Читать книгу African Boogie - Helmut Barz - Страница 14
African Grovin’
ОглавлениеDas Gepäckförderband drehte sich langsam im Kreis. Die meisten Reisenden hatten ihr Gepäck schon gefunden; auch Katharina hatte ihre Reisetasche bereits vom Band gehoben. Jetzt wartete sie auf den Kosmetikkoffer. Er kam nicht.
Sie wollte schon aufgeben und sich nach Hilfe umsehen, als noch einmal neue Gepäckstücke auf das Band polterten, darunter endlich auch der kleine weinrote Koffer. Katharina atmete erleichtert auf. Das hätte gerade noch gefehlt: verlorenes Gepäck. Irgendwo wäre der Koffer geöffnet worden. Und dann hätte man ihre Waffe gefunden. Die versteckte Munition. Ganz sicher.
Langsam, langsam! Hätte, könnte, müsste, sollte. Nicht endgültig paranoid werden. Und nicht verdächtig wirken.
Bei der Passkontrolle hatte sie schon genug Aufmerksamkeit erregt: Die Grenzbeamtin hatte ihr entsetzt mit Händen und Füßen zu verstehen gegeben, dass sie für die Einreise ein Visum brauche. Zwei uniformierte, mit Maschinenpistolen bewaffnete Beamte hatten Katharina abgeführt und in ein karges Büro gesetzt. Dort hatte sie fast zwanzig Minuten warten müssen, bis sich endlich jemand ihrer annahm. Das weiße Hemd des schlanken Mannes ließ seine Haut noch dunkler wirken. Er erklärte ihr in gebrochenem Englisch, dass sie für das Visum fünfzig Euro zahlen müsse. Und sie bräuchte ein Passfoto.
Wo sollte sie denn ein Passfoto hernehmen? Sie hatte hilflos mit den Achseln gezuckt. Doch der Mann hatte eine alte Sofortbildkamera aus seinem Schreibtisch gezogen. Weitere fünfzig Euro für das Foto.
Katharina hatte ihm zwei Fünfzigeuroscheine auf den Tisch gelegt. Ein Schein wanderte in eine offiziell aussehende Kasse. Den anderen steckte der Mann in die Brusttasche seines Hemdes. Zehn Minuten später hatte sie ihr Visum. Der Mann hatte sie höflich zum Gepäckband begleitet und ihr einen schönen Aufenthalt in Tansania gewünscht.
***
Am Zoll stand eine lange Schlange, an der finster dreinblickende Männer mit Maschinenpistolen entlangpatrouillierten. Nicht hinschauen. Nicht auffallen.
Endlich war Katharina an der Reihe. Die Beamtin bedeutete ihr, die Reisetasche zu öffnen, warf aber nur einen knappen Blick hinein. Dann zeigte sie auf den Kosmetikkoffer. Katharina blieb wohl nichts anderes übrig. Sie schloss ihn auf.
Die Beamtin sah auf den Inhalt, dann auf Katharina. Dann fing sie an, laut und derb zu lachen, winkte ihre Kollegen herbei und zeigte auf den gurkengroßen Vibrator.
Was hatte der Mann mit den Eukalyptuspastillen noch gesagt? »Drapieren Sie ihn ganz oben auf dem Gepäck. Das kürzt Zollkontrollen ab.« Dann hatte er noch hinzugefügt, Katharina solle beschämt dreinschauen.
Mission erfüllt! Sie wünschte sich, im Boden versinken zu können, während sie den Koffer hektisch wieder abschloss. Die Zollbeamten kicherten noch immer und deuteten mit ihren Händen die Größe des Vibrators an.
Katharina krallte sich ihr Gepäck und floh durch den Vorhang aus steifen PVC-Streifen.
»Have a nice stay in Tanzania!«, rief ihr die Zollbeamtin hinterher.
***
Sie hatte so viel Schwung, dass sie in ein Pappschild rannte. Katharina änderte die Richtung und ging mit schnellen Schritten auf den Ausgang zu. Dann erst registrierte sie, dass auf dem Pappschild etwas gestanden hatte, und drehte sich wieder um.
Der Schwarze, der das Pappschild vor seiner Brust hielt, hatte ihr erstaunt nachgeschaut. Deshalb konnte sie jetzt den Namen lesen, der auf dem Schild stand: »Zoë Yamamoto« – ihr Tarnname.
Sie ging zurück zu dem Mann. »Hi, my name is Zoë Yamamoto.«
Der Mann schaute unverwandt auf sie herab. Er war groß, bestimmt zwei Meter, und unglaublich dünn. Seine Haut war schwarz wie gebeiztes Ebenholz. Er trug eine Art weiten Kaftan aus roten und gelben Stoffen und an den Füßen nagelneue Turnschuhe.
Moment, sprach man in Tansania etwa Französisch? »Je suis …, je m’appelle …«, radebrechte Katharina, während der Mann sie regungslos ansah.
»Golden Rock?«, fragte er schließlich mit tiefer, voller Stimme.
»Yes, yes. Oui. Golden Rock. That’s my resort.«
»Supi! Na, dann wollen wir mal«, fuhr der Mann auf Deutsch mit rheinischem Einschlag fort.
Katharina war so verdattert, dass sie sich ihr Gepäck widerstandslos von ihm abnehmen ließ. »Sie sprechen Deutsch?«
»’türlich. Deutschsprachige Betreuung. Wie im Prospekt versprochen.« Der Mann lächelte und offenbarte zwei Reihen absolut gleichmäßiger, weißer Zähne. »Ich bin übrigens Mtanguluzi.«
Er setzte die Reisetasche noch einmal ab und reichte Katharina die Hand. Sein Händedruck war fest, seine Haut rau.
»Mtang …«, versuchte Katharina zu wiederholen. Es gelang ihr nicht.
»Die meisten Menschen nennen mich Augustin.«
»Augustin?«
»Ja, von dem Volkslied.« Er sang melodisch: »Ach du lieber Augustin, Augustin … Das Lied habe ich aus Deutschland mitgebracht.«
»Aus Deutschland?«
Wenn ihn Katharinas Verblüffung kränkte, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. »Ja. Ich hab’ da studiert. In Aachen.«
Natürlich. Das gab es. Auch die Uni Frankfurt hatte eine ganze Reihe Studierende aus Afrika.
»In Deutschland hatte ich einen anderen Spitznamen«, fuhr Augustin fort.
»Nämlich?«
»Langer Samstag«, sagte er ausdruckslos.
Das war zu viel. Katharina musste so sehr lachen, dass es wehtat. Augustin blickte auf sie herab, ohne eine Miene zu verziehen.
»Entschuldigung«, sagte sie beschämt, als sie sich wieder beruhigt hatte.
»Null Problemo.« Mit einer Hand hob Augustin die schwere Reisetasche auf und balancierte sie auf seinem Kopf aus. »Du hast Humor. Das ist gut. Humor ist in Tansania immer gut.« Jetzt war es an ihm zu lachen. Er wandte sich zum Ausgang und ging los. Katharina konnte kaum Schritt halten.
Sie passierten die Glastür. Die Luft draußen war so heiß, dass es Katharina den Atem aus den Lungen presste. Sie wünschte sich, sie hätte ihr Jackett ausgezogen.
***
Augustin steuerte zielstrebig auf den Parkplatz zu; auf einen alten, verbeulten Pick-up. Ohne das Gepäck abzusetzen, sprang er so leichtfüßig wie ein Balletttänzer auf die Ladefläche. Dort verstaute er Katharinas Gepäck in einer großen, abschließbaren Metallbox. Dann hüpfte er elegant herab und hielt Katharina die Beifahrertür auf. Katharina wunderte sich kurz, dass sich der Beifahrersitz auf der falschen Seite befand. Aber in Tansania galt offensichtlich Linksverkehr.
»Ich dachte, wir fliegen weiter nach Mafia Island.«
Augustin startete den Motor, der nach ein paar Anläufen widerwillig ansprang. »Klar. Aber dazu müssen wir rüber zu Terminal 1 am anderen Ende des Flughafens. Außerdem geht unser Flug erst in drei Stunden. – Mittagessen?«, fragte er.
»Jetzt schon? Es ist doch erst …«
»Halb zwölf. Zeitverschiebung.«
Katharina erinnerte sich, dass der Kapitän im Flugzeug so etwas durchgesagt hatte. Außerdem hatte sie tatsächlich Hunger. Das Flugzeugfrühstück war auch in der ersten Klasse nicht zum Verzehr geeignet gewesen. »Okay, Mittagessen.«
»Gut. Dann fahren wir mal nach Dar Es Salam rein. – Ach ja, der Verkehr hier: Sagen wir mal, man muss sich daran gewöhnen.«
»Ich bin allerhand gewohnt.«
»Na dann ist ja alles prima.« Augustin trat aufs Gas. Der Pick-up tat einen Satz vorwärts.
***
Der Verkehr war wirklich selbst für Katharinas Verhältnisse gewöhnungsbedürftig. Theoretisch galt Linksverkehr, aber die Leute fuhren, wo Platz war. Mit Vollgas.
Augustin sprang von Spur zu Spur, überholte hier, wich dort einem Fußgänger, einem Karren oder einem Fahrrad aus; oft verfehlte er ein Hindernis nur um Millimeter. Die Hupe war das wichtigste Instrument seines Fahrstils. Gleich nach dem Gaspedal. Bremsen hingegen waren unnötig. Katharina fragte sich, ob der Wagen überhaupt welche hatte. Der Griff der Handbremse zumindest hing nur lose in seiner Halterung.
Katharina merkte rasch, dass Augustin das Fahrzeug von unter Kontrolle. Dennoch war sie froh, Sicherheitsgurte zu haben. Sie lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster, während sie in das Zentrum von Dar Es Salam vorstießen.
So ein wildes Sammelsurium von Architektur hatte sie nicht einmal in Kapstadt gesehen. Minarette neben Kirchtürmen, viktorianische Gebäude neben deutschen Fachwerkhäusern und wuchtigen Gründerzeitvillen, Glas- und Stahl-Bauten, Mietskasernen, arabische Flachdachbauten – bunt und ohne jedes System durcheinandergewürfelt.
Lässig zurückgelehnt, nur eine Hand am Steuer, fand Augustin tatsächlich Zeit, auch noch Reiseführer zu spielen. »Das meiste ist aus der Kolonialzeit. Jeder, der herkam, musste der Stadt sein Gesicht aufdrücken. Hat gebaut, wie er es kannte. Engländer, Deutsche, Holländer, Araber, Inder … Heute gibt’s natürlich strenge Vorschriften. – Also, theoretisch. Hält sich aber keiner dran. Warum auch?«
Richtig. Warum auch? Irgendwie schaffte es das architektonische Chaos, rund und stimmig zu sein. Vielleicht, weil es sich gar nicht erst bemühte, so zu wirken, als folge es einem Bebauungsplan.
So bunt wie die Stadt war auch die Bevölkerung, die sich auf den Straßen tummelte: Schwarze, Inder, dazwischen ein paar Weiße; Männer und Frauen in Geschäftskleidung und traditionellen Gewändern. Einige Kinder trugen Schuluniformen, andere Jeans und bunte T-Shirts.
Modeboutiquen reihten sich an Gemüsehändler und die unvermeidlichen Telefonshops. Restaurants und Imbisse beanspruchten frech den Platz vor ihrem Geschäft, manchmal über den gesamten Gehsteig bis auf die Straße. Immer wieder stiegen Katharina exotische Gerüche in die Nase: scharfes Curry, der kräftig-fruchtige Geruch afrikanischer Küche, manchmal auch Fisch oder Bratfett.
Mit der Routine des Ortskundigen fand Augustin seinen Weg durch immer schmalere Straßen.
Schließlich fuhren sie durch ein Gewirr von Gassen, die so aussahen, wie sich Katharina Mumbai vorstellte. Oder Neu-Delhi. Geschwungene Ornamente verzierten die Häuser; der eine oder andere Bauherr hatte beim Bau des Hausdachs seinen Traum vom Taj Mahal ausgelebt. Vor vielen Läden standen Elefantenstatuen.
»Indisches Viertel.« Das hätte Augustin nun wirklich nicht zu erklären brauchen. »Dar Es Salam war immer ein wichtiger Hafen auf der Route zwischen Indien und Europa.«
Mit quietschenden Bremsen – der Wagen hatte also doch welche, wie Katharina erleichtert feststellte – hielt Augustin vor dem etwas heruntergekommen wirkenden Eingang eines Restaurants.
»Bestes Curry der Stadt«, erläuterte er. »Besitzer ist ‘nen Freund von mir.«
Sie stiegen aus. Da fiel Katharina etwas ein: »Ich habe nur Euro. Vergessen zu wechseln.«
Augustin lachte: »Kein Problem. Du hast doch all-inclusive gebucht.«
Er hielt ihr die Tür auf. Das Lokal war dämmerig. Die grob gezimmerten Holztische hatten auch schon bessere Zeiten gesehen. Doch es roch … herrlich. Katharina lief das Wasser im Mund zusammen.
Ein kleiner Inder kam auf sie zu, grüßte Augustin mit Handschlag und deutete eine Verbeugung in Richtung Katharina an. Augustin wechselte ein paar Worte in einer fremden Sprache mit ihm. Dann bedeutete der Inder ihnen, ihm zu folgen.
Er führte sie durch das Restaurant in einen Innenhof: exotische Pflanzen, Blumen in allen Farben, eine Palme, ein paar Farne. Um einen kleinen Teich wuchs hohes Schilf. Ein Paradies. Katharina bedauerte wieder einmal, einen braunen Daumen zu haben. So hatte sie sich immer ihre Dachterrasse gewünscht.
Der Inder geleitete sie zu einem Tisch und bot Katharina höflich den Stuhl an. Augustin erklärte ihm etwas, das Katharina nicht verstand. Doch der Inder blickte mitleidig auf sie und wiegte verständig sein Haupt. Dann ging er ins Gebäude.
»Was haben Sie ihm gesagt?«, fragte sie neugierig.
»Dass Sie ausgehungert von einer beschwerlichen Reise sind. Und eine Europäerin, die vermutlich noch nie gutes Essen probiert hat.«
***
Katharina überlegte, ob sie Kurtz einmal in dieses Restaurant schicken sollte.
Vielleicht besser nicht. Sonst würde es die nächsten Jahre bei ihm nur Curries geben, während er verzweifelt versuchte, die Speisen nachzukochen.
Der Inder war rasch wiedergekommen und hatte Karaffen mit Mineralwasser gebracht. Dann hatte er begonnen aufzutafeln. Immer wieder brachte er kleine Schälchen mit Variationen aus seiner Küche und drängte Katharina zu probieren.
Katharina aß mehr, als ihr Hunger eigentlich zuließ. Doch endlich war auch ihr Appetit gestillt. Sie konnte einfach nicht mehr.
Während des Essens hatte sie Augustin ausgefragt.
Und er hatte erzählt: Seine Mutter sei Kenianerin gewesen, eine Massai, sein Vater stamme aus Tansania. Sie waren einfache Bauern gewesen, doch mit der Zeit hatten sie sich etwas Wohlstand erwirtschaftet. Und sie hatten gewollt, dass ihr Sohn etwas Besseres wird. Ihn auf die höhere Schule geschickt. Er hatte gute Noten, war sprachbegabt. Und so hatte er ein Stipendium für Deutschland erhalten. In Aachen hatte er Maschinenbau und Flugzeugtechnik studiert. Danach eine kurze Zeit für Siemens gearbeitet. Doch dann hatte ihn das Heimweh gepackt: »Das Wetter! Wie haltet ihr nur das Wetter aus?«
Katharina hatte an den klebrigen Dezemberschneeregen gedacht, den sie in Frankfurt zurückgelassen hatte, und genickt.
Also war er heimgekehrt. Auf Mafia Island wurde damals dieses Resort geplant. Golden Rock. Die konnten jemanden wie ihn brauchen.
»Viele Maschinen! Ganz viele Maschinen!«, schwärmte Augustin. »Wasserversorgung. Elektrizität. Fahrzeuge.« Und dort war er dann geblieben.
»Und jetzt? Bist du Reiseführer?«
»Manchmal. Bei Siemens hatten wir alle so ganz komische Jobtitel. Nur Abkürzungen. Deshalb sage ich jetzt, ich bin MfA.«
»MfA?«
»Mädchen für Alles.« Er wartete, bis Katharina aufgehört hatte zu lachen, bevor er fortfuhr: »Ich kümmere mich um die Maschinen, halte die Fahrzeuge in Ordnung. Ein bisschen Security. Was so anfällt. Und manchmal singe ich deutsche Volkslieder. Für die Touristen.« Mit sonorer Stimme schmetterte er die ersten Zeilen von »Hoch auf dem gelben Wagen«. Die anderen Gäste des Restaurants schauten nicht mal auf. Sie waren wohl an solche Auftritte gewöhnt.
***
Der Inder hatte sich unter vielen angedeuteten Verbeugungen von ihnen verabschiedet. Augustin hatte sie unter dem Einsatz von Gaspedal und Hupe wieder zum Flughafen zurückbefördert. Er raste am schicken Hauptterminal vorbei zu einem Ensemble älterer Gebäude.
»Das ist der alte Flughafen«, erklärte er. »Wird jetzt nur noch für die Inlandsflüge genutzt.«
Ein Wachmann winkte sie lässig durch ein Tor im Zaun. Augustin hielt mit quietschenden Reifen in einem Hangar, in dem drei kleine Passagierflugzeuge standen. Zwei der Flugzeuge hatten schon bessere Zeiten gesehen. Eines wirkte fast neu. »Golden Rock« stand in schwungvollen Lettern auf der weißen Lackierung. Zu diesem Flugzeug führte Augustin sie jetzt: »Du hast Glück. Du kriegst den VIP-Flug.«
Er verstaute ihr Gepäck. Dann fragte er: »Magst du vorne sitzen?«
Katharina bejahte. Er öffnete die Tür zum Cockpit und hob sie umstandslos hoch, damit sie einsteigen konnte. Sie setzte sich auf den Copilotensitz und schnallte sich an. Dann staunte sie nicht schlecht, als sich Augustin auf den Pilotensitz zwängte.
»Na, dann wollen wir mal.« Er bedeutete Katharina, sich das zweite Headset aufzusetzen. Dann startete er den Motor und ließ die Maschine aus dem Hangar rollen, zur Startbahn, die im rechten Winkel die Landebahn für die großen Verkehrsmaschinen kreuzte. Direkt vor ihnen setzte eine große Boeing auf.
»So, das war die Maschine aus Kairo«, hörte Katharina Augustin über die Kopfhörer. Dann sprach er wohl mit dem Tower. Er scherzte in einer fremden Sprache, dann wechselte er zu Englisch.
»Permission for Take-off«, krächzte es aus den Ohrmuscheln und Augustin schob den Gasregler nach vorne. Die Maschine raste die Startbahn entlang. Das Ende kam immer näher. Katharina klammerte sich mit einem unterdrückten Schrei an ihren Sitz. Doch im letzten Moment hob das Flugzeug ab und stieg steil in den Himmel.
»Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein …«, knarzte Augustins Bariton aus dem Kopfhörer. Seine Hände tanzten über den Instrumenten und Reglern. Zwischendurch deutete er nach vorne: In der Ferne erhob sich majestätisch der Gipfel des Kilimandscharo. Dann flog Augustin eine sportliche Kurve und nahm Kurs auf den Ozean.
***
Endlich traute sich Katharina zu sprechen: »Kommt man eigentlich nur mit dem Flugzeug nach Mafia Island?«
»Na ja, theoretisch auch mit dem ›dhow‹, das sind diese kleinen Boote.« Augustin deutete nach unten auf das Wasser, auf dem sich kleine Boote mit dreieckigen Segeln durch die Wellen kämpften. »Dazu muss man aber ziemlich seefest sein.«
***
Sie waren etwa eine halbe Stunde geflogen, als Augustin nach vorne zeigte: »Mafia Island.«
Wie ein großer, langgestreckter, in silbrig glitzernden Sand gefasster Jadestein lag die Insel mitten im blauen Ozean.
»Mafia Island hat einen eigenen Flughafen?«, fragte Katharina neugierig.
Augustin wiegte den Kopf hin und her: »Flughafen würde ich das jetzt nicht nennen.«
***
Die Maschine raste dicht über Baumwipfel.
Katharina schloss die Augen.
Hoffentlich wusste Augustin, was er tat. Sonst würde er Ministro eine Menge Arbeit abnehmen. Sie spürte, wie die Maschine absackte, den Boden berührte und wieder in die Luft sprang.
Okay, das war’s jetzt!
Wenigstens würde Katharina mit dem Wissen sterben, wer ihre Familie umgebracht hatte.
Die Maschine setzte erneut hart auf, das Fahrwerk kratzte über den Boden. Katharina wurde nach vorne in ihre Sicherheitsgurte gedrückt. Und dann kam das Flugzeug zu einem abrupten Halt.
Vorsichtig öffnete Katharina die Augen. Sie waren tatsächlich gelandet, und um sie herum lichtete sich allmählich eine dichte Staubwolke.
»Willkommen auf Mafia Island«, verkündete Augustin stolz.
***
Nachdem er das Flugzeug sorgfältig in einem kleinen Hangar verschlossen hatte, nahm Augustin wieder Katharinas Gepäck. Erneut balancierte er die Reisetasche auf dem Kopf. Er musste Nackenmuskeln aus Stahl haben. Dann schritt er wieder zügig aus. Katharina musste beinahe rennen, um ihm zu folgen. Kein Wunder, dass die besten Marathonläufer aus Afrika kamen.
Sie gingen an einem kleinen, aber frisch und bunt gestrichenen Holzgebäude – wohl das offizielle Terminal – vorbei zu einem Parkplatz, auf dem nur drei Autos standen. Auf eines davon steuerte Augustin jetzt zu. Katharina blieb vor Staunen und, zugegeben, Neid der Mund offen stehen. Es war ein DKW Munga – eine Kreuzung aus offenem Jeep und Transporter, die zuletzt 1968 gebaut worden war. Doch der Wagen sah aus, als wäre er eben erst aus der Fabrik gerollt.
»Wow.« Es war Katharinas Hobby, alte Autos zu restaurieren, zuletzt einen Mini aus den Sechzigerjahren, den sie Morris getauft hatte; er hatte fast neu ausgesehen. Aber das hier war ein Meisterwerk.
»Willst du fahren?« Augustin hielt ihr die Schlüssel hin.
»Wirklich? Ich meine …«
»Ach, hier auf Mafia Island ist alles nicht so hektisch. Wenig Verkehr.«
***
Seiner Chauffeursaufgaben entledigt, wandte sich Augustin mit Begeisterung seiner Aufgabe als Reiseführer zu und erklärte ihr die Schönheiten am Wegesrand, während Katharina sich nach Leibeskräften bemühte, den Wagen auf den holprigen Sand- und Steinpisten zu halten. Manchmal passierten sie ein Dorf, dessen Bewohner freundlich winkten.
»Tourismus ist noch neu auf Mafia Island«, erklärte Augustin. »Die meisten hier leben von der Landwirtschaft und vom Fischen. Einige auch vom Schmuggel, aber das war früher mehr.«
***
Sie hatten die Insel fast ganz durchquert, als sie an eine Bucht kamen.
Auf ein Zeichen von Augustin hielt Katharina den Wagen an. Ihr Begleiter deutete nach vorne: »Golden Rock!«
Auf die Entfernung sah der mächtige Koloss aus zerklüfteten Felsen, der etwa einen halben Kilometer vor ihnen aus dem Wasser ragte, völlig unbewohnbar aus. Doch eine lange, schmale Holzbrücke zog sich über gischtiges Wasser von den Felsen zum Festland wie eine Nabelschnur.
»Die Legende sagt, dass einst ein zorniger Gott seinen Faustkeil in den Boden gerammt hat, weil er die Schönheit von Mafia Island nicht ertragen konnte«, erklärte Augustin theatralisch. »Andere behaupten, das seien die Überreste des Meteors, der die Dinosaurier ausgerottet hat. Und dieser Schweizer, Erich von Däniken, behauptet …«
»… dass Außerirdische dort einen Ufo-Landeplatz gebaut haben?«
»Genau.«
»Und in Wirklichkeit?«
»Na ja, die Geologen sind sich uneins. Aber die meisten vermuten, dass bei der großen Kontinentalverschiebung einfach eine Felsplatte gebrochen ist. Oder so ähnlich.«
»Und da ist wirklich eine Ferienanlage drauf?«
»Ja! Und was für eine. Du wirst sehen. Langsam auf der Brücke. Seitenwind.«
Behutsam ließ Katharina den Wagen anrollen; sie erwartete, dass die Brücke unter ihnen schwankte. Doch die Brücke stand … nun ja, wie ein Fels in der Brandung. Etwas mutiger gab Katharina ein wenig Gas. Sie rollten langsam über die Brücke.
»Hat ein Deutscher gebaut. Dirk Schröder. Kennst du den?«, fragte Augustin.
Katharina verneinte.
»Hätte ja sein können. Muss jetzt bestimmt ein Star sein. Richtig toller Architekt. Solide Wertarbeit. – Es führt über den Main eine Brücke von Stein. Wer darüber will gehen, muss im Tanze sich drehen«, stimmte Augustin an.
Das Frankfurter Volkslied löste etwas in Katharina: Sie konnte wieder frei atmen. Nur noch über die Brücke, dann war sie in Sicherheit. Sie hatte es geschafft! Bei der zweiten Strophe sang sie fröhlich mit:
»Kommt ein Fuhrmann daher, hat geladen gar schwer, seiner Rösser sind drei, und sie tanzen vorbei.«
Und so fuhren sie singend Meter um Meter der Insel entgegen, deren Felsen in der Sonne tatsächlich golden schimmerten.
***
Die Brücke endete auf einem Felsplateau. Katharina hielt überrascht den Wagen an, da ihnen ein aristokratisch-schlanker Mann entgegentrat. Er trug einen hellen Anzug und einen Tropenhelm. In der Hand hielt er an einem Stab ein großes Schild: »Golden Rock gehört den Affen. Und sonst niemandem.«
Der Mann erkannte Augustin, machte den Weg frei und winkte ihnen freundlich zu. Augustin grüßte lässig zurück. Dann gab er Katharina ein Zeichen weiterzufahren: Eine schmale Straße führte in die Felsen hinein.
»Wer war das denn?«
»Das ist Alexander Freiherr von Weillher. Der steht immer hier.«
»Und das lasst ihr zu?«
»Er ist Dauermieter auf Golden Rock. Zahlt gut. Außerdem … die Touristen lieben es, ihn zu fotografieren.«
Katharina lachte auf: »Und was ist mit diesen Affen?«
»Hier auf Golden Rock gibt es Paviane. Die will er schützen. – Lästige Viecher. Wir haben ihnen ein Gehege eingerichtet, aber manchmal büxen sie aus und machen Ärger.«
Katharina wusste, was er meinte. Am Kap der Guten Hoffnung hatte sie erlebt, wie eine Horde Paviane auf der Suche nach Essbarem einen Campingbus zerlegt hatte: Ausgewachsene Paviane hatten die Kraft, Menschen den Arm aus dem Gelenk zu reißen.
***
Gesäumt von hohen Felswänden wand sich die schmale Straße höher und höher.
Hinter zwei mächtigen Gesteinsblöcken öffnete sich mit einem Male ein großes Plateau: Die hügelige Landschaft war durchbrochen von rauen Felsformationen; gepflegter Rasen, kleine Wäldchen, einzelne Palmen und große, knorrige Bäume. Sauber geharkte Kieswege durchzogen die Landschaft, Treppen verbanden einzelne Ebenen miteinander. In der Ferne erhob sich wuchtig ein kleines Felsgebirge, auf dem ein Windrad stand.
Die zahlreichen kleinen Bungalows schmiegten sich an die Felsen, als wären sie aus dem Stein hervorgewachsen.
Schmetterlinge flatterten zwischen blühenden Hibiskus-Sträuchern hin und her.
So hätte es vermutlich im Garten Eden ausgesehen, dachte Katharina. Wenn da nicht die blöde Geschichte mit dem Apfel dazwischengekommen wäre.
Augustin tippte ihr auf die Schulter: »Alles in Ordnung?«
»Warum?«
»Du weinst.«
Katharina betastete ihr Gesicht. Tatsächlich! Ihr waren zwei Tränen die Wangen hinuntergelaufen. Sie hatte es geschafft! Sie war frei. Frei!
»Nur der Fahrtwind«, log sie rasch. »Meine Augen sind etwas empfindlich.«
Augustin zuckte mit den Schultern, als würde er ihr nicht recht glauben.
»Mein Gott, ist das schön hier«, sagte Katharina schließlich.
»Natürlich! Die Götter haben Afrika geschaffen, als sie besonders gute Laune hatten.« Auf Augustins ausgestreckter Hand hatte ein bunter Falter Platz genommen.
***
Katharina ließ den Wagen wieder anrollen, musste aber gleich darauf bremsen: Vor ihnen überquerte ein Warzenschwein mit geschäftigen Schrittchen den Weg.
»Ich habt hier Warzenschweine?«, fragte Katharina erstaunt, während sie das Tier betrachtete, das sich am Wegesrand auf die Vorderknie niedergelassen hatte, um zu grasen.
»Nur das eine. Das ist Anton. Unser Maskottchen. Hat uns ein Ingenieur aus Namibia geschenkt.«
***
Der Kiesweg führte sie zu einem Gebäudeensemble am Rand des Plateaus: Der große, offene Pavillon war vermutlich das Restaurant; das funktional-eckige Gebäude, das sich daran anschloss, enthielt wahrscheinlich die Küche, nach den Schornsteinen auf dem Dach zu urteilen. Etwas abseits stand ein zweistöckiger Holzbau mit einer offenen Veranda.
Augustin wies Katharina an, vor der Veranda zu parken. Sie kletterten aus dem Wagen und gingen ein paar Stufen hinauf.
Korbsessel und Sofas, mit bunten Tüchern bedeckt und üppig mit Kissen dekoriert, gruppierten sich um kleine Tische. In der Mitte der Veranda stand ein großer Tresen aus knorrigem Holz. Einen kurzen Moment erwartete Katharina, dass gleich Petrus an den Tresen trat, das große Sündenbuch aufschlug, ihr die Leviten las und dann den Eintritt ins Paradies doch noch verweigerte.
Hinter dem Tresen wartete jedoch nur eine zierliche Schwarze mit kurzem, zu winzigen Zöpfen geflochtenem Haar. Ihr Kopf ragte gerade eben über den Tresenrand.
»Welcome to Golden Rock, Misses Yamamoto!«, verkündete sie in fröhlichem Singsang. »Your passport and your voucher, please!«
Katharina kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Pass sowie den Reiseunterlagen und reichte beides über den Tresen.
»Have a seat, please. Gustavo will bring hot towels and a welcome drink.«
Katharina gehorchte und setzte sich auf das nächste Sofa. Aus dem Nichts erschien ein Kellner. Von einem Tablett nahm er ein großes Cocktail-Glas und stellte es vor Katharina auf den Tisch. Die Flüssigkeit darin war am Boden rot und wurde nach oben hin Orange.
Katharina zögerte: »Alkohol?«
»Kein Alkohol, Ma’am, frisch pressed Juice«, erklärte der Kellner. Dann reichte er ihr auf einem Teller ein sauber gefaltetes, dampfendes Handtuch. Katharina rieb sich Gesicht und Hände ab. Sie wollte sich bedanken, doch der Kellner war schon wieder verschwunden.
Also nippte sie an dem Saft. Sie merkte, wie durstig sie war, und trank den Rest in einem Zug. Als sie das Glas absetzte, stand die zierliche Schwarze neben ihr.
»Terribly sorry, Misses Yamamoto«, sagte sie in besorgtem Singsang-Moll. »Please follow me.«
Was war denn? Das Mädchen führte Katharina zu einer Tür mit der Aufschrift »Head of Security«.
Katharinas Kehle schnürte sich zu, ihr Herz begann zu rasen. War sie erwischt worden? Waren ihre Papiere …? Im Geiste überprüfte sie schon ihre Optionen zur Flucht.
Erst mal runter von Golden Rock. Sie hatte genug Geld in der Handtasche, jemand würde sie sicher zum Festland bringen können. Und dann?
Das Mädchen öffnete ihr die Tür. Katharina atmete tief ein und ging hindurch. Die Tür schloss sich mit einem leisen Knacken.
»Kaja? Bist du das?«
Katharina wirbelte herum und fand sich gleich darauf an eine sehr breite und sehr geblümte Brust gedrückt. Dann schoben zwei große Hände sie auf Armeslänge weg.
»Du bist es tatsächlich.«
»Harry?«, war das Einzige, was Katharina herausbekam.
Vor ihr stand tatsächlich Harry Markert, ihr alter Kollege aus Kassel. Sein Haar und sein Bart waren grau geworden, er hatte zugenommen und er trug keine Uniform, sondern ein weites, türkis geblümtes Hawaiihemd. Doch seine lieben braunen Augen waren noch die gleichen.
»Was machst du hier?«, fragte Katharina endlich.
»Das könnte ich dich auch fragen. – Komm, nimm Platz.« Er räumte ein paar Unterlagen von der Sitzfläche eines Stuhls. »Also, was machst du hier? – Undercover-Arbeit?«
»Was? Wieso das denn? Nein, ich bin im Urlaub –«
»Kaja, du warst noch nie eine gute Lügnerin. Und echte Papiere mit falschem Namen …«
»Echt?«, rutschte es Katharina heraus.
»Natürlich! So echt, wie es nur geht. Sogar das Einwohnermeldeamt und das Telefonbuch kennen eine Zoë Yamamoto, wohnhaft in Offenbach. Musste das sein, Kaja? Offenbach?« Er lehnte sich vor: »Komm schon. Du bist doch in offiziellem Auftrag hier, oder? Du kennst mich doch.«
»Nein, ich bin wirklich nur im Urlaub –«
»Lüg mich nicht an. Wenn hier irgendwas nicht stimmt, will ich das wissen. Ich bin schließlich Sicherheitschef«, sagte Harry streng. Doch dann musste er Katharinas Hilflosigkeit bemerkt haben. Sehr viel freundlicher fragte er: »Oder steckst du in Schwierigkeiten?«
»Wie kommst du da drauf?«
»Na ja, falscher Name im Pass. Lädiertes Auge. Verbundene Hand. – Komm, sag mir, was passiert ist.«
Katharinas Gefühl, endlich in Sicherheit zu sein, löste sich ansatzlos in Luft auf; ihre Flucht schien ihr auf einmal vergeblich.
»Ja, ich stecke in verdammten Schwierigkeiten.«
Und dann riss sie der Strom der Tränen mit sich mit.
***
Nach einer Ewigkeit waren die Tränen versiegt. Harry reichte ihr ein Taschentuch. Dann setzte er sich wieder auf die Kante seines Schreibtisches. »Komm, Kaja, erzähl mir die ganze Geschichte.«
In diesem Augenblick wurde die Tür zu Harrys Büro aufgerissen. Der Mann, der hereingestürmt kam, konnte höchstens Mitte dreißig sein, doch das Leben war ihm nicht freundlich gesonnen: Sein Haar war unordentlich, seine Haut blass, fast bleich, seine Kleidung so zerknittert wie sein Gesicht.
Er fixierte Katharina genervt: »Ist das endlich die IT-Schnepfe vom Festland?«
Harry stand auf: Mit seiner imposanten Erscheinung hatte er schon auf Streife so manchen Krawallschläger zur Raison gebracht. Auch der Mann, der sie so rüde unterbrochen hatte, wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Das ist Zoë Yamamoto, ein Gast! Eben angekommen«, erklärte Harry freundlich. Dann wandte er sich an Katharina: »Stefan Döring. Unser Club-Direktor.«
»Ein Gast! Hurra!«, sagte der Mann bitter, während er Katharina achtlos die Hand gab. »Beschwerde mit Tränen? Schon beim Einchecken?«
Harry wollte zu einer Erklärung ansetzen, doch Katharina kam ihm zuvor: »Mein Hund ist gestorben. Hab’ es eben telefonisch erfahren.«
»Gott sei Dank. Ich meine: Mein Beileid. – Harry, finde mal raus, wo die blöde IT-Schnepfe bleibt. Dieser Computer macht echt, was er will.« Und damit warf er die Tür hinter sich ins Schloss.
»Was war das denn?«, fragte Katharina, durch diesen Auftritt ernüchtert.
»Sieh es ihm nach. Stefan steht unter Stress. – Hier liegt einiges im Argen.«
»Was denn?«
»Erzähl ich dir später. – Jetzt bringe ich dich erst mal zu deinem Bungalow. Und unterwegs erzählst du mir in Ruhe, in welchen Schwierigkeiten du steckst.«
***
Katharina hatte sich rücklings auf das große, weiche Himmelbett fallen lassen. Einen kurzen Moment wünschte sie sich, jetzt einfach so liegen zu bleiben, bis sie wieder nach Deutschland zurückkonnte.
Harry hatte sie durch die paradiesische Landschaft der Insel zu einem kleinen Bungalow geführt, der sich malerisch in eine Felsengruppe einfügte. Der Bungalow selbst hatte nur einen großen Raum. Das »Badezimmer« mit Dusche und einer Badewanne mit Löwenfüßen lag dahinter im Freien, durch die umgebenden Felsen vor ungebetenen Blicken geschützt. Sehr romantisch.
Unterwegs hatte Katharina Harry von ihren Schwierigkeiten erzählt. Von Ministro. Und von Andreas Amendt. Harry hatte nachdenklich genickt. Er sei gerne bereit, mit in die Akte zu schauen, hatte er gesagt. Und was Ministro anginge: Die Insel sei eine Festung, nur über die Brücke erreichbar. Jeder, der reinwolle, müsse an ihm und seinen Männern vorbei. Und sie hätte es Verfolgern ohnehin schwergemacht.
Katharina hatte ihn gefragt, woher er sie denn erkannt hätte.
Harry hatte gelacht: Das Foto aus dem Polizeiausweis, das jetzt in ihrem Pass war – das hatten sie zusammen aufgenommen. Er selbst hatte einen Abzug, die an der Pinnwand mit seinen Schützlingen hing – jenen Polizisten, die er während ihrer Ausbildung betreut hatte.
Dann hatte er sie in dem Bungalow alleingelassen.
Jetzt lag sie also auf dem Bett. Doch wenn sie länger so liegen blieb, würde sie einschlafen. Also zwang sie sich, wieder aufzustehen. Sie warf einen Blick auf ihr Gepäck. Auspacken konnte sie später. Aber eines würde sie gleich erledigen: Sie öffnete den Kosmetikkoffer, nahm die Geräte heraus, entnahm ihnen die Teile ihrer Waffe und setzte sie zusammen. Dann schob sie die Pistole in ihre Handtasche und ließ die Geräte in der hintersten Ecke des Schrankes verschwinden. Die Akte und ihr Geld legte sie in den kleinen Safe. Als Kombination wählte sie »03 12 91«, den Todestag ihrer Familie. Der Code sollte sie daran erinnern, dass sie noch eine Aufgabe zu erledigen hatte.
Dann schlüpfte sie aus ihren verschwitzten Kleidern und stellte sich unter die Dusche. Das prasselnde Wasser tat gut, ihre vom Flug verspannten Muskeln lockerten sich. Endlich hatte sie genug, trocknete sich ab und fischte frische Wäsche, ein T-Shirt, eine Stoffhose und ein paar Sandalen aus ihrer Reisetasche.
Als sie sich angezogen hatte, nahm sie ihre Handtasche, verließ den Bungalow, verschloss die Tür sorgfältig und schob die Schlüsselkarte in die Tasche ihrer Hose. Es war noch zu früh für das Abendessen. Also entschloss sie sich, einen Erkundungsgang über die Insel zu machen . An einer Seite des Plateaus führten Stufen zu einer weiteren Ebene herab, auf der sich eine Landschaft aus elegant geschwungenen Swimmingpools erstreckte: ein kleineres Nichtschwimmerbecken, ein großes Becken mit Sprungturm. Schön anzusehen, doch leider nichts für sie.
Katharina stieg die Treppen wieder hinauf zur Hauptebene. Erst jetzt fiel ihr auf, wie ruhig es war. Zu ruhig. Es fehlte etwas. Gäste! Wo waren die anderen Urlauber?
***
Harry kam Katharina aus dem Rezeptionsgebäude entgegen, eine Flasche Rotwein und zwei Gläser in der Hand: »Sundowner?«
Ohne die Antwort abzuwarten, bedeutete er Katharina, ihm zu folgen.
Eine schmale Gasse führte zwischen den Felsen hindurch und endete auf einem Felsvorsprung. Harry trat an die mittelalterlich anmutende, aus grobem Stein gemauerte Brüstung und goss zwei Gläser Wein ein.
Die Sonne stand schon sehr tief und tauchte alles in ein unirdisch-rotes Licht: das glitzernde Wasser unter ihnen, die sie umgebende Bucht. Den Ozean.
Sie tranken schweigend ihren Wein, während die Sonne am Horizont versank. Der Himmel wurde feuerrot. Dann Türkis. Und dann brach schlagartig die äquatoriale Nacht an: ein Meer von Sternen auf samtiger Schwärze.
Katharina begann im Wind zu frösteln. Harry nahm ihr Glas und sie wanderten zurück durch die Felsen. Sie fragte ihn: »Was machst du eigentlich hier, Harry? Frühpensioniert?«
»Nein. Ich musste mal raus aus dem Trott. Und dann gab es dieses Angebot hier. Also habe ich mich ein Jahr beurlauben lassen. Noch bis Ende Januar. Wie nennt man das heute? Sabbatical?«
»Und deine Familie?«
»Geschieden. Seit zwei Jahren.«
»Das tut mir leid. – Und deine Tochter? Annika?«
»Gerade sechzehn geworden. Sitzt den ganzen Tag am Klavier. Will Pianistin werden. Ihr Lehrer sagt, sie hat das Zeug dazu«, erzählte Harry mit kaum unterdrücktem väterlichem Stolz.
»Schön. – Und nach deinem Jahr hier? Zurück nach Kassel?«
»Vielleicht. Aber am liebsten würde ich noch mal was ganz Neues machen. In einer anderen Stadt. Vielleicht in Frankfurt. Irgendjemand muss ja auf dich aufpassen.« Er legte den Arm um Katharinas Schultern und drückte sich freundschaftlich an sich.
***
In der Mitte des Restaurantpavillons brannte ein großes Feuer. Augustin, ganz in Weiß und mit einer Kochmütze auf dem Kopf, grillte Steaks. Dabei sang er fröhlich vor sich hin. Ein Lied auf Suaheli.
Harry und Katharina hatten an einem Tisch in der Nähe des Feuers platzgenommen. Das Restaurant war fast leer. Lediglich der naturliebende Freiherr saß ein paar Tische weiter und kaute missmutig an seinem Salat.
Und vor ein paar Minuten hatte ein dicker Inder den Pavillon betreten, pompös von zwei muskulösen Männern flankiert, die mit ihren weit geschnittenen Anzügen und Sonnenbrillen aussahen, als hätten sie ihre Leibwächterausbildung aus schlechten Kinofilmen erhalten. Der Inder saß jetzt alleine an einem Tisch, die beiden Leibwächter hatten in respektvoller Entfernung an einem Katzentisch Platz genommen. Ihre Sonnenbrillen hatten sie nicht abgelegt, obwohl nur das Feuer und ein paar Kerzen auf den Tischen dämmriges Licht spendeten.
»Nicht viel los hier, oder?«, fragte Katharina.
Harry lachte bitter auf: »Ich sag es ja: Wir haben gerade unsere eigenen Probleme. Die Anlage ist ziemlich neu, erst im letzten Januar eröffnet und noch ein Geheimtipp. Aber dreißig, vierzig Gäste hatten wir immer. Im Sommer war das Resort sogar ausgebucht.«
»Und jetzt?«
»Keine Ahnung. Seit einem Monat ist tote Hose. Deswegen ist Stefan …« Harry deutete mit dem Kopf zu dem blassen Club-Direktor, der an der Bar des Restaurants lehnte und fahrig in einem Aktenordner blätterte. »Also, er ist ziemlich mit den Nerven fertig. Er hat Angst, dass die Eigentümer ihn feuern.«
»Keine Gäste? Na ja, vielleicht Flaute. In Deutschland halten die Leute gerade ihr Geld ziemlich zusammen.«
»Wenn es das Einzige wäre … – Der Computer sagt nämlich, die Anlage ist ausgebucht. Und Stefan kann das nicht ändern.«
»Deswegen die Frage nach der IT-Schne… Expertin?«
»Genau. Aber für morgen ist eine Gruppe Gäste angekündigt. Mal schauen, ob die auch wirklich auftauchen. Und ob auch alle wieder wohlbehalten abreisen.«
Katharina sah verwundert von ihrem Steak auf: »Warum das denn?«
»Na ja, noch haben wir keine Leichen. Noch!« Harry beugte sich zu ihr: »Das Wasser um Golden Rock herum ist lebensgefährlich. Dabei sollte die Insel eigentlich zum Taucherparadies werden. Aber hier sind gefährliche Strudel entstanden. Keiner weiß, warum. Der Freiherr gibt der Brücke die Schuld.«
»Und?«
»Möglich. Aber als ich im Januar hergekommen bin, gab es die Strudel noch nicht. Und auch noch keine Seewespen.«
»Seewespen?« Katharina schluckte. Seewespen, eine Quallenart, waren die giftigsten Tiere der Welt. Die Berührung mit ihren Nesselfäden konnte Herzstillstand auslösen, mindestens aber einen anaphylaktischen Schock. Das hatte sie mal in einem Dokumentarfilm gesehen. »Aber die gibt es doch vor allem vor Australien, oder?«
»Ja, irgendeine Strömung muss sie hierher gespült haben. – Und da Riffe die Bucht, in der Golden Rock liegt, praktisch in ein abgeschlossenes Becken verwandeln … Na ja, die Viecher scheinen sich hier festgesetzt zu haben und sauwohl zu fühlen. Zusammen mit den Strudeln ist das Wasser um Golden Rock heute eine tödliche Falle, die nicht mal mit Booten zu passieren ist. Der einzige Weg hierher führt über die Brücke.«
»Du klingst so, als ob du glaubst, dass da Absicht hinter steckt?«
»Zumindest gibt es Menschen, die ganz froh wären, wenn Golden Rock bankrottgeht.«
»Wer denn?«
»Schau dich einfach um. Der Freiherr will die Insel der Natur zurückgeben. Ich habe Erkundigungen über ihn eingeholt. Er steht in Deutschland auf der Fahndungsliste: Einbrüche in Tierlabors, abgefackelte Genversuchs-Felder. Tansania weigert sich aber, ihn auszuliefern. Kein Wunder. Er hat viel Geld ins Land gebracht.«
»Er ist reich?«
»Und wie. Er stammt aus einer der reichsten Familien Deutschlands.«
In diesem Augenblick rief der Inder mit Stentorstimme: »Garçon!«
Ein Kellner eilte pflichtbewusst herbei, um sich eine Beschwerde anzuhören.
»Und das ist der Zweite aus dem Club der Feinde von Golden Rock«, erklärte Harry. »Chittaswarup Kumar. Er kauft auf der ganzen Welt Resorts auf, die in wirtschaftliche Schieflagen geraten sind, und baut sie zu Touristenburgen um. Jetzt wartet er nur auf die Pleite von Golden Rock. Solange hat er sich hier eingenistet.«
»Und ihr könnt ihn nicht rauswerfen?«
»Nein. Zu einflussreich. Ihm gehört schon die Hälfte aller Lodges in Tansania. Außerdem zahlt er den vollen Preis für den Mega-Bungalow, den er gemietet hat. Ohne ihn und den Freiherrn könnten wir unser Personal schon längst nicht mehr bezahlen.«
»Und jetzt?«
»Wir warten ab. Von den deutschen Eigentümern hat es den Ukas gegeben, ›Golden Rock bis zum letzten Mann zu halten‹. Wörtlich. Eigenwillige Wortwahl, wenn man bedenkt, dass Mafia Island mal deutsche Kolonie war. – Ich hoffe und bete nur, dass nicht wirklich jemand zu Schaden kommt.«
Katharina dachte laut nach: »Dann wäre dieser Döring aus dem Schneider, oder?«
»Wieso das?«
»Na ja, ein Tourist, der schwimmt oder taucht, trotz der strengen Anweisungen, es nicht zu tun. Ein tragischer Unfall. Ein Skandal. Der Ruf der Anlage ist ruiniert: Und Döring kann sich die Hände in Unschuld waschen, nicht wahr?«
Harry sah sie erstaunt an: »Stimmt. Daran habe ich noch gar nicht gedacht.«
Doch dann musste Katharina ob ihrer eigenen Paranoia auflachen: »Hilfe, Mordmotive, wo ich nur hinschaue. Sogar mitten im Urlaubsparadies.«
Harry lächelte schief: »Stimmt. Vielleicht sind wir schon zu lange bei der Truppe. – Wurde Zeit, dass wir mal rauskommen.«
***
»Gestatten Sie, dass ich Sie zu Ihrem Quartier geleite?« Etwas leichtfüßig vom Wein war Katharina auf dem Weg zu ihrem Bungalow gestolpert. Doch eine kräftige Hand hatte sie aufgefangen: der Freiherr. »Darf ich mich vorstellen? Alexander von Weillher.«
Katharina gab ihm die Hand. Der Händedruck war kräftig, doch seine Haut war weich, die Nägel sorgsam manikürt.
»Gestatten, der militante Umweltschützer vom Dienst.« Er schlug die Hacken zusammen und deutete eine Verbeugung an.
»Zoë Yamamoto. Bereit zur Indoktrination.« Katharina salutierte scherzhaft.
»Indoktrination? Aber, aber. Ich folge nur der guten Sitte, eine Dame niemals alleine durch die Dunkelheit gehen zu lassen.«
»Ein Naturschützer mit Manieren?«
»Adel verpflichtet. Und ich bin der Meinung, dass unsere Welt besser aussähe, wenn wir alle ein wenig mehr Höflichkeit und Rücksichtnahme üben würden. Auch gegenüber Mutter Natur.«
Das Knirschen des Kieses unter ihren Füßen war für ein paar Momente das einzige Geräusch. Katharina betrachtete ihren Kavalier aus den Augenwinkeln: hochgewachsen, schlank, sein Profil aristokratisch-markant. Blonde Haare, blaue Augen.
Sie fragte: »Und Sie wollen Golden Rock den Affen zurückgegeben?«
»Den Affen und den vielen Vögeln, die hier früher genistet haben.«
»Sie könnten die Insel einfach kaufen.«
»Ach, Sie wissen also schon, aus welchem Stall ich komme. Gut. Hab’ ich übrigens versucht. Aber dieses deutsche Konsortium war schneller und will Golden Rock einfach nicht mehr hergeben. Hoffen wohl auf den ganzen großen Coup, wenn die neureichen Chinesen und Russen kommen.«
»Wenn die Seewespen da mal keinen Strich durch die Rechnung machen. Und die Strömungen.« Es konnte nicht schaden, dem Freiherrn ein wenig auf den Zahn zu fühlen. »Kommen die wirklich von der Brücke?«
»Vermutlich. Oder jemand hat ein paar der Riffe gesprengt.«
»Riffe gesprengt? Und wozu?«
»Was weiß ich? Vielleicht, damit sie malerischer aussehen beim Tauchen. Aber die Natur rächt sich. Statt eines ruhigen Wasserbeckens gibt es jetzt unberechenbare Strudel. Und die Seewespen sind ein Glücksfall, das gebe ich zu.«
»Glücksfall?«
»Irgendwann spricht sich das rum. Und dann ist die Insel wieder leer.«
»Und Sie?«
»Ich warte ab. Und erzähle jedem, der es hören will, vom Biotop, das diese Insel einmal war …«
»Daher die Mahnwache?«
»Daher das beliebte Fotomotiv. In Hunderten von Fotoalben, Blogs und Reiseportalen gibt es Fotos von mir. Mit meiner Botschaft.«
Das klang gar nicht so kriegerisch, wie Harry es geschildert hatte.
Der Freiherr streckte den Arm aus und hielt Katharina zurück. »Pavian!«, flüsterte er scharf.
Tatsächlich. Im Licht einer Laterne am Wegesrand saß ein großer Pavian. Als er sie sah, fletschte er die Zähne und stellte sich auf die Hinterbeine. Katharina überlegte rasch. Sie hatte ihre Pistole in ihrer Handtasche. Vielleicht konnte sie …
Doch der Freiherr war schon einen Schritt vorgetreten und in die Hocke gegangen: »Wir sind keine Feinde«, sagte er leise, beinahe zärtlich. »Aber du bist hier in Gefahr.«
Als hätte der Affe verstanden, hockte auch er sich hin.
»Geh schnell heim. Hier gibt es kein Futter für dich.« Während er flüsterte, ging der Freiherr langsam rückwärts, ohne aus seiner Hocke aufzustehen. Der Affe sah ihn an, als müsse er intensiv über die Worte des Freiherrn nachdenken. Dann drehte er sich um und verschwand behände in der Dunkelheit.
Der Freiherr verharrte noch ein paar Sekunden, dann richtete er sich auf: »Ich sag es ja. Höflichkeit hilft immer.«
»Was, wenn er Sie angriffen hätte?«, fragte Katharina noch atemlos von dem Schreck.
»Dann wäre ich jetzt tot oder schwer verletzt. Aber das wäre mein Fehler. Nicht seiner. Schließlich sind wir in sein Reich eingedrungen.« Er drehte sich zu Katharina um: »Oder Sie hätten das arme Tier erschossen. Wenn mich nicht alles täuscht, haben Sie eine Pistole in Ihrer Handtasche. – Vorhin, als Sie gestolpert sind, ist Ihnen ein Henkel entglitten, da habe ich die Waffe gesehen.«
Katharina klemmte ihre Handtasche unwillkürlich fester unter ihren Arm.
»Was sind Sie? Zielfahnderin? BKA? Interpol?«, fragte der Freiherr.
»Nein. Unternehmensberaterin. Ich … ich habe mir ein paar Feinde gemacht.«
»Und Sie sind natürlich nur auf Urlaub hier.«
»Ja«, sagte Katharina fest.
»Meinetwegen. Aber wenn Sie in Ihrem ›Urlaub‹ den Menschen finden sollten, der hier in der Natur rumpfuscht, umso besser.«
»Sie sind es nicht?«
»Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort. Wenn das noch etwas gilt, heutzutage.«
»Wie dem auch sei: Ich bin wirklich im Urlaub hier. Last Minute.«
»Wenn Sie meinen – Heckler & Koch, Glock, Sig Sauer oder Beretta?«, wechselte der Freiherr das Thema.
»Weder noch. Stockert und Rohrbacher. Modell 1.«
Der Freiherr pfiff zwischen den Zähnen. »Ganz was Feines. Wusste gar nicht, dass die schon auf dem Markt ist.«
»Ein Prototyp. Handgefertigt. Geschenk eines zufriedenen Kunden.« Das war zumindest die halbe Wahrheit. »Sie kennen sich damit aus?«
»Meine Familie hat die zweifelhafte Ehre, die größte Handfeuerwaffen-Sammlung der Welt zu besitzen.«
Katharina konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie sich den Freiherrn vorstellte, wie er sich mit einer alten Vorderlader-Pistole auf dem Feld der Ehre duellierte. Obwohl … »Ich hätte gemutmaßt, Degen wären mehr nach Ihrem Geschmack?«
»Oh ja. Zivilisierte, elegante Waffen. – Sie fechten nicht zufällig?«
»Nein, das heißt ja. Ich betreibe Kendo.«
»Eine für meinen Geschmack zu grobe Sportart, wenn Sie gestatten. Erwachsene Menschen, die sich mit Holzklatschen gegenseitig auf den Kopf hauen. Aber vermutlich ebenfalls eine Familientradition, nicht wahr?«
»Ja, eine Familientradition.« Das war zwar glatt gelogen, aber solange sie ohnehin als Halbjapanerin durchgehen musste …
»So wie bei uns in der Familie die Handfeuerwaffen. – Das ist Ihr Bungalow, glaube ich?«
Der Freiherr verabschiedete sich mit einem formvollendeten Handkuss. Seine Lippen berührten Katharinas Hand dabei nicht, sie spürte nur den leichten Hauch seines Atems; so gehörte es sich.
***