Читать книгу Ich sehe, wie die Welt sich dreht - Helene Uri - Страница 9

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Ich betrachte Flecken und werde zu einem

nächtlichen Tanz aufgefordert

Ich gehe früh ins Bett, hab einfach keinen Bock drauf, mit Mama und Papa im Wohnzimmer zu sitzen. Ich schäme mich, weil ich nicht mit ihnen zusammen sein will. Jetzt geh ich ins Bett, sage ich, und sie nicken nur freundlich. Mama sieht mich an und ich sehe in ihren Augen nicht die geringste Spur von Vorwurf. Ich sehe Güte und Verständnis und etwas, das ich nicht sehen will, vor dem ich Angst habe. Verdammte Mama! Ich schlucke, werfe wütend meine Haare nach hinten und trampele durch das Zimmer. Dann drehe ich mich um und sage gute Nacht, es klingt unfreundlicher, als es klingen sollte. Gute Nacht, Mia-Mädchen, sagen sie, wie sie es immer getan haben.

Ich bin müde, aber ich kann nicht schlafen. Lange liege ich dann da und starre die Decke an. Die ist weiß angestrichen und sieht aus wie jede andere Decke auch, aber in der Ecke beim Fenster muss es irgendwann einmal durchgeregnet haben. Das Wasser hat grauweiße Figuren an die weiße Decke gezeichnet. Ich beschließe, diese Flecken anzusehen, bis ich eingeschlafen bin, ich will keine anderen Gedanken oder Bilder in meinen Kopf lassen, das leise Gespräch meiner Eltern oder die anderen Geräusche im Haus dürfen dort nicht eindringen. Ich starre die Flecken an, der eine sieht ein wenig aus wie ein Drache, oder vielleicht nicht? Und dahinten sitzt eine Katze und putzt sich. »Missekasse«, sagt Mama auf Dänisch. Schau dir jetzt die Flecken an. Konzentrier dich. Dahinten sieht einer aus wie ein Fahrrad. Und der da wie eine Blume. Ein Löwenzahn. Meine Gedanken gleiten in die falsche Richtung, und obwohl ich mir die Decke an die Ohren presse, höre ich die Stimmen meiner Eltern. Seine ist tröstend und sanft, ihre leise und undeutlich. Ich zwinge mich dazu, die Flecken anzusehen. Das ist doch ein Ball. Und schau mal, da ist ein tanzendes Paar, und da drüben ist noch eins. Ich tanze. Ich schwebe mit der Musik davon. Ich trage ein langes, smaragdgrünes Seidenkleid, mein Kavalier hat braune Haare und ein riesiges Lächeln. Und einen Frack. Nein, Shorts. Wir tanzen zu schmachtenden Klängen über das blanke Parkett.

Ich fahre aus dem Schlaf hoch und setze mich im Bett auf. Habe ich geträumt, oder hat da jemand geklopft? Draußen ist es ziemlich dunkel, ich knipse die Nachttischlampe an und sehe, dass die Uhr eins zeigt. Das Sommerhaus ist jetzt still. Was hat mich geweckt? Mia, flüstert jemand durch den Fensterspalt. Ich erkenne Stians Stimme, und ich springe aus dem Bett und schleiche zum Fenster. Ich drehe am Griff und mache es ganz auf. Er steht draußen auf dem Rasen, schwarz gekleidet.

»Öh. Baby, darf ich um einen ... Nachttanz bitten?«, fragt er und streckt die Hand nach meiner aus. Er hat dasselbe riesige Lächeln wie heute Morgen.

Ich sehe, wie die Welt sich dreht

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