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In the Shadow

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Andreas Amendt hatte das Licht nicht angeschaltet. Er saß im Dunkeln auf seinem Wohnzimmersofa. Auf seinen Lippen spürte er noch immer den verdammten Kuss. Er hätte es nie so weit kommen lassen dürfen. Er hätte es ihr schon längst sagen sollen. Aber wie?

»Ach übrigens, Frau Klein: Ich war der Verlobte Ihrer Schwester. Der Vater ihres ungeborenen Kindes. Und ich habe wahrscheinlich in einem Wahnanfall Ihre Familie abgeschlachtet.«

Alles wäre sehr viel einfacher, wenn er wirklich wüsste, was damals passiert war. Doch er hatte nur ein paar unscharfe Erinnerungen. Susannes letzter Kuss. Der letzte Kuss, den er überhaupt von einer Frau bekommen hatte, bis ihn Katharina geküsst hatte. Vorhin. Auf dem Flur des Präsidiums.

Sie küsste genauso wie ihre Schwester. Der sie so zum Verwechseln ähnlich sah. Und mit der sie doch so wenig gemeinsam hatte: Sie war tough, wo Susanne sanft war. Aggressiv und streitlustig, wo Susanne ausgleichend war. Mit dem Kopf durch die Wand, wo Susanne behutsam und zurückhaltend gewesen war. Nur eines hatten sie gemeinsam: Wenn sie jemanden in Not sahen, mussten sie helfen. Und natürlich ihre Art zu küssen.

Andreas Amendt schloss die Augen. Wieder sah er die Bilder vor sich, die ihn bis in seine Träume hinein verfolgten: Bilder von 3. Dezember 1991.

Er war an diesem Tag direkt aus dem Krankenhaus zu seiner Verlobten gefahren. Nach einer Sechsunddreißig-Stunden-Schicht. Einer seiner Patienten hatte einen Krampfanfall erlitten. Einen Grand Mal. Seinen letzten. Er hatte sich die Zunge abgebissen und war daran erstickt. Sie hatten ihn nicht mehr retten können.

Susanne hatte sofort gesehen, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Dass er fertig war. Sterbensmüde. Sie hatte ihm angeboten, sich hinzulegen. Sie war mit ihm nach oben gegangen. In ihr Zimmer, in dem immer ein unbeschreibliches, aber irgendwie sehr sympathisches Chaos herrschte – auch etwas, das sie von ihrer Schwester unterschied, die sogar ihre Bücher nach Farben sortierte.

Er hatte die Schuhe abgestreift und sich auf das Bett fallen lassen, noch immer in seinen Krankenhausklamotten. Susanne hatte ihn zugedeckt. Versprochen, ihn eine Stunde später zu wecken. Und dann hatte sie ihn geküsst. Das war das Letzte, woran er sich erinnerte, bis …

… bis ihn die beiden Polizisten aus der Dusche gezerrt hatten.

Er war nackt gewesen. Das heiße Wasser war wuchtig aus der Massage-Brause auf ihn herabgeprasselt. Dennoch hatte er gefroren. Das Badezimmer war neblig vom Wasserdampf. Seine Kleidung lag unordentlich auf den Fliesen vor der Wanne. Blutverschmiert. Deshalb hatten sie ihn in einen weißen Einweg-Overall aus Plastik gesteckt. Dann hatten sie ihm Handschellen angelegt und ihn auf dem Rücksitz eines Streifenwagens sich selbst überlassen.

Bis Polanski kam.

Dann erst hatte er erfahren, was passiert war.

Was er getan hatte.

Natürlich war er es gewesen. Wer denn sonst? Die Schizophrenie seiner Mutter hatte ihn endlich eingeholt. Auch sie war eines Tages durchgedreht. Hatte mit einem Messer auf seinen Vater eingestochen – und auch auf ihn: Die drei Narben auf seinem Brustkorb legten davon Zeugnis ab. Doch die Stiche hatten das Herz verfehlt.

Sein Vater hatte weniger Glück gehabt. Er war innerlich verblutet. Dann war seine Mutter ins Badezimmer gegangen und hatte sich selbst die Kehle durchgeschnitten.

***

Die Türklingel riss Andreas Amendt aus seinen Gedanken. Wer konnte das …? Wer wohl? Das konnte nur sie sein. Sie war gekommen, um ihn zur Rede zu stellen. Er hätte nach dem Kuss nicht einfach davonlaufen sollen. Er hätte bleiben sollen. Ihr die Wahrheit sagen.

Zu spät.

Er wollte aufstehen und zur Tür gehen. Doch er hatte einfach nicht die Kraft. Nicht heute. Nicht jetzt.

Er ließ sich wieder auf das Sofa zurücksinken.

Lauschte in die Dunkelheit.

Doch es klingelte kein zweites Mal.

***

African Boogie

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