich zu ihr und die Kleine aß und trank gierig. Erna schaute dem Kind zu und Thekla sah das Mitleid in ihren Augen. Mit verändertem Blick nahm sie das dicke Kind wahr, die Hängebacken, die den hübschen herzförmigen Mund und das zierliche Näschen fast verschwinden ließen, das fleckige, ausgewaschene T-Shirt, dem an einem Ärmel der Saum herunterhing und den kugelrunden Bauch.

„Wollt ihr Konrad beim 'Käsemachen' zuschauen?“, fragte Erna jetzt und Thekla nickte erleichtert. Sie trank ihr Wasser aus und nahm das kleine Mädchen bei der Hand. „Komm, Jenny, gehen wir schauen, wie der Göte den leckeren Käse macht.“ Engelberts ältester Bruder war Theklas Taufpate. Er war ein netter Mann und sie freute sich immer, ihn zu sehen. Konrad stand in der großen weißen Gummischürze am Sennkessel und rührte gerade die Milch um. Bald hatte sie die richtige Temperatur, um das Lab hinzuzufügen, das Enzym aus dem Kälbermagen, das sie stocken ließ. Die gestockte Milch bildete dann die Basis für den Bergkäse. Als er Thekla erblickte, hob Konrad grüßend die Hand. Sie hatten sich diesen Sommer schon zweimal gesehen, da die Gruppen fast jedes Mal auf die Alpe wanderten. Thekla ging um den Kessel und schüttelte ihm die Hand. „Tag, Göte, schön dich zu sehen“, begrüßte sie ihn. Im Tal war es nicht üblich, sich ständig zu umarmen. Man zeigte seine Zuneigung mehr durch Taten, als durch Worte. „Das ist Jenny“, erklärte Thekla und deutete auf die Kleine, die sich schüchtern an ihr Bein klammerte. Konrad nickte und unterhielt sich mit Thekla, während er die Temperatur der Milch prüfte. Als Jenny den Kopf hob, fragte er sie, ob sie einmal in den Kessel schauen wollte. Die Kleine bejahte und Konrad nahm sie auf den Arm. Er erklärte ihr, dass er die Milch wärmen müsse und dann Käse daraus machte. „Alma hat auch Kühe“, erzählte Jenny nun zutraulich, „sie wohnt gleich neben uns und wir holen immer Milch bei ihr.“ „Dann magst du Milch wohl gerne“, meinte Konrad. „Kakao mag ich gerne, aber Joyce hat uns immer zum Essen Milch dazu gegeben und da ist mir schlecht geworden und dann hat Papa gesagt, das soll sie nicht mehr“, plapperte die Kleine. Konrad runzelte die Stirn. Er konnte die seltsamen Informationen nicht ganz zuordnen. „Joyce ist Jennys Kindermädchen. Ihre Mama ist leider gestorben“, erklärte Thekla. Doch Jenny schüttelte vehement den Kopf. „Sie ist nicht gestorben, sie ist vom Balkon hinuntergefallen und dann war sie tot.“ „Na dann“, murmelte Konrad und stellte das Kind wieder auf den Boden, um sich seinem Käse zu widmen. Thekla und Jenny verabschiedeten sich und gingen vor die Hütte. Sie halfen Erna Bier und Limonade aus dem Keller zu holen und pflückten dann nochmals Blumen, um daraus kleine Sträuße für die Tische zu binden.

Bald kamen Josef, Gerhard und Robert an. „Ihr seid gefahren, das gilt nicht!“, rief der kleine Bub entrüstet. „Du hast recht, ihr seid eigentlich die ersten“, stimmte Thekla ihm zu, was ihn sichtlich besänftigte. Jenny lief ihrem Papa entgegen, der ihr den Kopf tätschelte und sie dann bei der Hand nahm. Als sie bei Thekla ankamen, sagte er: „Entschuldige, ich hätte daran denken müssen, dass Jenny nicht so weit laufen kann.“ „Ach, das macht nichts“, winkte Thekla ab. „Frauen und Kinder können hier jederzeit Traktorstopp machen.“ Gerhard grinste erleichtert, was Theklas Puls gleich wieder in die Höhe trieb. Langsam sollte ich es gewöhnt sein, dachte sie irritiert. Der Rest der Gruppe trudelte langsam ein und alle packten ihre Rucksäcke aus. Auf dem Tisch im Schatten standen Brot, Speck, Wurst und Käse, Kartoffel- und Bohnensalat. Erna stellte Wasser, Limonade und Bier bereit und servierte später Kaffee zu Maries Zimtschnecken. Nach dem Essen setzten sich die Mütter mit den kleineren Kindern in den Schatten, damit sie ein Mittagsschläfchen halten konnten und die größeren gingen mit Thekla, Andrea und einigen Vätern an den Bach.

Gleich wurden Schuhe und Strümpfe ausgezogen und der Bach mit einer Steinmauer gestaut. Einige sammelten Heidelbeeren, aus denen Marie Kompott kochen würde. Sie hatte den Kindern „Stopfer“ mit Heidelbeerkompott zum Frühstück versprochen, also waren alle eifrig bei der Sache. Jenny fing plötzlich an zu jammern, sie habe Durst und ihr sei so heiß, also ging Thekla mit ihr zurück zur Hütte, gab ihr zu trinken und legte sie in der Stube aufs Sofa. Gleich schlief die Kleine ein. Als es Zeit zum Aufbruch war, schlief sie noch immer tief und fest. Thekla schlug Gerhard vor, mit Jenny auf der Alpe zu bleiben und am nächsten Tag mit dem „Milchauto“, das die Milch auf einigen Alpen abholte, ins Dorf zu fahren. Dieser schüttelte jedoch den Kopf. „Ich trag sie, das geht schon“, meinte er. In der Stube streichelte er seiner Tochter über die Wange. „Aufwachen, Schlafende Katze“, sagte er zärtlich und Thekla schluckte. Jenny öffnete die Augen, wollte sich aber gleich wieder umdrehen und weiterschlafen. „Wir gehen heim, Jenny“, sagte Gerhard und die Kleine verzog das Gesicht. „Ich bin müde“, jammerte sie. „Ich weiß. Ich trag dich“, versprach ihr Vater. Diese Zauberformel brachte Jenny auf die Beine. Vor der Tür nahm Thekla den Rucksack und Gerhard hob das Kind auf seine Schultern. Scheinbar mühelos trug er die beachtliche Last nach Hause, wo er von den anderen Männern mit viel Hallo und einem Bier gefeiert wurde, was ihm sichtlich unangenehm war.

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