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Zwei Verletzte werden ins Lager gebracht

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Junger Mann. Auch das! Dem Alten haben sie ins Bein geschossen. Wir müssen uns beeilen! Wo ist der Arzt?

Alter Mann. Das mir das passieren muss. Nun verliere ich in meinen alten Tagen noch das Bein!

Junger Mann. Es wird so sein, dass du das Bein verlieren wirst. Das aber ist noch besser, als das ganze Leben zu verlieren.

Alter Mann. Das sagst du so daher. Ich denke da anders und teile deine Meinung nicht. Denn was ist, ich meine, was kann ein Mann in meinem Alter mit nur einem Bein? Gehen kann ich nur an Krücken, und ohne sie kann ich nicht einmal stehen.

Mutter. Meinem Kind haben sie die Hand abgehackt, dabei hat es weder gestohlen noch sonst was Böses getan. Was sind das für grausame Menschen, die einem Kind die Hand abhacken, denn es ist sein Leben, das doch erst begonnen hat!

Dr. Allison. Diese Verletzungen gehören zum Alltag, seitdem die Menschen das Lager erreichen. Bedenkt man, dass viele auf dem Wege ihr Leben verlieren, dann können sich die Verletzten noch glücklich preisen, dass sie es mit dem Leben bis zum Lager schafften.

Mutter. Aber was ist ein Leben mit nur einer Hand? Da begreift das Kind doch nur die Hälfte!

Dr. Allison. Mutter, begreife es doch! Du hältst das Kind in den Armen, und es lebt! Sicher, es fehlt ihm die Hand, und kein Mensch und kein Chirurg kann ihm eine neue Hand geben. Aber viele Mütter kommen und halten ihr totes Kind in den Armen, das den weiten Weg zum Lager nicht schaffte.

Mutter. Auch ich traf diese Mütter mit der Totenlade. Ihre Gesichter waren verweint und herb, weil es keinen gibt, der den Toten ihr junges Leben zurückgeben kann.

Alter Mann. Es sind nicht nur Kinder, die der Tod auf dem Wege schlug. Bedenkt, was ihr gesehen habt. Es sind weit mehr die alten Menschen, die sich an den Rand der Straße legten und nicht mehr aufstanden.

Mutter. Wahr aber ist auch, dass unsere Kinder erst kurz in das Leben eingetreten sind, aus dem sie in ihren Kinderjahren jäh herausgerissen wurden.

Dr. Allison. Das sollt ihr nicht vergessen: Der Chirurg ist kein Zauberer. Er versorgt und näht die Wunden, aber neue Gliemaßen ansetzen, das kann er nicht. Zu dieser Größe hat er es nicht geschafft.

Alter Mann. Doch die Zwischengröße wäre die, wenn du den Stumpf nicht zu kurz machst, damit ich die Holzprothese darunter setzen und tragen kann, denn ich muss wieder auf die Füße kommen, denn ohne Füße wird auch bei mir das Leben wertlos.

Mutter. Und bei meinem Kind schneide nicht zu hoch, dass vom Arm soviel wie möglich erhaltem bleibt. Denn ein Kind mit nur einer Hand, das ist schon schrecklich genug. Wie soll es werden, wenn das Kind älter wird und dem Spott anderer ausgesetzt ist. Wie kann sich so ein Kind dann wehren?

Alter Mann. Das kann ein Kind doch besser als ein alter Mann, der nur einen Fuß auf den Boden setzen kann.

Mutter. Ich denke nicht nur an den körperlichen Halt, sondern an den seelischen, wenn da herumgehänselt und hinter dem Rücken gelacht wird, als wäre es lustig, nur eine Hand zu haben.

Dr. Allison. Das seelische Trauma lässt sich neben dem körperlichen nicht umgehen, ist die Seele doch wesenhaft dem Körper verhaftet. Was ich damit sagen will, ist die simple Tatsache, dass Menschen in großer Zahl mit diesen Traumen zu leben haben.

Alter Mann. Und viele sich deshalb das Leben nehmen, das bei allem Respekt nicht mehr lebenswert, aber voller Qualen ist. Was mich betrifft, werde ich bei der Zahl meiner Jahre nicht mehr lange warten. Denn gelitten habe ich genug, dass mich der Verlust des Beines nicht länger zusätzlich quälen soll.

Mutter. Und wie soll ich mich meinem Kind gegenüber verhalten?

Dr. Allison. Erst muss ich den Armstumpf versorgen. Dann müssen wir weitersehen, wie ihr Kind in der ersten Phase nach der Operation mit dem seelischen und dem körperlichen Trauma fertig wird, ob es stark genug ist, vor den Augen anderer Kindern standzuhalten.

Alter Mann. Junge Frau, sie sollen nicht gleich schwarzsehen. Ihr Kind hat zwei gesunde Beine und Füße, die es um so früher gebrauchen wird, um wegzulaufen, wenn Blicke sich spöttisch auf den gekürzten Arm richten. Und wie der Doktor sagte, zunächst steht die Operation an, um die Wunde zu versorgen.

Mutter. Ich habe es gehört und füge mich in Geduld und Schweigen. Möge Gott seine Hand über uns halten und uns den Weg zeigen und vor weiterem Unheil beschützen.

Alter Mann. Darum bitte ich auch, denn die Menschen haben die Achtung vor dem Leben und die guten Sitten zum friedlichen Zusammenleben verloren.

Dr. Allison. Das ist es, warum der Chirurg so viele Verletzungen zu versorgen und so viele Arme und Beine bei Erwachsenen und bei Kindern abzuschneiden hat. Wären die Menschen dem Frieden mit mehr Ehrlichkeit verpflichtet, die operative Medizin käme nicht in diesem Umfang zur Geltung. Es ist die Kunst der Medizin, die dem Wohle der Menschen dienen will, diese Kunst verausgabt sich hier an den Verletzungen durch Gewalt und Hass.


Aaron der Rufer

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