Читать книгу Ich sehe, wie die Welt sich dreht - Helene Uri - Страница 4

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Ich schalte meine Nachtsicht ein

und höre keuchenden Atem

Schon als kleiner Junge habe ich entdeckt, dass alles Spannende nachts geschieht. Man muss nur genau hinschauen. Mit geübtem Nachtblick nehme ich noch die kleinste Bewegung wahr, während ich wie ein schwarzer Schatten vorüberhusche, wie ein Windhauch.

Ich kann mit geschlossenen Augen hier entlanggehen, so gut kenne ich den Strandweg. Aber das tue ich nicht, denn ich will alles mitbekommen, und wenn ich im falschen Moment gezwinkert hätte, dann hätte ich sie in dieser Lücke zwischen zwei Häusern bestimmt nicht gesehen, auf der anderen Straßenseite, in sich zusammengesunken und bewegungslos. Und zwar das Mädchen, das morgens am Strand aufgetaucht ist. Sie sieht jetzt anders aus als bei Tageslicht. Etwas ist passiert. Und dieses etwas passiert immer nachts.

Ich gehe in die Hocke und betrachte sie, wie das bei Tageslicht am Strand niemals möglich wäre. Die Tage gehen vorüber wie eine kleine Ewigkeit nach der anderen, die Nächte nicht. Die gehören mir. Und jetzt schlägt mein Puls schneller. Denn hier stimmt etwas nicht. Sie dürfte nicht so dasitzen und am Etikett einer Bierflasche herumspielen. Nachts stülpt das Leben sich um. Wenn man genau hinsieht. Und ich habe Nachtblick. Und Nachtgehör. Ich höre das eintönige Dröhnen einer Fähre draußen auf dem Meer, betrunkenes Dänengeheul in der Ferne und den keuchenden Atem des Mädchens.

Nachts sehen die dunklen Schatten aus wie Ungeheuer, deshalb bleibe ich bewegungslos im hohen Gras sitzen. Ich habe Zeit. Ich habe die ganze Nacht.

Und jetzt bewegt sie sich.

Ich sehe, wie die Welt sich dreht

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