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Der Irrgarten

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Hinter dem Eingang zum Irrgarten sah es dunkel aus, obwohl die Sonne hoch am Himmel leuchtete. Als Lichtquelle hatten sie nur den Teddy Leuchtie. Anna griff nach ihm und meinte: »Gib her, ich gehe zuerst!«

»Kommt nicht infrage!«, protestierte Lotte und klammerte sich an ihren Bären. »Wir brauchen auch Licht. Otto, hast du sowas wie eine Taschenlampe?« Bevor der antworten konnte, entstand ein Gezerre um das arme Stofftier.

»Lass los!« Anna hatte einen roten Kopf vor Zorn. »Du sollst ihn loslassen, ich bin älter und werde, wenn es sein muss, allein gehen!«

»Leuchtie gehört mir!«, keifte Lotte. »Also gehe ich.« Sie hielt den Bären so fest wie möglich. Schließlich riss Anna in ihrem Übereifer dem Stofftier einen Arm ab. Lotte begann zu weinen und hielt ihn fester als vorher. Dicke Tränen liefen ihr über das Gesicht.

»Du hast Leuchtie kaputtgemacht. Tante Grete wird traurig sein. Sie hat ihn selbst so lange gehabt.« Mit ihrer freien Hand schlug sie nach ihrer Schwester. Otto hatte sich das Ganze zunächst nur angesehen, ging nun aber energisch dazwischen.

»Es ist genug, meine Damen!«, schimpfte er. »Wir beruhigen uns erst einmal.« Er griff in seine Hosentaschen und zog zwei kleine Kugeln heraus. »Bitte schön, für jeden eine Leuchtkugel.« Jetzt schluchzte Lotte erst recht. Sie konnte sich gar nicht mehr beruhigen.

»Du dummer Otto!«, stieß sie wütend hervor. »Jetzt ist Leuchtie ganz umsonst kaputtgegangen.«

»Na, na, so schlimm ist das nicht«, versuchte er Lotte zu beruhigen. »Frau Pfefferminz kann ihn bestimmt reparieren.«

»Meinst du wirklich?« Sie schaute ihn skeptisch von der Seite an und schniefte hörbar.

»Bestimmt! Ich hatte, als ich klein war, mal Pech mit meiner Hose. Beim Klettern in den Ästen riss ich sie mir auf. Den Winkelhaken hat sie mir auch heile gemacht und meine Mutter hat gar nichts davon gemerkt«, bekräftigte er und reichte ihr eine Leuchtkugel und dazu ein Taschentuch zum Nase putzen. Die zweite Kugel bekam Anna und den abgerissenen Arm steckte er in seinen Tornister. Lotte schnäuzte sich laut und vernehmlich.

»Anna, du darfst als Erste gehen!«, bestimmte Otto.

»Nö«, sagte Anna schnippisch, »jetzt will ich nicht mehr, soll Lotte gehen. Sie wird schon sehen, dass es nicht so leicht ist.« Ihre Schwester schaute Otto fragend an. Der nickte ihr aufmunternd zu.

»Geh ruhig, du schaffst das ganz bestimmt.« Er schob sie mit sanftem Druck in Richtung Eingang des Irrgartens. Lotte atmete einmal tief durch und machte sich mit einem mulmigen Gefühl im Magen auf den Weg. Sobald sie hineingegangen war, schlug das Tor hinter ihr zu und versperrte den Weg. Die beiden Zurückgebliebenen starrten gebannt auf das rote Licht neben dem Tor. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.

Lotte ließ langsam den dünnen Strahl ihrer kleinen Leuchtkugel über den Boden gleiten. Es sah alles normal aus. Schritt für Schritt, Leuchtie fest unter ihren linken Arm geklemmt, bewegte sie sich vorwärts, alles schien ganz einfach. Nach vielen Schritten musste sie die erste Entscheidung treffen. Linker oder rechter Gang?

»Was mache ich jetzt?«, murmelte sie. »Links? Ja, … ja, ich nehme links.« Mutig lief sie weiter. Doch diese Abzweigung endete schon nach wenigen Metern in einer Sackgasse. Also wieder zurück. Jetzt die rechte Möglichkeit, bis zur nächsten Gabelung. Viele falsche und richtige Entscheidungen später gelangte sie an eine Kreuzung, von der vier Abzweigungen wegführten. Aus einer davon kam sie gerade heraus, blieben drei zum Aussuchen. In der Mitte lagen drei kurze Stangen in verschiedenen Farben. Lotte überlegte angestrengt: Wozu die hier wohl liegen? Hm, egal, ich kann sie gebrauchen. Sie nahm eine rote Stange und steckte sie neben den Durchlass, aus dem sie soeben herausgekommen war, in die Erde. Dann holte sie eine gelbe Stange und steckte sie in den Boden an dem Weg, den sie nehmen wollte. Wieder lief sie durch viele Gänge mit noch mehr Entscheidungen. Manche erwiesen sich als falsch, andere als richtig. Schließlich gelangte sie wieder an die Kreuzung mit den Stäben. Dort steckte sie die Letzte, eine Blaue in den Boden neben dem Gang, aus dem sie dieses Mal gekommen war. Nun blieb nur einer ohne Kennzeichnung, den sie voller Hoffnung betrat. Dieser schien unendlich lang zu sein. Er hatte etliche Kurven, aber keine Abzweigungen mehr. Unvermittelt stand Lotte vor einer Schranke. Daneben saß auf einem Schemel der Frosch aus dem Turm, der seine derzeitige Gestalt Klaus’ Fantasie zu verdanken hatte.

»Kommt hier endlich mal jemand!«, meinte er unfreundlich. »Wird aber auch Zeit. Ich will nicht länger ein Frosch sein.«

»A – aber was kann ich daran ändern?«, fragte Lotte verunsichert. »Ich kann doch nichts dafür, dass du wie ein Frosch aussiehst!«

»Papperlapapp, dein Bruder kann was dafür!«, maulte der Frosch. »Streng dich gefälligst an, ich warte! So lange du es nicht geschafft hast, wirst du eben nicht weiterkommen.«

»Bitte, das kannst du nicht machen, ich muss weiter!« Lotte schaute den Frosch bittend an.

»Mir egal, ich habe Zeit.« Das Mädchen begann zu grübeln: Was hatte der Frosch gesagt, als wir ihm das erste Mal begegnet sind? Klaus muss an sein Buch gedacht haben. Dann denke ich jetzt mal intensiv an mein Lieblingsbuch. Vielleicht funktioniert das ja. Sie stellte sich ihr Buch ›Der magische Würfel‹ vor, das Cover und seine Form. Bevor sie dazu kam, eine der Figuren daraus zu erdenken, nahm der Frosch die Gestalt des Buches an. Oben aus den Seiten lugte der Kopf eines alten Mannes heraus und die Arme und Beine erschienen dort, wo sie hingehörten. Das Buch selbst bildete den Körper. Das Entsetzen in seinem Gesicht sah unbeschreiblich komisch aus. Lotte versuchte krampfhaft, nicht zu lachen.

»Darf denn so etwas wahr sein?«, schimpfte er los, »Du bist ja wohl von allen guten Geistern verlassen, wie kann man nur so dumm sein. Das habe ich nun von meiner Gutmütigkeit. So viel Unfähigkeit hätte ich bei dir nicht vermutet!« Er öffnete die Schranke unter weiteren Tiraden und ließ Lotte passieren. Sie wurde verlegen und versuchte zu sagen, dass es ihr leidtäte, doch das laufende Buch schimpfte immer lauter, sodass sie nicht zu Wort kam. Sie zuckte mit den Schultern, drehte sich um und lief weiter den Gang entlang. Schließlich betrat Lotte eine große Höhle. Hier hingen viele Fledermäuse von der Decke. Diese begannen lauthals zu schimpfen, weil das Mädchen sie mit seiner Kugel blendete.

Was sie sagten, war schwer zu verstehen, da alle durcheinanderriefen. Lotte senkte den Lichtstrahl ihrer Kugel zu Boden und entschuldigte sich für die Störung. Augenblicklich herrschte wieder absolute Stille. Nur eines der Tiere meinte zu ihrer hängenden Nachbarin: »Wetten Isolde, wenn sie noch einen Schritt nach vorne macht, ertönt dieser schreckliche Summton, der anzeigt, dass der Irrgarten wieder frei ist.«

Schnell trat Lotte einen Schritt vor und musste sich sogleich die Ohren zuhalten. Ein schriller Ton zerriss die Stille. Die Fledermäuse flogen unter großem Gezeter eine Runde, um sich gleich danach wieder zum Schlafen aufzuhängen.

»Habe ich es nicht gesagt?«

Lotte setzte sich auf den Boden und lehnte sich gegen die Wand hinter ihr. Sie gähnte einige Male herzhaft. Es dauerte nicht lange, bis ihr Kopf zur Seite sank und sie tief und fest schlief.

Anna und Otto starrten noch immer auf die rote Lampe am Eingang zum Irrgarten. Ihnen schmerzten schon die Augen.

Grün! Endlich war es so weit, Lotte hatte es geschafft. Anna atmete einmal tief durch, bevor sie das Abenteuer wagte und eintrat. Ein unheimliches Gefühl beschlich das Mädchen, als es allein, nur mit einer Leuchtkugel, durch den finsteren Irrgarten ging. Immer wieder lief sie viele Gänge doppelt, bis sie schließlich zur Kreuzung mit den bunten Stäben kam.

Merkwürdig, dachte sie, drei Gänge haben eine Markierung, was hat das bloß zu bedeuten? Nur einer hat keine. Ob Lotte die Kennzeichnung hinterlassen hat? Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm sie die Abzweigung ohne Markierung. Auch sie kam zur Schranke mit dem ‘Frosch‘ als Wache, der jetzt ein wandelndes Buch darstellte. Ihr Blick viel staunend auf das Cover. Dann lachte sie schallend und zeigte mit ihrem rechten Zeigefinger auf den alten Buchmann. Sein Kopf lief rot an.

»Was gibt es da zu lachen?«, schrie er zornig. »Das habe ich nur deiner Schwester zu verdanken, da war ich als Frosch besser dran.« Anna versuchte sich, so gut es ging, zu beruhigen. Er sah aber auch zu komisch aus, seinen Bauch zierten zwei Mäuse und ein Würfel vor einer Landschaft mit einem fliegenden Drachen im Hintergrund. Irgendwann hatte Anna sich wieder im Griff und fragte: »Was soll das hier mit der Schranke? Mach sie auf und lass mich durch.«

Der Buchmann schüttelte energisch den Kopf.

»Erst sorgst du dafür, dass ich wieder eine einigermaßen vernünftigere Gestalt bekomme. Erst dann darfst du passieren. Aber pass besser auf deine Gedanken auf als deine Geschwister.«

»Na gut, du willst es so, dann will ich dir den Gefallen mal tun.« Anna zog ihre Nase kraus und überlegte angestrengt. Plötzlich hatte sie ein diabolisches Grinsen im Gesicht. Der Buch-Gnom verwandelte sich in kürzester Zeit in eine Primaballerina. Sein Körper, versehen mit einer Wespentaille, war eingehüllt in einen rosafarbenen, enganliegenden Body, und um die Hüften erschien das dazu passende Tutu. Nur sein Kopf blieb so wie vorher, alt und runzelig. Kaum geschehen, fing das Mädchen schon wieder an zu lachen. Der kleine Mann mit dem Körper einer Tänzerin öffnete eilig die Schranke. Wieder schimpfte er wie ein Rohrspatz: »Das werdet ihr mir alle büßen, das schwöre ich. Das hast du nicht umsonst getan, du schreckliches Ding du.«

Das Geheimnis der Bodenklappe

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