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Zeichen der Zuspitzung der Lage

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Die jungen Kollegen in Uniform, die ihre Dienstzeit abgeleistet hatten, wurden nicht mehr durch neue ersetzt. Das war ein deutliches Omen der zugespitzten Situation, wo sich noch die Frage ergab, wann sich die letzte Spitze abgespitzt hatte, oder noch vorher abbrach, was politisch und militärisch dem Ende gleichkommen musste. Es gab neue Gesichter im Besprechungsraum, Gesichter der asiatischem Prägung, wenn auch nicht so schlitzäugig wie ein japanisches, chinesisches oder mongolisches Gesicht. Es waren Philippinos, die aus Südafrika kamen und gleich ihre Frauen und Kinder mitbrachten. Zu erklären war das Kommen dieser kurz gewachsenen Bleichgesichter mit den kubischen Köpfen und sanften Gesichtszügen zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht und noch weniger, dass sie gleich die Familien mitbrachten. War es ihnen in ihrer Heimat, oder als Emigranten in Südafrika so schlecht ergangen, dass sie hier das Paradies fanden oder zu finden glaubten, wo der Krieg erbarmungslos tobte, fragte sich Dr. Ferdinand. Er musste sich Zeit lassen, um eine plausible Antwort darauf zu finden. Ein asiatisches Gesicht gab ihm von jeher Rätsel auf, weil er es nicht lesen konnte und nie wusste, ob ein Lächeln wirklich ein Lächeln war, oder ob sich das Gegenteil dahinter verbarg. Er wusste nur soviel, dass das asiatische Gesicht asiatische Dimensionen des zweigesichtigen Januskopfes hatte, das mit Vorsicht gesehen werden musste. Zu diesem Gesicht passte der Würfelkopf dazu, der von vorn und hinten und von den Seiten betrachtet werden konnte, ohne dass das Gesicht das asiatische Lächeln verlor.

Es war schon etwas Unglaubliches, in solche Gesichter zu blicken, in die sich die Ereignisse unweit der angolanischen Grenze nicht einzudrücken schienen, wo doch die letzte Entscheidungsschlacht, bei der soviel auf dem Spiele stand, bereits in vollem Gange war. Das sagte jedenfalls der südafrikanische Brigadier, der vom Pulverfass sprach, auf dem die Weissen sässen, das jederzeit hochgehen kann. Gehörten die Philippinos nicht auch auf dieses Fass?, fragte sich Dr. Ferdinand, oder waren sie rassenmässig von diesem Fasssitzen ausgeschlossen? Er wusste es nicht, erfuhr aber schon nach zwei Wochen, dass ihnen Häuser im Dorfe, das durch das Warnschild "For Whites Only" gekennzeichnet war, von der Administration zugewiesen wurden. Dr. Ferdinand kam beim Sehen und Denken nicht um den biogenetischen wie burisch politischen Januskopf herum. Die Philippinos waren älter und schon im Alter, dass sie von Enkelkindern sprachen und pensionsberechtigt waren, denen das offensichtlich nicht genügte, oder ihnen das Recht des Alters nicht vergütet und ausgezahlt wurde, weil das korrupte System im Heimatland ihnen das Pensionsgeld gekürzt oder weggefressen hatte. Es musste etwas mit dem Geld zu tun haben, warum nun diese asiatischen Gesichter mit der spanisch überstrichenen Tradition und dem katholischen Glauben hier auftauchten, davon war er überzeugt. Die Philippinos waren 'practitioners', also keine Fachärzte, die an den ländlich abgelegenen Hospitälern der herabgesetzten Qualifikation für die Farbigen und Schwarzen vorwiegend in der Natalprovinz, im Osten Südafrikas, gearbeitet hatten, wo die Überfälle der Zulus an den Weissen dramatisch zugenommen hatten, sie beraubten und töteten, weil auch dort die Eingeborenen sich gegen die Weissen auflehnten und sich auf traditionelle Weise mit Stöcken und Spiessen für die schwarze Armut am weissen Reichtum rächten. Dr. Ferdinand traute den Philippinos, weil sie eben Asiaten waren, die sich über dreihundert Jahre die europäische Verformung mit dem besonderen Sinn fürs Geld aufsetzen liessen, den asiatischen Riecher für die Zukunft in mehr Sicherheit und den westlich verdrehten Verstand zur klaren Berechnung gleichermassen zu, die sich in Noten und Münzen auch in der Fremdwährung auszahlen musste. Er nahm deshalb diese lächelnden Janusgesichter als weiteres Omen für das nahende Ende, die das Schicksal vorletztlich vom indischen Ozean bis vor die angolanische Grenze hoch gewürfelt hatte. Die neuen Kollegen wurden der inneren Medizin mit den Tuberkulosesälen, der Kinderheilkunde und dem 'Outpatient department' zugewiesen. dass es für die operativen Fächer keinen Ersatz für jene Kollegen in Uniform gab, die nach Dienstableistung nach Südafrika zurückgekehrt waren und nicht mehr ersetzt wurden. Ein Gutes hatte es, dass unter denen, die das Hospital verlassen hatten, auch der 'Leutnant des Teufels' war, dem ein ärztlicher Teamgeist von Anfang an zuwider war, weil er die Zerstörung im Kopf hatte, an der ihm bis zum Schluss mehr gelegen war und sie hinterhältig und mit List betrieb, als sich um seine Patienten zu kümmern.

Für Dr. Ferdinand bedeutete es mehr Arbeit, weil die Kollegen in der Chirurgie noch unerfahren waren. Es bedeutete gleichzeitig mehr Seelenfrieden, weil ihm keiner mehr mit böser Absicht hinterherstieg. Er freute sich, dass er den jungen Kollegen in der Orthopädie hatte, der sich anstrengte, sich geschickt beim Assistieren und beim Durchführen kleinerer Operationen anstellte und bei den Patienten und Schwestern aufgrund seiner Freundlichkeit beliebt war. Auch hatte er es als Schriftsteller mit seinem Buch weitergebracht, wo er das Leben des jungen Ehepaars in dem kleinen Dorf an der Palliser Bucht doch nicht so schwer machte. Der junge Ehemann in Wellington hatte eine Arbeit als Mechaniker in einer Autowerkstatt gefunden, und seine hübsche junge Frau war im vierten Monat schwanger, die von den Dorfbewohnern neugierig angeblickt, nun aber auch freundlich gegrüsst wurde. Der junge Pastor, der ihnen den anglikanischen Ehesegen gab, hatte sich gegen die Gemeindeglieder durchgesetzt und der schwarzen Ehefrau den Zugang zum sonntäglichen Gottesdienst erwirkt. So war der Unterschied zum burisch verquerten, anachronistischen System der Rassentrennung in Südafrika doch erkennbar.

Die Sonnenauf- und -untergänge waren feurig wie eh und je. Die Sicherheitsvorkehrungen im Dorfe sind drastisch verschärft worden. So wurde es den Weissen unter Strafe untersagt, die schwarze 'Memme' (Putz- und Bügelfrau) oder irgendeinen Schwarzen über Nacht im Hause schlafen zu lassen. Die Weissen machten sich Sorgen, was kommen würde, und die Angst hatte sich auf ihre Augen geschlagen. Keiner traute der Zukunft noch recht über den Weg, zu verfahren war die politische Kiste. So verwunderte es nicht, dass sich die Gesichtszüge in Richtung einer Selbstrettung vergröberten nach dem Motto: 'Rette sich, wer kann!' Es war Samstagnachmittag. Dr. Ferdinand setzte sich in den blauen Käfer und fuhr zum Postamt, um nach seiner Postbox 1416 zu sehen, die leer war. Er stieg wieder ein und setzte die Fahrt zum Dorfausgang bis zur Sperrschranke fort, wo die doppelte MG-Stellung auf dem Dach des wiederhergestellten Wasserturms war, die von einem Ring fünffach übereinander geschichteter Sandsäcke eingefasst und gut getarnt war. Dr. Ferdinand zeigte sein 'Permit', konnte sitzen bleiben, als zwei Wachhabende in den leeren Innenraum sahen, der eine von rechts, der andere von links, Motorhaube und Kofferraumdeckel hochhoben und wieder fallen liessen, ohne das Reserverad anzuheben, und die Schranke zur Weiterfahrt hochstellten. Der Versuch, die tiefen Schlaglöcher über die folgenden zweihundert Meter bis zur 'T'-Kreuzung der Teerstrasse, jener strategisch bedeutsamen Ostwestverbindung, zu umfahren, glückte nicht ganz, so dass die Räder einige Male kräftig hineinschlugen. Er hatte sich vorgenommen, die Patres in der Missionsstation Okatana zu besuchen, und so drehte er nach einem Kilometer von der Teerstrasse nach rechts ab, fuhr an den armseligen Wellblechhütten von 'Angola' vorbei, wo die Armut und die grosse Zahl der angolanischen Flüchtlinge mit ihren kinderreichen Familien hausten. Schlanke Schweine mit faltig hängenden Bäuchen liefen neben mageren Ziegen, denen die Beckenknochen höckrig herausstanden, und rippig felldürren Hunden herum. Sie alle waren auf der Suche nach Ess- und Kaubarem. Unter den Hunden war eine ausgemagerte Hündin mit leeren, faltig hin und her schaukelnden Zitzen, aus denen drei junge Welpen den letzten Tropfen mit hungrigen Mäulern ausquetschten und ungehalten über die magere Ausbeute waren, indem sie in die Zitzen bissen, dass die Mutter vor Schmerzen aufschrie und trotzdem stehenblieb. Die Sandstrasse mit den tief eingefahrenen Reifenspuren der 'Casspirs' begann, und der Käfer schaukelte nach beiden Seiten. Die aufgeworfenen Sandbänke kratzten laut am Bodenblech. Dr. Ferdinand sah links den hundert Meter von der Sandpiste entfernten Wasserturm mit dem aufgesetzten, von aufgeschichteten Sandsäcken eingefassten MG, das ihm bei einer frühnächtlichen Rückfahrt von der Mission zunächst Leuchtkugeln in blau, rot und gelb vor die Windschutzscheibe schoss und schliesslich scharf hinterher und nach seinem Leben schoss, als ihn der Schutzengel mit dem Käfer in eine riesige Sandwolke steckte, dass den Augen hinter dem MG das Sehen verging.

Dafür bedankte er sich beim Schutzengel noch einmal, als er den Wasserturm passierte. Die Fahrtspuren der 'Casspirs' waren tiefer und zahlreicher als bei seiner letzten Fahrt, was der letzten Entscheidungsschlacht durchaus entsprach, von der der Brigadier sprach, bei der viel auf dem Spiel stehe. Dass sie aber unmittelbar ans Missionsgelände heranführten und den Platz vor dem kleinen Missionshospital und die schlichte Kirche kreuz und quer aufgewühlt hatten, das war ein schlechtes Zeichen. Da musste erst kürzlich etwas passiert sein, denn sonst hätten die Menschen mit den Schwestern und Patres den Sand schon wieder glatt gerecht, weil sie die Ordnung liebten und den Frieden für den Gottesdienst am morgigen Sonntag brauchten. Das Tor war verkettet. Dr. Ferdinand wartete, bis eine Schwester mit Küchenschürze und Schlüssel aufs Tor zukam, es öffnete und dann wieder verkettete und das Schloss einhängte, als er das Haus der Patres erreichte und den Käfer in den Baumschatten unter einer üppigen Krone abstellte. Die Tür zum langen Flur war nicht verschlossen, sodass er den Weg zum dritten Raum links nahm, in dem drei Patres sassen, von denen einer bereits betagt war. "Ach, Herr Doktor, das ist ja schön, dass Sie mal wiederkommen, Sie waren lange nicht mehr hier." Einer legte den 'Osservatore', das offizielle Vatikanblatt in der deutschen Ausgabe zusammen und auf den Tisch, der andere hielt die 'Deutsche Zeitung', eine Landeszeitung in deutscher Sprache in der Hand, als sie einander begrüssten. Dr. Ferdinand setzte sich an den Tisch, auf dem einige Palmzweige vom vergangenen Palmsonntag noch lagen. Der andere Pater legte die 'Deutsche Zeitung' ebenfalls auf den Tisch zurück.

"Wissen Sie", begann der jüngere Pater, der so jung nicht mehr war, "gestern abend bekamen wir Besuch von der Koevoet. Die durchsuchten die Mission und das Hospital. Die Männer sagten, dass sie nach Männern suchen, die vor einigen Tagen aus dem Polizeigewahrsam ausgebrochen waren und bewaffnete Männer der Swapo seien. Wir konnten da nichts machen, weil sie uns nicht glaubten, dass auf dem Missionsgelände diese Männer nicht seien. Können Sie sich die Aufregung vorstellen, es war doch Karfreitag, und die Menschen bereiteten sich auf das Osterfest vor." Die anderen Patres machten ein ernstes Gesicht, und Dr. Ferdinand konnte sich die Aufregung vorstellen. "Sie haben die ganze Mission durchsucht, sind in jedes Krankenzimmer gegangen, wie die Schwester sagte, dass sich die Patienten erschrocken haben. Sie haben die Räume der Schule und die Wohnstellen der Lehrer kontrolliert, waren in der Küche, wo die Schwester und das Personal mit dem Aufräumen und Spülen beschäftigt waren, durchsuchten mit hellen Lampen die Halle, wo die Autos stehn. Sie wollten sogar in die kleine Kapelle, wo die Schwestern ihre Nachtmesse hielten. Da bedurfte es des energischen Einschreitens von uns allen, sie von diesem Wahnsinn abzuhalten. Die Kirche hatten sie, Gott sei Dank, in Ruhe gelassen. Dann hatten sie sich den Nachtwächter vorgenommen, den guten, alten Mann, der hier seit vielen Jahren seinen Dienst tut. Pater Huben sah es, wie sie in die Mangel nahmen. Er eilte ihm zu Hilfe. Der alte Mann konnte sich nicht ausweisen, und die Koevoet war schon dabei, ihn zu verladen, was Pater Huben dann noch mit guten Worten verhinderte. Sie hatten hier nichts gefunden, und das wollten sie nicht glauben. Mit ihren schweren Fahrzeugen kurvten sie um die Kirche und leuchteten die Gegend ab. Dann fuhren sie in die umliegenden Siedlungen, durchsuchten Kraal für Kraal und luden einige Männer auf, die sie mit nach Oshakati nahmen, weil sie keine Papiere hatten."

Dr. Ferdinand dachte an die letzte Entscheidungsschlacht, die vor der Mission nicht haltmachte und nun bis vor die Tür der kleinen Kapelle heranreichte. Der Pater war erregt: "Und das wenige Stunden vor dem Auferstehungsfest des Herrn. Können Sie sich das vorstellen?" Es war vorstellbar, denn am Oshakati Hospital ging es noch ganz anders zu, da wurden die Schlafenden vor der Rezeption regelrecht aus dem Schlaf gescheucht und die Männer, die sich nicht ausweisen konnten, verprügelt und in den Bauch des 'Casspirs' geworfen, und die weggeschlagene Beinprothese dem Amputierten ins Fahrzeug nachgeschmissen. Dr. Ferdinand fühlte sich genötigt, dazu etwas zu sagen: "Es ist schon traurig, wie rücksichtlos die Koevoet mit den Menschen umgeht, denen die Achtung vor dem Menschen völlig abhanden gekommen ist. Die können nicht schreiben und nicht lesen, aber schlagen, das können sie." "Sagen Sie das nicht", erwiderte der betagte Pater, "einige von denen waren hier in der Schule, und ich habe ihnen das Lesen und Schreiben und die Bibelkunde beigebracht. Und das ist es, was mich traurig macht, dass sie trotzdem den Respekt vor den Menschen verloren haben. Denn was hilft die ganze Schule mit der Bibelkunde, wenn sie später als Barbaren wiederkommen und die Mission auf den Kopf stellen, die sie ehren sollten." Dr. Ferdinand verstand die Trauer, dass der Unterricht im Lesen und Schreiben und in der Bibelkunde es nicht schafften, aus den jungen Menschen durch etwas Bildung reife Menschen zu machen, die Achtung vor dem Menschen haben, wo der menschliche Respekt höher anzusetzen ist als das Geld und gute Essen.


Der Weg nach Afrika

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