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Die Kreuzzüge
ОглавлениеUmwelt und Zeit des heiligen Franziskus sind durch den Kreuzzugsgedanken geprägt. Gewissermaßen als Zeitzeuge hat er hautnah den Fünften Kreuzzug (1217–1221) erlebt, ein gewaltiges Unternehmen, an dem noch einmal alle christlichen Staaten Europas beteiligt waren. Der Feldzug in Ägypten stand seit 1218 unter der Leitung des päpstlichen Legaten Kardinal Pelagius, eines fanatischen Spaniers. Am 5. November 1219 konnte die Festung Damiette (Damiata) erobert werden. Die vernichtende Niederlage des Kreuzfahrerheeres bei Mansurah im August 1221 besiegelte jedoch die Katastrophe des gesamten Unternehmens.
Franziskus, der im Sommer 1219 mit einigen Gefährten (wohl von Ancona aus) die Reise nach Syrien angetreten hatte und von dort zu dem Kreuzfahrerheer bei Damiette gelangt war, wurde wahrscheinlich im Laufe des Jahres 1220 von dem Sultan Melek al-Kamil (1218–1238) freundlich empfangen und reich beschenkt.6 Seine Erwartungen, entweder den Sultan und sein Volk zum Christentum zu bekehren oder das Martyrium zu erleiden, erfüllten sich jedoch nicht. Die im ganzen wohl negativen Erfahrungen des Franziskus mit dem Heiligen Land und seinen heiligen Stätten, um die heilige Kriege geführt wurden, hat sich in der Gründung der neuen franziskanischen Heiligtümer im Herzen Italiens niedergeschlagen: Greccio (das »neue Bethlehem«), La Verna (der »heiligste Berg des Erdkreises«), Portiuncula (der »heilige Ort« der allgemeinen Sündenvergebung und endgültigen Erlösung für alle Menschen).
Die heiligen Kriege, die die westliche und östliche Christenheit im 12. und 13. Jahrhundert gegen die Muslime führte,7 nahmen ihren Ausgang von der Predigt des Papstes Urban II. am 27. November 1095 während des Konzils von Clermont. Die Idee des gerechten und darüber hinaus heiligen Krieges, ohne die die Kreuzzüge nicht denkbar wären, war schon während des 11. Jahrhunderts in Kreisen des cluniazensischen Mönchtums und der von ihm initiierten sogenannten Reformbewegung entwickelt worden: Zur Sicherung des von den Reformern geforderten Gottesfriedens (treuga Dei) konnte es notwendig sein, den Friedensbrechern und Gottesfeinden mit der Waffe entgegenzutreten. Die Päpste, insbesondere Gregor VII., suchten den Rittern aus dem Laienstand ein neues Selbstverständnis als militia Dei oder militia Christiana zu geben.
Der Hauptideologe des religiös motivierten Krieges gegen die Ungläubigen war aber der heilige Bernhard von Clairvaux. In seinem Werk über die geistlichen Ritterorden (De laude novae militiae)8 preist er den glorreichen Tod im heiligen Krieg für die gute Sache. Der Ritter Christi tötet im Auftrag Christi. Er ist kein Menschen-Mörder (homicida), sondern ein Bösen-Töter (malicida). Man müßte die Heiden nicht töten, wenn es ein anderes Mittel gäbe, sie von der Belästigung der Christen abzuhalten. So aber ist es besser, sie werden umgebracht, als daß die Sünder die Gläubigen behelligen. Die Ritter führen das Schwert im Auftrage Christi, vor allem um die Heiden aus der civitas Domini (Jerusalem) zu vertreiben. In einem Brief, den Bernhard 1147 »an alle Gläubigen« richtet,9 ruft er die Christen dazu auf, die Heidenvölker entweder völlig auszurotten oder sie zu bekehren. Der Zweite Kreuzzug, zu dem er ein Jahr zuvor die Könige Ludwig VII. von Frankreich und Konrad III. von Deutschland angestiftet hatte, endete, wie fast alle Kriegszüge nach Outremer, mit einem totalen Fiasko des bewaffneten Arms des westlichen Christentums.
Die Kreuzzüge waren vor allem Kriege der Päpste: die Päpste erwiesen sich immer wieder als die treibende, mahnende, drohende, strafende Kraft. Sie belohnten die Kreuzfahrer mit geistlichen Dispensen und Privilegien, deren wichtigstes der Ablaß war. Sie trieben einen Großteil der enormen Summen auf, die die Kreuzzüge kosteten. Sie nutzten auch die Kreuzzüge für die Ausdehnung ihrer Herrschaft. Schon im 12. Jahrhundert wurde es üblich, das Kreuzfahrergelübde auch auf die Rückeroberung (Reconquista) der Iberischen Halbinsel auszudehnen. Sodann zogen Kreuzfahrer gegen die heidnischen Völker im Ostseeraum (Wenden, Esten, Finnen). Auch die Kriege gegen die Griechen (seit 1204), die Häretiker in Südfrankreich (Albigenser: seit 1209) und den Kaiser Friedrich II. und seine Söhne (1240–1268) galten als Kreuzzüge.
Mit dem Fall der letzten wichtigen Festung Akkon im Jahre 1291 waren die zweihundertjährigen Mühen um die Befreiung des Heiligen Landes endgültig gescheitert, nicht aber die Kreuzzugsidee: sie lebte im christlichen Abendland bis zum Ende des Mittelalters fort. Doch sind auch die bedenklichen und kritischen Stimmen, besonders im 13. Jahrhundert, recht zahlreich.
Die franziskanische Idee der Gewaltlosigkeit und die Predigt des Friedens enthält zweifellos die profundeste Kritik an den von Papst und Kirche geförderten kriegerischen Unternehmungen. Zwar ist Franziskus nicht offen gegen den Kreuzzug aufgetreten. Aber eine arme Kirche nach dem Vorbild Christi und der Apostel, wie er sie sich vorstellte, hätte keinen Besitz und keine Macht zu verteidigen gehabt. Und wozu sollte man heilige Stätten erobern, wenn man an neuen Orten mitten im Bereich des westlichen Christentums Erlösung und Heil in wirksamer Weise erlangen konnte? Auf dem Hintergrund der von den Päpsten betriebenen Ideologie und Praxis des heiligen Krieges erscheint die franziskanische Friedensbewegung als eigentlicher revolutionärer Gegenstrom, wenngleich sie im vordergründigen Bereich der historischen Ereignisse scheiterte.