Читать книгу African Boogie - Helmut Barz - Страница 11
Blues on the Dark Side
ОглавлениеIn der Ferne blinkten die Lichter eines Flugzeugs. Andreas Amendt stand auf der Terrasse seiner Dachwohnung und schaute den Lichtern nach. Dann verschwanden sie in der Wolkendecke, und er richtete seinen Blick wieder nach unten in den dunklen Innenhof seines Hauses.
Er könnte einfach springen.
Nein, das war eine blöde Idee: Die Äste der Bäume würden seinen Sturz abfangen; er würde sich lediglich ein oder zwei gebrochene Gliedmaßen und einen Aufenthalt in der Psychiatrie einhandeln.
Er atmete tief ein, doch die feuchtkalte, schmutzige Winterluft schien keinen Sauerstoff zu enthalten. Alles in allem war es ein wirklich beschissener Tag gewesen.
***
Vor einer Stunde hatte es erneut geklingelt. Er wollte es wieder ignorieren. Doch kurz darauf schlug jemand mit Macht gegen seine Wohnungstür: »Amendt! Ich weiß, dass Sie da sind! Machen Sie auf oder ich trete die Tür ein!« Antonio Kurtz. Natürlich.
Andreas Amendt öffnete zögernd. Kurtz stieß die Tür ganz auf, packte ihn am Kragen und schleifte ihn ins Wohnzimmer. Grelles Licht flammte auf und vertrieb die Dunkelheit. Amendt kniff die Augen zusammen. Hinter Kurtz waren zwei stämmige, kahl geschorene Männer in die Wohnung getreten. Einer von ihnen hatte wohl den Lichtschalter betätigt.
»Sie haben es mir versprochen, verdammt!« Kurtz zog Andreas Amendt wieder am Kragen hoch.
»Aua. Sie … Sie tun mir weh!«
»Weh? Ich tue Ihnen weh?« Kurtz ließ ihn auf das Sofa fallen. »Sollen Ihnen meine beiden Experten hier mal zeigen, was wehtun wirklich bedeutet? Und seien Sie lieber froh, dass ich hier bin und nicht Katharina. – Ganz ehrlich, ich hätte kein Problem damit, wenn sie Ihnen eine Kugel in den Kopf jagt.«
Andreas Amendt ließ den Kopf in die Hände sinken. Auch er hätte kein Problem damit. Aber das würde er Kurtz sicher nicht sagen.
Kurtz packte ihn unter dem Kinn. »Sie hatten es mir versprochen. Sie wollten es ihr unbedingt selbst sagen.«
»Es ist … nicht so einfach.«
»Einfach? Nichts im Leben ist einfach. Auf jeden Fall: Jetzt weiß sie es.«
Amendts Magen stürzte in bodenlose Tiefen. »Haben Sie es ihr gesagt?«
»Nein! Ich halte mich an meine Versprechen. Aber haben Sie im Ernst geglaubt, sie würde es nicht von selbst herausfinden?«
Klar. Natürlich hatte sie es herausgefunden.
Verdammt, warum hatte er es ihr nicht einfach gesagt?
Dreimal hatte er einen Anlauf unternommen. Dreimal war etwas dazwischengekommen. Dreimal war er dankbar gewesen für die Galgenfrist.
»Und jetzt?«, fragte Andreas Amendt endlich.
»Nichts ›und jetzt‹. Katharina ist fort. Untergetaucht. De Vega hat einen Profi-Killer auf sie angesetzt.«
Amendt schämte sich, dass er innerlich aufatmete. Erneut war seine Galgenfrist verlängert worden.
»Aber sie wird wiederkommen«, fuhr Kurtz fort. »Und dann werden Sie ihr jede Frage beantworten, die sie stellt.«
»Und was, wenn ich das nicht kann?«
»Oh, Sie können. Dafür garantiere ich. Und was Katharina nicht aus Ihnen herauskriegt …« Kurtz blickte vielsagend auf seine beiden Schläger. Dann beugte er sich ganz dicht vor Amendts Gesicht. »Haben wir uns verstanden?«
»Ja, voll und ganz.«
»Na also. Und enttäuschen Sie mich nicht wieder.«
Mit einem lauten Knall fiel die Wohnungstür hinter Kurtz und seiner Leibgarde ins Schloss.
***
Amendts Hände schmerzten vor Kälte. Er hatte natürlich keine Jacke angezogen. Fast eine Stunde hatte er nach Kurtz’ Besuch auf der Dachterrasse gestanden. Antworten hatte er noch immer nicht. Weder für Katharina Klein noch für sich selbst.
Endlich hielt er die Kälte nicht mehr aus. Die rasenden Gedanken. Den Sog des Abgrunds. Er ging in sein Wohnzimmer und schloss die Terrassentür sorgfältig.
Sein Blick blieb auf dem Telefon haften, das in der Ladestation auf dem Schreibtisch stand. Er nahm es und setzte sich wieder auf sein Sofa. Langsam drehte er das Gerät in den Händen. Wen sollte er anrufen?
***
Die Nummer, die er schließlich wählte, war lang. Mehr als zehn Stellen. Er lauschte im Hörer auf die Stille, in der sein Anruf durchgeschaltet wurde. Es läutete am anderen Ende. Fünf, sechs, sieben Mal. Endlich meldete sich eine dunkle, kräftige Frauenstimme: »Herbst Medical Office?«
»Hi Sandra, ich bin es.«
»Andreas!« Die Stimme klang ehrlich erfreut.
»Hab’ ich dich geweckt?«
»Nö. Bin eben erst von einem Notfall zurückgekommen.« Er hatte mit Sandra Herbst zusammen studiert. Auch noch in der Facharztausbildung – zum Neurologen, Amendts erster Disziplin – waren sie unzertrennliche Freunde gewesen. Doch irgendwann war Sandra vor dem trüben deutschen Winter ins Ausland geflohen und nicht mehr zurückgekehrt.
»Wir haben ja schon ewig nicht mehr miteinander gesprochen. Wie geht’s dir? Du klingst nicht gut«, fragte sie.
»Na ja, wie man es nimmt. Ich bin gerade suspendiert. Lange Geschichte. Aber ich habe schon eine neue Stelle.«
»Das ist doch klasse! Glückwunsch!«
»Und ich habe mich verliebt.« Es klang seltsam, so laut ausgesprochen.
»Noch besser! Wurde ja auch mal Zeit!«
»In Susannes Schwester.«
Ein erschrockenes »Was?«. Dann Schweigen. Endlich fuhr Sandra Herbst fort: »Großer Gott. – Und jetzt?«
»Nichts ›und jetzt‹. Ab Februar soll ich auch noch mit ihr zusammenarbeiten. Die neue Stelle.«
»Hm.« Sandra Herbst dachte nach. »Ab Februar, sagst du? Und du bist gerade suspendiert?«
»Ja.«
»Dann pack deine Siebensachen und komm her!«
***