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Sagen uns die neutestamentlichen Texte nicht viel mehr?

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Wer die bisherigen Ausführungen mit dem vergleicht, was in den Evangelien über die Vorgänge um Jesu Tod zu lesen ist, der wird sich wundern, wie viel davon noch nicht zur Sprache gekommen ist. Die Rede war bisher nur von dem, was als historisch gesichert oder als wahrscheinlich gelten kann. Die Passionsgeschichten der Evangelien sind keine historischen Protokolle, sondern Christuszeugnisse aus der Sicht der nachösterlichen Gemeinde.

Die Passionstexte sind wohl die ältesten zusammenhängenden Erzählüberlieferungen der jungen Christenheit. Sie bilden auch den Kernbestand des ältesten Evangeliums, das des Markus, das um 70 entstanden ist, also etwa vierzig Jahre nach Jesu Tod. Der Theologe Martin Kähler hat daher das Markusevangelium als eine »Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung« charakterisiert. Die Passionsgeschichte bezieht sich zwar auf Jesu Weg hin zum Tod, sie hat dennoch keinen zusammenhängenden Erzählfaden, sondern ist aus Einzeltraditionen zusammengesetzt, die von Markus und von den Verfassern der anderen Evangelien bearbeitet und ergänzt worden sind. Dabei ging es nicht um die Ergänzung der spärlichen historischen Fakten, sondern um Deutungen der Geschehnisse, um Einbindung der Passionsereignisse in den Christusglauben, um Bekenntnisse, die sich seit Ostern zu artikulieren beginnen. Diese Bekenntnisse, Deutungen und Predigten können selbst |20| wieder in der Form von Erzählungen gestaltet sein. Das ist für die Erzählweise der Alten Welt ganz normal und bis heute in der erzählenden Literatur üblich. (Wenn Ricarda Huch in ihrer Geschichte des Dreissigjährigen Kriegs Dialoge der handelnden Personen wiedergibt, so hat sie gewiss nicht an den Türen gelauscht. Sie hat diese Personen, deren Denken, deren Motive des Handelns und deren Charakter in diesen Dialogen zum Ausdruck gebracht und zugleich auch ihr Verhältnis zu diesen Personen.) Über den Charakter der biblischen Texte wird im Zusammenhang mit den Deutungen des Todes Jesu noch ausführlicher zu sprechen sein. An dieser Stelle genügt die Feststellung, dass wir die Texte der Passionsgeschichte nicht als historische Berichterstattung, sondern als Ausdruck des nachösterlichen Jesusverständnisses zu lesen haben.

Musste Jesus für uns sterben?

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