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SOPHIE CHARLOTTE

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Wer Langeweile hat, und wer hat sie nicht, der begibt sich an einem Wochenende oder im Urlaub auf einen Ausflug, der ihn gelegentlich auch nach Köpenick führen mag. Ausflüge macht man im Auto. Einst wurde viel über die Quälerei des Reisens mit Kutsche und Diligence gestöhnt; diese Plagen sind nichts gegen das Gefühl, in einem Stau ausharren zu dürfen, eventuell bei tropischen Innentemperaturen. Man sitzt und raucht, oder man lässt es, weil das Fenster heruntergelassen bleibt, um die Abgase anderer Autos abzuhalten, fährt ein paar Schritte, ruft die Gören auf den Hintersitzen ärgerlich zur Ordnung, was eine Auseinandersetzung; mit der Gemahlin auf dem Vordersitz nach sich zieht, einen Streit, den man verliert; man hält schließlich verärgert den Mund. Endlich aber sind wir doch in Köpenick angekommen und haben uns vergeblich nach einem Parkplatz umgesehen. Obschon wir wussten, dass es sich bei dem Städtchen um eine alte verwinkelte Ortschaft mit engen und schmalen Gassen handelt, waren wir von der Idee nicht abzubringen, unser Fahrzeug böte die beste Gewähr für Schnelligkeit und Bequemlichkeit. Es ist übrigens noch erstaunlicher als unsere durch keine Tatsachen zu belehrende Ignoranz, dass es sich bei dem Schlösschen auf der dem Ort vorgelagerten Flussinsel um ein Bauwerk handelt, an welchem seit den Tagen des Großen Kurfürsten ganz offenbar vergeblich gebaut, ausgebaut, umgebaut, saniert, resaniert wird. Zurzeit befindet sich ein Museum in den Schlossräumen, und es wird natürlich saniert. Es wird überhaupt immer saniert. Da das Haus möglicherweise an diesem Tage geschlossen ist, gehen wir ein Stück durch die Anlage zur Dahme und finden, dass man sich in jenen Zeiten wahrscheinlich hier ganz wohlfühlen konnte, wenn man sonst nichts zu sorgen hatte.

Hierher zog sich das junge Paar, bei dessen Trauung wir soeben in Potsdam gegenwärtig waren, zurück, über den Zustand dieses Zuhauses bewegend Klage führend. Es war ja doch eigentlich ein schönes Fleckchen märkischer Erde bzw. Insel am Zusammenfluss von Spree und Dahme, das ihnen angewiesen worden war. Nebenbei bemerkt, wimmelt es rund um Berlin von solchen Schlössern und Schlösschen, die selten oder nie bewohnt wurden und allenfalls gelegentlich im Herbst aufgesucht wurden, wie etwa das Jagdschloss Wusterhausen, mit welchem wir uns sogleich näher befassen müssen; mit dem alten Tierparkschloss, dem Schloss Friedrichsfelde, und so weiter.

Neben den Freuden junger Ehen, die zu genießen allerdings einige Fähigkeiten und Anstrengungen voraussetzt, wuchsen die Misshelligkeiten zwischen Stiefmutter und -sohn rascher und nahmen paranoide Formen an. Anscheinend war man sich bereits zu Kassel darüber klar geworden, dass der berlinischen Agrippina Dorothea alles, aber auch buchstäblich alles zuzutrauen war. Tante Landgräfin hatte sich ebenso offenkundig mit dem getreuen Ekkehardt Danckelmann, Berater und Fluchthelfer des Thronerben, über Gegenmaßnahmen im Falle eines täglich erwarteten Giftanschlages durch Dorothea beraten. Das Paar Landgräfin-Danckelmann muss sich wohl darin einig geworden sein, nur durch ständige und sorgfältigste Überwachung und erhöhte Aufmerksamkeit all dessen, was in Nähe des Prinzen geschah oder sich vorbereitete, einem hinterhältigen, vorsätzlichen Giftmord wirksam begegnen zu können. Für solche Sachen ist Danckelmann, wenn nicht in Übereinstimmung auf dem Niveau der Tante Landgräfin, so doch in voller Berechnung des Vorteils, der sich für ihn aus der Überwachung des Prinzen ergab, der richtige Mann gewesen.

Kommen wir also zu den Tatsachen. Nach einem gemeinsamen Essen wurde Kaffee gereicht. Dieses angenehme Gift hatte sich seit dem Kontakt mit den Türken rasend schnell im Okzident ausgebreitet und viele Verehrer gefunden. Friedrich, unser junger Ehemann, trank also den osmanischen Kaffee und fühlte sogleich eine Übelkeit, die er fach- und sachkundig als Vergiftung erkannte. Nun hatten sie endlich ihren Giftanschlag auf den armen Prinzen Fritz. Allein, sogleich war der Danckelmann zur Stelle und verabreichte das sorglich bereitgehaltene Brechmittel, worauf sich der Prinz, mit Verlaub, auskotzte, und nach der Entleerung seines schwachen Magens fluchtartig die Residenz verließ, um sich aufs Land zurückzuziehen. In einem mit Klagen und bitteren Vorwürfen gespickten Brief bat er den Vater, dem Hof künftig fernbleiben zu dürfen. Irgendwie hat sich diese Geschichte beigelegt, oder nicht beigelegt, da der Vorwurf eines Giftanschlags sich nicht durch kurfürstliches Stillschweigen erledigte, vielmehr den Boden für die nächstfolgenden Hysterien bereitet. Der nächste Fall eines vermuteten Giftattentats ereignete sich im Berliner Schloss. Inzwischen hatte die junge Elisabeth ein Mädchen zur Welt gebracht, nämlich im September 1680, wofür der junge Vater die Herrschaft Kleve-Mark vom Kurfürsten übertragen bekam. Nein, gerecht geht es nicht zu auf dieser Welt, wo einer ein ganzes Land für einige Minuten Lust und ein anderer für neun Monate Last einen schwachen Händedruck bekommt. Zugegeben, hier haben wir einen himmelschreienden Fall von männlichem Machtmissbrauch. Friedrich musste zum Herrscher aufgebaut werden, da er sich doch immerhin als fähig erwiesen hatte, Nachkommen zu zeugen, ein Mädchen zwar bloß, aber beim nächsten Mal konnte es doch auch ein Knabe sein, nicht wahr? Im Juni 1683, als das Paar von Köpenick ins Berliner Schloss herüberkam, klagte Elisabeth über Kopfschmerzen. Wenig später wurden Pocken festgestellt, ein Leiden, gegen das es selten eine Rettung gab. Sie starb denn auch am 7. Juli 1683, unter großen Qualen, wie uns gemeldet wird. Was für eine Gelegenheit! Endlich hatten sie eine Giftleiche im Schloss, und was für eine! Neben dem Schmerz über den Tod seiner Frau brach bei Friedrich erneut die Gifthysterie aus, und im Berliner Schloss ging alsbald das Gerücht um, Elisabeth sei vergiftet worden. Von wem? Von der Stief- und Schwiegermutter. Die Sache war an sich klar, das Ziel der Kampagne deutlich, die Idee selbst perfide. Getroffen werden sollte die Kurfürstin; sie als Giftmischerin zu denunzieren, hätte ihren Einfluss auf den Kurfürsten, hätte sie möglicherweise überhaupt beseitigen können. Schließlich machte der Kurfürst dem ganzen unsinnigen Theater ein vernünftiges Ende und ordnete eine strenge Untersuchung des Giftfalles an. Dazu wurde eine Kommission gegründet, die alles, womit die Verstorbene in Berührung gekommen war, Kleider, Speisen, die Zimmer und Medizinen, soweit es damals möglich war, untersuchte. Leicht zu verabreichendes Gift wie Arsen war jedermann leicht zugänglich, es wurde als Mückenstein noch im neunzehnten Jahrhundert in Apotheken frei verkauft und in adligen wie bürgerlichen Schlafräumen auf Schränken deponiert, um Nächtens vor den Plagegeistern Ruhe zu haben. Überhaupt wurde Arsen vielfaltig eingesetzt, in der Vieh- und Geflügelzucht, im Wein- und Gemüseanbau, und zwar in verschiedenen Formen, etwa als Mäusebutter. Jedenfalls fand sich Arsen in vielen Haushalten. Eine völlig sichere medizinische Methode, Arsen im Körper eines Verstorbenen nachzuweisen, gab es freilich nicht. Die tiefbraune, spiegelnd glänzende Verfärbung der Haut, Schwartenbildung, die Verseifung des Muskelgewebes und ein Käsegeruch galten als Zeichen einer Arsenvergiftung. Dazu musste die Leiche exhumiert werden. Der Beweis selbst ist freilich zweifelhaft, wie die Gerichtsmediziner bald entdeckten, da Arsen fast überall in Feld und Flur, Erde und zahlreichen Mineralien mehr oder minder konzentriert vorkommt. Noch in den Jahren zwischen I949 und I96I führte der französische Staat einen Giftmischerprozeß gegen Marie Besnard und verlor ihn, da er nicht beweisen konnte, wie das Gift in die Körper der Getöteten hineingelangt war. Auch heute noch nimmt Arsen gegenüber anderen Giften den ersten Platz in der Statistik der Giftmorde ein. Andere Gifte, pflanzlicher Art, Aufgüsse und Auszüge, setzten Kenntnisse in der Toxikologie voraus, die nur der Apotheker oder die Kräuterhexe besaßen. Wie auch immer, die kurfürstliche Kommission konnte keinerlei Giftspuren nachweisen, und es blieb bei dem ersten ärztlichen Pockenbulletin.

Friedrich hat tief, aber nicht lange getrauert; fünfzehn Monate nach dem Tod Elisabeths schloss er eine zweite Ehe, diesmal war es zu einem guten Teil eine Allianzehe, bei diesem Friedrich wiederum mit etwas Liebe vermischt, kaum dass er die Schöne gesehen. Schon die Wahl selbst griff hoch. Sophie Charlotte aus dem Hause Hannover war I684, als Friedrich sie in Bad Pyrmont traf, freundliche sechzehn Jahre alt, eine heillos verkorkst erzogene kleine Göre mit Prinzessinnenallüren allervornehmster französischer Sorte, genannt wurde sie bezeichnenderweise Figuelotte, wohl aus dem Wort Feige abgeleitet. Als einzige Tochter von Sophie und Ernst August von Hannover hätte sie eigentlich nach Meinung ihrer Eltern einen Dauphin von Frankreich verdient, allein, Ludwig XIV, dem sie in Paris vorgestellt worden war, winkte nur ab, äußerte sich aber im Übrigen anerkennend über die kleine Dame. Figuelotte hatte zwei Jahre lang im Wartestand als Braut am Pariser Hof zugebracht, ehe sie schließlich nach Hause verabschiedet wurde. Da saß sie nun, das Herzchen, und kein Königssohn sattelte das Pferd, um den Glasberg zu ersteigen, an dessen Spitze die schöne reiche Prinzessin mit dem halben Königreich auf ihn wartete; es lohnte nicht. Sophie, die Mutter dieses Prachtexemplars höfischer Erziehung, gedachte schweren Herzens, das Kind an den erstbesten Mann zu bringen, der ihr übern Weg gelaufen, der Jüngling ist übel dran, frei nach Heine, den es noch nicht gab. Zufällig war es der just verwitwete Friedrich.

Die Voraussetzungen für eine Verbindung beider Häuser waren miserabel. Sophie hielt den Großen Kurfürsten für einen Schwachkopf und Saufbold; voller Hass und Neid nannte sie ihn den blödesten und eingebildetsten Esel und verwahrte sich zeitlebens dagegen, Hannover könnte etwas mit Brandenburg zu tun bekommen, in die Hände Preußens, wie sie es ausdrückte, geraten. Allein sie musste die Kröte Kurfürst schlucken, um den Prinzen Kurfürst zu ernaschen, und Schwiegersohn Friedrich hatte die Ehesuppe auszulöffeln, die sie sich und ihm einbrockte. Denn ihr Herr Gemahl Ernst August wünschte vor allem eins: Kurfürst zu werden. Dazu brauchte er neben einer günstigen politischen Situation im Reich, zu Deutsch, einer Notlage des Kaisers -dieses Fürstenpack gedieh stets auf Kosten der deutschen Zentralgewalt-, auch die Zustimmung des kurfürstlichen Brandenburgers zur neu zu errichtenden Nomenklatura. Erzogen war die kleine Hannoveranerin für den verspielten Hof eines drittklassigen Debauchenprinzen, wenngleich das Haus Hannover im Rahmen der deutschen Kleinstaaterei eine immerhin beachtliche Größe besaß. Zu Hause hatte sie sich Meerschweinchen und allerlei Viehzeug halten dürfen. Puppentheater wurde noch und noch gespielt, und die Menge Bälle und Maskenaufzüge veranstaltet. Heute wieder lustig sein, hätte auch hier dieDevise lauten können. Dabei stand sie völlig unter dem Einfluss einer sie vergötternden, lancierenden und manipulierenden, aber boshaften, verlogenen und ehrgeizigen Mutter, die nach allen Seiten hin Beziehungen knüpfte und jeden ihrer Freund-Feinde gegen den anderen auszuspielen verstand. Der Große Kurfürst hat sich dem Drängen des Sohnes, ihm diese Ehe zu erlauben, ebenso wenig lange widersetzt wie der ersten. Einspruch gegen den Eheplan kam allerdings von anderer Seite. Ludwig XIV fürchtete, eine zusammenhängende Macht in Norddeutschland könnte hier unter der Hand erheiratet werden. Der Kaiser mäkelte aus ähnlichen Gründen an diesem Plan herum. Irgendwie kam diese Ehe gegen alle Einsprüche zustande.

Was den Erbprinzen nun eigentlich trieb, wenn nicht nur ein kindisches Gefühl, das er als Liebe bezeichnet haben mag, bleibt ungewiss. Als Brautwerber diente wieder sein Erzieher Danckelmann, weniger bei den Hannoveranern als beim Großen Kurfürsten und Vater Friedrichs. Im Hintergrund dieser Verbindung spielte zweierlei mit: erstens sollte Brandenburg für die Verleihung der Kurfürstenwürde an Hannover stimmen, wenn es soweit kommen sollte, und zweitens einen Vertrag mit Hannover schließen, ein Bündnis, das bedeutungslos und unsinnig war, berücksichtigt man die Interessen der beiden Staaten und die instabile Lage Preußens. Es hat auch nie Wirkung gezeigt, nicht einmal die persönlichen Beziehungen zwischen den Häusern bessernd beeinflusst. Und im Übrigen hatte die Schwiegermutter doch keinen Knochen von diesem brandenburgischem Hund nehmen wollen. Gleichviel, zu beiden Punkten dieses Vertrages verpflichtete sich Friedrich. So kam es denn zur Eheschließung im Oktober 1684 zwischen der sechzehnjährigen Figuelotte und dem jugendlichen Witwer, der kaum sich selbst regieren konnte, geschweige denn dieses verzogene Kind, das ganz in der Hand ihrer Mutter war. Der Erbprinz hatte seine Neigung zu Pomp und Pracht inzwischen hoch vervollkommnet, er zog in Hannover ein wie ein orientalischer Pascha. Obschon er von zierlicher Figur gewesen ist, war er mit Diamanten behängt und benäht und a la mode gekleidet, weshalb ihn seine neuen Verwandten sogleich auf den Namen Mannikin tauften. Sie hätten ihrerseits wenig Grund zur Bosheit gehabt, denn ihre Tochter Sophie Charlotte litt an Fettsucht, zumindest war das jugendliche Ding wie eine Gans gemästet. Dafür war auch sie nach dem letzten Schrei Pariser Schicks drapiert. Ein nettes Paar fand sich bei der Hochzeitszeremonie in Hannover ein. Das ganze fand in Abwesenheit des Großen Kurfürsten statt, der an einem Gichtanfall herum laborierte und in Hannover auch nichts versäumte. Sein späteres Verhältnis zu dieser zweiten Schwiegertochter legt überhaupt den Verdacht nahe, er sei absichtlich der Trauung ferngeblieben, weil ihm ein Gichtanfall erträglicher erschien als diese eingebildet-weltbedeutende neue Verwandtschaft. Man erging sich zu Hannover noch einige Wochen lang abwechselnd in Feuerwerken, Balletten und Theateraufführungen; dann reiste der Ehemann nach Berlin. Sophie Charlotte blieb vorerst in Hannover.

Merkwürdig, während der Kolporteur sich solche Gehässigkeiten ausdenkt, steht ihm ein anderer vor Augen, Peter Michailow, dessen wir schon aus Anlass seiner Großen Gesandtschaft gedachten. Dieser traf nämlich beide Damen, die glattzüngige und intelligente Mama und die ihr ergebene Tochter. Diese weilte mal wieder bei ihrer Mutter in Hannover, während ihr Gemahl zu Königsberg die Launen seines russischen Gastes, des Zaren Peter, der alles andere als bequem war, zu befriedigen suchte. Als nun die Nachricht eintraf, dass August der Starke zum König der Polen gewählt worden war, brach der Zar Hals über Kopf nach Holland auf, da die Gefahr, ein französischer Kronprätendent für die polnische Krone könne an seiner westlichen Grenze auftauchen und kriegerische Verwicklungen heraufbeschwören, vorerst gebannt schien. Sophie, unsere Kurfürstin, hatte den Zaren und seine exotischen Russen eigentlich in Berlin zu treffen gehofft, diesen getauften Bären, wie sich Europa über die Gesandtschaft mokierte. Nun sausten Tochter und Mutter dem Zaren per Kutsche und Stafette spornstreichs nach, um ihn noch vor dem Übertritt nach Holland zu stoppen. Bei Cloppenburg erwischten sie den armen Mann. Peter sah verdrossen auf ein erhebliches Gefolge neugieriger Hannoveraner, da er Eile hatte. Die Mutter der Kurfürstin war schon eine alte Schachtel von siebenundsechzig Jahren, aber beängstigend rüstig, eine Enkelin König Jakobs I. von England. Ihre Tochter - wir eilen mal wieder etwas schneller voran - neunundzwanzig. Beide Damen waren europaweit hochberühmt und als kulturelle Sonderausgaben bekannt, sozusagen Eurofrauen. Wir aber wissen schon, dass Sophie bloß eine vom Enkelsohn Ludwigs, dem Herzog von Burgund, sitzen gelassene Prinzessin ist, die nun gemeinsam mit der Mama den Zaren zu Essen und Kurzweil lud. Ob Peter wusste, dass dieses verzogene und bewunderte Ding die Schülerin und Freundin eines Leibniz war? Zunächst musste der Herr aller Reußen und Russen allerdings überredet werden, überhaupt zum Essen zu bleiben, da er in Eile war und sein Verweilen einfach für eine Zeitvergeudung hielt. Nach dem Essen sollte der Zar tanzen, wozu er auch keine Lust zeigte. Als er es schließlich doch tat, ertastete er verblüfft die Korsettstäbe in den Kleidern der Damen und stellte später sachlich fest, dass die deutschen Damen teuflisch harte Knochen hätten. Allein, er gefiel. Und wie sollte er nicht gefallen bei diesen beiden fürstlichen Gänsen? Die Mama Gans schrieb über ihn, seine Gesichtszuckungen seien nicht so schlimm (dieses Zucken beschäftigte halb Europa), er sei ein ganz außerordentlicher Mann, er hat ein gutes Herz und bemerkenswert edle Gefühle ... Er ist ein Fürst, der gleichzeitig sehr gut und sehr schlecht ist; sein Charakter entspricht genau dem seines Landes. Wenn er eine bessere Erziehung erhalten hatte, wäre er ein außerordentlicher Mensch geworden, denn er besitzt große Qualitäten .. und so weiter. Woher die Dame ihr Urteil über Peter sowohl als auch über Russland nahm, es sei denn aus dem Journal, ist ihr Geheimnis. Peter war allerdings ein außerordentlicher Mensch, auch ohne eine bessere, das heißt, eine französische Erziehung. Zurück zu unserem jungen Paar.

Die Ehe wurde eine Katastrophe. Es begann bei Kleinigkeiten. Sophie Charlotte weigerte sich zum Beispiel, ihren Hofdamen den in Berlin üblichen Kuss zu gewähren. Dies mochte noch hingehen. Schwerer wog, dass ihr Schwiegervater, der Große Kurfürst, wie auch die Schwiegermutter Dorothea, keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen das junge, eingebildete und schrecklich verzogene Ding machten, das alle Augenblicke nach Hannover entfloh, zu seiner geliebten Mutter, die den Kurfürsten bitter hasste, von deren unheilvollem Einfluss sie sich nie befreit hat. Kehrte sie nach Berlin zurück, so zeigte sie den neuen Verwandten eine brüskierend offene Verachtung. Aber auch die Kurfürstin Dorothea verstand es auszuteilen. Trotz der Schwangerschaft Sophies, die pünktlich eintrat, zum Zeichen der elementaren Fähigkeiten des prinzlichen Gatten, wie dem Willen der Gegenpartei, die vertraglichen Verpflichtungen durch körperliche Preisgabe einzuhalten, erging sich diese Dame in Anspielungen. Dorothea ging so weit, in Hofkreisen die Jungfräulichkeit ihrer Schwiegertochter zur Zeit der Eheschließung anzuzweifeln, und verletzte mit dieser üblen Nachrede nicht nur die junge Frau, sondern noch mehr ihren Stiefsohn, dessen Eitelkeit unter der Vorstellung litt, von den Verwandten seiner Frau um die Jus prima noctis übel betrogen worden zu sein. Andererseits mag er selbst einiges zur Urheberschaft des Gerüchts beigetragen haben. Der Nervenkrieg ging weiter, als bei einer Erkrankung Friedrichs 1686 wiederum die Vergiftungsvariante aufgetischt wurde. Der Kurfürst selbst lag schwer darnieder, so schwer, dass eine dauernde Besserung seines Zustands nicht erwartet werden durfte. Abermals griff Danckelmann ein und machte sich durch einen kleinen Eingriff, angeblich gegen die Anweisung der Ärzte, neuerlich unverzichtbar, als er den Prinzen zur Ader ließ. Man sieht, dieser treffliche Mann schreckte vor keiner Gefahr zurück. Der sogenannte Aderlass, das Öffnen einer Armvene und die Entnahme einer bestimmten Quantität Blut, galt als wichtigstes Mittel bei Bluthochdruck, Fieber und inneren Leiden, die man nicht diagnostizieren konnte. Der Prinz glaubte jedenfalls fest daran, dass ihn sein Mentor wiederum vorm Tode gerettet hat. Danckelmann konnte dieses unbedingte Vertrauen des Prinzen nur gelegen kommen.

Im Alter von fünf Monaten starb der Sohn, den Sophie zur Welt gebracht hatte, was ebenfalls auf verabreichtes Gift zurückgeführt wurde; allmählich wuchs sich die Giftmanie am Berliner Hof zu einem regelrechten, aber politisch höchst nützlichen, wenn auch völlig paranoiden Wahn aus. Darauf flüchteten Friedrich und Sophie nach Köpenick in das öde und ungastliche Schloss. Falls es die Absicht des Erbprinzen gewesen ist, hier, in der sicheren Entfernung zum Hof, auszuharren, so machte ihm Sophie Charlotte einen Strich durch die Rechnung. Sie entschied kategorisch, ihr nächstes Kind unter keinen Umständen in Köpenick oder in Berlin zur Welt bringen zu wollen, und es gelang ihr, ihren Gatten, das Mannikin, dahin zu bestimmen, mit ihr nach Hannover zu flüchten. Der Schwangerschaften waren stets viele unter fürstlichen Dächern, und die eigentliche Aufgabe der Ehefrauen von Erbprinzen war das Kinderkriegen. Friedrich gab nach, die Reise ging also wieder zur Mama; indessen kam der nächste Sohn noch auf der Reise nach Hannover zur Welt, und zwar tot. So kam man denn endlich in Hannover an, erschöpft, von Angstfurien gehetzt und ratlos, wie es nun weitergehen sollte. Die Mutter Sophies war fleißig damit beschäftigt, der Vorstellung Raum zu schaffen, ihre Tochter, wie der in ihren Augen alberne Schwiegersohn, das Mannikin, seien zu Berlin durch Giftanschläge auf ihr Leben äußerst gefährdet. Sie setzte den Verdacht spitzzüngig berechnend verbal um, in Berlin mische die Kurfürstin Gift, schüfe poudre de la succession, also etwa Erbpulver. Wochen verstrichen, der schwerkranke Große Kurfürst bestand auf Rückkehr des Paares aus der Emigration in die Residenz. Ohne Erfolg, das junge Paar trotzte sogar dem Befehl des Herzogs Ernst August, der einsah, dass er die beiden nicht länger bei sich zurückbehalten durfte, ohne Komplikationen mit Blick auf seine Lieblingsidee, dereinst Kurfürst zu werden, heraufzubeschwören. Neu lebte das Gerede von der Giftmischerei in Berlin wieder auf, als Friedrichs jüngerer Bruder Ludwig, eben einundzwanzig Jahre alt, nach der Teilnahme an einem Ball plötzlich und anscheinend rätselhaft ursachenlos verstarb. In den Räumen der Kurfürstin soll er am Vorabend eine Orange verzehrt haben, die, natürlich vergiftet, dem jungen Mann einen raschen und grausamen Tod brachte. Das Gerücht, Dorothea habe Ludwig ermordet, fand seinen Hintergrund in der Tatsache, dass sich die Kurfürstin seit langem offen um die Ehe ihres und des Kurfürsten Sohnes Philipp und einer oranischen Prinzessin bemühte. Dazu musste Ludwig ausgeschaltet werden, der selbst für diese Allianz in Aussicht genommen worden war. Schließlich stellte es sich heraus, dass der junge Mensch einfach vom Scharlach hingerafft worden war. Kaum war diese Affäre beigelegt, erkrankte der Erbprinz, noch in Hannover, weit weg, was wiederum auf die heimtückische Beigabe von Gift in seinen Speisen zurückgeführt wurde. Überall lauerte eben Gift. Panisch geängstigt entfloh Friedrich mit seiner berechnenden Sophie Charlotte, die alles wollte, nur nicht zurück ins Berliner Schloss, nach Karlsbad, damals schon Kurbad. Wahrscheinlich wäre sie mit ihm bis ans Eismeer gegangen, hätten es ihr die Umstände, wie sie sich ihr darstellten, abverlangt.

Für die Unschuld der Kurfürstin spricht übrigens etwas anderes als das bloße Fehlen jeden Beweises ihrer Mordabsicht, wenngleich solche Beseitigungen unbequemer Konkurrenten an Renaissancehöfen Regel gewesen sein mögen, zumindest in Italien und hundert Jahre zurückdatiert. Es ist die Psyche der Giftmischerin, der das Gift für gewöhnlich mehr Mittel eigener Macht ist, als dass sie festbegründete, zielgerichtete Absichten mit dem einzelnen Anschlag verbindet. Der Charakter einer Brinvilliers, die 1676 hingerichtet wurde, weil sie ihren Vater und zwei Brüder mit Gift beseitigt hatte, um sich des Vermögens der Familie zu versichern, zeigte beide Seiten dieser Psyche: Habsucht und Machtgier. Feuerbach hat dies alles an Hand eines deutschen Giftmischerfalls so schön dargelegt, dass wir damit vortrefflich Bescheid wissen, und jedermann kann bei ihm und natürlich auch anderswo nachlesen und ganz beruhigt sein, wenn er seine Gattin mit unbekannten Ingredienzien hantieren sieht, die sie ihm zur Beruhigung seiner Magennerven empfiehlt, Lehn dich zurück und trink, mein Freund! Schluck in aller Ruhe den Ehetrank! Arsen wird es nicht sein, was dir bitter schmeckt! Wie jede Frau besitzt auch die deinige eine Reihe von Mitteln, dir das Dasein zu versüßen wie zu versalzen! Nimm es hin! Sei ein Mann, was derzeit zu sein nicht ganz leicht fällt!

Der Fall Brinvilliers hat in Europa erhebliches Aufsehen verursacht, und den Hannoveranern passte er gut in den Kram, falls sie nicht, was sehr wahrscheinlich ist, einer allgemeineren Hysterie erlegen sind. Man halte sich aber das Leben der Kurfürstin vor Augen: vielfache Mutter, Gattin eines schwierigen, häufig kranken Mannes, den sie meist auf seinen Reisen und Feldzügen begleitete und pflegte, häusliche, familiäre Sorgen in Menge. Wo ist da Platz für dauernde hinterlistige und heimtückische Anschläge, die einen großen Kreis an Mitwissern voraussetzen? Um sich Einfluß zu verschaffen, um sich gegen die kindische Auflehnung der Söhne ihres Gemahls aus erster Ehe, die ihr das Leben wahrlich schwer genug gemacht haben, und sie fand die Knaben ja nicht mehr als Kleinkinder vor, musste sie nicht zum Gift greifen, um sich zu behaupten. Sie besaß das Vertrauen des Großen Kurfürsten, sie hat ihn zu lenken und zu nehmen verstanden; sie mag vielleicht ein bisschen überdreht, sie mag beschränkt und sogar dumm gewesen sein, eine Gifthexe war sie nicht. Übrigens hat der Kurfürst, selbst wankelmütig und aufbrausend, nie die Schwäche gezeigt, auf derartige Ohrenbläserei zu hören.

Aber zurück nach Karlsbad, wo sich gerade unser Paar befindet, um die nächsten Schritte zu beratschlagen. Man kam darin überein, und der Prinz ließ diese Entscheidung seinem Vater zukommen, dass man zu Lebzeiten der Giftmischerin nicht nach Berlin zurückkehren werde. Dazu bat der Prinz noch um die Erlaubnis, das heißt wohl, vor allem um die Apanage, also die nötigen Geldmittel, einen eigenen Hof zu installieren. Über die Klage wegen des angeblich ermordeten Bruders Ludwig ging der Große Kurfürst schweigend hinweg. Bei all diesen Aktionen und Winkelzügen war der getreue Danckelmann zur Stelle, mit Brechmittel und Lanzette, Briefe schreibend, beratend, wissend-allwissend, ehrgeizig darauf hinarbeitend, in die hohe, in die höchste Politik zu kommen, was ihm ja auch wenig später, nur zwei Jahre nach Karlsbad, gelingen sollte. Kurz gesagt, es kam zum offenen Bruch zwischen Sohn und Vater. Der Kurfürst kränkelte, wie schon erwähnt, er war sich der Folgen dieser Halsstarrigkeit seines Sohnes sehr wohl bewusst, Folgen mit Blick auf seinen Ruf, auf den Ruf des Hauses Brandenburg im Reich. Aber so leicht er das Schwert zog, und so tüchtig er als Feldherr und so unglücklich als Diplomat sein konnte, hart mit sich im Ertragen von körperlichen Strapazen, so wenig ist er solchen nervenden Misshelligkeiten gewachsen gewesen. Feinde hatte der Große Kurfürst genug, draußen im Reich und auch hier, im Familienkreis. Er drohte damit, Friedrich zugunsten Philipps, eines Sohnes aus zweiter Ehe, von der Thronfolge auszuschließen, falls er nicht stehenden Fußes heimkehre. Da der Kronprinz Schutz bei einer ausländischen Macht gesucht, war dem Prinzen klar, dass seine Anwesenheit in Berlin dringend geboten war, falls er nicht wirklich des Thrones entsagen wollte. Er zog von Karlsbad aus weiter zu einem anderen Verwandten, dem Landgrafen von Hessen-Kassel; diese Sippschaft kennen wir schon. Wie einst die Tante Landgräfin, so weigerte sich nun auch der Onkel Landgraf, den aufsässigen jungen Hypochonder nach Berlin zu schicken, zum Vater. Es war Danckelmann, der Friedrich zunächst in der Sache des Todesfalles seines Bruders Ludwig unselig und berechnend beraten hatte und der jetzt in alter Intrigantenmanier die Umkehr und Versöhnung mit dem Kurfürsten einleitete.

Man reiste nach Berlin. Seltsamerweise hat der Kurfürst sich dann doch noch auf den Unfug eingelassen und diesem albernen Menschen von einem Sohn, der wie ein verzogenes Kind immerfort auf sich aufmerksam machen musste, nachgegeben. Der Prinz konnte als Grund seiner Flucht eben nur die Furcht vor einem Giftanschlag nennen, und dabei musste er jetzt auch bleiben. Er hat aber vielleicht im Grunde wirklich geglaubt, dass ihn die Stiefmutter umbringen wollte, unfähig, seine Umgebung wie eine Situation real einzuschätzen. Das Opfer, das schließlich gebracht wurde, war nicht die Kurfürstin, soweit ging der Kurfürst nicht, sondern deren Nichte, eine Prinzessin von Holstein, die der Giftmischerei für schuldig befunden und sogleich vom Hofe verbannt wurde. Möglicherweise aber stellte sich der Vater nur dumm, musste doch der Kurfürst Frieden mit dem Sohn suchen; eventuell, was seinem Naturell entsprochen hätte, war er all dieses jahrelang an- dauernden Klatsches, der Nachrede und der Verleumdungen dermaßen überdrüssig, dass er gegen sein besseres Wissen mit einem Dameopfer die Partie einfach abbrach. Und er kam noch gut weg bei diesem Kompromiss. Ihm ist jedenfalls klar gewesen, dass innerhalb zweier preußischer Meilen um das Berliner Schloss außer ein paar vor sich hindunstenden Mückensteinen in bürgerlichen Schlafzimmern keinerlei Gift zu finden gewesen wäre, hätte man noch gründlicher danach gesucht, als das ohnehin geschehen ist. Aber keine Frage, in dieser Sache hatte der Erbprinz sein Gesicht gewahrt und seinen kindischen Kopf durchgesetzt, psychologisch war er der Sieger. Nicht nur psychologisch; zunehmend zog ihn der Vater zu den Regierungsgeschäften heran. Zwar ahnte oder wusste er, dass der Sohn weiterhin und ihm zum Trotz mit dem kaiserlichen Gesandten über Gebiete des Landes verhandelte, geheime Absprachen traf, die nach seinem Tode eingelöst werden sollten, allein es ging zu Ende mit dem Großen Kurfürsten. Eine der dringenden Fragen für den Nachfolger blieb das Testament des Brandenburgers. Nur wenige kannten es.

Glanz und Elend der Friedrich - Wilhelms

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