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Später Abend im Flüchtlingslager im Libanon

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Daniel. Ich stehe zwischen überfüllten Zelten, wo sich die Gerüche armseliger Welten kreuzen. Über der Stätte der Verzweiflung und der fehlenden Hoffnung leuchten die Sterne in unendlicher Klarheit. Schwer ist und immer schwerer wird es auszusprechen, was sich im Menschen drückt und über ihm sich endlos weitet.

Hasan. Nun geht es schon ins dritte Jahr, dass uns der Hunger plagt und die alten Kleider reißen. Ich frage dich in unserer aller Not, ist es wirklich wahr, dass wir hier bleiben für die nächsten Jahre? Ich frage deshalb, weil mich auch die vielen Kinder schmerzen, die so lange ohne Schule sind und mit leeren Mägen schlafengehen.

Daniel. Die Heimat liegt in Trümmern, es gab Tote und Vermisste, und die Frauen stehen und wimmern. Was kann ich dir da raten? Nimm nur das Khilafat und die anderen Staaten, da sind wir doch verloren und verraten.

Yasin. Was im Allgemeinen fehlt, das sind Wahrhaftigkeit und Ehre. Da können wir noch Jahre lamentieren, sie werden uns die Faul- und Feigheit voll Bitternis quittieren. Was uns bleibt, das ist das Leben in der Wüste mit den Zelten und der ganzen Spärlichkeit.

Hasan. Selbst das bisschen Wasser ist hier brackig, schmeckt nach bittrem Sand und mehrt den Durst. Es ist das kargste Land ganz ohne Wiesen, in dem wir keine Rinder, keine Schafe halten können.

Yasin. Bedenkt, der Frieden ist verspielt, verloren, Dörfer und Städte sind verwüstet, Völker brechen auseinander. Was uns blüht, wir werden es sehen, auch wenn wir es nicht sehen wollen, und keiner kann sich vor dem verstecken, was uns erwartet mit dem Elend und der Not. Drum geht in eure Zelte zurück und lebt in der Magerkeit, die Nacht wird euch das Weitere lehren. Ermahnt jene, die da lauthals klagen und wimmern, dass sie die Zeiten, wie sie sind, nicht ändern können.

Sarah. Seht Herr, ich bin schwanger, bringe ein Kind in die zerbrochene Welt. Ich frage euch, wo führt das hin, wenn neues Leben in das Lager kommt, das schon überfüllt mit mageren Menschen ist?

Yasin. Was ich dir sagen kann, ist die traurige Botschaft, denn von der Heimat sind wir getrennt, sind abgeschnitten an den Wurzeln unserer Herkunft, sind verwaist von dem, was uns erzog und uns gehörte.

Sarah. Wer kennt die Menschen, wie sie sind und das hier im Lager mit dem Elend und jene Menschen draußen in der Fremde? Die Not drückt, es wird mir angst und bange, je länger wir in dieser Verlorenheit hausen.

Yasin. Was du siehst, ich glaub’s, ist doch nicht alles, viel mehr ist’s, was hinter den Hügelhöhen sich verbirgt und unter der ersten Wüstenschicht begraben liegt. Es sind die Wunden der geschundenen Moral, dass auseinanderbricht, ja in Brocken und Stücke zerfällt, was seit Menschengedenken zusammengehört.

Sarah. Wie sollen die Stücke zusammengesetzt werden, dass wieder ein Ganzes daraus wird und das Leben seinen Sinn und wieder seine Ordnung bekommt?

Yasin. Ich sage dir: ich bin weder ein Philosoph noch ein Prophet, doch sehe ich den Himmel ohne Wolken. So sag ich dir aus meiner Sicht, dass es auch in diesem Jahr keinen Regen geben und das Fiasko bleiben wird. Denn ohne Regen gibt es weder Reis noch Korn.

Sarah. Das heißt, dass der Schmerz des Hungers bleibt.

Yasin. Ja nicht nur bleibt, sondern bei der Zahl der Menschen größer werden wird. Die Wunden werden schlechter heilen bei der weiten Magerkeit, und die Kinder werden zu Skeletten vertrocknen, denn ohne Milch und ohne Mais und Wasser geht das Leben nicht.

Sarah. Der Herr, was meine Mutter sagt, ist dies: mein Kind bedenke, in einer Zeit wie dieser bringe kein Kind zur Welt, denn es fehlt am guten Boden, dass Hunger das junge Leben zerstört.

Yasin. Die Frau soll auch ans Wasser denken, bedenken soll sie, die Brunnen trocknen aus. Der Weg führt immer weiter weg, um das Wasser herbeizutragen, auch ist der Weg zum Brunnen vermint, wenn er weitab gelegen ist. Was ich damit sagen will, die Zeit ist uns nicht mehr freundlich gesinnt, und wir sind nicht mehr weit entfernt, dass uns alle der Hunger in die Knie zwingen wird, wenn nicht die Cholera und andere Unwesen uns vorher in den Tod geschickt haben.

Sarah. Ja, die Zeit ist uns nicht wohlgesonnen, und das Lager reißt die Würde von den Körpern, sprengt die Hoffnungen aus den Köpfen, zerfurcht die Gesichter immer tiefer und wirrer, dass die Melancholie unschuldige Kindergesichter schlägt. Mein Tochter Dana sagt: Mutter, das ist kein Leben im Lager, hier wird jeder noch verrückt. Schau, wie die mageren Körper schlürfen, bald werden auch sie abseits der Zelte liegen, wenn ihnen der letzte Atem davongeflogen ist.

Yasin. Das ist, was mich nachts nicht schlafen lässt, weil mir die armseligen Gestalten mit dem fragenden Blick des Wie-lange-noch vor dem inneren Auge stehen und auf Antwort warten und meine Träume arg beschweren, dass an den Schlaf nicht zu denken ist.

Sarah. Da kommt zum äußeren Elend die innere Not dazu im Bewusstsein der verlorenen und zerstörten Heimat und der totalen Hoffnungslosigkeit des Wohin. Die Frage ist: Wo können wir noch menschenwürdig leben?

Yasin. Das ist die Frage des menschlichen Seins, des Daseins mit dem Hiersein, die doch die fundamentale Frage ist, wenn aus dem Flüchtlingsdasein mit all den bitteren Entbehrungen sich ein Sein mit Wert und Würde anschließen soll.

Sarah. Und dieses Sein mit Wert und Würde soll näher ans Lager herankommen und sich nicht ins Unabsehbare entfernen.

Yasin. Da stimme ich ihnen aus ganzem Herzen zu... Doch fürchte ich, dass ein Näherkommen von Wert und Würde in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Dafür hat sich die Not zu breit gemacht und eine Fläche erreicht, auf der das Elend zum Turm von unvorstellbarer Höhe geworden ist.

Sarah. Dann werden wir in der Wert- und Würdelosigkeit verenden, und die Kinder werden es nicht verstehen.

Yasin. Nein, sie werden fragen, warum sie in diese Welt gebracht wurden, wenn es an Nahrung und an Wasser fehlt, dass magere Menschen traurig blicken und an Stöcken gehen, wo sich alle nach Frieden und den besseren Zeiten sehnen.

Sarah. Und warum das alles so gekommen ist, das kann mit einfachen Worten mir keiner erklären.

Yasin. Außergewöhnliches braucht die besonderen Worte der Erklärung. Denken sie an die Herkunft der Menschen, denken sie an die Schulen, denken sie daran, was wir Traditionen und Kulturen nennen. Die Menschen sprechen unterschiedliche Sprachen und denken deshalb auch unterschiedlich über das Leben.

Sarah. Aber was gut und böse ist, das unterscheiden doch alle, ich meine, da stimmen die Menschen miteinander überein.

Yasin. Weil es traditionelle Unterschiede gibt, verlieren viele Dinge die Gemeinsamkeit, gehen die Meinungen und Kulturen auseinander und machen die Dinge kompliziert, dass es zu Kriegen mit den Morden an unschuldigen Menschen und ihren Kindern kommt. Es ist der Diskonsens mit dem Mangel an Verständnis und Verständigung, warum wir in diesem Lager eingepfercht vegetieren, denn ein Leben mit Würde kann man das nicht nennen, während andere Völkerschaften unsere Dörfer und Städte verwüsten und unsere Kulturen barbarisch schänden und vernichten. Dabei werden die Menschen nicht verschont, sie werden aus ihren Häusern getrieben, werden gefoltert und ermordet.

Sarah. Es ist der Weg des Leidens ohne Ende, dabei hoffen Menschen auf die Wende, denn auch die Entbehrung hat ihre Grenzen mit der Enge, dem Hunger und der Magerkeit. Es sterben die Alten und mit ihnen die Kinder, so bleibt finster auch die Zukunft.

Yasin. Und die Finsternis, sie bringt den Tod, da geht es nicht mehr nur ums Brot, wenn Menschen vor den Zelten liegen, denen der Atem ausgegangen ist. Darum erwarte ich fürs Erste die Geduld, auch wenn wir frei sind von der schweren Schuld. Wir dürfen die Hoffnung und den Mut nicht verlieren, wenn es mit uns weitergehen soll.

Sarah. Weitergehen soll es, sonst sind wir hier am Ende, es wäre fatal, doch wir ersehnen die Wende, ich meine, dass die Kinder ihre Mahlzeiten bekommen sollen und zur Schule gehen, um zu lernen.

Yasin. Ja, die Kinder sollen lernen und besonders das, was wir verlernt und versäumt haben zu lernen, ich meine das Zuhören zur Fähigkeit der Toleranz. Wie anders sähe es aus, wenn wir es gelernt hätten, dass auch andere Traditionen und Kulturen ihre starken und schöpferischen Bildungswerte haben.

Sarah. Doch wir wurden vertrieben durch die Gewalt jener, deren Kulturen der eigenen eng verwandt sind, ich rede von Menschen, deren Sprache um Dialektbreite sich von der unsrigen unterscheidet.

Yasin. Ich verstehe den Einwand und fühle die Trauer, die Toleranz klebt an der Mauer, wo Menschen, ob alt ob jung, gefoltert, geschändet und ermordet werden, denen Wert und Würde auf barbarische Weise geraubt werden. Darunter sind auch die Brüder des Glaubens, was sich für uns kaum fassen lässt.

Sarah. Noch weniger können es alte Menschen fassen, wenn sie mit den Besetzern, den Folterern und Mördern in dieselbe Schule gegangen sind und sich dem selben Glauben täglich hingaben und sich in ihm opferbereit geübt hatten.

Yasin. Das macht die Sache um so schwerer, schneidet aufs Schmerzlichste in unser Leben, dessen Schicksal sich in diesem Lager pfercht mit dem Hunger, der Verlorenheit und Krankheit. Was ich damit sagen will, es fehlt das Licht, das die Hoffnung auf Freiheit aufleuchtet und uns zurückbringt.

Sarah. Das ist das Licht zur tiefinnersten Belebung.

Yasin. Ja, das Licht, das dem Elend seine Grenzen setzt, das Menschen aus ihrer Not befreit und ihnen das zurückgibt, was sie als Menschen auszeichnet, es ist die Würde zum Leben, was mit dem Respekt und der Rückgabe der Freiheit erfolgen kann. Kritische Zeiten hat es gegeben, solange es das Volk gibt, doch die Krise erreicht die Grenze, wenn unsere Kulturgüter als die Wahrzeichen der Herkunft und Geschichte zerschlagen und zerschossen werden. Es geht an die Wurzeln des Volkes, ohne die es kein begründbares Weiterleben der Generationen gibt.

Sarah. Der Drang nach Befreiung ist da, er wächst von Tag zu Tag.

Yasin. Doch mit der Magerkeit der Menschen schwindet die Kraft, der Unmenschlichkeit zu widerstehen und die Befreiung zu erzwingen.

Sarah. Und keiner weiß, wie lange es dauern wird, dass uns das Lager gefangenhält, das Trinkwasser salzig ist und uns der Hunger quält und wir bis aufs Skelett abmagern, dass die letzte Hoffnung schwindet und selbst den Kindern den Atem und ihr junges Leben nimmt.

Yasin. Dennoch müssen wir uns in der Geduld üben. Sieh in das Schwarz der Wolken, sieh, wie Stadt und Dörfer brennen, stell dir die Qualen der Menschen vor, die es dabei trifft, denk dir, was wäre, wenn es dich und deine Kinder getroffen hätte.

Sarah. Als würde Babylon brennen, tiefschwarz ziehen die Schwaden übers Land und verzehren das Leben bis zum jüngsten Spross.

Yasin. Das Prinzip der verbrannten Erde ist so alt wie die Menschen sind, als sie das Feuermachen erfanden. Dass wir es sind, die es nun trifft, das ist der Wahn der Zeit, dem wir nicht entrinnen können. Hört, wie die Granaten übers Lager zischen. Sie schlagen ein, was weit weg nicht mehr ist. Da kann einen der Jammer erschlagen.


Aaron der Rufer

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