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Der Arzt in Uniform – das Teufelswerk der Entmenschlichung

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Doch, und weil er es für wichtig empfand, wollte ihm Dr. Ferdinand die Probleme, die er vor der angolanischen Grenze im Allgemeinen und am Hospital im Besonderen vorfand, nicht vorenthalten. Er begann mit dem Arzt in Uniform, von dem Dr. Nestor am Morgen noch sagte, dass das nicht zusammengeht, weil es Misstrauen bei den Menschen schüre, und bei ihm die Teufelsärzte in den Uniformen der SS in den Sinn kamen, die in den Vernichtungslagern der Nazis ihr sadistisches Unwesen mit der grössten Grausamkeit an den hilflosen Menschen trieben. Er stellte dem Psychologen daher die Frage, was er vom Arzt in Uniform halte. Dr. Ferdinand wusste, dass es eine schwierige Frage war, die an die Grenze des Verstandes ging, und liess ihm genügend Zeit zum Nachdenken. Er räumte bei dieser Frage ein, dass sie als eine Falle verstanden werden konnte, was nicht in seiner Absicht lag, weil ihm die Sache mit den zwei Gesichtern zu ernst war. Die Nachdenkminute wurde nachdenklich, Dr. Ferdinand nippte an seinem Glas Whisky mit Sodawasser und hatte das ungute Gefühl, ein Missverständnis provoziert zu haben, obwohl die Frage noch so im Raume stand, wie sie vor zwei Minuten dort hingestellt worden ist, ohne dass ein Wort hinzugefügt oder eines von den sieben Worten weggenommen wurde, weil es beim Wegnehmen eines Wortes wirklich keinen Sinn mehr machen würde. Der Psychologe fasste sich bei der Ehre, als er zu dieser Frage bemerkte, dass sie nicht nur schwierig, sondern psychologisch äusserst kompliziert sei, weil da verschiedene Dinge aus unterschiedlichen Richtungen zusammen kämen, deren Verbindung beim geringsten Anstoss wieder in ihre Teile zerfallen würde. "Sie meinen, dass diese Verbindung, wenn ich mich einmal chemisch ausdrücken darf, instabil ist, weil die nötigen Kopplungsvalenzen fehlen."

Der Psychologe, der nach Einschätzung des Fragestellers noch relativ jung im Fach war und auch nicht gleich mit einer platten Rhetorik über die seelische ‘Verpackung’ aufwarten wollte, was ihm der Fragesteller hoch anrechnete, meinte, dass der Beruf des Arztes ethisch und moralisch in sich so geschlossen sei, dass es da keinen Freiraum oder keine freie Valenz für eine Ankopplung mit einem anderen Beruf gebe. Dr. Ferdinand fiel ein Stein vom Herzen, dass der Psychologe die Frage nicht als eine Falle verstand, sondern das Problem erkannte, bei dem Moral und Ethik auf dem Spiele stehn. Der Psychologe schien die Strasse gefunden zu haben, als er auf den Uniformträger zu sprechen kam, den er gesondert mit einem zivilen Auftrag neben den Soldaten mit einem militärischen Auftrag stellte. "Kann da nicht in den Augen der zivilen Bevölkerung ein Missverständnis oder Misstrauen entstehen, weil sie beim Arzt in Uniform den zivilen Auftrag vom militärischen Auftrag nicht klar und eindeutig unterscheiden kann?" Der Psychologe: "Das ist möglich, es liegt aber nicht in der Absicht des Arztes oder des Uniformträgers mit dem Auftrag, Patienten zu behandeln." Dr. Ferdinand sah die Sackgasse kommen und fragte deshalb, ob es psychologisch nicht besser sei, die Absicht klarer dadurch zum Ausdruck zu bringen, indem der Arzt das Zivile trägt, wie es die Bevölkerung auch tut, und die Soldaten mit dem militärischen Auftrag die Uniform, damit da kein Missverständnis und kein Misstrauen aufkommen kann. Der Psychologe: "Ich hätte da überhaupt nichts gegen einzuwenden. Es ist die militärische Führung, die das Tragen der Uniform für alle angeordnet hat, die hier ihren Wehrdienst ableisten, und dazu gehören nun mal auch die Ärzte am Hospital, die aus Südafrika ins Kriegsgebiet eingeflogen wurden. Auch ein Arzt in Uniform kann ein guter Arzt sein und kann der Zivibevölkerung die Botschaft der Menschlichkeit bringen." Dass die Wehrdienstleistenden aus Südafrika bis vor die angolanische Grenze geflogen wurden, das war für Dr. Ferdinand unbestreitbar.

Das Problem trat beim guten Arzt in Uniform auf, der der Zivilbevölkerung die Botschaft der Menschlichkeit bringt. Er hatte ja die beiden Beispiele vom herzensguten Dr. van der Merwe, der sich für die Patienten einsetzte und ständig seine Uniform mit Gips bekleckerte, und dem arroganten Dr. Hutman in seiner geschniegelten Leutnantsuniform, dem der Orden 'der Leutnant des Teufels' verliehen wurde, weil der sich nur halbherzig oder nicht um seine Patienten kümmerte, den vierzehnjährigen Jungen fahrlässig auf den möglicherweise lebensrettenden Eingriff der Kraniotomie warten liess, grosse Reden hielt, sich wichtig nahm, andere Kollegen anschwärzte und stets darauf bedacht war, seinen egoistischen Vorteil aus der miserablen Situation zu ziehen und das sorgfältig zusammengefaltete Barett in der Mitte unter der rechten Schulterklappe mit dem kleinen Leutnantsstern zu halten. Er musste das Beispiel bringen, wobei ihm nicht klar war, welchen der gegensätzlichen Kollegen er erwähnen sollte und welchen nicht. Er dachte einen Augenblick darüber nach, während der Psychologe die Gläser nachfüllte, und entschied sich, beide Kollegen beispielhaft anzuführen. Er begann mit dem guten Kollegen und schilderte seinen Einsatz und seine Menschlichkeit, die ihn bei Patienten, Schwestern und Kollegen gleichermassen beliebt machten, von denen einige Tränen in den Augen hatten, als er sich von ihnen verabschiedete. Dr. van der Merwe war ein tüchtiger Arzt und ein guter Mensch, der auf seine Uniform keine Rücksicht nahm und die Nöte der Menschen mit seinem Herzen und seinen Händen begriff. Ganz anders der andere, dem die Uniform wichtiger war als die Menschen, der bei Patienten, Schwestern und Kollegen unbeliebt war, weil sie seine Arroganz und Hinterhältigkeiten fürchteten. "Als der Leutnant des Teufels ging, weinte ihm nicht nur keiner eine Träne nach, alle waren froh und atmeten erleichtert auf." Der Psychologe nickte mit seinem Kopf und sagte, dass ihm beide Kollegen bekannt seien, von denen er Dr. van der Merwe und seine Frau als gute Menschen kennengelernt habe. Nun waren sie in der Sackgasse, und Dr. Ferdinand und der Psychologe drehten sich im Kreise, weil sich Arzt und Uniform vom Inhalt und Auftrag her nicht vertrugen, wobei die sichtbare, äussere Autorität nach dem Fahneneid mit der unsichtbaren, inneren Autorität nach dem Eid des Hippokrates in Konflikt geriet, und umgekehrt. Die Formel vom Tragenmüssen der Uniform bei den Wehrdienstleistenden leuchtete militärisch ein, nicht aber medizinisch, wenn es um die Belange der kranken Menschen ging, die schon genug in Not und Schrecken waren. Dr. Ferdinand fügte an, dass die Menschen nach dem, was hier ablief, gefoltert und getötet wurde, nicht mehr daran glauben, dass irgendein Uniformträger ihnen noch die Botschaft der Menschlichkeit bringen kann. Das hielten sie für einen politischen Trick, der sich weit von der Wahrheit entfernte und deshalb Grund zum Misstrauen gab, dessen Boden die Erfahrungen des Alltags waren. Der Psychologe machte ein bedrücktes Gesicht, weil er dem eigentlich nichts entgegenhalten konnte, denn beide wussten es, dass ein Mehr an äusserer Autorität, die sich in Macht ausdrückt, im täglichen Leben oft mit einem Weniger an innerer Autorität einhergeht, in der es dagegen um die ethische und moralische Integrität geht.

Dr. Lizette hatte das Essen in der Küche vorbereitet und deckte geschmackvoll den Tisch, in dessen Mitte auf einer weissen Tischdecke eine schlanke Vase mit einer frischen, gelben Rose stand. "Die Rose ist von meinem Mann, der unseren Hochzeitstag nie vergisst. Ist sie nicht schön?" Sie beugte sich über ihn und küsste seine rechte Wange. Sie hatte ein schickliches, dunkelrotes Kleid angelegt, das sie mit einem konservativen Zuschnitt attraktiv erscheinen liess. Der Ehemann folgte ihrer Bitte nach einem mundigen Rotwein, entkorkte den 'Cabernet Sauvignon' des Jahrgangs 1984 und füllte die aufgestellten Rotweingläser aufs Mass. Sie hatten am Tisch Platz genommen und liessen sich das Essen schmecken, das köstlich zubereitet war. Mit erhobenen Gläsern sprachen sie sich die freundlichen Worte des Beisammenseins zu, wobei Dr. Ferdinand dem jungen Ehepaar zum dritten Hochzeitstag gratulierte und ihm weitere, glückliche Jahre wünschte. Dr. Lizette, der das Sprechen von der Zunge ging, während die Herren den würzigen Rinderbraten auf der Zunge zergehen liessen, merkte die Besonderheit des Tages an und fügte hinzu, dass sie es vor drei Monaten noch nicht wissen konnte, diesen Tag unweit der angolanischen Grenze zu verbringen. Auf die Frage von Dr. Ferdinand, ob sie bezüglich des siebzehnten, südlichen Breitengrades enttäuscht sei, meinte sie, dass sie nicht direkt enttäuscht sei, aber jene südlicheren Breitengrade mit der höheren Zahl aus familiären Gründen vorgezogen hätte, womit sie auf Südafrika zielte. Der Ehemann war sich seiner Pflicht zur Dienstableistung im Norden bewusst und Psychologe genug, seiner Frau den Trost zuzusprechen, indem er von der begrenzten Zeit sprach, die sie auf diesem Breitengrad auszuhalten hätten. Sie nahmen nach dem Essen die Weingläser mit in die Klubecke, wo sie der Ehemann nachfüllte, als Dr. Lizette sagte: "Wir können nur hoffen, dass uns in dieser Zeit nichts zustösst." Sie sagte es mit dem realistischen Blick einer intelligenten jungen Ehefrau, der die Welt an diesem Breitengrad nicht verborgen blieb und auch nicht geheuer war. Dr. Ferdinand vermisste es, dass sie beim Wort "zustösst" die schwarzen Menschen mit keinem Wort in ihre berechtigte Sorge einbezog, konzedierte ihr aber aufgrund ihrer weissen Herkunft und Jugendlichkeit, dass sich ihr Blickfeld für die Schwarzen noch nicht soweit geöffnet hatte. So ergänzte er ihre Bemerkung, dass es jedem zustossen kann, von einer Granate getroffen zu werden, und die schwarzen Menschen es mittlerweile gelernt hätten, das Lebensrisiko, dem sie jeden Tag im erhöhten Masse ausgesetzt sind, gelassen hinzunehmen. Der Psychologe machte ein bedenkliches Gesicht und brachte den Aspekt der jungen Soldaten, denen der Dienst an diesem Breitengrad und noch weiter nördlich besonders schwer fiel, weil sie im Schiessen ihre Bedenken hätten, die sie zu ernsthaftem Nachdenken brächten und bei den intelligenten regelrechte Gewissenskonflikte auslösten, die sie nicht mehr beherrschen konnten, weil sie den menschlichen Verstand überstiegen. Dr. Ferdinand fand diesen Aspekt sehr interessant und wollte mehr darüber erfahren. So fragte er den Psychologen, wie denn die Soldaten aus ihren Gewissensnöten befreit werden können.

"Das ist ein schweres Problem, weil es sehr komplex ist. Diejenigen, die zum ersten Mal auf einen Menschen zu schiessen haben, ist diese Not besonders gross, und manche dieser Erstschützen berichteten, dass ihre Hände zitterten und erleichtert waren, dass sie am Menschen vorbeischossen, was andere wiederum mit ruhiger Hand taten, weil sie den Tod eines Menschen nicht verantworten konnten." "Wenn ich Sie recht verstehe, muss der Soldat erst die nötige Routine im Totschiessen bekommen, um mit der zunehmenden Routine seine Gewissensnöte schrittweise abzubauen. Kann ich das so sagen?", fragte Dr. Ferdinand. Der Psychologe: "Es hört sich unvernünftig an", Dr. Ferdinand unterbrach ihn: "weil das Schiessen auf Menschen immer unvernünftig ist", "wenn Sie so wollen, ich weiss, was Sie da meinen", setzte der Psychologe seinen Satz fort, "weil jeder Krieg eine Bankrotterklärung des miteinander Sprechens ist, die Regeln der Zivilisation ausser Kraft setzt und daher mit der Vernunft unvereinbar ist. Aber um auf die von Ihnen vorgebrachte 'Routine' zurückzukommen, es entspricht, ohne es werten zu wollen, der Praxis eines Psychologen, dass die Gewissensnöte abnehmen, je länger der Soldat mit dem Gewehr umgeht und mit dem Gewehr Menschen erschiesst." Dr. Ferdinand nickte ihm zu und fand es beängstigend und abscheulich, dass es dieser Mechanismus mit der wachsenden Routine im Totschiessen ist, der sich so nachhaltig auf das Gemüt auswirkt, dass das Gewissen dabei letztendlich keine Not mehr empfindet.

"Was sagen Sie jenen Soldaten, die Ihnen vom Zittern der Hände und vom Vorbeischiessen mit ruhiger Hand berichten", fragte Dr. Ferdinand. Der Psychologe: "Viel kann ich da nicht sagen, weil das fünfte Gebot auch in meinem Hinterkopf sitzt. Doch kommt dann die Uniform herein, so ähnlich wie beim Arzt in Uniform, und ich selbst sitze in der Uniform eines kleinen Offiziers vor dem Soldaten mit der Gewissensnot, dass der Soldat und ich als Militärpsychologe am militärischen Auftrag nicht mehr vorbeikommen. Da ist eine Schlucht, die Gewissensschlucht, über die eine Brücke gespannt werden muss, um beide Seiten zu verbinden." Dr. Ferdinand: "Wie kann denn eine Brücke vom fünften Gebot zum Schiessbefehl gespannt werden; das ist doch unmöglich, weil das eine das andere grundsätzlich ausschliesst?" Der Psychologe: "Ich nenne diese Brücke deshalb 'Behelfsbrücke' oder 'Schluchtsteg' oder 'Kriegspfad', Sie können auch andere zusammengesetzte Worte dafür einsetzen, weil ich mir der Problematik bewusst bin, dass die Vernunft da an der Schlucht eigentlich abbricht und keine Brücke zulässt, weil es da nichts zu überbrücken gibt." Dr. Ferdinand: "Da gebe ich Ihnen recht, wenn ich auch nicht verstehen kann, wie so eine 'Behelfsbrücke' oder ein 'Schluchtsteg', oder wie Sie es sonst noch nannten, überhaupt gedacht werden kann, oder freier formuliert, eine Brücke zwischen dem fünften Gebot und dem Schiessbefehl zu spannen, die doch widersinnig ist, von welcher Seite Sie die Brücke auch betrachten, solange man noch alle Sinne beisammen hat. Bei diesem Brückenbau kann doch nur der militärische Auftrag gelten, wo das fünfte Gebot, als der andere Brückenpfeiler, gewaltsam weggesprengt und in die Schlucht geworfen wird, die Brücke also nur dem militärischen Pfeiler aufsitzt, die, weil die Statik nicht stimmt, auf der moralischen Seite völlig in der Luft hängt, wie es der Schiessbefehl will.

Dieses gedankliche Monster nennen Sie eine Brücke oder Behelfsbrücke oder sonstwie, und setzen dieses Ungebilde, weil es dem gesunden Menschenverstand widerspricht, den Soldaten vor, die mit ihren Gewissensnöten zu Ihnen kommen, um von den Qualen des Tötenmüssens befreit zu werden. Das verstehe ich eben nicht." Der Psychologe hatte es verstanden und schwieg, weil es da keine Brücke gab, die solche Gegensätze miteinander verbindet und überbrückt. Es war ein strategischer Irrsinn, der zweckgebunden vom Leben in den Tod gespannt wurde, wofür der Koffer mit den psychologischen Sonden der völlig falsche Koffer war, wie es ein Kochbuch oder Gedichtsband für einen Chirurgen war, der ein Anatomiebuch brauchte, um sich für eine schwierige Operation vorzubereiten. Die Wahnvorstellung von einer Brücke über die Schlucht, die zwischen fünftem Gebot und Schiessbefehl liegt, war so alt wie die Menschheit ist, und die Menschen wissen um die fehlerhafte Statik, weil sie einem Irrsinn aufsitzt. Diese Statik hat mit der Brücke nichts gemeinsam, über die Kristofina ging, die vom Blitz getroffen wurde, der ihr den rechten Unterschenkel verschmorte, das Schienbein verkohlte und ihr noch andere schwere Verbrennungen zufügte, die von Natur aus nicht mit dem Leben zu vereinbaren waren. Dr. Ferdinand hatte sich bei der Vorstellung dieses Monsters erschrocken und fand es tragisch, dass so eine Schlucht, über die es keine Brücke geben durfte, auch noch psychologisch mit einer Behelfsbrücke oder einem Schluchtsteg überspannt wurde oder überspannt werden sollte beziehungsweise musste, um der Uniform zu genügen, mit der der Schiessbefehl einherging.

Das Telefon läutete, Dr. Lizette nahm beim dritten Klingelzeichen den Hörer ab, bekam ein ernstes Gesicht, als würde sie eine schlechte Botschaft empfangen und am Schluss sagte, dass sie Dr. Ferdinand davon in Kenntnis setzen werde. "Es war die Nachtschwester vom 'Outpatient department', wo ein Mann liegt, der angeschossen wurde, dem die verletzten Darmschlingen aus dem Bauch heraushingen." Der Psychologe machte ein betroffenes Gesicht, denn zum Alltag konnte auch er keinen konstruktiven Beitrag leisten, um der Gewalt ein Ende zu setzen. Dr. Ferdinand dankte für den schönen Abend mit dem köstlichen Essen und das interessante Gespräch. Sie drückten gemeinsam den Wunsch aus, dass ein solcher Abend wiederholt werden sollte, um das Gespräch fortzuführen. Das Ehepaar brachte Dr. Ferdinand zum Auto, der Psychologe öffnete das Ausfahrtstor, und sie wechselten noch einige freundliche Worte durch die runtergedrehte Scheibe bei laufendem Heckmotor. Dann fuhr Dr. Ferdinand davon und brachte den Abend als atmosphärisch und aufschlussreich in sein Gedächtnis. Er passierte die Sperrschranke am Dorfausgang, zeigte sein 'Permit' vor, liess das Innere des Käfers von einem Wachhabenden von rechts und links beäugen, während zwei andere Soldaten den Karabiner schussbereits in der Hand hielten und die Inspektion verfolgten. Dr. Ferdinand setzte die Fahrt mit Umfahren der grössten Schlaglöcher fort, bog nach zweihundert Metern links ein, liess die Räder in jene Schlaglöcher schlagen, die er nicht umfahren konnte, fuhr durch die Hospitaleinfahrt, wo der Pförtner auf einem seitlich zurückgesetzten Stuhl sich die Nachtruhe nicht nehmen liess, und stellte das Auto vor den beiden Fenstern an der Schmalwand der Intensivstation ab. Er sah auf die angereihten Körper der in Decken eingerollten Schlafenden auf dem Betonboden vor der Rezeption, als er die OPD (Outpatient department) betrat und geradewegs auf die Trage zuging, auf der der Verletzte lag, die von zwei anderen Männern, die sich als Brüder ausgaben, umstellt war. Dr. Ferdinand hob die Decke hoch und sah die heraushängenden Darmschlingen aus dem Bauch, die an mehreren Stellen aufgerissen waren, als ihm der ältere der beiden Männer den Unfall schilderte, was die Schwester ins Afrikaans übersetzte. Es war dunkel, als drei Männer urn ihren Kraal herumstrichen und dabei waren, zwei Rinder zu stehlen. Der jüngere Bruder schlug mit dem Knüppel auf diese Männer ein, als einer mit der Pistole auf ihn schoss, was er, der ältere Bruder hörte, der dem jüngeren zu Hilfe eilte und die drei Männer wegrennen sah, die mit einem 'Casspir'.davonfuhren. Die beiden Rinder brachte er in den Kraal zurück und verhängte ihn mit dem dicken Balken. Es waren Männer der Koevoet, jener gefürchteten Spezialeinheit, die mit dem 'Casspir' kamen, um nun auch Rinder zu stehlen und dabei dem, der im Recht war, in den Bauch schossen. Dr. Ferdinand nahm Blut zur Kreuzprobe ab, während die Schwester den Laboranten telefonisch aus dem Bett holte. Die Nachtschicht im Op und Dr. Nestor wurden von der Notfalloperation in Kenntnis gesetzt, dann rollten Arzt und Schwester den Patienten zum 'theatre'.

Dr. Ferdinand sass umgezogen im Teeraum und dachte bei der Tasse Tee über den Abend bei Dr. Lizette und ihrem Ehemann nach. Er konnte es einfach nicht verstehen, dass Menschen dort Brücken bauen, wo sie nicht hingehören, und damit den Versuch an der falschen Stelle machen, das Unmenschliche menschlich einzukleiden, um dem unmoralischen Verhalten einen moralischen Anstrich zu geben. Er nannte es die 'moralische Verwerfungszone', die er sich wie einen riesig aufgeworfenen Vesuv mit einem grossmäulig gähnenden Rachen eines hundert Meter langen Riesenkrokodils vorstellte, das die perverse Bande mitsamt dem unmenschlichen System mit seinen scharfen Reisszähnen zerkleinert und verschluckt, weil sie mit Brücken hantierte, deren Statik vorn und hinten nicht stimmte. Dr. Nestor war eingetroffen, der sich umzog und mit verschlafenem Gesicht das Problem mit der Schussverletzung gedanklich in den Griff zu bekommen suchte. Sie hoben den Patienten von der Trage auf den Op-Tisch. Die Op-Schwester liess sich in den grünen Kittel helfen, die Spritze zur Narkoseeinleitung und der Atemtubus lagen bereits auf dem Narkosetisch, als Dr. Ferdinand sich nach dem Händewaschen ebenfalls in den grünen Op-Kittel helfen liess und die Handschuhe dabei über die Ärmel streifte. Er umfasste den herausgetretenen Darm mit einer grossen, sterilen Kompresse, damit die Op-Schwester die Bauchhaut mit der braunen Desinfektionslösung überstreichen konnte. Der Patient war intubiert und an dne Narkoseapparat angeschlossen, als Dr. Ferdinand die Haut längs und in der Mitte einschnitt. Nach Eröffnung der Bauchhöhle wurde das in ihr angesammelte Blut abgesaugt, was immerhin fast einen Liter Blut ausmachte. Da waren noch mehrere Risswunden am Darm, wobei auch der Querdarm und das Darmgekröse betroffen waren, die durch Einblutungen erhebliche Hämatome aufwiesen. Es wurde durch Naht geschlossen, was zu schliessen war, doch von den herausgetretenen Dünndarmschlingen, die zum Teil zerfetzt waren, mussten zwei Schlingen reseziert werden. Insgesamt waren es etwa vierzig Zentimeter Darm, die herausgeschnitten wurden. Die neue Darmverbindung (Anastomose) war genäht, der Bauchraum gesäubert und revidiert, als aus dem Kreisssaal die Nachricht von einer blutenden extrauterinen Schwangerschaft kam, die eine Operation dringend erforderlich machte. Auch meldete sich die OPD, dass dort zwei Patienten mit Schnittverletzungen eingetroffen waren. Es war genau zwei Uhr morgens, als die erste Operation beendet war, der Patient im Aufwachraum lag, und die Patientin mit der blutenden Schwangerschaft auf den Op-Tisch gelegt wurde.

Die Doktoren hatten eine Tasse Tee zu sich genommen und gingen zum 'theatre 1', wo die Op-Schwester die Patientin gesäubert und mit sterilen Tüchern abgedeckt hatte. Die Patientin war in Narkose, als Dr. Ferdinand im grünen Kittel die Handschuhe überstreifte, und die Schwester das Skalpell für ihn in der Hand hielt. Der Bauchraum wurde eröffnet, mehr als ein Liter Blut abgesaugt, als ein Föt, dessen Grösse einer etwa vier Monate alten Schwangerschaft entsprach, sich tot hinter dem rechten Eierstock versteckte. Er wurde herausgenommen und in ein Glas mit vierprozentigem Formalin gelegt. Der blasig vergrösserte, blutig gefleckte und rupturierte Eierstock und der dazugehörige Eileiter wurden abgetragen und der kurze Eileiterstumpf vor dem Eintritt in die Gebärmutter durch Naht verschlossen. Geblutet hatte es aus dem Eierstock. So bestand die lebensrettende Massnahme in der Unterbindung der in den Bauchraum hineinpulsierenden Eierstocksarterie. Die Schichten der Bauchdecke wurden vernäht und der Verband aufgelegt, als sich das Team noch einige ruhige Stunden bis zum Sonnenaufgang wünschte, die es unter normalen Umständen längst verdient hatte. Dr. Ferdinand dankte allen für die Bereitwilligkeit des Helfens und für die geleistete Arbeit. Er machte sich am Waschbecken im Umkleideraum frisch, zog das weisse Hemd mit den langen Ärmeln und die dunkle Hose an, krempelte die Ärmel bis zu den Ellenbogen hoch und ging zur OPD, um nach den beiden Patienten mit den Schnittverletzungen zu sehen, die dort nebeneinander auf der ersten Bank sassen. Der eine hatte sich in die rechte Hand geschnitten, wobei er gleich die Beugesehnen des zweiten und dritten Fingers mit durchtrennt hatte, während der andere eine Schnittwunde im Gesicht und sich dabei die Oberlippe tief eingeschnitten hatte. Eine junge, wenig erfahrene Schwester hatte die schief hängende Lampe im kleinen Op des 'Outpatient department' angestellt und legte die erste, steril verpackte Nierenschale mit den Instrumenten auf den Instrumententisch, als Dr. Ferdinand mit dem ersten Patienten den kleinen Op-Raum betrat und den Patienten zum Hinlegen auf den völlig veralteten Op-Tisch aufforderte. Er holte die Nierenschale aus der weissen Papierverpackung, in der die Instrumente mit der Patina der letzten Jahrhundertwende und von der Zusammenstellung her völlig unproportioniert und trostlos lagen, was den plumpen Nadelhalter, die zu grossen Klemmen und die feine Spitzpinzette betraf, die als einzige Pinzette in der Schale lag und sich zwischen den groben Klemmen verquerte, deren Fasszähne allerdings nicht mehr schlossen, sondern sich verbogen ineinander verklemmten. Der rechte Arm lag abgestreckt auf einem alten, am Tisch eingehängten Armbrett. Die Hand wurde örtlich betäubt und mit der braunen Desinfektionslösung bestrichen. Dr. Ferdinand, der auf einem Drehhocker sass, zog sich den mit einem sterilen Tuch überzogenen Instrumententisch, auf dem die nicht zueinander passenden Instrumente ausgelegt waren, auf klemmenden Laufrollen in Reichweite heran; während die Schwester die Op-Lampe mit einer Hand hielt, um sie am Weggleiten zu hindern und das Licht auf die Hand zu zentrieren. Es strengte an, die Sehnenchirurgie unter fast mittelalterlichen Bedingungen auszuführen, was Dr. Ferdinand in Anbetracht der Umstände tat und nach einer gut einstündigen Operation und einem ständigen Ringen um ein ausgeleuchtetes Operationsfeld den Handverband anlegte. Der zweite Patient, dem ein Messer durchs Gesicht geschnitten und die Oberlippe tief eingeschnitten hatte, legte sich auf den Op-Tisch und bekam die örtliche Betäubung. Die Zusammenstellung der Instrumente in der ausgepackten Nierenschale war anders, wenn auch disproportional. So war der Nadelhalter nicht von der Patina der Jahrhundertwende überzogen und im Gelenk angerostet, er war aber unverhältnismässig klein gegenüber der langen, anatomischen Pinzette. Die beiden Klemmen und die eine gebogene Schere, die der jahrelange Gebrauch abgestumpft und kratzig, die Gelenke ausgeleiert oder schwergängig gemacht hatte, lagen grössenmässig dazwischen. Damit wurden die Schnittwunden im Gesicht vernäht und die Oberlippe nach den Gesichtspunkten der plastischen Chirurgie wiederhergestellt. Die Schwester war aus Ermüdungsgründen ihres hochgehaltenen Armes häufiger daran zu erinnern, das Licht auf das Gesicht des Patienten einzustellen. Es war der letzte Patient, der chirurgisch versorgt wurde und sich mit dem Gesichtsverband neben den andern Patienten mit dem Handverband auf die Bank zurücksetzte, weil beide auf die nahende Tagesdämmerung in der OPD warteten, um den Heimweg anzutreten.

Dr. Ferdinand verliess gegen halb sechs mit dem VW-Käfer das Hospital. An ein Schlafen wollte er zu dieser frühen Morgenstunde nicht mehr denken, und so stellte er sich unter die Brause, um den ausgebliebenen Schlaf auf die nasse Weise wettzumachen. Er hörte die Hähne krähen, ohne ihnen die gewohnte Aufmerksamkeit zu schenken, machte sich einen Kaffee und rauchte die Zigarette dazu. Er hatte sich die weisse Arbeitskleidung angezogen und das Sonntägliche in den Schrank zurückgehängt, als er sich gegen halb sieben in den abgelaufenen Sandalen auf den Weg zum Hospital machte, die Sperrschranke am Dorfausgang passierte, wo es die Wachhabenden, denen er sein 'Permit' zeigte, nicht glauben konnten, dass ein Arzt überhaupt keinen Schlaf mehr braucht. Sie liessen ihn ungläubig, doch freundlich passieren. Der Pförtner an der Toreinfahrt mit den verknickten Rohrpfosten erhob sich schwerfällig von seinem seitlich zurückgesetzten Stuhl. Ihm fiel der Morgengruss verspätet ein, wahrscheinlich aus demselben Grunde, dass er es nicht glauben wollte, den Doktor jetzt schon wiederzusehn, der bereits über den urinrüchigen Vorplatz schritt und auf halbem Wege zur Intensivstation war. Dort wunderten sich die Schwestern allerdings über sein verspätetes Kommen. Er erklärte es ihnen ohne eine Schlaffalte im Gesicht.

Dicke Schlaffalten hatte dagegen der Superintendent im Gesicht, als er mit stark geröteten Augen und hemdsärmelig hinter seinem Schreibtisch sass, seine morgendliche Nasentoilette durchführte, das Taschentuch schliesslich in seine Hosentasche stopfte und die Besprechung mit einer Verspätung von etwa zehn Minuten eröffnete. Es war Dienstag, der Raum hatte sich gefüllt. Die Klimaanlage ratterte über den Köpfen derjenigen, die an der Fensterseite sassen. Einige Kollegen trafen später ein, unter denen Dr. Witthuhn und Dr. Nestor waren, weil letzterer die Narkosen an jenen Patienten gab, die Dr. Ferdinand operierte, was bis in die frühen Morgenstunden ging. Der Superintendent liess sich dadurch nicht stören, denn er befand sich bereits in der Mitte seines Vortrags über die schlechter werdende Sicherheitslage am Hospital. Er sprach von den zunehmenden Diebstählen von Ersatzteilen im Fuhrpark, wobei sich Dr. Ferdinand gleich wieder den verluderten, völlig verwahrlosten Schrottplatz mit den restlichen zwei Fahrzeugen vorstellte, die eigentlich auch schrottreif waren. Die Diebstähle dehnten sich nun auf die Hauptküche aus, wo Brote, Milch und Zucker und aus dem Gefrierschrank grosse Mengen Fleisch gestohlen wurden. Auch das Apothekenlager blieb nicht verschont, wo ganze Kartons mit Infusionen und Medikamenten fehlten.

"Diese Aktivitäten müssen gestoppt werden, wenn das Hospital funktionsfähig bleiben soll. Wo kommen wir denn hin, wenn das so weitergeht? Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst, die ich für das Hospital und die Patienten übernommen habe, und appelliere an die Verantwortung eines jeden von ihnen, dafür zu sorgen, dass diese kriminellen Aktivitäten unterbunden werden." Das Apothekerehepaar machte betroffene Gesichter, wenn auch nur der Ehemann für das Lager zuständig war. Der Superintendent verliess dieses Thema noch nicht, weil es genug zu denken gab, und merkte folgendes an: "Der Verdacht liegt nahe, dass es 'Insider' sind, die mit der Swapo kollaborieren und deren Leute mit Medikamenten und Nahrungsmittel versorgen, die unseren Patienten zukommen sollen." Dr. Ferdinand hatte noch einen anderen Verdacht, den er strengstens für sich behielt, dass es durchaus `Insider' sind, die aber nicht mit der Swapo, sondern mit der Koevoet kollaborieren, aus welchen Gründen des Überlebens auch immer, die die Familien der 'Insider' einschliessen, denn der Koevoet mit ihren 'Casspirs' blieb bei ihren nächtlichen Hospitalkontrollen keine Tür verschlossen. Sie hatte ein leichtes Spiel einzuladen, was sie wollte, und wenn es das Fleisch aus dem Gefrierschrank der Hauptküche war. Diesen rücksichtslosen Burschen waren die Patienten völlig egal. Er kam auf diesen Verdacht durch den Patienten der vergangenen Nacht, dem einer der Koevoetmänner mit der Pistole in den Bauch geschossen hatte, weil der mit einem Knüppel in der Hand verhindern wollte, dass diese Männer, die in der Dunkelheit mit einem 'Casspir' an den Kraal herangefahren kamen, zwei Rinder seines älteren Bruders stahlen. Das mit der Apotheke, das schien ihm ein gesondertes Problem, wo er noch nicht durchblicken konnte. Dennoch wollte es Dr. Ferdinand nicht einleuchten, dass sich diese rüden, ungebildeten Burschen, die doch ständig ans Fressen dachten, sich in den pharmazeutischen Dingen auskannten und eine Auslese zum Mitnehmen trafen, wofür doch wesentlich mehr Grips erforderlich war, der solchen Männern von vornherein abging, den sie auch nicht brauchten, weil sie im Krankheitsfall ohnehin vom Militärlazarett gut versorgt wurden, wo es an Medikamenten und Infusionen, im krassen Gegensatz zum Hospital, nicht fehlte. "Ich denke", fuhr der Superintendent fort, "dass für die Sicherheit etwas getan werden muss. Die nächtlichen Kontrollen müssen verstärkt und die Eingänge zur Hauptküche und zum Apothekenlager durch eine Stahlgittertür gesichert werden. Ich fordere sie auf, wachsam zu sein und die kriminellen Elemente mir unverzüglich zu melden, damit denen das Handwerk gelegt und ein Riegel vorgeschoben wird, denn so kann es nicht weitergehen." Dr. Ferdinand stellte die Frage, was denn bezüglich des Einfahrtstores unternommen wurde, dass nicht geschlossen werden kann, nachdem es von der Koevoet zusammengefahren wurde. Das war nun schon einige Wochen her. "Da beginnt doch die Sicherheit, und solange das Tor nicht Ordnung gebracht ist, kann auch keine Kontrolle sein. Ich kann zwar keine Gedanken lesen, aber die weggeknickten Rohrpfosten und der herausgerissene Torflügel, der seit Wochen verbogen und verbeult daneben liegt, lassen doch keinen Zweifel zu, dass da vorsätzlich Gewalt angewendet und der entstandene Schaden anderen überlassen wurde. Das kann meines Erachtens nicht gehn, wenn wir über die Sicherheit am Hospital sprechen, wofür der Superintendent die bevorzugte Verantwortung trägt."

Die Niesattacke des Superintendenten war vorprogrammiert und kam lediglich für die philippinischen Neulinge überraschend, die mit grossen Augen verfolgten, wie er sich das Taschentuch aus der Hosentasche zerrte und lautstark hineinnieste, die Brille sich dabei auf dem breiten Nasenrücken schief rutschte, dass das rechte Brillenglas unter dem rechten Auge hing und man sich hätte schief lachen können, wenn der Anlass nicht ein so ernster gewesen wäre. Die Attacke klang ab, die Brille wurde in die Waagerechte zurück und auf dem Nasenrücken hoch geschoben, dass die geröteten Augen hinter den Gläsern noch grösser wurden und den Eindruck des Heraustretens gaben, als er mit dem Taschentuch vor der Nase Dr. Ferdinand fragte, wie er denn darauf käme, dass es die Koevoet gewesen wäre, die das Einfahrtstor zertrümmert hatte. Dr. Ferdinand wunderte sich zunächst über die politisch motivierbare Blindheit und berichtete von der breiten Reifenspur mit dem groben Profil, die bis an den weggeknickten Torpfosten heranging. "Davon hatte mir keiner etwas gesagt", begann die Verteidigung des Superintendenten. "Das konnten Sie von dem Pförtner auch nicht erwarten, dem sein Leben näher steht als Ihnen zu sagen, was er gesehen hat. Das hätten Sie an dem betreffenden Morgen schon selbst machen müssen, als die Reifenspuren noch frisch in den Sand gedrückt waren, und das Lesen dieser Spuren jeden Zweifel ausschloss, wie es zur Abknickung des Torpfostens und zum Ausriss des Torflügels gekommen ist." Der Superintendent hatte das Taschentuch wieder weggesteckt und wollte die Ausführungen des Dr. Ferdinand mit dem Spurennachweis nicht glauben, als er ihn fragte, wie er denn von den Reifenspuren auf einen 'Casspir' schliessen und der Koevoet den Schaden anlasten könne. Dr. Ferdinand wunderte sich nun über die politisch motivierte Denkblindheit nicht mehr. Für eine Sekunde überfiel ihn die Stimmung eines 'Dann leck mich doch kreuzweise' und konterte mit der Gegenfrage, ob der Superintendent schon einmal ein Zivilfahrzeug mit so breiten, grobprofiligen Reifen gesehen hätte. Nun gab sich der Superintendent geschlagen und seiner Selbstverteidigung beraubt. So unterliess er aus Gründen des eigenen Überlebenwollens die weitere Erörterung, um aus dem Fangnetz zu entkommen und der kurzen Antwort mit dem Wort "Nein" zu entgehen.

Der Superintendent wollte eigentlich das Thema um die 'Sicherheit' des Hospitals abgeschlossen haben, wenn nun nicht Dr. Witthuhn mit der Frage nachgesetzt hätte, wie es denn um die neue Toreinfahrt stünde. Der Superintendent schaute ihn an, wobei er die Brille mit dem linken Zeigefinger am Nasenbügel zurückschob. Entrüstung und Entwaffnung hielten sich die Waage, Konkretes konnte er nicht sagen, als er von der Administration sprach, die er noch am selben Tage von der zertrümmerten Einfahrt in Kenntnis gesetzt hatte. Dr. Witthuhn sah auf irgendeinen Punkt oder Fleck am Fussboden, da er mit seinen Erfahrungen und falschen Versprechungen vonseiten der Administration noch voll eingedeckt war. "Da können Sie lange warten", meinte Dr. Nestor, und Dr. Ferdinand dachte dabei an den 'Sankt Nimmerleinstag' in Brechts 'Der gute Mensch von Sezuan', als er sagte: "Solange können Sie aber diesmal nicht warten." Der Superintendent hörte es sich an. An was er dachte, was er da hörte, das wusste in diesem Augenblick keiner, denn er sagte kein Wort mehr dazu.

Die Sirenen heulten über dem Dorf auf, dass keiner das Klopfen an der Tür hörte, und ein Offizier vom Range eines Majors den Raum betrat, der diesmal nicht als Spezialist vom modern eingerichteten Lazarett des Militärcamps in Ondangwa mit dem angeschlossenen Flughafen kam, sondern vom Brigadegeneral aus dem Dorf geschickt wurde, um den Superintendenten zu sprechen, dem er eine Botschaft von höchster Stelle zu überbringen hatte. Damit war die Morgenbesprechung beendet, obwohl noch vieles hätte besprochen werden müssen. Die Teilnehmer nahmen es gelassen hin und verliessen den Raum mit der klaren Erkenntnis, dass diese Besprechungen bislang so gut wie nichts am Zustand des Hospitals geändert hatten, die deshalb der Schweizer Kollege seinerzeit als sinnlose Zeitverschwendung deklarierte und sich von diesem Zirkus, wie er es nannte, ausschloss, was er konsequent bis zu seinem Rückflug in die Schweiz befolgte, weil er sich für diesen Zirkus zu schade war. Er war ein eigenwilliger und aktiver Kollege, der seine kriegschirurgischen Erfahrungen auf dem Hospitalschiff `Vietnam' vor dem damaligen Saigon gesammelt, als Schweizer Bergsteiger vor seinem Weggang den Brandberg solistisch noch bestiegen, dabei den Wasserverlust durchs Schwitzen unterschätzt hatte und sich an den Bergabstieg überhaupt nicht mehr erinnern konnte.

Der junge Kollege, der in seiner Freizeit an einem Buch über das Leben eines jungen Ehepaars schrieb, das wegen der Rassengesetze Südafrika verlassen und über Helsinki nach Neuseeland emigirierte und sich an der Palliser Bucht, unweit von Wellington, niedergelassen hatte, eilte Dr. Ferdinand nach, um ihn über den neuesten Stand seiner Erzählung zu berichten. "Als ich die Sirene über dem Dorf heulen hörte", sagte der junge Kollege fast aufgeregt, "hörte ich die kleine Glocke der Dorfkirche an der Palliser Bucht läuten. Sie läutete in der Nacht und lange, um die Dorfbewohner vor dem anrückenden Taifun zu warnen, der jedes Jahr im Juni über die Insel stürmt, Dächer abhebt, Häuser eindrückt und umkippt, und die anrollenden Flutwellen das Land hinter der Bucht überschwemmen. Einige Male stand das kleine Dorf unter Wasser, wo die aufgeschichteten Sandsäcke vor den Eingängen nicht verhinderten, dass das Wasser in die Häuser drang. Die Menschen fuhren in Kanus, die übers Jahr mit dem Kiel nach oben neben den Häusern auf niedrigen Holzböcken liegen, und in grösseren Booten durchs Dorf und brachten ihre Schafe und Ziegen ins Trockene zum Weiden." Dr. Ferdinand freute sich, dass der junge Kollege an seiner Geschichte arbeitete. Er fand die Assoziation mit der heulenden Sirene nicht uninteressant und wollte an das nächtliche Sturmläuten der kleinen Kirchturmglocke an der Palliser Bucht denken, wenn die Dorfsirenen das nächste Mal heulten, und an das Sirenenheulen denken, wenn er im fertiggestellten Buch die Stelle mit dem Sturmläuten der Glocke liest, das die Dorfbewohner vor dem anrückenden Taifun warnen sollte. Auf dem Wege zum 'theatre' wurden sie aus dem Gespräch gerissen, als eine schwarze Frau, deren Haut hell geblieben war, weil ihr als 'Albino' die Genetik die Melanozyten nicht in der gewünschten Menge in die Haut gegeben hatte, vor ihren Augen zusammenbrach und einen epileptischen Anfall auf dem harten Betonboden bekam. Das kleine Mädchen von normaler, schwarzer Hautfarbe, dass die Albinomutter an der Hand geführt hatte, war hilflos und weinte in kindlicher Sorge um die Mutter. Dr. Ferdinand bückte sich über die Krampfende, der der Schaum vor dem Munde stand, drehte und hielt ihren Kopf zur Seite, wischte ihr den Schaum mit dem Taschentuch vom Munde und beugte einer Luftnot durch Aspiration vor. Er konnte nicht verhindern, dass sich die Frau auf die Zunge biss, denn er konnte ihren Mund nicht öffnen. Ihr Kaumuskel krampfte, gegen dessen Stärke seine Finger nicht ankamen. Das Mädchen stand ihm gegenüber und liess sich den traurigen Anblick der Mutter nicht nehmen, während er es sich gefallen liess, dass die Krampfende ihm den Schaum ins Gesicht spuckte. Der junge Kollege und eine Schwester brachten die Trage auf quietschenden Rollen. Gemeinsam hoben sie die Mutter auf die Trage, Dr. Ferdinand nahm das Mädchen an die Hand, und sie fuhren die Mutter zum kleinen Op-Raum der OPD, um ihr den Schaum aus dem Mund zu saugen, die Platzwunde über dem Hinterkopf zu nähen und die Risswunden an den Armen ihrer ohnhin rissigen, vom Ultraviolett der Sonne verstrahlten Haut zu säubern und zu verbinden, die von zahlreichen, fleckigen Narben und Geschwüren überzogen war.

Das Mädchen schluchzte noch in den Armen einer alten, verständigen Memme auf der Wartebank vor dem kleinen Op-Raum, als die Mutter zu sich kam und mit Kopfverband und Verbänden an den Armen von Dr. Ferdinand hinaus und dem verweinten Mädchen zugeführt wurde. Sie setzte sich neben die ältere Memme, nahm das Töchterchen, das grosse Augen machte, auf ihren Schoss, drückte es an sich und dankte dem Arzt für seine Mühen. Wie sooft nahm Dr. Ferdinand diesen Dank entgegen, weil er spürte, dass der Dank aus dem Herzen kam, und strich mit der Hand dem Mädchen über die verweinten Wangen. Die Schwester brachte noch die Tabletten zur Sedierung des zentralen Nervensystems und drückte das Tütchen mit dem Abgezählten der erwachten Mutter mit dem Töchterchen auf dem Schoss zwischen rechten Daumen und Zeigefinger. Die Augen der Mutter hatten die Ruhe noch nicht gefunden. Die Tabletten sollten für die nächsten zwei Monate reichen. Nach dieser unvorhergesehenen Verspätung betrat Dr. Ferdinand das 'theatre' und wechselte die Kleidung im Umkleideraum. Der junge Kollege war schon vorausgegangen, um Dr. Lizette und die Op-Schwester vom Grund der Verspätung zu unterrichten. An diesem Tage standen chirurgische Patienten auf dem Programm, eine Frau im mittleren Alter mit einer enorm vergrösserten Schilddrüse, ein Kind mit einem Zungenbändchen, dem das Bändchen das Herausstrecken der Zunge unmöglich machte, eine Frau, die mit Steinen in der Gallenblase unter starken Koliken litt, der die Gallenblase entfernt werden musste, und eine Probelaparotomie bei einem älteren Mann, der an Gewicht verloren und einen tastbaren Tumor im Oberbauch hatte. Die Besuche der Spezialisten aus Ondangwa, die eine Hilfe bei der Abwicklung der Dienstags- und Freitagslisten waren, hatten mit dem Weggang der meisten uniformierten Kollegen, die nicht mehr durch neue ersetzt wurden, das Prinzip der Regelmässigkeit verlassen. Diese Besuche hatten den Charakter des Sporadischen angenommen, wo der Grund des Kommens sich häufig auf Besprechungen mit dem Superintendenten oder dem ärztlichen Direktor beschränkte. Da die Patienten und jüngeren Kollegen, die noch im Lernstadium waren, von diesen Besuchen immer weniger profitierten, konnte Dr. Ferdinand mit einer akademischen und operativen Unterstützung durch diese Spezialisten in ihren hochkarätigen Uniformen nicht mehr rechnen.

Er hatte ja von jeher seine Bedenken bei den Ärzten in Uniform, warum sollte es bei den Spezialisten in den Offiziersröcken anders sein? So stellte er seine persönlichen Vermutungen an, dass da in der Doppelfunktion dieser Akademiker in Anbetracht der immer kritischer sich zuspitzenden Situation, wo der Umschlag des Pendels nur noch eine Frage der Zeit war, das analytische Differential zugunsten der Uniform gezogen wurde. Wie dem auch war, es bedeutete mit weniger Ärzten ein erhebliches Mass an Mehrarbeit, die gemacht werden musste, um das Hospital am Laufen zu halten. Er wusch sich die Hände und liess sich in den Op-Kittel helfen, streifte sich die Handschuhe über und trat an den Op-Tisch, auf dem die Patientin in Narkose und mit sterilen Tüchern abgedeckt lag. Wie schon gesagt, die Schilddrüse war enorm vergrössert und reichte bis ans Brustbein heran. Die Präparation war zeitaufwendig und das Auffinden der oberen Polarterien schwierig, die auf beiden Seiten zu unterbinden und zu durchtrennen war. Die Operation dauerte fast zwei Stunden, als Dr. Ferdinand durchschwitzt das Rohr der Wunddrainage an den zusammengedrückten Ziehharmonika-Plastikbehälter anschloss und den Wundverband auflegte. Er rieb sich den Schweiss im Umkleideraum von Gesicht, Hals und Brust, fuhr einige Male mit einem trockenen Hemd durch die nassen Haare, harkte die feuchten Strähnen zwischen gespreizten Fingern einigermassen zurecht und liess sich mit frischem grünen Hemd und frischer grüner Hose im Teeraum nebenan den mit zwei Löffel Zucker gesüssten 'Rooibos'-Tee schmecken, während Dr. Lizette die Spritze zur Kurznarkose für das Kind mit dem Zungenbändchen aufzog. Die Durchtrennung des Bändchens mit dem Thermokauter dauerte etwa eine Minute, und Dr. Ferdinand hielt diesen operativen Eingriff für den kürzesten, den es in der Chirurgie gab, wenngleich ihm eine beachtliche Bedeutung beim Herausstrecken der Zunge zukam. Dr. Lizette stellte sich für einige Minuten neben Dr. Ferdinand, als dieser sich für die dritte Operation, der Entfernung der Gallenblase mit den Steinen, wusch, um ihm zu sagen, dass sie und ihr Mann das Gespräch vom vergangenen Abend als interessant und aufschlussreich empfunden hätten, was er von sich aus ebenfalls bestätigte. Sie fügte hinzu, dass sie noch bis in die Nacht hinein über das Problem des Arztes in Uniform diskutiert, aber keine Lösung der Doppelberuflichkeit in einer Person gefunden hätten, die dem Eid des Hippokrates voll Rechnung trage. "Das ist es ja, was die Sache so schwierig macht", meinte Dr. Ferdinand, der den Kittel übergezogen bekam, sich die Handschuhe überstreifte und beim Betreten des Op-Raums, wo Dr. Lizette mit der Narkose zugange war, sagte, dass man sich für einen Beruf entscheiden müsse, weil man zwei Berufe in einer Person nicht ausfüllen könne, zumal, wenn der eine ein militärischer und der andere ein ärztlicher ist. Sie stand hinter dem Narkosebügel und schaute der Operation aufmerksam zu, dass Dr. Ferdinand den Eindruck hatte, sie wollte die abendliche Diskussion fortsetzen, während er die Gallenblase frei präparierte und die Klemme am Blasenhals vor der Einmündung in den quer verlaufenden Gallenhauptgang ansetzte, weil bei dem Gespräch die ärztliche Ethik auf dem Spiel stand, dem die Uniform mit dem militärischen Auftrag abträglich war. Der junge Kollege hatte sein anatomisches Wissen durch das einfühlsame und geschickte Assistieren bewiesen, wofür ihm Dr. Ferdinand beim Auflegen des Verbandes als erstem dankte. Sie machten eine kleine Teepause, als er nun den jungen Kollegen ein bisschen mehr von den Menschen an der Palliser Bucht erzählen liess, was Dr. Lizette mit grösstem Interesse verfolgte.

Der junge Kollege erwähnte wieder das Sturmläuten der kleinen Kirchturmglocke, als Dr. Ferdinand es nicht vergass, an das morgendliche Sirenenheulen über dem Dorf bei der dann vorzeitig abgebrochenen Besprechung zu denken, weil ein Major dem Superintendenten eine Botschaft vom Brigadegeneral überbrachte. "Wo ist die Palliser Bucht, das hört sich ja geheimnisvoll an", fragte Dr. Lizette, und der junge Kollege begann seine Geschichte von vorn, die die Kollegin aufregend fand. Als er nach der verkürzten Rückschau wieder beim Sturmläuten der kleinen Kirchturmglocke angekommen war, und Dr. Ferdinand wieder das Heulen der Sirenen im Ohr hatte, liess die Op-Schwester durch eine Schülerin ausrichten, dass der Patient auf dem Tisch liege, womit die Geschichte, deren Kern eine 'illegale' Liebesgeschichte war, weil so eine Liebe in Südafrika verboten war und unter Prügelstrafe stand, abgebrochen wurde, was Dr. Lizette, die da offensichtlich ihre Phantasie schon spielen liess, gar nicht gefiel. Sie gingen an die Arbeit zurück, die bei den Chirurgen mit dem Händewaschen und bei Dr. Lizette mit den Vorbereitungen zur Narkose begann. Die Op-Schwester hatte gewechselt, da die Mittagspause eingesetzt hatte, und so war es nun eine jüngere, die sich selbst im grünen Kittel ein hübsches Gesicht bewahrte. Es blieb eine Probelaparotomie (diagnostische Eröffnung der Bauchhöhle) im wahrsten Sinne des Wortes, da das Karzinom nicht nur den Grossteil des Magens erfasste, sondern bereits in den Querdarm eingewachsen war und dazu noch grosse Metastasen (Tochtergeschwülste) in der Leber und weitere Metastasen im grossen Netz und in zahlreichen Lymphknoten gesetzt hatte. Diesem Patienten, der so alt noch nicht war, hatte das Schicksal nur noch eine kurze Frist gegeben. Dr. Ferdinand übergab Nadelhalter und Pinzette dem jungen Kollegen und assistierte ihm beim Zunähen der Bauchwandschichten. "So ein Kranker würde wahrscheinlich auf das Sturmläuten der kleinen Kirchturmglocke an der Palliser Bucht nicht mehr reagieren", meinte Dr. Ferdinand nachdenklich, als der junge Kollege die vorletzte Hautnaht setzte.


Der Weg nach Afrika

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