Читать книгу African Boogie - Helmut Barz - Страница 8
Hell on Earth Frankfurt am Main, 5. Dezember 2007
Оглавление»Andreas Amendt ist … war der Verlobte Ihrer Schwester. Und für den Mord an Ihrer Familie war er … ist er … mein Hauptverdächtiger.«
Das hatte ihr Chef doch gerade nicht wirklich gesagt, oder? Das konnte doch einfach nicht sein. Wenn nicht …
Wenn nicht alles so perfekt zusammenpassen würde.
Das Blut rauschte in Katharinas Ohren. Sie klammerte sich an Polanskis Schreibtisch fest. Etwas berührte ihre Kniekehlen. Ein Stuhl. Ihre Beinmuskeln gaben nach. Sie sackte zusammen und ließ den Kopf in die Hände sinken. »Oh, Scheiße.«
Sie hatte Andreas Amendt … Sie hatte ihn geküsst! Das konnte auch nur ihr passieren: sich ausgerechnet in den Mörder ihrer Familie zu verlieben.
»Katharina?«
Warum hatte ihr niemand etwas gesagt? Andreas Amendt nicht. Polanski nicht. Thomas nicht. Ihr Partner. Ihr toter Partner.
»Frau Klein!«
Es war ausgerechnet Thomas’ Tod gewesen, der sie zu Dr. Andreas Amendt geführt hatte. Sie und Thomas waren in eine Schießerei geraten. Sie hatte überlebt, ihr bester Freund hatte weniger Glück gehabt. Sie hatte seine Leiche identifizieren müssen und war prompt in den Rechtsmediziner hineingelaufen. Zufällig. Nicht mal direkt in der Rechtsmedizin. Irgendwo auf dem Gelände der Uni-Klinik.
Plötzlich hatte sie sich mitten in den Ermittlungen zu zwei Mordfällen wiedergefunden. Dr. Amendt war nicht von ihrer Seite gewichen. Wiedergutmachung? Oder wollte er nur herausfinden, was sie wusste? Rechtzeitig zur Stelle sein, wenn sie von seiner Tat Wind bekam? Um sie gleichfalls –?
»Kriminaldirektorin Katharina Klein!«
Polanskis Stimme riss sie aus dem Strudel ihrer Gedanken. Richtig! Das war sie: Katharina Yong Klein. Tochter einer koreanischen Mutter und eines deutschen Vaters. Kriminalpolizistin. Kriminaldirektorin! Sie war ja befördert worden. Weggelobt.
Katharina wurde endlich wieder bewusst, wo sie war: im Büro von Kriminaldirektor Polanski. Ihr Chef lehnte an der Kante seines Schreibtischs und hielt ihr einen Cognac-Schwenker hin.
»Trinken Sie das!«
Sie gehorchte und stürzte den Weinbrand hinunter. Verschluckte sich. Hustete.
»Wohltuende Wärme im Abgang!« Der Erfinder dieser Phrase musste Feuerschlucker im Zirkus gewesen sein.
»Katharina? Alles in Ordnung?«
Diese Frage brachte das Fass endgültig zum Überlaufen.
»Alles in Ordnung?«, stieß Katharina unter hysterischem Lachen hervor. »Mein Partner ist tot. Ich habe zehn Tage mit dem Mörder meiner Familie zusammengearbeitet, ohne dass irgendjemand den Anstand hatte, mir zu sagen, wer er ist. Und ich bin frisch ernannte Chefin einer Kamikazeeinheit.«
»Hören Sie, es tut mir leid. Aber mir waren die Hände gebunden. Sie wissen doch, Sie als Angehörige … Und ich dachte … Sie hätten etwas gefunden, was ihn entlastet. Nachdem Sie die Akte jetzt kennen … Aber die haben Sie noch gar nicht gelesen, oder?«
Richtig. Die Akte zur Ermordung ihrer Familie. Die sie nicht haben durfte. Die sie aber doch von ihrem toten Partner geerbt hatte, dem sie unter mysteriösen Umständen zugespielt worden war. Die in ihrem Safe in ihrem Wohnzimmer lag. Ungelesen.
»Ich war beschäftigt.«
»Es tut mir wirklich leid. – Aber …«, Polanski hielt inne, »Sie haben jetzt wichtigere Probleme. Sie wissen doch …«
Sie wusste … was?
Katharina wusste, dass sie auf dem Weg nach draußen gewesen war. Weg aus dem Polizeipräsidium. Doch sie war noch einmal umgekehrt, um Polanski zu fragen, woher er eigentlich Andreas Amendt kannte.
Und davor?
Sie hatte hier in diesem Büro gesessen. Zusammen mit Polanski und dem seltsamen Mann, der permanent Eukalyptuspastillen lutschte.
Worüber hatten sie noch mal gesprochen? Verdammt, das musste doch erst …
Wie lange war das jetzt her? Zehn Minuten? Eine Viertelstunde?
Ein Wort tauchte in ihrem Bewusstsein auf. »Ministro.« Spanisch für Minister. Oder für Pfarrer. Sie erinnerte sich, dass sie das komisch gefunden hatte. Warum?
»Katharina, Sie müssen sich jetzt wirklich zusammenreißen. Ihr Leben hängt davon ab«, drängte sich Polanski in ihre Gedanken. »Sie müssen untertauchen!«
Untertauchen! Richtig! Das war es!
Sie hatte Miguel de Vega erschossen. Den Sohn von Felipe de Vega. Dem südamerikanischen Drogenboss. Er hatte Rache geschworen und ihr einen der besten Killer der Welt auf den Hals gehetzt. Codename Ministro.
Wie war das noch genau gewesen?
Der Innenminister hatte sie zur Kriminaldirektorin befördert.
Sie hatten Champagner getrunken.
Katharina hatte Andreas Amendt geküsst. Von einem Moment auf den anderen hatte er die Umarmung gelöst und war weggerannt.
Sie hatte folgen wollen. Doch ihre Kräfte hatten versagt.
Und dann hatte sie eine Durchsage in das Büro von Polanski beordert.
Dort hatte sie falsche Papiere erhalten. Etwas Geld. Und die strikte Anweisung unterzutauchen, bis dieser Mann mit den Eukalyptuspastillen die Situation geklärt hatte.
Katharina stand auf, auch wenn sich ihre Beine noch immer wacklig anfühlten.
Sie schmeckte Metall. Als hätte sie an einer Batterie geleckt: Adrenalin, die Wunderdroge des menschlichen Körpers.
Sie atmete einmal tief durch und zwang sich zu einem Pokerface: »Okay, ich gehe dann mal untertauchen, Chef!«
Polanski lächelte tatsächlich. »Nicht mehr Chef, Katharina. Sie haben jetzt den gleichen Rang wie ich.«
»Einmal Chef. Immer Chef.« Sie wollte sich umdrehen, doch Polanski tat in diesem Moment etwas für ihn vollkommen Ungewöhnliches: Er umarmte sie so fest, dass es fast wehtat. »Passen Sie auf sich auf, Katharina. Keine Abenteuer. Und keine Aktionen auf eigene Faust. Versprochen?«
»Versprochen!«
Katharina hob ihr Gepäck auf – die Tasche mit den Habseligkeiten aus ihrem alten Büro und den Kosmetikkoffer, den sie vom Mann mit den Eukalyptuspastillen erhalten hatte – und öffnete die Tür des Büros.
Jetzt war sie auf sich allein gestellt. Aber alleine war sie sicherer als bewacht von den notorisch informationsdurchlässigen Sicherheitsbehörden. Unter deren Schutz waren Killer bereits dreimal gefährlich nahe an sie herangekommen. Also dann lieber alleine. Für niemanden verantwortlich außer für sich selbst.
***
Zu früh gefreut. Vor Polanskis Bürotür erwarteten sie vier Beamte: Maschinenpistolen, Kevlarwesten, Helme, Gesichtsmasken. Auf ein unausgesprochenes Kommando hin bildeten die Männer ein Karree um sie. Polanski steckte noch einmal seinen Kopf aus der Tür: »Ach ja, so lange Sie noch in Frankfurt sind, hat das BKA seinen Personenschutz intensiviert.«
Auch das noch. Die Männer begleiteten sie im Gleichschritt zu den Aufzügen – so musste sich ein Delinquent auf dem Weg zum Erschießungskommando fühlen –, fuhren mit ihr ins Erdgeschoss, marschierten mit ihr durch die Gänge zum Ausgang des Präsidiums. Als sie versuchten, das Drehkreuz der Personenschleuse im Foyer des Präsidiums gleichfalls in Formation zu passieren, verhedderten sich die Männer. Der Personenschutz der Bundesrepublik Deutschland lag wirklich in guten Händen. Sie musste diese Ehrengarde so schnell wie möglich loswerden.
Direkt vor der Tür des Präsidiums stand ein gepanzerter Maybach: das Auto ihres Patenonkels Antonio Kurtz. Was würde Polanski jetzt sagen? »Es lohnt sich also doch, einen Patenonkel bei der Mafia zu haben.«
Die Beamten bildeten ein Spalier, während Katharina durch die offene Tür in den Fond des Wagens kletterte. Hoffentlich verzichteten sie auf den Ehrensalut. Endlich fiel die schwere Tür des Maybach hinter ihr ins Schloss.
Durch das Rückfenster sah sie, wie die SEK-Beamten in einen betont unauffälligen schwarzen SUV stiegen, der hinter dem Maybach geparkt war. Na wunderbar. Warum hissten sie nicht gleich eine Fahne mit einer Zielscheibe? Gepanzerte Fahrzeuge waren zwar sicher vor Kugeln. Aber vor Sprengstoff? Katharina hatte keine Lust auf eine Alfred-Herrhausen-Gedächtnisrallye. Schon gar nicht in der Frankfurter Innenstadt. Sie drehte sich wieder nach vorne um.
Hans und Lutz, ihre beiden treuen Leibwächter – ebenfalls eine Leihgabe ihres Patenonkels –, saßen auf den Vordersitzen. Hans, der kleinere der Beiden, hatte das Steuer übernommen. Gut. Hans war zwar nicht der Hellste und seine Aufmerksamkeitsspanne auch nicht die Längste, aber er war der beste Autofahrer, den sie kannte.
Lutz drehte sich zu ihr um. »Wohin?« Wortkarg und präzise wie stets.
Ja, wohin? Das war die richtige Frage. Sie brauchte Kleidung. Ausrüstung. Aber vor allem brauchte sie Informationen. »Zu Kurtz!«
»Okay!«
»Ach, und Hans?«
»Ja?« Der Kleinere schaute über seine Schulter zu ihr.
»Sieh zu, dass du dabei die fahrende Zielscheibe hinter uns loswirst.«
»Nichts lieber als das.«
Hans kuppelte ein und ließ den Wagen sanft anrollen.
»Festhalten!« Dann trat er das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der Wagen raste die Rampe vor dem Polizeipräsidium hinunter, pflügte drecksprühend über die kurze Rasenfläche, sprang auf den Bürgersteig, verfehlte ein paar Passanten nur knapp, fuhr quer über die Kreuzung, vermied dabei geschickt mehrere Kollisionen und tauchte ein in den Frankfurter Nachmittagsverkehr.
***
Der Maybach passte gerade eben durch die enge Einfahrt. Ein uneingeweihter Betrachter würde vermuten, dass sie zu einem kleinen Hof führte. Tatsächlich aber endete sie in einer überdachten Halle – ein entkerntes Wohnhaus, das Kurtz für seine Zwecke umgebaut hatte: zum Parkplatz und zum Lager für Dinge, die besser vertraulich blieben.
Hans ließ den Wagen ausrollen und stellte den Motor ab. Katharina entspannte sich. Sie waren im Zickzack durch die Stadt gefahren, um auch andere Verfolger abzuschütteln. Aber jetzt waren sie erst einmal in Sicherheit.
Aus der Lagerhalle führte eine große Stahltür in den hinteren Teil des »Puccini«, eines auf den ersten Blick unauffälligen italienischen Restaurants, seinem Namen angemessen gegenüber der Hochschule für Musik und darstellende Kunst gelegen. Ein Betrieb ihres Patenonkels. Gleichzeitig die Schaltzentrale seines Reichs. Und das Refugium, in dem der Pate von Frankfurt sich seinem liebsten Hobby hingab: Kochen.
***
Kurtz stand an einer Arbeitsplatte in seiner altmodischen Küche und schnitt Gemüse. Er sah auf, als sie hereinkamen, und legte das Messer weg. Dann kam er um den kleinen Tresen herum, um seine Patentochter zu umarmen.
»Katharina-Kind! Gott sei Dank! Wir müssen dringend reden! De Vega hat –!«
»Er hat einen weiteren Profi auf mich angesetzt. Einen Spitzenmann mit Codenamen Ministro.«
»Woher weißt du das?«
»Von Polanski. Und von einem seltsamen Typen, der ständig Eukalyptusbonbons lutscht.«
Kurtz wich das Blut aus dem Gesicht. »So ein unscheinbarer, grauer Typ, bei dem jede Phantomzeichnung ein weißes Blatt ergeben würde?«
»Genau. Kennst du ihn?«
»Halt dich fern von dem! Der Typ bedeutet Ärger. – Hat er dir irgendwas gegeben?«
»Falsche Papiere. Fünftausend Euro. Und diesen Koffer hier!« Katharina hob den kleinen, weinroten Kosmetikkoffer hoch.
»Zeig mir die Papiere!«
Katharina zog den Reisepass, den Personalausweis und den Führerschein hervor und gab sie Kurtz.
»Gute Arbeit«, musste er widerwillig anerkennen, nachdem er die Papiere durchgeblättert hatte.
Dann nahm er den Kosmetikkoffer, stellte ihn auf den knorrigen Eichentisch und öffnete ihn. Mit spitzen Fingern hob er die Gegenstände heraus, die darin lagen: den schweren, metallenen Föhn; den wuchtigen Epilierapparat; den gurkengroßen Vibrator.
»Die Dinger enthalten Geheimfächer für Teile meiner Waffe.« Katharinas Wangen glühten.
»Humor hat er ja«, knurrte Kurtz. »Schau an, Seine Unscheinbarkeit gibt vor, hilfsbereit zu sein.«
»Seine Unschein… – Wer ist der Typ?« Konnte ihr nicht einmal jemand geradeheraus die Wahrheit sagen?
»Der Typ ist – nun, er selbst würde sich vermutlich als Problemlöser bezeichnen.«
»Geheimdienst?«
»Wie man’s nimmt. Er macht die Arbeit, die Geheimdiensten zu schmutzig ist. Er und seine Leute. Er ist extrem gut vernetzt. Weltweit.«
»Und welches Interesse hat er an mir?«
»Wenn ich das wüsste.«
»Hat es was mit der Ermordung meiner Familie zu tun?«
Kurtz war von der Frage nicht sonderlich überrascht: »Ich weiß es nicht. Aber damals habe ich ihn zum ersten Mal gesehen. – Wieso? Hat er dir sonst noch irgendetwas gegeben?«
Katharina zögerte: »Nicht direkt. Er hat Thomas die Fall-Akte zugespielt. Jetzt hab’ ich sie.«
Kurtz zog verwundert eine Augenbraue hoch: »Hat er gesagt, warum?«
»Nur dass er an der Aufklärung des Falles interessiert ist.«
»Und sonst nichts?«
»Nein.«
»Gut. Hast du die Akte schon gelesen?«
»Nein. Bin ich noch nicht zu gekommen.«
»Hat er sonst noch was gesagt oder getan?«
»Er hat mich eindringlich gebeten unterzutauchen. Allein. Während er versucht, das Problem mit diesem Ministro zu lösen.«
Kurtz knetete seine Unterlippe: »Ich gebe es ja nur ungern zu, aber wenn einer dieses Problem lösen kann, dann er. – Ministro hat noch nie versagt.«
Das waren ja schöne Aussichten. »Was weißt du noch über diesen Ministro?«
»Der Typ ist ein Geist. Taucht auf, schlägt zu und verschwindet spurlos. Angeblich soll er Südländer sein. Spanier oder Südamerikaner. Mittelgroß. Das ist alles, was ich weiß.«
Ein mittelgroßer Südländer … In Frankfurt würde er überhaupt nicht auffallen, dachte Katharina. Es würde schwer werden, ihn auszumachen.
»Sonst noch etwas?«
Kurtz dachte nach: »Angeblich operiert er gerne aus der Nähe. Pistole. Messer. Klavierdraht. – Hat aber auch schon andere Methoden eingesetzt.«
Aus der Nähe … Immer noch besser, als ein Scharfschütze, der sie aus mehreren hundert Metern Entfernung abknallte. Das gab ihr wenigstens eine faire Chance.
Kurtz räusperte sich: »Auf jeden Fall ist die Idee mit dem Untertauchen richtig. Weißt du schon, wohin?«
»Nun, ich –«
»Zu niemandem ein Wort, Katharina«, unterbrach Kurtz sie streng. »Zu Polanski nicht. Zu mir nicht. Und auch sonst zu niemandem. – Also? Weißt du schon wohin?«
»Nein«, antwortete Katharina fest.
»Richtige Antwort. Und du kannst nirgendwo hin, wo dich jemand erkennen könnte. – Ist dir das klar?«
Katharina nickte gehorsam.
»Das Schwierigste wird sein, dich aus Frankfurt herauszubringen, ohne dass dir jemand folgt.«
Darüber hatte Katharina auf der Fahrt zu Kurtz auch schon nachgedacht. Sie brauchte ein Ablenkungsmanöver. »Sag mal, Antonio, du hast doch bestimmt ein paar asiatische Pferdchen in deinem Stall?«
Kurtz wollte streng sein, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen: »Zu den Mieterinnen in meinen Etablissements gehören auch Damen asiatischer Herkunft, ja.«
Es war das vermutlich am schlechtesten gehütete Geheimnis Frankfurts, das Kurtz ein Reich aus Bordellen und Glückspiel kontrollierte. Deshalb nannte Polanski ihn Katharinas »Patenonkel bei der Mafia«.
»Sind darunter zwei, die mir halbwegs ähnlich sehen?«
»So schön wie meine Katharina ist sicher keine, aber das wird sich machen lassen, ja.«
»Okay, lass sie zu meiner Wohnung bringen. Ich habe da eine Idee.«
»Gut. Aber erst mal essen wir.«
***
Essen. Kurtz’ Allheilmittel.
Doch Katharina bekam keinen Bissen herunter.
Die Gedanken rasten in ihrem Kopf – und nicht nur solche zur bevorstehenden Flucht. Kurtz war doch ihr Patenonkel und der beste Freund ihres Vaters. Er musste doch …
Verdammt! Warum war sie nicht gleich drauf gekommen?
»Sag mal, Antonio, kanntest du den Amendt eigentlich schon vorher?«, fragte sie betont harmlos.
Kurtz ließ sein Besteck sinken. »Hat er es dir endlich gesagt, ja?«
»Wer? Was?«
»Der Amendt! Hat er dir gesagt, wer er ist?«
»Nein, das habe ich von Polanski erfahren.«
»Madonna ragazzi!« Kurtz schlug mit der Faust auf den Tisch. »Er hatte es mir doch felsenfest versprochen.«
»Wer hat was versprochen?«
»Na, der Amendt. Dass er es dir selbst sagt. Wer er ist. Wer er war.«
»Du hast ihn also gekannt?«
»Natürlich. Susanne und er haben ihre Verlobung hier gefeiert.«
»Im Puccini?«
»Hier in dieser Küche. Zusammen mit deinen Eltern. Professor Leydth und seine Frau waren auch da. Und diese Jazz-Sängerin. Marianne Aschhoff.«
Amendts Quasi-Adoptiv-Eltern und seine mütterliche Freundin. Katharina hatte schon ihre Bekanntschaft gemacht. Jetzt verstand sie auch, weshalb Marianne Aschhoff bei ihrem Anblick ein Tablett mit Gläsern hatte fallen lassen. Katharina hatte ihrer Schwester Susanne immer ziemlich ähnlich gesehen.
Tja, die Einzige, die nichts gewusst hatte, war sie. Katharina war damals als Austauschschülerin in Südafrika gewesen. Susanne hatte ihr zwar begeistert von der Verlobung geschrieben; leider hatte sie einen verflixten Hang zu Spitznamen gehabt. Der »Schatz«, das »Bärchen«, das »Hasenkind«: Das war also Andreas Amendt gewesen.
»Und warum hast du mir nichts gesagt?«, fragte Katharina vorwurfsvoll.
»Er hat mich darum gebeten. Und mir hoch und heilig versprochen, es dir selbst zu sagen.«
»Und darauf lässt du dich –?«
»Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils, du erinnerst dich?«
»Du glaubst also nicht, dass er es war?«
»Ich glaube zumindest nicht, dass es so passiert ist, wie Polanski behauptet. Dass der Amendt einfach durchgedreht ist und deine Familie abgeschlachtet hat.«
»Warum nicht?«
Kurtz dachte einen Moment nach. »Du bist die Kriminalistin von uns beiden. Lies die Akte. Wenn noch jemand Licht in die Angelegenheit bringen kann, dann du.«
***
Kurtz hatte gerade Espresso gemacht, als Hans mit der guten Nachricht kam, er habe zwei passende Mädchen gefunden. Es war Zeit aufzubrechen.
Als Katharina, Hans und Lutz wieder in den Maybach stiegen, fragte Kurtz: »Brauchst du sonst noch irgendetwas? Geld?«
Katharina schüttelte den Kopf. Dann fiel ihr doch noch etwas ein: »Ein Auto. Einen alten Golf oder so. – Und, ach ja, du kennst den Hintereingang zu meinem Haus?«
Katharina hatte schon vor einiger Zeit entdeckt, dass man ihr Haus auch über die Parallelstraße erreichen konnte. Man ging in eine bestimmte Hofeinfahrt. Von dort kam man in Katharinas Nachbarhaus. Die Keller beider Häuser waren über eine Tür verbunden.
»Komm bitte mit den Mädchen dort rein. Und stell den Wagen auf dem Hof ab.«
***
Der schwere Wagen rollte wieder aus der unscheinbaren Einfahrt. Hans fädelte den Maybach in den Verkehr ein.
Katharina legte ihm die Hand auf die Schulter. Da war noch etwas, das sie gleich erledigen konnte.
»Hans, fahr doch bitte mal in die Fichardstraße. Zweite Querstraße rechts.«
***
»A. Amendt« stand neben der obersten Klingel. Katharina drückte auf den Knopf. Keine Reaktion. Sie trat einen Schritt zurück und schaute nach oben. Die obersten Stockwerke waren dunkel. Vermutlich saß Amendt Gitarre spielend im »Blauen Café«, dem Laden seiner mütterlichen Freundin. Sollte sie dorthin fahren? Ihn konfrontieren?
Nein! Sie hatte wirklich wichtigere Probleme.
***