Читать книгу Das Geheimnis der Bodenklappe - Helga Sadowski - Страница 8

Bei Familie Pfefferminz

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Riesengroß gewachsene Rhododendronbüsche in versperrten die Sicht auf alles, was dahinter sein mochte. Nur ein schmaler Kiesweg lockte Anna und Lotte, ihn zu benutzen.

Der Weg führte die Mädchen in Schlangenlinien durch die dicht bewachsene Gartenanlage. Von Zeit zu Zeit vernahmen sie merkwürdige Geräusche. Es knackte und raschelte von allen Seiten. Dann war es wieder still, nur der Kies knirschte leise unter jedem ihrer Schritte. Die Mädchen glaubten, ihren eigenen Herzschlag zu hören. Aus einem der Büsche kam plötzlich ein schrill schreiender, bunter Vogel hochgeflattert. Er kreiste dicht um ihre Köpfe und seine Stimme wurde immer gellender, sodass die Mädchen sich die Ohren zuhielten. Wie auf ein geheimes Zeichen hin rannten sie davon. Nur fort von diesem verrückt gewordenen Vogel. Bald ließ er von ihnen ab und verschwand genauso schnell, wie er gekommen war. Wieder wurde es still.

Irgendwo in der Nähe schien es ein Gewässer zu geben. Je weiter Anna und Lotte vordrangen, umso deutlicher hörten sie es plätschern. Sie kamen an einen Bach, über den weit und breit weder Brücke noch Steg führte. Kurzerhand zogen sie Schuhe und Strümpfe aus, krempelten ihre Hosenbeine hoch und wateten durch das nicht allzu tiefe Wasser. Die Strömung nahm an Fahrt auf. Die Schwestern hatten den Eindruck, als wolle der Bach sie daran hindern, das andere Ufer zu erreichen. Nur mit größter Mühe schafften sie es doch. Wieder angezogen, drehten sich beide noch einmal zum Bach um und streckten ihm die Zunge raus.

Wenig später traten sie auf eine Wiese hinaus. Am gegenüberliegenden Rand der grünen Fläche, direkt vor einem dichten Wald, entdeckten sie ein kleines Häuschen. Von irgendwo hörten sie Schläge, die klangen, als würde Metall auf Holz treffen. Ängstlich schauten sie einander an.

»Hörst du das? Was ist das?«, fragte Lotte. Anna zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung«, flüsterte sie. »Komm wir gehen zu dem Haus.«

»Bist du sicher?« Lotte drückte Annas Hand.

Vorsichtig traten die Schwestern näher heran. An der Haustür hatte jemand ein Schild befestigt, auf dem stand in großen Buchstaben:

Familie Knut Pfefferminz

Lotte wisperte: »Ob wir hier einfach mal anklopfen sollten?« Anna antwortete genauso leise: »Ich weiß nicht recht. Was, wenn hier böse Menschen wohnen?« Sie neigte ihren Kopf etwas zur Seite und überlegte angestrengt. »Obwohl, ich kann mir nicht vorstellen, dass Leute, die ›Pfefferminz‹ heißen, uns etwas antun.« Unschlüssig traten beide Mädchen von einem Bein auf das andere. Schließlich fasste Lotte sich ein Herz und klopfte vorsichtig an die Tür mit den bunten Scheiben. Sie mussten nicht lange warten. Schlurfende Schritte näherten sich und es wurde geöffnet.

Ein freundlich blickender Mann erschien im Türrahmen und schaute die Mädchen fragend an. Seine wuscheligen Haare waren grau und weiß meliert, die karierte Hose, sein blaues Hemd und eine grüne Strickweste sahen abgetragen aus. Sein Blick heftete sich sogleich auf Leuchtie. Er schüttelte kurz den Kopf und fragte freundlich: »Nanu, wer seid ihr denn? Was kann ich für euch tun?«

»Mein Name ist Anna und das ist meine Schwester Lotte. Wir suchen unseren kleinen Bruder Klaus.« Der Mann nickte verstehend.

»Also hier bei uns ist er nicht, das wüsste ich«, sagte er. »Gesehen habe ich auch niemanden, der nicht hierhergehört. Am besten kommt ihr herein. Ich bin übrigens Knut Pfefferminz. Wir werden mal meine Frau fragen.« Er trat zur Seite und ließ die beiden Besucherinnen eintreten.

»Luise!«, rief er zur Küche hinüber. »Schau mal, wir haben Besuch. Anna und Lotte sind gekommen, machst du uns bitte einen Tee?« In der Küchentür erschien eine kleine Frau mit einem rundlichen Gesicht. Das graue Haar zierten einige Lockenwickler und die geblümte Schürze wies Spuren von Mehlstaub auf. Ihre Hände wischte sie beiläufig an ihrer Schürze ab. Ihr verwunderter Blick verharrte dabei kurz auf Leuchtie.

»Oh, wie schön, wir haben so selten Besuch«, rief sie erfreut. »Nehmt schon mal Platz, ich komme gleich mit Tee und Keksen. Ihr mögt doch Kekse?«

Die Schwestern nickten eifrig und der Hausherr führte sie in das gemütliche Wohnzimmer. An den Wänden hingen Bilder, die offenbar die Verwandten der Gastgeber zeigten. Eine gewisse Ähnlichkeit konnte man nicht übersehen. In einer Ecke stand ein kunstvoll geschnitzter Schrank. Gegenüber prasselte ein Feuer in einem offenen Kamin und verbreitete wohlige Wärme. Eine Sofaecke mit einem Holztisch rundete das Bild uriger Gemütlichkeit ab. Lotte schaute sich die Bilder interessiert an und flüsterte Anna zu: »Komisch, die Frau Pfefferminz sieht fast so aus wie Tante Grete.« Anna zeigte ihr einen Vogel.

Die hier im Haus nur dumpf klingenden Schläge verstummten in diesem Moment.

Als alle saßen, den heißen Tee genossen und die köstlichen Aniskekse knabberten, schaute Luise Pfefferminz immer wieder verstohlen auf Leuchtie, den Teddy in Lottes Arm. Sie kratzte sich nachdenklich am Kopf. Ab und zu schüttelte sie ihn. Endlich fasste sie allen Mut zusammen und fragte: »Lotte, darf ich deinen Teddy einmal näher anschauen? Der sieht so – schön aus.« Das Mädchen überlegte kurz und reichte ihn über den Tisch.

»Bitte, gerne! Das Herz an seinem Hals leuchtet, wenn man ihm auf seinen Bauch drückt.«

Mit leicht zitternden Händen nahm Luise den Bären entgegen und schaute ihn genauer an. Niemand bemerkte, dass sie verstohlen eine Träne aus ihrem Augenwinkel wischte, und ihn mehrmals an sich drückte. Nach einer Weile fragte sie wie nebenbei: »Wo hast du ihn her, Lotte?«

»Den hat mir die Tante Grete geschenkt, weil ich im Dunkeln immer Angst hatte, als ich noch kleiner war.«

»Ihr habt eine Tante Grete, wie schön«, ihre Stimme zitterte leicht, als sie weitersprach. »Sie ist bestimmt schon sehr alt, habe ich recht?«

»Oh ja«, meinte Anna nicht ohne Stolz. »Sie ist schon einhundertacht Jahre alt. Aber das Beste: Sie ist noch fit wie ein Turnschuh. Letzte Woche ist sie mit uns auf einen Baum geklettert. Das fand die Mama aber nicht so gut!«

In diesem Augenblick rumpelte es draußen heftig. Plötzlich krachte es, und irgendetwas durchschlug ein Fenster im Haus. Knut sprang auf und rannte hinaus. Man hörte ihn deutlich schimpfen. »Otto!«, schrie er außer sich, »kannst du nicht aufpassen? Ich fasse es nicht. Du bist der einzige Holzfäller weit und breit, der nicht darauf achtet, wo seine Bäume hinfallen. Es kommt der Tag, da wirst du uns das ganze Haus zerstören!«

Luise gab Lotte ihren Bären zurück und trat, von den Mädchen begleitet, ebenfalls hinaus. Dort stand Knut Pfefferminz und vor ihm mit hängendem Kopf ein übergroßer Biber. Er trug eine orangene Sicherheitsweste und einen gelben Schutzhelm. Seine große Axt hatte er in den Baumstumpf geschlagen.

»Es tut mir leid«, murmelte er sichtlich verlegen.

Knut schaute sich den Baum näher an und sah eindeutige Bissspuren daran.

»Aha!«, rief er, »da haben wir es ja. Du hast nur zu Anfang mit der Axt gearbeitet, danach mit deinen Zähnen, gib es ruhig zu!« Der Biber lief unter seinem Fell rot an. »Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis der Baum fiel, nachdem keine Schläge deiner Axt mehr zu hören waren.«

Otto versuchte zu erklären: »Ich … ich wollte nur noch ein einziges Mal wie ein richtiger Biber, so mit den Zähnen, weißt du?« Es schien ihm sehr unangenehm zu sein. »Manchmal überkommt es mich, da kann ich nicht anders und die blöde Axt ist mir manchmal viel zu schwer.«

Luise Pfefferminz jammerte: »Du meine Güte, Otto, da hat man mal netten Besuch und dann so etwas. Man muss sich ja schämen. Wie das hier jetzt aussieht!«

»Besuch?«, fragte Otto und hob neugierig seinen Kopf. Die Ablenkung von seiner Missetat kam ihm offensichtlich ganz gelegen. »Was denn für Besuch? Wollt ihr uns bitte bekannt machen?« Er lüftete seinen Helm und vollführte artig einen Diener. »Mein Name ist Otto Baumschubs, und mit wem habe ich das Vergnügen?«

Den Mädchen stand der Mund offen. Sie wussten nicht, was sie davon halten sollten, einem sprechenden Biber gegenüberzustehen.

Anna fragte flüsternd ihre Schwester: »Hast du das gehört, nicht nur der Frosch konnte reden, der Biber spricht auch wie ein Mensch und schau nur, wie groß der ist. Wusstest du, dass Biber so riesig werden? Das gibt es doch gar nicht. Ich glaube, das hier kann nur ein Traum sein. Was meinst du? Kneif mich mal.«

Lotte hielt nachdenklich den Kopf etwas schief, überlegte kurz und sagte zu Herrn Baumschubs: »Ich bin Lotte und das ist Anna, meine Schwester. Wir suchen unseren Bruder und können jede Hilfe gebrauchen. Wieso kannst du sprechen und wo sind wir hier eigentlich?«

»Ich konnte schon immer reden«, erklärte der Biber freundlich. »Das war noch nie anders. Wir sind hier im Wandelland. Ich würde euch gerne helfen, aber wie?« Er drehte verlegen den Helm mit seinen Händen, immer im Kreis herum. »Wir sollten den Alleswisser fragen. Der kann euch bestimmt helfen.«

»Den … was?«, fragte Lotte erstaunt. Knut unterbrach das Geplauder und bat alle wieder ins Haus zum Tee. Auf dem Weg hinein murrte Anna: »Was für ein Quatsch, niemand kann alles wissen!«

Frau Pfefferminz bemühte sich, die Sache mit dem Alleswisser zu erklären: »Der Herr Uhu ist ein weiser, uralter Mann. Er lebt schon sehr lange hinter dem Gedankental in einer großen Holzhütte. Er soll vor vielen Hundert Jahren in einer anderen Welt in einem Turm gewohnt haben. Das hat mir mein Vater erzählt, als ich noch ein Kind war.« Gebannt hörten die Mädchen ihr zu. »Warum er immer noch bei uns ist, weiß ich nicht. Vielleicht gefällt es ihm hier besser als woanders. Ich glaube auch, wenn einer euch helfen kann, dann er.« Lotte rutschte auf ihrem Platz hin und her.

»Oh, wenn er alles weiß, kann er uns bestimmt sagen, wo Klaus ist und wie wir wieder nach Hause zurückkommen.«

»Wer ist Klaus?«, fragte Otto Baumschubs interessiert.

»Unser Bruder und ein Doofmann!«, platzte Anna heraus. »Den muss ich immer und überall mit hinnehmen. Dabei ist der erst fünf Jahre und nur lästig!« Frau Pfefferminz zog missmutig eine Augenbraue hoch.

»Das ist aber gar nicht schön von dir, Kind«, tadelte sie. »So etwas sagt man nicht.« Anna wurde rot, senkte den Kopf und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Trotzig murmelte sie fast lautlos: »Ist doch wahr und ein Kind bin ich auch nicht mehr!« Frau Pfefferminz schüttelte ungehalten den Kopf und sah danach ihren Mann flehend an.

»Den Klaus müssen wir suchen, Schatz. Vielleicht ist er da draußen allein im Wandelland. Das ist sehr gefährlich für so einen kleinen Jungen.«

»Es versteht sich von selbst, dass wir suchen helfen, liebste Luise!« Knut Pfefferminz stand auf und legte seiner Frau liebevoll einen Arm um die Schultern. »Ich habe aber meine Zweifel, ob das überhaupt Sinn macht. Es heißt nicht umsonst Wandelland.« Er schaute auffordernd den Biber an. »Was ist mit dir, Otto, kommst du mit? Bist du dabei?«

Der nickte nur, denn er hatte einen großen Keks in seinen Mund gestopft und kaute genussvoll. Nachdem er alles hinuntergeschluckt hatte, meinte er nur: »Ist gut, ich begleite die Mädchen zum Alleswisser. Jemand sollte meiner Familie Bescheid sagen, dass ich länger nicht nach Hause komme.« Er pulte sich einen Krümel aus den Schneidezähnen. »Ich muss nur rasch meinen Rucksack holen, da ist noch was zum Essen drin!«

»Was ist so besonders an eurem Wandelland?«, fragte Lotte dazwischen. »Warum ist das hier gefährlich?« Ihre Frage löste betretenes Schweigen aus.

Otto räusperte sich schließlich und versuchte zu erklären: »Die Sache ist die«, er kratzte sich verlegen am Kinn, »also, passt gut auf. Wenn wir heute über eine Wiese gehen oder durch einen Garten, dann kann es sein, dass wir beim nächsten Mal an der gleichen Stelle, einen Wald oder einen See queren müssen. Nichts ist verlässlich und vieles nicht real.« Die Mädchen, schauten ihn ungläubig staunend an.

»Was meinst du damit?«, fragte Lotte.

»Das werdet ihr schneller herausfinden, als euch lieb ist, kommt jetzt, wir müssen los.« Er schnappte sich noch zwei Kekse und machte sich mit Anna und Lotte auf den Weg zum Alleswisser, nachdem er an seiner Arbeitsstelle den dort deponierten Tornister abgeholt hatte. Man würde sich später wieder hier im Hause der Familie Pfefferminz einfinden. Knut und Luise wollten inzwischen in der näheren Umgebung nach Klaus suchen.

Anna, Lotte und Otto kamen in einem nahegelegenen kleinen Dorf auf den Marktplatz. Dort hatten Händler ihre Stände aufgebaut und boten allerlei Sachen zum Verkauf an, Taschen, Kleider, Töpfe, Stoffe und vieles mehr. Viele Geräusche türmten sich auf, hier klapperte ein Händler mit seinen Töpfen und Pfannen, dort bot ein Mann lautstark die neueste Erfindung zum Reinigen der Fensterscheiben an. Einige Marktweiber standen zusammen und diskutierten lautstark über die Preise ihrer Waren. Zwei Händler stritten sich über die Begrenzung ihrer Stände. Sie schienen der Auffassung, einer habe dem anderen an Fläche gestohlen. Der Lärm vom geschäftigen Treiben übertönte fast Lottes Frage. »Du, Otto, hier gibt es viel zu kaufen, aber, habt ihr keine frischen Sachen? Ich sehe nirgendwo Obst und Gemüse.«

»Wir haben einen botanischen Garten«, erklärte er freundlich, »in dem sich jeder bedienen darf. Dort kommen wir vielleicht gleich vorbei, wollt ihr ihn mal anschauen, wenn er gerade da ist? Er könnte in der Nähe sein, bestimmt sogar, dahinten kommt Werner Langohr mit einem Korb voller frischer Möhren.« Er zeigte quer über den Platz auf einen großgewachsenen Hasenmann, gekleidet mit einer karierten Kniebundhose und einer grünen Weste, an der eine stattliche Uhrkette zu sehen war.

»Gerne schauen wir uns den Garten mal an, nicht wahr, Lotte?«

»Nein!«, rief die empört. »Das kommt nicht infrage. Wir müssen zum Alleswisser. Mama und Tante Grete machen sich bestimmt schon große Sorgen.«

Anna antwortete schnippisch: »Ich will den Botanischen Garten sehen, lange müssen wir ja nicht bleiben, nur ganz kurz, komm schon!« Sie schaute ihre Schwester herausfordernd an. Lotte wusste, wenn Anna sich etwas in den Kopf setzte, würde sie niemand so leicht davon abhalten.

»Na gut«, gab sie nach, »aber nur kurz.«

»Ja, ja!«, murmelte Anna genervt.

Lotte schwieg. Ihr war die Sache nicht geheuer. Otto Baumschubs führte die beiden durch das Gewimmel der Käufer zwischen den Marktständen.

Am Ende des Dorfes erstreckte sich eine schön anzusehende Gartenanlage. Mitten darin sah man überall viele fleißige Zwerge das Unkraut zupfen und die Pflanzen begießen. Rund um die Beete wuchsen herrliche, große Obstbäume. Alles sah ordentlich und sauber aus. Die Äpfel leuchteten verlockend in der Sonne. Beete, übersät mit Kräutern, Salatköpfen, Kohl und Beeren von jeder Sorte. Hier wuchs alles, was man zum Essen benötigte.

»Ob wir wohl einen Apfel haben könnten?«, fragte Lotte hoffnungsvoll. Die in der Sonne leuchtenden Früchte weckten ihren Appetit. Otto kletterte geschwind an einem Obstbaum hinauf, pflückte für jeden einen Apfel. Es wurde Zeit, weiterzugehen. Sie hatten gerade ihre Früchte gegessen, als sie einen Irrgarten erreichten. Eine unheimlich hohe und dichte Hecke schien hier bis in den Himmel hinaufgewachsen zu sein. Neben dem Eingang hing ein großes Schild.

Einzeln eintreten. Tor schließt automatisch!

Das Geheimnis der Bodenklappe

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