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Einsiedler und Wandermönche um die Wende des 11. Jahrhunderts

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Man würde der Eigenart der Wanderprediger und Eremiten des frühen 12. Jahrhunderts nicht gerecht, wenn man sie einfachhin als »Vorläufer« des Franziskus charakterisieren wollte.24 Andererseits steht das Franziskanertum, trotz seines Anspruchs auf Originalität, Einzigartigkeit und Neuheit, den ja Franziskus selbst schon erhoben hat,25 in der Kontinuität der Armutsbewegungen, die vor allem in Frankreich und Italien schon ein gutes Jahrhundert früher verbreitet waren. Viele radikale Ideen im Zusammenhang mit der Forderung nach einer am Leben Christi und der Urkirche orientierten Kirchenreform waren in der Christenheit bekannt, längst ehe die Bettelorden in Erscheinung traten. Franziskus allerdings hat viele der ihm überkommenen Ideen in der ihm eigenen Weise verwandelt und radikalisiert.

Eine der frühesten bedeutenden Gestalten des Reformmönchtums war der Florentiner Johannes Gualberti, der 1036 die Abtei Vallombrosa gründete. Vom Ideal der vita evangelica und apostolica bestimmt, bekämpfte er den simonistischen Klerus von Florenz, an dessen Spitze der Bischof Petrus Mediabarba (Pietro Mezzabarba) stand. Die umherziehenden Mönche von Vallombrosa erregten das Mißfallen des Papstes Alexander II. (Anselm von Lucca), der doch immerhin der Mailänder Pataria sehr nahe gestanden hatte.26 Der Eintritt des Johannes Gualberti in das mönchische Leben war mit einem visionären Bekehrungserlebnis in der Kirche San Miniato bei Florenz verbunden: er hatte dem Mörder eines nahen Verwandten, der sich wehrlos vor ihm in Kreuzesform ausgestreckt hatte, Verzeihung gewährt. Als er kurz darauf die Kirche S. Miniato betrat, nickte ihm der Crucifixus (zustimmend und dankend) zu.27 Zwar spricht der Gekreuzigte noch nicht, wie fast zweihundert Jahre später der Crucifixus von S. Damiano zu Franziskus, aber die Parallelität der Ereignisse läßt sich kaum übersehen, und wir erkennen den Beginn einer Kreuzesmystik, die später im Franziskanertum ihren Höhepunkt erreichen wird.

Gegen Ende des 11. Jahrhunderts schlossen sich die Anhänger herausragender Einsiedler zu neuen Gemeinschaften zusammen, die an den Idealen von Eigentumslosigkeit und strenger Buße orientiert waren und keine andere Norm als das Evangelium anerkannten. Stephan von Thiers († 1124) gründete um das Jahr 1080 in der Einöde von Muret mit Erlaubnis des Papstes Gregor VII. eine Eremitengemeinschaft.28 Aus ihr entstand der Orden von Grandmont. Stephan lehnte die alten Mönchsregeln des Basilius, Augustinus und Benedikt für seine Gemeinschaft ab. Im Prolog der Regel des Grammontenser-Ordens spricht er ihnen die Originalität ab: sie seien Ableger (propagines), Blätter (frondes), nicht die Wurzel (radix) selbst; Wurzel und Ursprung sei allein das Evangelium.29 Man erkennt auch hier die Nähe der Vorstellungen zu denen des Franziskus und zugleich, daß dessen Zurückweisung der älteren Mönchsregeln für seinen Orden und der Anspruch auf Neuheit (die in der einfachen Befolgung des im Evangelium vorgezeichneten Weges lag) so ganz neu nicht gewesen ist.30

Weitere Eremiten dieser Zeit, aus deren Wirken Ordensgemeinschaften entstanden, waren Bernhard von Thiron († 1117), Vitalis von Savigny († 1122), Girald von Salles († 1120), der den Orden von Cadouin gründete, und Robert von Arbrissel († 1116), der Gründer des berühmten Doppelklosters und des Ordens von Fontevraud (ältere Schreibweise: Fontevrault). Robert hat von ihnen allen wohl am eindrücklichsten und nachhaltigsten gewirkt, nicht nur auf seine engeren Gefolgsleute, sondern auch auf das einfache Volk der Bretagne und der benachbarten Landschaften, wo die kultische Erinnerung an ihn bis heute lebendig ist.31 Robert war Erzpriester in Rennes und engster Berater des dortigen Bischofs gewesen. Nach dessen Tod mußte er die Stadt fluchtartig verlassen. Es folgte ein zweijähriger Studienaufenthalt in Angers. Dann zog er sich (1095) in den Wald von Craon zurück. Dort kam es zur Gründung einer Einsiedlergemeinschaft, die ein Leben nach dem Vorbild der Urkirche (more primitivae Ecclesiae) führte.32 Robert selbst zog ein Wanderleben in der Nachfolge Christi »ohne Stab und Tasche« vor. Er wollte sich total von allem Weltlichen abwenden, um so als »Nackter« dem nackten Christus am Kreuz zu folgen.33

Das Apophthegma: »Nudum Christum nudus sequi«, das schon in den Briefen des heiligen Hieronymus in verschiedener Gestalt begegnet,34 bringt im 11. und 12. Jahrhundert überaus häufig das Lebensideal der »Armen Christi« und der Wanderprediger, dann aber auch der von der Römischen Kirche sich entfernenden oder aus ihr hinausgedrängten Häretiker zum Ausdruck.35 Im Leben des Franziskus und in der franziskanischen Spiritualität gewinnt die Nacktheit eine eigene und zentrale Bedeutung.

Auch die beiden großen Reformorden, die sich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts mächtig ausbreiten, verstehen sich als »Arme Christi«. Cistercienser und Prämonstratenser sehen die Einöde als den geeigneten Ort zur Verwirklichung des mönchischen Ideals an. Bernhard von Clairvaux, durch den die anfänglich kaum lebensfähige Gemeinschaft von Cîteaux ihren entscheidenden Auftrieb erhielt, bezeichnet sich einmal als »pauperum Christi de Claravalle servus«.36 Die Mönche von Clairvaux sind die wahren pauperes, die Christus in allem und in vollkommener Weise nachfolgen.37 Norbert von Xanten, der Gründer der reformierten Chorherren-Gemeinschaft der Prämonstratenser, erblickt sein Lebensideal in einem Wanderleben als »Nackter« in der Nachfolge des nackten Gekreuzigten.38 Wie später Franziskus will er auf Tasche und Schuhe verzichten und sich mit nur einem Oberkleid begnügen. Wie ERNST WERNER zutreffend bemerkt hat, konnte »ein Nachleben Christi in dieser Form, die eine wandernde Askese in rigorosester Art darstellte, Hunger und Kälte, Armut und Niedrigkeit förmlich suchte,… unmöglich im Sinne des Reformpapsttums und der Hierokratie liegen.«39 Norbert wurde deshalb, wie vor ihm schon andere, genötigt, an dem Ort Prémontré bei Laon (1120) eine feste Niederlassung zu gründen, die seiner Gemeinschaft den Namen gegeben hat.

Die Reformbewegung Norberts entwickelte sich so wie die Einsiedlerbewegungen eine Generation vor ihm und im übrigen auch die Cistercienser: ihre Klöster wurden in kürzester Zeit sehr reich. Damit war in allen Fällen der Elan der Reform gebrochen. »Das echte Erbe der Pauperes Christi übernahmen dualistische Ketzer, nicht katholische Klöster. Es war die Tragik der Wanderprediger, daß sie in der Kirche ihrer Zeit kein Verständnis für ihr Ideal fanden, das ein Leitstern weitester Kreise geworden war, und sich unter ein altes Joch beugen mußten, unter dem ihr Werk verkümmerte. Für die Tat des Waldes fehlte ihnen der Mut, für eine franziskanische Genossenschaft der Kirche das Verständnis. Damit öffnete die Papstkirche den häretischen Pseudoaposteln selbst die Tore zu den aufgewühlten Gemütern des Volkes, ohne zu wissen, wie sie die neue Flut eindämmen sollte.«40

Franziskus von Assisi

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