Читать книгу Das Geheimnis der Bodenklappe - Helga Sadowski - Страница 7
Wo sind wir hier?
ОглавлениеAnna fühlte, wie sie ins Rutschen kam und unsanft auf erdigem Boden landete. Angestrengt starrten sie in die Dunkelheit und rief: »Lotte, bist du hier?«
»Hier bin ich, Anna!«, die Stimme ihrer Schwester klang zittrig und nahe. »Es ist so schrecklich dunkel hier. Wo bist du? Ich kann Leuchtie nicht finden, er ist irgendwo hingefallen.« Anna suchte tastend auf dem Boden um sich herum nach dem Teddy. Endlich bekam sie ihn zu fassen und drückte ihm auf seinen dicken Bauch. Das Herz, welches er an einem Band um seinen Hals trug, begann ein sanftes Licht zu verbreiten. Was für ein Glück, dass Lotte früher immer Angst im Dunkeln gehabt hat, dachte Anna. Zum ersten Mal war sie froh, dass ihre Schwester den Teddy stets bei sich trug.
In dieser unbekannten Umgebung spendete er Anna immerhin so viel Licht, dass sie ihre Schwester Lotte sehen konnte. Die hockte nicht weit von ihr entfernt auf dem Boden mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Ihr Gesicht sah verweint aus. Eilig sprang sie auf, fiel ihrer großen Schwester um den Hals und küsste Leuchtie. Anna drückte Lotte den Teddy in die Arme. Sie selbst war immer die Mutigere der Schwestern, doch jetzt fühlte sie sich gar nicht wohl in ihrer Haut.
»Wo sind wir hier?«, flüsterte Lotte und schaute umher. »Und wie kommen wir hier wieder raus?«
Sie befreite sich energisch aus Annas Umarmung und leuchtete mit Teddys Herz die Umgebung ab. Es sah aus wie ein unterirdischer Gang. Dessen Boden, die Wände und die Decke bestanden offenbar aus gestampftem Lehm. Nur direkt über ihnen klaffte ein rechteckiges Loch in der Decke. Es roch feucht und modrig. Die Mädchen fröstelten trotz ihrer warmen Kleidung.
»Komm, Lotte, hier rumstehen bringt bestimmt nichts, lass uns weitergehen«, meinte Anna. »Irgendwo muss Klaus ja sein. Er ist schuld, dass wir in diesen Schlamassel geraten sind. Wir haben ihm gesagt, dass er nicht in die Scheune gehen soll! Also können wir nichts dafür, oder?« Sie fasste ihre Schwester bei der Hand und zog sie energisch hinter sich her. Schritt für Schritt tappten sie in dem spärlichen Licht voran.
Der Gang endete nach wenigen Metern vor einer Wendeltreppe, welche sich hinauf ins Dunkle über ihnen schlängelte. Sie überlegten nicht lange und betraten die ausgetretene Stiege nach oben. Jede Stufe knarzte ein wenig anders unter ihren Füßen. Eine gefühlte Ewigkeit erklommen sie Stufe um Stufe.
»Ob diese Treppe jemals ein Ende hat?«, flüsterte Lotte. »Mir ist schon ganz schwindelig.«
»Was weiß denn ich!«, maulte Anna und zog sie weiter. »Komm und sei endlich still!« Schließlich hatten sie es geschafft. Die Treppe endete vor einer dicken hölzernen Tür. Anna drängte Lotte zur Seite und drückte mit aller Kraft gegen das moderig riechende Holz.
»Wie wäre es«, schimpfte sie, »wenn du mir mal helfen würdest!« Die Angesprochene stemmte sich ebenfalls gegen die Tür. Doch diese gab nicht einen Zentimeter nach.
Es half nichts, sie gaben nach einer Weile erschöpft auf. Anna setzte sich enttäuscht auf die obere Stufe der Wendeltreppe. Lotte legte den Kopf zur Seite und überlegte laut: »Wenn wir die Tür nicht aufbekommen, wieso ist Klaus dann nicht hier? Wo er hindurch konnte, müssten wir es doch auch fertigbringen.«
Anna antwortete mürrisch: »Wer weiß, wo der hin ist. Im Gang ist er bestimmt in eine andere Richtung gelaufen.«
»Unsinn«, erklärte Lotte. »Ich habe geschaut, hinter uns befand sich nur eine Wand und sonst nichts.« Sie trat näher an die Tür heran und schaute sich mit Leuchties Hilfe alles genauer an. Plötzlich breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie streckte die Hand aus und zog kräftig an einem Seil, welches links an der Wand herunterhing. Wie von Geisterhand glitt die Tür mit einem leisen Schaben zur Seite.
»Anna, schau!«, rief Lotte begeistert. »Eine Schiebetür, komm!« Sie trat hindurch und mit einem lauten Rumps schob sich die Tür hinter ihr zu, bevor ihre Schwester folgen konnte. Sogleich hörte sie Anna gegen die Tür hämmern und verzweifelt schreien: »Lotte, lass mich nicht zurück, bitte, bitte sag mir, wie hast du die Tür aufbekommen? Es ist doch ohne Leuchtie stockdunkel hier.«
»Du musst nach links tasten«, rief sie ihrer Schwester durch die geschlossene Tür entgegen, »da hängt ein Strick an der Wand, an dem musst du ziehen, dann geht sie auf.« Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bevor die Tür erneut zur Seite glitt und Anna hindurch schlüpfte. Wieder schloss sie sich mit einem lauten Knall. Anna sprach kein Wort, sie hatte nur einen verächtlichen Blick für ihre Schwester übrig. Es ärgerte sie schrecklich, dass Lotte scheinbar schlauer war als sie selbst. Die beiden Schwestern betraten einen Flur und sahen suchend umher.
»Wo sind wir hier?«, fragte Lotte schon wieder. Anna schaute sie missmutig an und keifte los: »Was weiß denn ich, wenn du das noch einmal fragst, scheuer ich dir eine, halt endlich deinen Schnabel, du dumme Gans.« Lotte zuckte zusammen, zog ihren Kopf zwischen die Schultern und drückte Leuchtie fester an sich.
Anna lief weiter, ohne auf ihre Schwester zu achten. Diese folgte ihr mit bangem Herzen.
Nach etlichen Metern betraten sie einen kleinen schummrigen Saal, an dessen Wänden Leuchter mit brennenden Kerzen für ein warmes Licht sorgten. Es war ein fensterloser Raum mit hoher, stuckverzierter Decke. Gegenüber erkannten sie eine zweite Tür. Von den Wänden her starrten düstere Masken mit seltsamen Fratzen die Mädchen an.
Eine Stimme erscholl hallend durch den Raum: »Meine Damen!« Erschrocken fuhren die Mädchen zusammen. Sie schauten aufgeregt nach dem Redner aus, entdeckten aber niemanden. »Meine Damen, wer seid ihr, wo kommt ihr her, was wollt ihr hier, wo wollt ihr hin und wie viele kommen noch?« Anna und Lotte rückten näher zusammen, fassten sich bei den Händen und schauten sich fragend an. Wieder erklang die Stimme aus dem Nichts, nur strenger: »Ich erwarte genaue Auskunft, antwortet mir, und zwar augenblicklich!« Anna nahm ihren ganzen Mut zusammen.
»Wir sind … also … das ist meine Schwester Lotte und ich heiße Anna. Wir suchen Klaus, unseren Bruder, er muss hier irgendwo sein. Haben Sie ihn vielleicht gesehen?«
»Meinst du einen kleinen blonden Jungen?«, fragte die Stimme lauernd. »So einen kleinen Satansbraten?«
»Ja!«, riefen beide Mädchen aufgeregt.
Anna erklärte aufgebracht: »Genau, das ist unser Bruder, der ist schlimmer als ein Satansbraten. Wenn Mama nicht so sehr an ihm hängen würde, wären wir bestimmt nicht hier, um ihn zu suchen, das können Sie ruhig glauben.« Sie gab ein schnaubendes Geräusch von sich. »Wo ist er?«
Lotte stieß ihrer Schwester den Ellenbogen in die Seite und schimpfte: »Schäm dich, so etwas sagt man nicht. Ich würde ihn immer suchen, egal was er anstellt. Ich mag ihn auch, nicht nur die Mama!« Anna setzte erneut an, etwas Hässliches zu sagen, als aus einer Ecke des Raumes eine seltsame Gestalt ins Licht des hinteren Leuchters trat. Ein Frosch, gekleidet wie ein Diener, kam auf die Schwestern zu. Seine nackten Füße erzeugten dabei ein platschendes Geräusch. Er war etwas größer als ihr Bruder und trug eine Brille mit runden Gläsern.
»Du siehst aus wie der Frosch aus Klaus’ Lieblingsbuch!«, entfuhr es Lotte, die sich immer noch nicht beruhigt hatte.
Der Frosch knurrte: »Ich weiß, gefällt mir auch nicht. Ich hätte gerne eine andere Gestalt. Das hier«, er deutete auf sich, »verdanke ich eurem Bruder. Er muss an diesen Frosch gedacht haben, als er hier hereinkam und ich ihn ansprach.« Lotte konnte sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen.
»Das verstehe ich nicht. Du, Anna?« Die schüttelte nur den Kopf und meinte kratzbürstig: »Freut mich, dass du auch mal was nicht kapierst!«
Erneut knurrte das komische Wesen ungehalten.
»Ich hatte ja gehofft«, schimpfte er los, »dass ihr mir ein besseres Aussehen bringt, aber nein. Wer weiß, wie lange ich nun so rumlaufen muss?« Er fuchtelte wild mit seinen dürren Froscharmen in der Luft herum, dann ließ er sie sinken und sagte niedergeschlagen mit hängenden Schultern: »Es ist so erniedrigend.«
Anna unterbrach sein Gejammer und fragte: »Was können wir dafür, dass du ein Frosch bist, und wie könnten wir das ändern? Wie möchtest du denn aussehen?« Er schaute jetzt über seinen Brillenrand und fauchte ungehalten: »Ich bin kein Frosch und habe gar keine Lust, euch das zu erklären. Findet es selbst heraus und nun macht, dass ihr weiterkommt.«
Die Mädchen setzten sich in Bewegung und die nächste Tür öffnete sich von allein, als sie ihr näherkamen. Lotte hielt immer noch Annas Hand fest und gemeinsam traten sie ins – Nichts. Hinter der Tür fielen sie fast senkrecht nach unten. Sie schrien um ihr Leben. Eng aneinandergepresst sausten die Mädchen – durch eine Röhre, die nach etlichen abwärtsführenden Kurven kurz anstieg, gerade wurde und die Schwestern in einen riesigen Bottich mit kaltem Wasser spuckte.
Prustend reckten sie ihre Köpfe hoch und versuchten, so schnell wie möglich herauszukommen. Doch sie glitten ein paar Mal aus, bevor ihre Füße festen Halt fanden. Zitternd kletterten sie über den mit Moos bewachsenen Bottich-Rand aufs Trockene, standen da und wussten nicht weiter. Leuchties Herz schien unbeschadet, er spendete nach wie vor Licht, obwohl er ebenfalls patschnass geworden war.
Frierend schauten die Mädchen sich um. Hinten in diesem hässlichen Raum entdeckten sie einen alten, offenen Kamin. Lotte lief direkt dorthin und versuchte, das Holz darin anzuzünden. Dicke Streichhölzer lagen bereit, aber keine Fläche, um sie daran zu reiben. Vergeblich blickte sie sich suchend danach um.
Anna kam hinzu und nahm ebenfalls ein Streichholz. Sie rieb dessen Kopf an der Wand entlang und siehe da, es entzündete sich mit einem kurzen Zischen. Im Nu brannte ein Feuer und spendete etwas Wärme. Die züngelnden Flammen sorgten für ein wenig flackerndes Licht.
Zähne klappernd zogen die Mädchen ihre nassen Sachen aus und hängten sie, in der Nähe des Feuers, an einer dort gespannten Leine zum Trocknen auf. Leuchtie wurde, so gut es ging, ausgewrungen und ebenfalls nahe an das wärmende Feuer gelegt. Anna fand ein paar alte, staubige Decken in einer Ecke, was Lotte nicht sonderlich begeisterte.
»Schau doch mal wie dreckig die sind«, murrte die Jüngere. »Eklig!« Sie schüttelte sich. »Da soll ich mich drin einwickeln. Das will ich nicht!«
Annas Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und zischte: »Sofort wickelst du dich in eine dieser Decken. Wenn ich das kann, dann du es ja wohl auch. Oder möchtest du lieber frierend hier rumstehen und krank werden?« Ohne weiter auf Lotte zu achten, schlang sie eine der Decken um ihren Körper und legte sich auf eine nahe am Feuer liegende, nicht unbedingt einladend aussehende Matratze. Was blieb der kleinen Schwester übrig? Widerwillig nahm sie die übrige Decke, wickelte sich darin ein und legte sich eng an Anna geschmiegt ebenfalls hin. Es dauerte nicht lange, bis man nur noch ihre gleichmäßigen Atemzüge und das leise Knistern des Feuers im Kamin hörte.
Nach dem Erwachen hatten sie jegliches Zeitgefühl verloren. Doch da ihre Kleider trocken auf der Leine hingen, mussten sie lange geschlafen haben. Das Feuer war nur noch ein Häufchen warme Asche.
Sie kleideten sich an und machten sich auf die Suche nach einem Ausgang. Der Teddy, noch etwas feucht, leuchtete ihnen den Weg durch einen weiteren unheimlichen, langen Gang, der vor einer Tür endete. Daneben hing wiederum eine Schnur, an der sie kräftig zogen. Geräuschlos glitt die Schiebetür zur Seite und gab den Blick auf einen sonnenbeschienenen prächtigen Park frei. Riesige Rhododendronbüsche versperrten ihnen die Sicht. Anna flüsterte ihrer Schwester zu: »Was ist das für eine Gegend hier?« Die Tür schloss sich sogleich lautlos hinter ihnen und wurde danach hörbar auf der anderen Seite verriegelt. Erschrocken schauten beide nach hinten. Ein Zurück gab es erst einmal nicht.
»Ich habe Angst«, flüsterte Lotte und griff nach Annas Hand. Zuerst wollte diese sie abschütteln, war aber insgeheim froh, hier nicht allein zu sein. »Ob Klaus auch nass geworden ist? Was meinst du, Anna?«
»Sicherlich nicht«, meinte sie, »denn dann hätten wir ihn bestimmt völlig durchnässt in dem komischen Raum vorgefunden, nicht wahr?« Mit diesen Worten versuchte Anna, sich selbst zu beruhigen. Kratzbürstig fuhr sie fort. »Na ja, und außerdem, er kann ja schwimmen. Dem ist bestimmt nichts passiert. Vielleicht gab es noch einen anderen Weg nach draußen. Nun komm! Wer weiß, wo wir Klaus finden und wie lange wir nach ihm suchen müssen.« Sie marschierten los, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Beide hingen ihren Gedanken nach. Allmählich stieg schreckliche Angst in ihnen hoch, nie wieder nach Hause zu finden.