Читать книгу Windblume - Helene Hammerer - Страница 5
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ОглавлениеThekla fuhr mit Josefs VW-Bus in den Hof der alten Stickerei, die Beas Eltern gehörte. Diese bewohnten das große, etwas heruntergekommene Haus, während Bea sich in dem alten Betriebsgebäude eine Wohnung ausgebaut hatte. Die Wände waren weiß ausgemalt, die gusseisernen Säulen und die hohen Fenster in einem dezenten Grau gestrichen. Mit einem Kredit von der Bank leistete sie sich ein neues Bad und eine Fußbodenheizung. An den Wänden hingen große, von Thekla gemalte Ölbilder. „Echte Eber“, wie Bea zu sagen pflegte. Im Wohnzimmer hatte sie Feuerfarben gewählt, im Schlafzimmer beruhigende Grüntöne, die einen verwilderten Garten darstellten und das in blau-weiß gehaltene Badezimmer schmückte die „Schneekönigin“, die Theklas Mutter erstaunlich ähnlich sah.
Thekla klopfte an die Haustür und trat in den Vorraum, den Bea mit den Holzkisten abgetrennt hatte, die in der Stickerei für Stoffabfälle und anderes verwendet wurden. Jetzt sah es aus wie ein riesiger Setzkasten, in den Bea Schuhe, Mäntel und Jacken legte, aber auch Handtaschen und Hüte, eine edle Vase aus Glas, eine schwarze Holzfigur aus Afrika und andere Reiseandenken stellte. Thekla war immer wieder fasziniert von den Ideen ihrer Freundin. In der „Textilschule“, die sie gemeinsam besucht hatten, konnte Thekla zwar viel besser nähen, Beas Kreationen waren jedoch so stilvoll und originell, dass sie immer die besten Beurteilungen bekam.
„Bea, wo bist du?“, rief Thekla. „Komme gleich“, tönte es aus dem hinteren Teil der Wohnung, wo sich Bade- und Schlafzimmer befanden. Wenig später kam Bea in einem schwarz-weiß gemusterten Kleid mit einem breiten roten Hüftgürtel ins Wohnzimmer. Sie trug rote Sandaletten mit hohen Absätzen und die dunklen Locken hochgesteckt. Ihr Gesicht war perfekt geschminkt und der Lippenstift passte genau zu Gürtel und Schuhen. „Thekla, schön, dass du da bist. Ich bin gleich...“, fing sie an und starrte ihre Freundin dann ungläubig an. „He, wir wollten doch in die Stadt oder nicht?“, fragte sie und zog die Augenbrauen hoch. Thekla schaute an sich hinunter. Sie trug weiße Bermudas und die weißen Römersandalen, die sie so gerne mochte. Dazu ein blaues T-Shirt in Batik-Technik, das schon ziemlich ausgebleicht war. „Tut mir leid, ich bin im Moment so fett, dass mir nichts mehr passt“, sagt sie dann mit einem Achselzucken. „Außerdem habe ich meine gewagteren Klamotten gar nicht mehr mitgenommen. „Du bist nicht fett, deine Figur ist nur etwas kurviger!“, stellte Bea mit Autorität klar. „Lange Beine, schmale Hüften und ein deutlich erkennbarer Busen sind ideal. Dazu bist du noch blond und blauäugig. Was willst du mehr?“ „Blauäugig kannst du laut sagen“, bemerkte Thekla trocken und ihre Freundin lachte. „Komm mit! In den Tiefen meines Kleiderschranks finden wir sicher etwas für dich“, meinte sie und zog Thekla mit sich.
Eine halbe Stunde später trug sie einen eisblauen Seidenkimono mit stilisierten Kirschblüten in Schwarz und Grau. Ihr Gesicht war dezent geschminkt und in ihren Ohren baumelten große, handgearbeitete Silberscheiben. Ein passendes Armband schmückte ihr Handgelenk. An den blonden Stoppelhaaren konnte auch Bea nichts ändern. „Es ist ein Schande, dass du dir deine schönen Haare abgeschnitten hast“, schimpfte sie. „Ich wollte einen kompletten Neuanfang nach Angelo und die roten Haare waren plötzlich unerträglich“, seufzte Thekla. „Du hättest sie nur bleichen müssen. Einem Mann wie Michael Angerer deine Haare zu opfern, war echt doof“, meinte Bea kopfschüttelnd. „Und dass du ihn immer noch 'Angelo' nennst, wo es doch von Michelangelo kommt, ist auch unerträglich. Der Typ heißt 'Michi' und so malt er auch.“ „Ja, ja, ist schon gut“, beruhigte Thekla ihre aufgebrachte Freundin. „Nein, gar nichts ist gut!“, rief diese. „Und dass ich dich diesem Versager vorgestellt habe, ist das Schlimmste von allem!“ „Gehen wir“, unterbrach Thekla Beas Selbstvorwürfe, „ich hab wegen Ange... ähm, Michi schon genug Zeit versäumt.“ Damit gingen sie zu Beas rotem VW-Käfer, denn mit ihren hohen Absätzen konnte diese nicht bis in die Stadt laufen.
Die beiden Freundinnen setzten sich in die schicke Pizzeria am Marktplatz und ließen sich von Tonio, dem charmanten italienischen Kellner verwöhnen. „Glaubst du, sie heißen wirklich alle Tonio, Pepe oder Francesco?“, fragte Thekla die Freundin. „Natürlich, genauso wie alle Schilehrer Toni, Sepp oder Franz heißen“, lachte diese. Die jungen Frauen ließen sich den Salat, die köstliche Holzofenpizza und anschließend Espresso und Amaretto schmecken. Thekla erzählte von Gerhard Sommer, mit dem Marie sie verkuppeln wollte. Doch, anstatt sich zu amüsieren, wie Thekla erwartet hatte, warnte Bea sie ernsthaft. „Lass bloß die Finger von einem Witwer“, meinte sie. „Du weißt, wie es mir mit Stefanos Kindern ergangen ist.“ Offensichtlich hatten sie beide eine Schwäche für Männer mit italienischen Spitznamen, fiel Thekla auf. „Stefan war geschieden und seine Tochter nur acht Jahre jünger als du“, warf sie ein und spielte damit auf eine kurze Affäre an, die Bea mit 23 gehabt hatte. „Stimmt“, gab diese zu, „trotzdem ist es schwierig, wenn er schon Kinder hat.“ Wieder weckte die Warnung in Thekla den Wunsch, die Kinder zu verteidigen, aber Bea erzählte gerade eine Anekdote von ihrer besten Kundin, die in allen Lebenslagen zu ihr kam. Anschließend flanierten die Freundinnen über den Marktplatz und tranken in „Brunos Bar“ noch einen Cocktail. Gegen zwei Uhr fuhr Thekla nach Hause. Marie, Josef und Käthe gingen am Sonntagvormittag immer in die Kirche, aber sie selbst hatte vor, gründlich auszuschlafen.