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Der Fall Stettin

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Am 13. November 1944, um 16 Uhr, wurden im Zuchthaus zu Halle durch Fallbeil hingerichtet: Der 50-jährige Provikar der Diözese Innsbruck, Prälat Dr. Carl Lampert, der 47-jährige Oblatenpater Friedrich Lorenz und der 36-jährige Kaplan Herbert Simoleit. Seit Jahren hatten die drei Priester aus verschiedenen Gegenden Deutschlands in Stettin als Priester gewirkt. Sie wurden im Februar 1943 im Zuge einer Gestapo-Aktion gegen den mecklenburgisch-pommerschen Klerus verhaftet und nach langer Leidenszeit zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Aus dem Abschiedsbrief von Carl Lampert: “Nun ist die Stunde gekommen – die so >schreckliche< für Dich und für alle meine Lieben, die >erlösende< für mich. […], dass endlich ein Ende kommt von all dem harten Leid – nun geht’s heim – und ich bleib’ doch bei Euch. – Nun kam gerade der höchste Besuch – die letzte Kommunion! So trete ich jetzt mein letztes Opfer an, um 4 Uhr mit dem Confiteor meiner Herzenstreue. […] So spreche ich jubelnd mein >Ite missa est< – >Consummatum est< – und segne nochmals alle, alle, die meinem Herzen nahe sind durch die Bande des Blutes, der Liebe, des Berufes und besonders des Leides. […] Nunc dimittis servum tuum […] Magnificat anima mea!”

Aus dem Abschiedsbrief von Herbert Simoleit: “22 Monate war ich nun abgeschlossen von aller Welt. Endlich kann ich sagen: >Laqueus contritus est et nos liberati sumus! – die Schlinge ist zerrissen und wir sind frei!<

Mein geliebtes Muttchen! Alles habe ich Dir zu verdanken, alles, was in meinem Leben groß und schön war! Nun dieser Schmerz. Ich fühle Dich heute den ganzen Tag in meiner Nähe. […] >Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.< Das will ich jetzt versuchen, denn die größte Wirksamkeit in der Welt ist das Leiden. Auf Wiedersehen dort, wo alle Tränen versiegen, auf Wiedersehen bei unserem himmlischen Vater.”

Aus dem Abschiedsbrief von Friedrich Lorenz vom 13. November 1944, 16 Uhr: “Es geschehe der Wille Gottes. Er wollte, dass ich nicht länger als 48 Jahre leben, nicht länger als 20 Jahre Priester sein sollte. […] zur Sühne für meine Sünden und die Sünden der ganzen Welt, besonders für jene, die ich nicht verhindert oder an denen ich gar schuldig bin; zur Bitte um Gnade für mich und alle, die mir lieb und teuer sind. Ich sterbe als katholischer Priester und als Oblate der Unbefleckten Jungfrau Maria, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen!”

Ludwig Steil (*29. Oktober 1900) Pfarrer in der evangelischen Gemeinde Holsterhausen (in Wanne-Eickel). Gestorben am 17. Januar 1945 in Dachau.

Steil berichtet am 7. Oktober 1944 aus der Haftzelle über einen schweren Luftangriff auf Dortmund: “Gestern abend, Freitag, ab 20 Uhr 30, waren wir eine Stunde in der Hölle oder doch wenigstens im Feuerofen, aber der Heiland war mit drin. Er erhörte unser Flehen. Es ist mir noch wie ein Wunder. Nach dem Angriff, als ringsum alles brannte, konnten wir in den Keller gehen, wo der Qualm nicht mehr so sehr beizte wie oben. Da gab es dann mit vielen Gespräche des Trostes und der Aufrichtung. Gegen Mitternacht waren wir dann wieder oben, lobten Gott und gingen unter dem Knistern der Flammen, dem Stürzen der Mauern, dem Krachen der Zeitzünder zur Ruhe.”

K.A. Groß [Häftling 16921] berichtet in seinem Dachauer Tagebuch: “Pfarrer Steil aus Westfalen tot! Freund Reger erzählte es mir heute in der Dämmerung auf der Blockstraße. Vor kurzem erst eingeliefert, kam er fieberkrank ins Revier. Reger hat ihn noch vor drei Tagen besucht. Da lag er still in seinen Decken, […] Er sagte: >Ich kann mich mit den Russen nicht verständigen, aber ich fühle mich doch nicht allein. Mein Herz ruht ganz im Frieden Gottes.< Das waren seine letzten Worte.”

Alfons Maria Wachsmann (*25. Januar 1896 in Berlin) Pfarrer in Greifswald. Verhaftet am 23. Juni 1943 in Zinnowitz wegen Wehrkraftzersetzung. Hingerichtet am 21. Februar 1944 Brandenburg-Görden.

Aus dem Brief an seine Schwester Maria: “Berlin-Tegel, 23. Dezember 1943. […] Bei mir ist der Rahmen des Festes klar umgrenzt: die Kerkerzelle. So arm wie in diesem Jahr habe ich noch nie an der Krippe gekniet. Mir ist alles abgesprochen: mein Heim, meine Ehre, mein Leben. So will ich an der Krippe dessen knien, der nichts hatte, wohin er sein Haupt legen konnte, der als Freund seines Volkes zum Tode verurteilt wurde, der sein Blut als Trankopfer ausgoss für das Heil seines Volkes und der ganzen Welt. […] Als Gabe trage ich zur Krippe: Hunger und Kälte, Einsamkeit und Verlassenheit. Mein einziger Schmuck sind die blanken Fesseln. So will ich mein Leben […] ihm geben.”

Dietrich Bonhoeffer (*4. Februar 1906 in Breslau), Theologe, Dozent an der Universität Berlin; Glied der evangelischen Bekenntniskirche. Kontakt mit dem Bischof von Chichester, Hilfe für den deutschen Widerstand zu gewinnen. Verhaftet am 5. April 1943. Nach Verschleppung aus der Zelle in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin wird er am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg erschossen.

Aus seinen Aufzeichnungen: “Nach zehn Jahren. An der Wende zum Jahr 1943”: “Vom Leiden: Es ist unendlich viel leichter, im Gehorsam gegen einen menschlichen Befehl zu leiden, als in der Freiheit eigenster verantwortlicher Tat. Es ist unendlich viel leichter, in Gemeinschaft zu leiden als in der Einsamkeit. Es ist unendlich viel leichter, öffentlich und unter Ehren zu leiden als abseits und in Schanden. Es ist unendlich viel leichter, durch den Einsatz des leiblichen Lebens zu leiden als durch den Geist. Christus litt in Freiheit, in Einsamkeit, abseits und in Schanden, an Leib und Geist und seither viele Christen mit ihm.”

“Tod: Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit, Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern unsres vergänglichen Leibes und unsrer verblendeten Seele, dass wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist. Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden. Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.”

Helmuth James Graf von Moltke (*11. März 1907 zu Kreisau in Schlesien), ältester Sohn des Großneffen des Feldmarschalls und einer südafrikanischen Mutter. Er wurde Jurist und bewirtschaftete sein Gut Kreisau. Er war nicht in der Partei und gründete den Kreisauer Kreis, dem schließlich führende Vertreter des Widerstands angehörten. Er sah die deutsche Katastrophe als unabwendbar voraus und wollte das Wiedererstehen des anderen Deutschlands vorbereiten. Im Januar 1944 wurde er verhaftet, weil er einen Freund vor dessen Verhaftung gewarnt hatte. Am 10. Januar 1945 verurteilte der Volksgerichtshof ihn zum Tode. Das Urteil wurde am 23. Januar in Plötzensee vollstreckt.

Bischof Lilje traf mit Moltke im Gefängnis zusammen und berichtet: “Ohne die leiseste Selbsttäuschung über sein wahrscheinliches Ende lebte er in einer heiteren Klarheit der Seele, das leuchtende Beispiel einer ungebeugten Haltung aus dem Glauben.”

Aus Moltkes Brief vom 11. Januar 1945 an seine Frau: “Ich habe ein wenig geweint (nach dem gemeinsamen Abendmahl), eben, nicht traurig, nicht wehmütig, nicht weil ich zurück möchte, nein, sondern vor Dankbarkeit und Erschütterung über diese Dokumentation Gottes. Uns ist es nicht gegeben, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, aber wir müssen sehr erschüttert sein, wenn wir plötzlich erkennen, dass er ein ganzes Leben hindurch am Tage als Wolke und bei Nacht als Feuersäule vor uns hergezogen ist, und dass er uns erlaubt, das plötzlich in einem Augenblick zu sehen.”

Peter Graf Yorck von Wartenburg (*13. November 1904 in Klein-Oels/Schlesien), Regierungsrat. Hingerichtet am 8. August 1944 in Berlin-Plötzensee.

Aus dem Abschiedsbrief an seine Frau (undatiert): “Als wir vom letzten Abendmahl hinweggingen, da fühlte ich eine fast unheimliche Erhabenheit, ich möchte es eigentlich Christusnähe nennen. Rückblickend scheint sie mir als ein Ruf. […] Mein Tod, er wird hoffentlich angenommen als Sühne aller meiner Sünden und als Sühneopfer für das, was wir alle gemeinsam tragen. Die Gottesferne unserer Zeit möge auch zu einem Quentchen durch ihn verringert werden. Auch für meinen Teil sterbe ich den Tod fürs Vaterland. Wenn der Anschein auch sehr ruhmlos, ja schmachvoll ist, – ich gehe aufrecht und ungebeugt diesen letzten Gang, und ich hoffe nur, dass Du darin nicht Hochmut und Verblendung siehst. Des Lebens Fackel wollten wir entzünden, ein Flammenmeer umgibt uns, welch ein Feuer!”

Alfred Delp S.J. (*15. September 1907 in Mannheim). Als Pater wirkte er gegen die politische Verdorbenheit der Zeit und schloss sich dem Kreisauer Widerstandskreis an. Er wurde am 28. Juli 1944 in München verhaftet, zusammen mit Helmuth Moltke verurteilt und am 2. Februar 1945 erhängt.

Aus dem Abschiedsbrief vom 14 Januar 1945: “Wie lange ich nun hier warte, ob und wann ich getötet werde, weiß ich nicht. Der Weg von hier bis zum Galgen nach Plötzensee ist nur 10 Minuten Fahrt. Man erfährt es erst kurz vorher, dass man heute, und zwar gleich, >dran< ist. […] Ich bin noch gar nicht erschrocken. Das kommt wohl noch. Vielleicht will Gott diesen Wartezustand als äußerste Erprobung des Vertrauens. Mir soll es recht sein. Ich will mir Mühe geben, als fruchtbarer Same in die Scholle zu fallen, für Euch alle und für dies Land und Volk, dem ich dienen und helfen wollte.”

Nach der Verurteilung: “Das ist ein eigenartiges Leben jetzt. Man gewöhnt sich so schnell wieder an das Dasein und muss sich das Todesurteil ab und zu gewaltsam in das Bewusstsein zurückrufen. Das ist ja das Besondere bei diesem Tod, dass der Lebenswille ungebrochen und jeder Nerv lebendig ist, bis die feindliche Gewalt alles überwältigt, so dass die gewöhnlichen Vorzeichen und Mahnboten des Todes hier ausbleiben. Eines Tages wird eben die Tür aufgehen und der gute Wachtmeister wird sagen: Einpacken, in einer halben Stunde kommt das Auto, wie wir es so oft gehört und erlebt haben. […] Ganz ehrlich gesagt, ich glaube noch nicht an den Galgen. Ich weiß nicht, was das ist. Vielleicht eine große Gnade und Hilfe des väterlichen Gottes, der mich so die Wüste bestehen lässt, ohne in ihr verdursten zu müssen. Während der ganzen Verhandlung, auch als ich bemerkte, das >Wunder< bleibt aus, war ich weit oben drüber und unberührbar durch all die Vorgänge und Aussichten. Ist das das Wunder, oder was ist das? Ich bin Gott gegenüber wirklich in Verlegenheit und muss mir darüber klarwerden.

Adolf Reichwein (* 1895), als Professor an der Pädagogischen Akademie Halle 1933 von den Nazis abgesetzt. Er hat sich dem Kreisauer Kreis angeschlossen, wurde denunziert, am 5. Juli 1944 verhaftet, vom Volksgericht zum Tode verurteilt und am 20. Oktober 1944 hingerichtet.

Aus dem Brief vom 16. Oktober 1944 an seine Frau: “Der Brief meines Vaters ist wie alles, was von Dir kommt, eine Stärkung; diktiert von einer stoischen Ruhe, zu der Vater sich in einem langen, schweren Leben geläutert hat. Und eine väterliche Ermahnung, am Ende stärker zu sein als das Schicksal.”

Aus dem Brief vom 20. Oktober 1944 kurz vor der Hinrichtung: “Liebe Romai, […] in meiner letzten irdischen Stunde sind meine Gedanken noch einmal mit besonderer Innigkeit bei Dir und den vier Kindern, die Du mir geschenkt hast […]. Diese drei Monate sind für mich trotz aller Qual auch von großer innerer Bedeutung gewesen: sie haben vieles klären und hoffentlich auch läutern helfen, was man gern in seiner letzten Stunde geklärt und geläutert hat. Ich scheide ruhig, weil ich die Kinder in Deiner Obhut weiß. Seit dem 5. Juli war mein tägliches Gebet das >Vater Unser<, dem sich die Fürbitte für Dich, die Kinder und die Eltern anschloss. […] Möge Gott Euch stärken, das Schwere zu überwinden, ein Leben in Stärke fortzusetzen.”

Hans-Bernd von Haeften (*18. Dezember 1905 in Berlin), Vortragender Legationsrat im Auswärtigen Amt. Haeften drückte sein Entsetzen zur Machtübergabe an Hitler mit seiner Räuberhauptmannsmoral in einem Brief an seine Frau schon 1933 aus. Er verweigerte den Eintritt in die Partei. Als er einen Träger des Goldenen Parteiabzeichens als Betrüger entlarvte, begann der offene Konflikt. 1940 schloss er sich dem Kresiauer Kreis an. Am 20. Juli 1944 stand er mit Freunden des Widerstands zusammen. Die Verhandlung war am 15. August 1944. Auf Freislers Frage, ob er einsehe, dass er Verrat begangen habe, antwortete von Haeften: “Juristisch ist es Verrat, tatsächlich nicht, denn eine Treuepflicht habe ich nicht mehr empfunden. Ich sehe in Hitler den Vollstrecker des Bösen in der Geschichte.” Noch am selben Tag wurde von Haeften hingerichtet.

Aus seinem Abschiedsbrief vom 15. August 1944 an seine Frau: “Meine liebe .. gute Barbara, wohl in wenigen Stunden werde ich in Gottes Hände fallen. So will ich Abschied von Dir nehmen. […] Barbara, in diesen Haftwochen habe ich Gottes Gericht stillgehalten und meine >unerkannte Missetat< erkannt und vor Ihm bekannt. >Gottes Gebote halten und Liebe üben und demütig sein vor Deinem Gott< – das ist die Regel, gegen die ich verstoßen habe. Ich habe das fünfte Gebot nicht heilig gehalten [sein Bruder Werner wurde am Abend des 20. Juli zusammen mit Stauffenberg, Olbricht und Mertz v. Quirnheim in der Bendlerstraße erschossen.] […], und das Gebot der Demut, des >Stillseins und Harrens< habe ich nicht ernst genug genommen. Vor allem habe ich nicht Liebe geübt gegen Euch, die mir anvertraut waren. […] Warum? Ich hab in all den Zweifeln wohl nicht still und geduldig genug gewartet, bis er Seinen Willen mir unzweideutig kundtat. Vielleicht war es auch so Sein unergründlicher, heiliger und heilsamer Ratschluss. ”

Hans Freiherr von Hammerstein-Equord (*5. Oktober 1881 in Sitzenthal, Österreich) wurde als hoher Beamter wegen seiner antinationalsozialistischen Gesinnung aus dem Staatsdienst entlassen und später im KZ Mauthausen inhaftiert. Nach seiner Befreiung starb er an den Lagerfolgen.

Aus seinem Gedicht:

Aus der Gefangenschaft

Jesus, Deine heilig-wunde Hand mir reiche zur schweren Stunde. Reiche sie mir, dass ich sie fasse, halte mich, dass ich sie nicht lasse, halt mich fest und bleib mir nah!

Wie Du führst, so will ich gehen, ohne Dir zu widerstehen, und mein Kreuz geduldig tragen, wenn es sein muss, ohne Zagen auf mit Dir nach Golgatha.

Kurt Huber (*24. Oktober 1893 in Chur/Graubünden), seit 1926 Professor für Philosophie und Psychologie an der Universität München. In seiner Ablehnung der Diktatur wurde er Mittelpunkt der studentischen Widerstandsgruppe mit Probst, Schmorell, Graf und den Geschwistern Scholl. Nach Abwurf der Flugblätter im Lichthof der Münchner Universität durch die Geschwister Scholl am 18. Februar 1943 wurde er verhaftet, am 19. April 1943 zum Tode verurteilt und am 13. Juli 1943 hingerichtet.


Das zweite Gleis

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