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DER ERBPRINZ

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Friedrich war ein Sorgenkind. Infolge eines Sturzes vom Sitz eines Wagens hatte sich der Kleine die Wirbelsäule schwer verletzt. Offenbar wurde die Gefährlichkeit dieser Erkrankung nicht oder zu spät erkannt. Die Knochen waren weitergewachsen; das Kind litt unter ständigen Schmerzen, und zuletzt war der Rücken des künftigen Kurfürsten verwachsen, zu Deutsch, es hatte sich ein Buckel gebildet. Überdies litt der Prinz an Atembeschwerden, asthmatischer Art wahrscheinlich, die sich bis zu Erstickungsanfällen steigern konnten. Ob die Missbildung der Füße, die beim Gehen und Stehen nach innen gerichtet waren, als eine Folge der Rückenverletzung anzusehen ist und zu Haltungsfehlern führte, kann nur vermutet werden. Eine zärtlich besorgte Mutter und Großmutter ließen nichts unversucht, um diesem leidenden Kind zu helfen. An sich war die Orthopädie gegenüber den anderen Bereichen der Medizin, etwa der Inneren, durchaus entwickelt. Die Kriege hatten sicherlich mitgeholfen, dem Wundarzt Einblicke in die Lage der Knochen des menschlichen Skeletts zu verschaffen. Verschiedene Hilfsmittel waren ebenfalls schon bekannt. Korsetts wurden aus Fischbein, aus Metallstangen, Stoff und Leder verfertigt, Krücken konnten gemacht werden. Fritz wurde also zahlreichen Ärzten vorgestellt; endlos weite und anstrengende Reisen unternahmen die beiden Frauen mit dem Kind, vergeblich, bis sie an den berühmten Orthopäden Schot gerieten. Dem gelang es immerhin, die Fußstellung des Kindes so weit zu verbessern, dass es wenigstens richtig gehen konnte. Ergrimmt nannte die Großmutter Friedrichs alle diese Ärzte in Kassel, Kleve, Utrecht, die nacheinander konsultiert worden waren, bloß Quacksalber und Pfuscher. Indessen verstand es der Arzt Fay, eine weitere Koryphäe, schließlich sogar den Buckel zu mindern, jedenfalls durch komplexe Behandlung, orthopädische Gymnastik und die Verbesserung des allgemeinen Zustands des Jungen. Es muss gesagt werden, dass Erziehung und Fürsorge für die Kinder nicht bloß in Fürstenhäusern miserabel gewesen sind. Auch die Kindersterblichkeit war verzweifelt hoch. Luise, die Mutter Friedrichs, wurde, vielleicht durch den Verlust ihres ersten Kindes, zu einer überängstlichen Sorge veranlasst. Immerhin, was für den Sohn getan werden konnte, das wurde getan.

Die ersten Lebensjahre verbrachte ihr Kronsohn unter ihren Fittichen, entweder in Königsberg oder zu Cölln, dem Berliner Schloss, das der Kurfürst um die Mitte der vierziger Jahre in einem jämmerlichen Zustand vorgefunden hatte, wie wir bereits lasen, oder auf Reisen. Viel dürfte sich zwischen 1537 und 1657 an der kurfürstlichen Residenz nicht gebessert haben. Der Dreißigjährige Krieg - er war 1648 zu Ende gegangen, der Kurfürst hatte den Friedensschluss achtundzwanzigjährig erlebt - und die mühseligen Jahre der Regentschaft des Großvaters waren nicht eben dazu angetan, die kulturellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Aufblühen Kurbrandenburgs zu verbessern. Die Jahreszahl 1537 kommt nicht zufällig hier herein; denn uns liegt eine fabelhafte Überlieferung darüber vor, wie es im Schloss zu Cölln zuging. Damals wie heute spielen sich wichtige öffentliche Dinge oft genug beim Essen ab; solche Treffen nennt man deshalb auch Arbeitsessen, weshalb sie der brave Bürger steuerlich absetzen darf. Seinerzeit rief ein Signal, Trompete, Fanfare, Posaune, was auch immer, die Fresser und Säufer, die keine Abgaben kannten und überhaupt nichts freiwillig hergaben, zu Tisch in den Rittersaal des Schlosses. Dort nahmen die Herrschaften entsprechend ihrem Rang an gesonderten Tischen die Mahlzeit ein; Räte, Edelmänner und sogenannte Einrösser, also der märkischen Ritterschaft (ein in sich gegliederter Stand unterschiedlichster Ränge selbst halber und gevierteilter Rösser) angehörende Personen, bekamen die ihnen zukommenden Plätze zugewiesen. Dann wurden alle Türen verschlossen, um das Abschleppen, also das Stehlen von Esswaren und Getränken vom Herrentische, zu erschweren. Wein- und Bierkeller wurden ohnedies immer verschlossen gehalten. Beim Verlassen des Saales konnte ein jeglicher bequem kontrolliert werden. Dem Gelage stand ein sogenannter Marschalk vor, der nicht nur das Auf- und Abtragen der Speisen und Getränke überwachte, sondern auch auf Zucht und Sitte bei Tische achtete, was offenbar nötig. Noch zu Joachims Zeiten war die märkische Ritterschaft nicht in der Lage gewesen, einen Protokollführer zu stellen, weil keiner von ihnen des Schreibens kundig sei, wie der Kurfürst zu wissen bekam. Nach dem Essen durften sich die Herren ins Frauenzimmer zurückziehen; daher der keineswegs abwertende Ausdruck für eine Frau schlechthin. Dort saßen denn die Jungfrauen in einer Reihe den Herren gegenüber, weil das Sitzen zu zweit nicht gestattet war. Mit Recht. Wir bestätigen; es kommt nichts dabei raus, wenn jugendliche Frauenzimmer und Herren zu dicht beieinander sitzen. Da springt allzu leicht der Funke in die entflammbaren jungen Herzen, und niemand weiß, wie die Glut gelöscht werden kann. Dass nichts passierte, dafür sorgte eine Hofbeamtin. die Hofmeisterin, und um zwanzig Uhr war es ohnehin Zappen duster und Schlafenszeit. Nun ist es allerdings zu befürchten, dass die Kammern der Jungfrauen belebter waren, als sich die Hofmeisterin träumen ließ, denn das Zeitalter war sinnenfreudig gestimmt, katholisch, kalvinistisch oder alt-lutherisch, wie auch immer, davon überzeugt, es stünde am besten mit einem, wenn man genieße, was einem gegeben... Zu Bett zu Bett, wer eine hat, wer keine hat muß auch zu Bett, sangen die kleinen und großen Kinder. Alle Feuer und Lichter im Schlosse wurden gelöscht, die Tore gänzlich verschlossen.

Zu Friedrichs Zeiten wird sich daran kaum etwas geändert haben, schon deshalb nicht, weil Luise Henriette eine fromme, und das heißt eine strenge Kalvinistin war, in diesem Punkt hatten die beiden Gatten keinerlei Meinungsverschiedenheiten. Für den Prinzen wird diese Hausordnung, mag sie nun schon etwas gelockerter gewesen sein oder den höfischeren Zug angenommen haben, keine Bedeutung gehabt haben. Er hätte auch ohne Hofordnung zu Bett und mit den Hühnern schlafen gehen müssen, sozusagen. Luise Henriette, die oranische Prinzessin, war, so scheint es, ihrem sozialen Erbe nach weit eher den bürgerlichen Traditionen der Niederlande verbunden als eine Prinzessin neuerer höfischer Observanz. Das Dasein der damaligen Fürsten der Zeit unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg war im ganzen gesehen barock und erfreulich lebensnah, grobianisch, liest man im Simplizissimus, geschrieben von einem, der gut Bescheid damit wusste, Grimmelshausen. Zuletzt riet er uns allen zur Askese. Gleichviel, man rieb sich noch an der Erde wie am Leben. Jedenfalls hätten wir der Mutter des kleinen Erbprinzen Friedrich ohne Bedenken unser eigenes krankes Kind anvertrauen können. Von der Geburt ihres Fritzchens an gerechnet, hatte diese Frau nur noch zehn Jahre zu leben, die ausgefüllt gewesen sind mit Kinder pflegen und Kinder gebären, mit Reisen und Sorgen um das Glück ihrer Familie. Die Schwindsucht brach aus, vergeblich fuhr die Kurfürstin ihrer schwachen Lungen wegen zu Kuren nach Aachen und Spa; sie wollte leben, leben. Sie beobachtete, wie sich der Prinz fleißig darin übte, die Rolle eines Fürsten zu spielen. Er verkleidete sich gern, ließ sich als Prinz von Halberstadt anreden und stiftete im Alter von neun Jahren selbstbewusst einen Ritterorden, den Orden de La generosite. So weit weg von der großen Welt war der Berliner Hof nicht, dass die Kunde von diesem eigenartigen jungen Mann nicht bis nach England, eine der Seemächte, und anderswohin gedrungen wäre. Flugs ernannten ihn die Dänen und die Söhne Albions zum Ehrenmitglied ihrer eigenen verspielten Orden, des Hosenband-, des Elefantenordens.

Dieser verwöhnte und verzärtelte Muttersohn, dieser schwächlich-kranke Knabe, der so völlig anders war als sein nur wenig älterer, kräftiger und kerngesunder Bruder, hatte gleichwohl in dieser Zeit die ganze Liebe seines Vaters, des Kurfürsten. Wie auch sein Bruder Karl Emil, durfte er den Papa auf Jagden und ins Feldlager begleiten, auf wilden Pferden reiten, ohne solche Exzesse sonderlich zu lieben, durfte mit dem Schwert fechten, ohne den Ehrgeiz, ein Prinz Eugen von Savoyen zu werden, und lernte den Umgang mit Blei und Büchse. Nicht einmal den Tanz soll Friedrich sonderlich geliebt haben, und der Tanz war als Abendvergnügen bei Hofe damals ausgesprochen beliebt; vielleicht hinderte ihn sein misslich gestalteter Körper daran, solche Unterhaltung zu genießen. Der Kurfürst war, wie alle cholerischen bis sanguinischen Naturen, wechselnd großmütig und kleinlich, konnte sanft sein wie eine Taube und brüllen wie ein Löwe, sich wie ein biederer Hausvater aufführen, zusammen mit Frau und Kindern auf Kleinstadtmärkten herum streifen und die Dreistigkeiten der Leute anhören, einkaufen, mit den Jungen spielen und sich andererseits bis zur Weißglut über einen Dreck aufregen. Mochte der Große Kurfürst auch manch einen störrischen Esel von Untertanen oder albernen Dummkopf von Rat aufbrausend rüffeln, seinen Kindern gegenüber war er nachsichtig oder zeigte sogar eine bemerkenswerte Feinfühligkeit, wenn es um die Erziehung der Knaben ging. Karl Emil wollte sich mehr in Richtung eines Taugenichts entwickeln, aber der spätere Erbprinz widmete sich mit Leidenschaft seinen zunächst noch spielerischen Studien, seinen Entwürfen am Zeichenbrett, übte sich in der Musik, er erlernte, wie sein Nachfahre und Enkel, das Flötenspiel und traktierte, wie seine spätere Gemahlin, heftig das Klavichord. Soweit sind wir aber noch nicht.

Glanz und Elend der Friedrich - Wilhelms

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