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Von der herzlichen Natürlichkeit

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Die unbescholtene Natürlichkeit und herzliche Dankbarkeit eines Kindes waren immer wieder unvergleichliche Erlebnisse. Er verliess den Kindersaal in Richtung Teeküche, um eine Tasse Tee zu trinken und vielleicht doch noch ein Osterei zu bekommen, und wenn es nur ein gewöhnliches, hart gekochtes Ei war. Der stets freundliche Mann am Eingang der Teeküche, der zur Feier des zweiten Ostertages fast im blütenweissen Küchendress vor ihm stand, wenn man einmal von den geflickten Ärmeln über den Ellenbogen und dem überflickten rechten Hosenbein über dem Knie absah, begrüsste Dr. Ferdinand mit einem strahlenden Gesicht. Sie gaben sich die Hand und wechselten einige Worte in drei Sprachen, wobei das Afrikaans in der Mitte stand. Die Geste der Selbstverständlichkeit hatte ihre Wirkung darin, dass dieser Küchenmann, der den Doktor als 'goeie Duitse man' titulierte, ihm nun zwei hart gekochte Eier auf den Teller legte, dazu zwei Weissbrotscheiben und einen Löffel voll Margarine. Er stellte ihm eine volle Teekanne auf den Tisch, brachte die Kaffeetasse mit Teelöffel und eine zweite Kaffeetasse, die mit Zucker gefüllt war, nach und sang den Choral, der aus dem kleinen Radio in der Teeküche kam, in der Sprache seiner Menschen mit. Dr. Ferdinand pellte die Schale in Ostererinnerungen an seine Kinder vom ersten Ei, als Dr. Nestor die Kantine betrat und sich an den Tisch dazusetzte, um eine Tasse Tee zu trinken. "Der Krieg hat die Menschen so sehr in Angst und Schrecken versetzt, dass sie jetzt mit Bluthochdruck und Kopfschmerzen kommen, die sie ohne Medikamente nicht unter Kontrolle bringen. Es sind magere Menschen, die vorher einen Blutdruck hatten, der sich an der unteren Grenze bewegte." Dr. Ferdinand dachte an die übersättigten Patienten mit dem Übergewicht in Deutschland, die einen hohen Blutdruck hatten, weil Fettsucht und Stress sich nicht vertrugen. "Was machen Sie da?", fragte er. "Ich versuche es mit Beta-Blockern, mit Propranolol und Flumethiaziden, doch einige vertragen die Medikamente nicht, klagen über Schwindelgefühl, Brechreiz, Atembeschwerden und Muskelkrämpfe. Dazu kommt, dass die Apotheke nicht genügend Medikamente hat." Der Krieg beeinflusste nicht nur die Chirurgie, sondern griff tief in die nervösen Zentren der Menschen ein, die es am Herzen spürten, weil sie sich der Schrecken nicht mehr erwehren konnten. Ein anderer Punkt, den Dr. Nestor erwähnte, war die erschreckende Zunahme der Tuberkulose, der die Menschen aufgrund der schlechten Ernährung und des geschwächten Immunsystems wie Fliegen erlagen. "Das haben unsere Menschen nicht verdient." Auch wenn es eine stehende Redewendung des schwarzen Kollegen war, Dr. Ferdinand stimmte ihm zu. Da beide im selben Boot sassen, konnten beide an der Situation nichts ändern. "Wir können nur unseren kleinen Teil beitragen, um die Not zu lindern, soweit es in unseren Kräften steht. Im übrigen hoffen wir auf das Ende dieses Unrechtssystems, und die Hoffnung geben wir nicht auf, wobei wir uns in Geduld üben müssen, weil uns nichts anderes übrigbleibt." Sie waren noch im Gespräch, als gleich zwei Schwestern in die Kantine stürzten, die eine vom Kreisssaal, weil eine Gebärende den fötalen Armvorfall hatte, was eine normale Entbindung unmöglich macht, und die andere Schwester aus der OPD (Outpatient department), wo eine junge Frau aus Südangola gebracht wurde, der vor drei Tagen ein Rind das Horn in den Bauch gestossen hatte. Dr. Ferdinand bat seinen Kollegen, die Narkose zum Kaiserschnitt zu geben und wies die Schwester vom Kreisssaal an, den Op in Kenntnis zu setzen und die Patientin unverzüglich dorthin zu bringen. Dann ging er mit der anderen Schwester zur OPD, um die junge Frau zu untersuchen. Sie lag auf der Trage. Er hob das Tuch ab, das über den Bauch gelegt war. Das Rind hatte mit dem Horn ein grosses Loch in die Bauchdecke gestossen, aus dem zwei Dünndarmschlingen und ein Teil des grossen Netzes herausgetreten waren, auf denen der angolanische Sand vom Fettgewebe des grossen Netzes nicht abzuwischen war.

Ein Wunder, dass es diese Frau bis hierher lebend schaffte, dachte Dr. Ferdinand, als er sich die dreitägige Reise auf der Eselskarre, die von der Grenze über das östliche Kaokoland führte, von der Schwester, die der portugiesischen Sprache teilweise mächtig war, übersetzen liess. Da die Patientin erheblich an Blut verloren hatte, wurde eine Blutprobe zur Bestimmung des Blutfarbstoffs, der Elektrolyte und zur Kreuztestung für die erforderlichen Konserven ins Labor geschickt. Eine Laparotomie war dringend angezeigt, dass Dr. Ferdinand die Schwestern beauftragte, die Vorbereitungen zur Operation zu treffen und die Patientin zum Op zu bringen, während er sich schon auf den Weg dorthin machte, um den Notfall-Kaiserschnitt durchzuführen. Die verhinderte Mutter lag bereits auf dem Op-Tisch, und die Schwester hatte die braune Desinfektionslösung auf der Bauchdecke verrieben, als Dr. Ferdinand in den Op trat, um dem Kollegen zu signalisieren, mit der Narkose zu beginnen. Er hatte sich gewaschen, bekam den grünen Op-Kittel übergezogen und trat an den Tischm als er die Handschuhe über die Kittelenden streifte. Die Schwester hatte die Patientin mit sterilen Tüchern abgedeckt und reichte dem Operateur das Skalpell. Er machte den queren Haut- und Faszienschnitt nach Pfannenstiel (dem Breslauer Gynäkologenl) oberhalb der Schambeinfuge, spreizte in der Mitte und längs die Bauchmuskeln, eröffnete das äussere Bauchfellblatt, löste die Harnblase vom Gebärmutterhals und schnitt ihn in querer Richtung ein. Der fötale Kopf sass tief im kleinen Becken und drückte auf den vorgefallenen Arm. Der Kopf wurde mit Mühe gelöst und zurückgezogen und mit ihm der Arm, so dass der reife Fötus durch die mütterliche Wunde entwickelt und von der Nabelschnur abgetrennt wurde, die sich um den Hals gewickelt hatte. Die leichte Blaufärbung des an den Fussgelenken gefassten mit dem Kopf nach unten hängenden Föten kam die Rosafarbe nach zweimaligen, sanften Schlägen auf den Rücken, dass ein gesundes Baby geboren wurde und ein Osterjunge dazu, dem der Vorfall den Arm nicht gebrochen hatte. Alle freuten sich über den Erfolg der Rettungsmassnahmen und den gesunden Neuankömmling, dem sie eine bessere Zukunft wünschten. Die Plazenta wurde durch Zug an der Nabelschnur gelöst und herausgeholt und auf ihre Vollständigkeit geprüft. Die Wundfläche der Uterushöhle wurde mit einer grossen Kompresse gesäubert und der Gebärmutterhals durch Naht geschlossen, die Harnblase über die Nahtreihe gelegt und mit drei Haltenähten am Uterus fixiert. Während er die Bauchdecke verschloss, informierte Dr. Ferdinand das Team von der jungen Frau aus Angola mit der Bauchverletzung durch den Stoss eines Rinderhorns, die als nächste operiert werden musste.

Die Nachricht.wurde gelassen aufgenommen, weil ein Teamgeist der Hilfe herrschte, dem der Ostermontag keinen Abbruch tat. Die junge Mutter schlief nach der operativen Entbindung die Narkose aus und wurde in den Aufwachraum gefahren. Eine andere Schwester trug die steril verpackten Instrumentensiebe für die Laparotomie zum 'theatre 3'. Die beiden Doktoren setzten sich zu einer Tasse Tee in den kleinen Teeraum, wo Dr. Nestor den weiten Weg von der angolanischen Grenze durchs Kaokoland bis nach Oshakati erklärte, auf dem zahlreiche Strassensperren zu umfahren waren, was den Weg noch weiter machte. Beide drückten ihre Bewunderung vor dem starken Lebenswillen der Menschen aus, die sich einer solchen mehrtägigen Reisestrapaze unterzogen, und staunten insbesondere über die Anstrengung und Courage des Vaters, der die Tochter auf der Eselskarre aus einer Entfernung brachte, die Dr. Nestor auf zweihundertfünfzig bis dreihundert Kilometer schätzte. Zwei Schwestern fuhren die Trage mit der Patientin in den Op, dass die beiden Doktoren ihnen zu Hilfe eilten, um die Patientin auf den Op-Tisch herüber zu heben. Dr. Nestor schob den Atemtubus in die Luftröhre und schloss ihn an das Narkosegerät an, als Dr. Ferdinand im Op-Kittel mit übergestreiften Handschuhen an den Tisch trat, mit einer sterilen Kompresse die ausgestülpten Darmschlingen und das Netz umfasste, damit die Op-Schwester die Bauchdecke mit der braunen Lösung überstreichen konnte. Dann wurden von beiden Seiten grosse Kompressen dem vorgelagerten Eingeweide unterlegt, um den Sandbelag mit kochsalzgetränkten Kompressen zu entfernen, was aufgrund der Dauer des Vorfalls nur teilweise gelang. Über einen mittleren Längsschnitt wurde die Bauchhöhle eröffnet und revidiert. Da fanden sich einige Blutergüsse am Gekröse, weitere Darmverletzungen lagen nicht vor. Erstaunlich war, dass die seit drei Tagen ausgestülpten, bläulich verfärbten Darmschlingen beim Fingerklopf flachwellig peristaltisch reagierten, also noch lebten, weil das Rind mit dem Horn das Loch in der Bauchdecke gross genug gemacht hatte, dass die arterielle Blutzufuhr nicht und der venöse Rückfluss nur leicht gedrosselt wurden. Auch nahmen die Darmschlingen nach Eröffnung der Bauchhöhle eine hellere Farbe an, weil nun die venöse Drosselung beseitigt wurde. Damit erübrigte sich die Frage einer Darmresektion, und Dr. Ferdinand bemühte sich erneut mit feuchten Kompressen den Sand von den Schlingen und dem Netz zu bekommen, was bei den Schlingen nun weitgehend gelang, am Netz dagegen erfolglos blieb. Bei der dritten Inspektion, die keine neuen Erkenntnisse brachte, wurde die Bauchhöhle mit Kochsalzlösung gespült, die Flüssigkeit nach mehrmaligem Hin-und- her-schieben des gesamten Dünndarms abgesaugt und der Bauchraum mit einer Kompresse getrocknet. Beim Bauchdeckenverschluss stellte das vom Horn eingetriebene Loch ein örtliches Problem dar, das flachbogig ausgeschnitten wurde, sodass die drei Schichten aus äusserem Bauchfellblatt, innerem und äusserem Muskelblatt und Haut durch eine spezielle Nahttechnik sicher verschlossen wurden. Beim Aufkleben des Wundverbandes dankte Dr. Ferdinand allen für die gute Zusammenarbeit, was die Schwestern und Dr. Nestor freundlich erwiderten. Es herrschte eben ein guter Geist im Op bei allem Ungeist draussen ausserhalb des Hospitals. Das stimmte Dr. Ferdinand zufrieden, er empfand Dankbarkeit für die menschliche Atmosphäre, in der hier gearbeitet worden war, die allen zugute kam und den Patienten am besten half. Er hatte sich umgezogen und wartete im Teeraum auf Dr. Nestor, der durchschwitzt, aber nicht weniger zufrieden war und beim Umkleiden gute Worte für die Art der Zusammenarbeit fand, die er leider als eine Ausnahme bezeichnete, weil die jungen Kollegen in Uniform es zu oft am nötigen Respekt vor den Menschen der schwarzen Haufarbe fehlen liessen. Die Schwestern hätten oft über deren Arroganz und Unhöflichkeit bei ihm geklagt. Sie waren sich darin einig, dass der Weggang des Dr. Hutman, der den Namen 'der Leutnant des Teufels' von Dr. Ferdinand verliehen bekam, eine atmosphärische Verbesserung brachte, weil der sich durch sein ungezogenes Benehmen bei allen Schwestern unbeliebt gemacht hatte. "Der Arzt in Uniform, das geht eben nicht zusammen, weil es Misstrauen bei den Menschen schürt", meinte Dr. Nestor. Das verstand Dr. Ferdinand gut, weil er bei solchen 'Ärzten' an Dr. Mengele und Konsorten in ihren geschniegelten SS-Uniformen dachte, die den Teufel mit seinen sadistisch unmenschlichen Grausamkeiten an Hunderttausenden hilfloser Männer und Frauen, Greisen und Kinder praktizierten.

Vom 'theatre', wo die beiden Doktoren die Gedanken zur Zeit offen austauschten, das Wort `Faschismus' von Dr. Ferdinand in das Ostermontaggespräch mit der ergänzenden Bemerkung eingebracht wurde, dass er so ein aufgesetztes, rücksichtsloses und menschenverachtendes System das zweite Mal, nun in der burischen Version erlebe, waren sich beide darin einig, dass sich in der Geschichte der Menschheit ein Unrechtssystem noch nie auf Dauer hätte halten können, weil es im Kern verrottet und als schmarotzender Parasit von innen heraus verfault sei. Ein Zeitplan, wann die Fäulnis total sei, und so ein Gewächs im eigenen Moder erstickt, liess sich allerdings nur schätzen, denn immer neue Ableger der parasitären Absicht überzogen den blutig verwüsteten Boden, wenn auch mit schwindender Kraft, weil es zum Ranken immer weniger, aber zum Kriechen noch reichte. Sie wünschten sich einen ruhigen Tag, und Dr. Ferdinand trug dem Kollegen die Ostergrüsse an seine Familie auf. Er ging noch einmal zum Entbindungssaal, um sicher zu sein, dass die jungen Frauen auf natürlichem Wege ihre Kinder zur Welt zu bringen. Dann machte er seine Runde zum 'Outpatient department', das aufgeräumt war, wo zur Zeit keine Patienten sassen, denen eine Wunde vernäht oder ein gebrochener Knochen gerichtet und eingegipst werden musste. Es war Mittagszeit, und Dr. Ferdinand liess sich in der Kantine vom freundlichen Wärter im fast blütenweissen Küchendress das Essen an der Durchreiche auf den Teller geben. Es gab einen gekochten Hühnerschenkel mit Reis, der mit der scharfen Chilisosseüberzogen war, und die obligaten, grünschaligen Pumpkinhälften mit dem löffelweich gekochten, gelben Fruchtfleisch. Er sass allein im Essraum und hatte sich daran gewöhnt, dass die meisten Kollegen an Sonn- und Feiertagen das Mittagessen mit ihren Frauen in ihren privaten Quartieren einnahmen, wo es, weil gemeinsam, dann auch besser schmeckte.

Der Küchenmann brachte noch eine volle Kanne frisch gebrühten Tee, aus dem die acht Teebeutelanhänger mit den kleinen Kärtchen am Ende heraushingen, auf denen die Teemarke 'Rooibos' (Rotbusch) zu lesen war, einem Tee aus Borboniablättern, der in Südafrika hergestellt und wegen seines herben Buschgeschmacks auch hier von den Menschen gern getrunken wurde. Als der freundliche Herr in der Teeküche die Töpfe, Schüsseln und Teller in den Küchenwagen zurückstellte und dabei mit den grossen Schöpflöffeln und den kleinen Essbestecken klapperte, wurde das Ende der Mittagszeit hörbar, dass Dr. Ferdinand mit einem Gruss die Kantine verliess und sich auf den Rückweg machte, den er durch die OPD nahm, um sich zu vergewissern, dass sich dort keine Patienten eingefunden hatten, die einer chirurgischen Versorgung bedurften.

So war es, es sassen lediglich zwei Mütter dort, die ihre Kinder mit Fieber und Husten auf ihren Schössen hielten, um vom diensthabenden Kollegen der Kinderheilkunde gesehen zu werden, der die eine Mutter bereits eine Stunde und die andere zehn Minuten weniger warten liess. Die lange Wartezeit verwunderte Dr. Ferdinand, weil er wusste, dass der schwarze Kollege den Dienst am Kinde hatte, der ein fertiger Kinderarzt nach der Spezialausbildung in Südafrika war. Es war ein Spazierengang, den er sich für den Rückweg vorgenommen hatte, ohne deshalb einen Umweg zu machen, weil er mit einem Anruf aus dem Hospital rechnen musste. So ging Dr. Ferdinand den kürzeren Weg zwischen dem ausgerollten Stacheldraht und zerfledderten Lattenzaun an den ramponierten Bäumen mit den abgeschlagenen Ästen links vom Weg und den hochgestelzten Blockhäusern der Kollegen in Uniform rechts vom Weg vorbei, wo aus den Türritzen des vierten Blockhauses, das einst Dr. Hutman für sich in Beschlag genommen hatte, der würzige Duft eines leckeren Bratens herab bis auf den von Aststümpfen verquerten Weg drang, und Dr. Ferdinand sich in die Physiologie des bedingten Reflexes (nach dem Petersburger Physiologen Iwan Petrowitsch Pawlow) vertiefte, als ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Die Wachhabenden an der Sperre zum Dorfeingang nahmen das vorgehaltene 'Permit' gelassen zur Kenntnis, als stünden sie mit offenen Augen bereits im Mittagsschlaf. Er setzte den Weg in Gedanken fort und trat dabei einige Male in tiefe Schlaglöcher, dass er sich einmal den rechten und zweimal den linken Fuss verknickte. Die Sandalen streifte er, wie üblich, in der Veranda ab, setzte sich in den ausgesessenen Sessel und legte die Beine auf den niedrigen Tisch, auf dem die nicht ausgetrunkene Tasse mit dem kalten Kaffee und die Untertasse mit den zwei ausgedrückten Zigaretten noch standen.

Er war noch in Gedanken, wenn er auch nicht wusste, wo er mit ihnen richtig war, und liess sie gewähren, zündete sich eine Zigarette an und betrachtete die hochgelegten Füsse, fuhr mit beiden Händen über die Innen- und Aussenknöchel beider Fussgelenke, die ihm nach dem Verknicken der Füsse schmerzten. Er drückte auf die Knöchel und schloss eine Fraktur aus und eine Kapselzerrung ein, dass er sich über eine Blauverfärbung und Schwellung über den oberen Sprunggelenken nicht wundern sollte. Er hielt es sich vor, dass so etwas passiert, wenn man nicht alle Gedanken beisammen hat, und warf sich vor, dass das ja nicht das erste Mal war. Als würde sich im Computer etwas ‘verknoten’, was trotz der hochentwickelten Halbleitertechnik mit den zusammengesetzten Denkchips nicht zu lösen war, weil es an der rechten, elektronischen Steuerung fehlte, den Denkprozess in die richtige Richtung zu lenken und mit den Denksteinen das Gebäude am richtigen Platz zu errichten. Er legte sich der Füsse wegen ins Bett, weil ihm die Fussgelenke zunehmend schmerzten, und er eine leichte Schwellung über dem linken Fussgelenk mit der beginnenden Verfärbung der Haut über dem Aussenknöchel zu sehen glaubte. Da er sich vor den Mücken nicht sicher fühlte, zog er die Decke bis unters Kinn, auch wenn in diesem Augenblick keine vor seiner Nase herumtanzte oder hörbar im Raum herumschwirrte.

Dr. Ferdinand war eingeschlafen, als gegen fünf das Telefon läutete, er aus dem Bett sprang und beim Abnehmen des Hörers zunächst an einen Kaiserschnitt, dann an irgend etwas Chirurgisches, aber nicht an Dr. Lizette dachte, die ihn zum Abendessen in ihr Haus einlud. Ihre Stimme war weich, doch nicht ohne Bestimmtheit, und beides gefiel ihm an ihr. Er sagte ihr zu mit der Bemerkung, dass er auf Dienst sei, worauf sie den Optimismus herauskehrte und sagte, dass es im Hospital ruhig bleiben wird, und sie sich einen schönen Abend verspricht, weil auch ihr Mann sich freute und ihn kennenlernen wolle. Er bedankte sich für die Einladung, liess sich Strasse und Haus beschreiben und legte gedanklich geordnet den Hörer auf. Das war ein freundlicher Anstoss aus einer persönlichen Richtung, und Dr. Ferdinand freute sich darüber, weil es ihn aus dem ewigen Alleinsein riss, das ihm kräftig auf die Nerven ging. Er stieg unter die Brause und fühlte sich beim Abtrocknen so frisch und motiviert, dass er sich für ein kleines Gedicht stark genug fühlte, in dem er sagen wollte, dass es sich lohnt zu leben, weil es im Leben auch schöne Dinge gibt, die einen Menschen überraschen, der an vieles denkt, aber nicht an alles, der viel gewohnt ist, was längst noch nicht alles ist.

Er hatte sich das Blatt auf der Pappe zurechtgelegt und wollte in diesem Sinne ein paar Zeilen schreiben, als das Telefon läutete, und die Schwester von einer siebzehnjährigen Kreissenden sprach, die ihr erstes Kind nicht auf natürlichem Wege zur Welt bringen kann, weil sich der Föt nicht aus der Querlage in die gewünschte Kopftieflage drehen lässt. Mit der Einladung von Dr. Lizette zum Abendessen im Hinterkopf, wo sich ihr rausgekehrter Optimismus als Trugschluss herausstellte, wies er die Schwester an, Dr. Nestor, der die Narkose machen musste, und die Schwestern im 'theatre' vom Notfall in Kenntnis zu setzen und die Patientin unverzüglich zum Op zu bringen, da er sich auf den Weg zum Hospital mache. Er hatte das weisse Hemd mit den langen Ärmeln und die dunkle Hose, seine Sonntagskleidung, angezogen, als er sich in den VW-Käfer setzte und den Weg in drei Minuten zurücklegte, da die Wachhabenden an der Sperrschranke des Dorfausgangs ihn kannten und diesmal von der offiziellen Anweisung der Autokontrolle absahen. Er stellte das Auto mit Beginn der Dämmerung vor den beiden Fenstern der Schmalseite der Intensivstation ab, sah zu den Menschen vor der Rezeption hinüber, die dabei waren, ihr Nachtlager mit Pappen und Decken auf dem Betonboden vorzubereiten, eilte schnurstracks zum Op-Haus, hängte die Sonntagskleidung an den Haken im Umkleideraum und stand grün gekleidet im Korridor, als die Patientin aus dem Entbindungssaal gebracht wurde, die vor Schmerzen stöhnte. Dr. Ferdinand half beim Umlegen der Patientin auf die 'theatre'-Trage und dann im 'theatre l' beim Umlegen von der Trage auf den Op-Tisch. Die Narkoseschwester traf die Vorbereitungen auf dem Narkosetisch, während sich die Op-Schwester nach dem Abtrocknen der Hände in den grünen Kittel helfen liess. Dr. Nestor eilte in den Op und wischte sich mit einem Tuch den Schweiss vom Gesicht. Dr. Ferdinand streifte die Handschuhe über, als er im grünem Kittel den Op-Raum betrat, und die Op-Schwester mit dem Verreiben der braunen Desinfektionslösung über dem stark vorgetriebenen Bauch zugange war. Er half beim Abdecken und Anklemmen der sterilen Tücher. Dr. Nestor hatte den Tubus eingeschoben und schloss ihn an das Narkosegerät an, als die Schwester das Skalpell Dr. Ferdinand in die Hand gab, der unverzüglich mit dem Querschnitt oberhalb der Schambeinfuge begann. Es dauerte etwa acht Minuten, bis ein kräftiger Junge aus der durch Querschnitt geöffneten Gebärmutter entwickelt und von der Nabelschnur getrennt wurde. Dieser 'Kerl' fing gleich an zu schreien, dass ihm die erweckenden Rückenschläge bei herabhängendem Kopf erspart blieben. Eine Schwester nahm den kräftigen Burschen in einem aufgehaltenen, sterilen Tuch in ihre Hände, wickelte ihn ein, legte ihn auf den Babytisch, um ihm mit einem dünnen Plastikschlauch das Fruchtwasser aus Mund und Nase zu saugen, was der Neuankömmling mit einem nasalen Schreien quittierte. Sie legte ihn auf die Waage, wo es der Bursche ohne jegliche Anstrengung bereits auf dreieinhalb Kilogramm an Gewicht brachte. Dann liess er sich die Haut trocken reiben und in ein frisches Tuch wickeln, ohne dagegen etwas zu sagen, weil er sich nach der langen Reise erst einmal ausschlafen wollte.

Dr. Ferdinand hatte die Wunde am Gebärmutterhals vernäht und die Harnblase darüber mit einigen Einzelknopfnähten fixiert. Während er die Bauchdecke verschloss, meinte die Op-Schwester, weil sie sich über die Häufigkeit von Kaiserschnitten an Wochenenden und Feiertagen unterhielten, dass dieser Ostermontag auffallend ruhig verlaufen sei, was nicht heissen sollte, dass die Nacht nicht noch weitere Kaiserschnitte fordern würde. Der Verband war aufgelegt, die Narkoseschwester hatte die Trage neben den Op-Tisch gefahren, als Dr. Nestor den Tubus aus der Luftröhre zog und der Patientin den Sauerstoff über die Gesichtsmaske durch mehrmaliges Zusammendrücken des Atembeutels in die Lungen blies, was sie mit einer guten Spontanatmung quittierte. Alle fassten zu, um die junge Mutter vom Op-Tisch auf die Trage zu heben, auf der sie in den Aufwachraum gefahren wurde, wo ihr einige Male der Blutdruck gemessen und der Puls über der Speichenarterie am Handgelenk gezählt wurde. Ein neuer Erdenbürger war geboren, der nicht wissen konnte, wie es in dieser Welt aussieht, in die er gekommen war, um sein weiteres Leben hier oder dort zu verbringen. Dr. Ferdinand, der dem Team für die gute Zusammenarbeit dankte, fragte sich im durchschwitzten grünen Hemd, ob der neue Erdenbürger nicht lieber im Mutterleib geblieben wäre, wenn er gewusst oder nur geahnt hätte, was hier auf dem afrikanischen Kontinent unweit der angolanischen Grenze abläuft.

Dr. Ferdinand warf die durchschwitzte Op-Kleidung in den Wäschesack, erfrischte sich das Gesicht mit dem lauwarmen Wasser aus dem Kaltwasserhahn über dem Waschbecken im Umkleideraum, trocknete das Gesicht in einem frischen grünen Hemd ab und zog sich das sonntägliche Zivil an, liess sich über die Telefonzentrale mit Dr. Lizette verbinden, um ihr zu sagen, dass er sich verspätet hat und sich nun auf den Weg zu ihr machte. Er ging durch die OPD, um sich zu vergewissern, dass keine Patienten auf ihn warteten, und um die Schwestern der Nachtschicht davon in Kenntnis zu setzen, dass er für die nächsten Stunden bei Dr. Lizette zu erreichen sei. Er durchschritt den Ausgang links neben der Rezeption, blickte nach links, wo Männer und Frauen, Mütter mit ihren Kindern auf dem Betonboden unter Decken lagen, um die Nacht hier zu verbringen, weil es die Polizeistunde mit Eintritt der Dämmerung so verlangte. Er fuhr mit dem Auto durch das nicht schliessbare Ausfahrtstor mit den verknickten Rohrpfosten und wünschte dem Nachtpförtner durch das offene Fenster eine gute Nacht. Die Kontrolle an der Sperrschranke des Dorfeingangs war mild, auch wenn von beiden Seiten je zwei Wachhabende das Innere des VW-Käfers nicht ohne Neugier betrachteten, und Dr. Ferdinand ihnen das 'Permit' solange entgegenhielt, bis sie sich am Käfer ausgeguckt hatten und das Papier auch nicht mehr sehen wollten, was irgendein Brief hätte sein können, weil sie sich um das Handgeschriebene mit der Unterschrift des Kommandeurs nicht scherten.

Dr. Lizette hatte den Namen der Strasse genannt und sie als die Zufahrt zum Militärcamp bezeichnet. Da es drei grosse Camps im Dorfe gab, die zusammen eine Brigade fassten, und nicht alle Strassen ausgeschildert waren, zumindest die Strassenschilder in der fortgeschrittenen Dämmerung nicht gleich zu finden waren, versuchte sich Dr. Ferdinand der Beschreibung entsprechend zu orientieren, indem er einige Dorfstrassen zweimal und langsam durchfuhr und schliesslich vor einem Haus mit Doppelgarage anhielt, das Dr. Lizette mit einem weissen Aussenanstrich beschrieb, was für den Tag gelten konnte, weil nachts auch alle Häuser grau sind. Es war das richtige Haus, und Dr. Lizette freute sich über das Kommen und stellte ihn ihrem Ehemann, dem Psychologen, vor. Das Auto wurde in die Einfahrt gestellt, um dem Risiko des Gerammtwerdens durch ein breites Militärfahrzeug zu entgehen. Dr. Ferdinand entschuldigte sich für die Verspätung und schränkte damit den von Dr. Lizette zuvor geäusserten Optimismus ein, dass es am Nachmittag ruhig im Hospital sein werde, die es, da sie ein gutes Gedächtnis hatte, mit einem Lächeln quittierte. Beide boten ihm einen bequemen Sessel zum Sitzen an, als der Psychologe einen Cooldrink in Form eines eisgekühlten Whisky mit Sodawasser offerierte, und Dr. Lizette die entsprechenden Gläser dreifach auf den runden Klubtisch stellte. Das Ehepaar nahm die anderen beiden Sessel ein, von wo der Ehemann die Gläser füllte und die drei Gläser mit dem eiskalten Stoff nach dem Wort "Gesondheid!" (Prosit) gehoben und auf einen anregenden Abend angetrunken wurden, und der Psychologe sein Glas leerte.

"Sie kommen also aus Deutschland. Was hat Sie denn hierhergeführt?", war die Eröffnungsfrage des Psychologen, der es von Anfang an wissen wollte und seine Neugier dabei verriet, die so typisch für die Menschen war, die sich mit der Seele und ihren Zuständen beschäftigen und es professionell hinter einem grossen Schreibtisch in den verkürzten Dimensionen des Hör- und Sprechraumes in der Verknotung verstehen, auf einem Blatt Papier notieren, die Notizen unterschiedlich dick unterstreichen, durch balkenförmige Quer- oder Senkrechtstriche das eine Wort vom andern trennen, sodass dem gesprochenen Satz die ursprüngliche Aussage abgeschnitten wird, der Satzgegenstand in der Luft hängt und irgendeiner anderen Satzaussage angekoppelt wird, weil da auf dem Papier auf dem aufgeräumten Schreibtisch in dem eng dimensionierten Raum mit den wenigen, zurechtgestellten Büchern im Regal und den abstrakten Farbdrucken an den Wänden etwas entsteht, was der Person eigentlich nicht mehr gehört, je weiter die Satzbestandteile aus dem gesprochenen Kontext verzogen, herausgezogen oder voneinander verschnitten oder ganz abgeschnitten werden, um sie einer Analyse zugänglich zu machen. Dr. Ferdinand liess das Wort 'Scheidung' fallen, dem er den Mantel des Traumatischen umhängte, so dass der freundlich gesinnte Psychologe es verstand und von der weiteren Befragung zum Persönlichen absah. Er hatte sich offensichtlich sein Bild über den seelischen Zustand des Deutschen gemacht, denn er sprach nun mehr mit den Augen als mit dem Mund.


Der Weg nach Afrika

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