Читать книгу Das zweite Gleis - Helmut Lauschke - Страница 8
Vom Gleisende und der Parabel des Lichts
ОглавлениеO ungeheurer Mut! Kommst du so lächelnd und frei vom großen Stolz der Welt! [Kleopatra zu Antonius]
Unser Leben war die Überwindung des Bösen. [Wilhelm Thews am 8. Februar 1943 als Mitglied des Widerstands im Alter von 32 Jahren hingerichtret]
Lehre das Wort dann, wenn du es selber lebst!
Aus den Abschiedsbriefen*, die kurz vor dem gewaltsam erlittenen Tod geschrieben wurden. Die Vermächtnisse kommen von Männern und Frauen, die die deutsche Katastrophe vorausgesehen undsich gegen das unmenschliche System aufgelehnt hatten und dafür oft in noch jungen Jahren hingerichtet wurden. Sie alle gaben ihr Leben für ein besseres Deutschland.
* Gollwitzer/Kuhn/Schneider: “Du hast mich heimgesucht bei Nacht – Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933-1945”. Gütersloher Taschenbücher/Siebenstern 9, 1985 _____________________________________________________________________________________________
Paul Schneider (29. August 1897 – 18. Juli 1939 – Der Prediger von Buchenwald). Aus dem Brief vom 7. November 1937 an seine Frau Margarete: “Die Bekennende Kirche, die es wahrhaft ist, ist der Baum mit den Knospen; [Verweis auf den Kastanienbaum mit den kahlen schwarzen Zweigen und den braunen kleinen Knospen] die heimlichen Gemeinden in den Gemeinden sind die Knospen der Kirche. Da, wo man bereit ist, auf Pfarrstellen zu gehen, die keine >Pfarrstellen< mehr sind, die auch ohne gesicherte >staatsfreie Position< bestehen, weil eine solche >Position< kein Glaubensposten mehr wäre, da, wo alle kirchenpolitischen Erwägungen und Überlegungen aufhören, da sieht schon jetzt das geistige Auge die kommende Kirche und ihren Frühling.
Die Welt freilich und der ungeistliche Kirchenmann sehen den kahlen Baum seiner Kulturbedeutung, seiner Öffentlichkeitsbedeutung beraubt und urteilen, dass es bald aus mit ihm sei und er nur noch zu Brennholz tauge, wenn ihm die Anerkennung der Welt und des Staates versagt bleibt. Sie retten sich in das Schlinggewächs der falschen Kirche und Staatsreligion, das sich an dem in Wahrheit gerichtsreifen Baum dieser gottlosen, selbstherrlichen und selbstsicheren Welt üppig emporrankt, um dann mit dem Baum dieser vergehenden Welt zu stürzen und verbrannt zu werden. Nur in dem Glauben, der die unverwüstliche Kraft ihres Lebens und Knospens ist, ist wahre Freiheit und Freude.”
Der Mithäftling, Notar Alfred Leikam, schrieb im Rückblick: “Die größte Anfechtung im Lager war für mich, dem alle Vorstellung übersteigenden Unrecht, das die dortigen Menschen getroffen hat, wort-und tatenlos gegenüberzustehen bzw. zwangsläufig mitzumachen, um dadurch selbst an diesen Menschen schuldig zu werden. Es gibt meines Wissens in Deutschland nur einen Menschen, der dieser Schuld nicht teilhaftig wurde. Das ist Pfarrer Paul Schneider, der sich in Wort und Tat auch gegen das Unrecht im Lager wandte und deswegen zu Tode gemartert wurde.”
Bernhard Lichtenberg (3. Dezember 1875 – 5. November 1943 – Domprobst von St. Hedwig zu Berlin): Zur Kanzelvermeldung in allen Kirchen der Diözese (Oktober 1941): “In Berliner Häusern wird ein Hetzblatt gegen die Juden verbreitet. Darin wird behauptet, dass jeder Deutsche, der aus angeblicher falscher Sentimentalität die Juden irgendwie unterstützt, und sei es auch nur durch ein freundliches Entgegenkommen, Verrat an seinem Volke übt. Lasst euch durch diese unchristliche Gesinnung nicht beirren, sondern handelt nach dem strengen Gebot Jesu Christi: >Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst<.”
Aus dem Brief vom 27. September 1943 an die Ehrwürdige Schwester Oberin: “Gefangenenbuch-Nr.717/Strafgefängnis Tegel in Berlin. […] Es ist mein fester Entschluss, die Exerzitienvorsätze mit Gottes Hilfe zur Ausführung zu bringen, die ich vor Ihm nach den dreißigtägigen Exerzitien gefasst habe, nämlich: ich will alles, was mir widerfährt, Freudiges und Schmerzliches, Erhebendes und Niederdrückendes, im Lichte der Ewigkeit ansehen, ich will meine Seele besitzen in meiner Geduld, in keinem Worte und in keinem Werk sündigen und alles aus Liebe tun und alles aus Liebe leiden.“
Ewald von Kleist-Schmenzin (22. März 1889 – 15. April 1945), Herr des Gutes Schmenzin in Pommern. In einer Audienz bei Hindenburg [1847-1934] warnte er den greisen Reichspräsidenten. Dieser gab ihm recht, stimmte aber 6 Wochen später der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zu. Darauf zog sich v. Kleist mit den Worten: ‘Es gibt keine Hoffnung mehr auf Abwendung der Katastrophe’ aus der Politik zurück. In seinem Landkreis beschaffte er Zufluchtsstätten für die Verfolgten. Am 30. Juni 1934 entging er den Feinden durch Flucht aus Pommern. Am Tag nach dem Attentat auf Hitler wurde das Herrenhaus Schmenzin umstellt und von Kleist von der Gestapo verhaftet, die ihn erst nach Stettin und dann nach Berlin brachte.
Aus dem Brief vom 6. Oktober 1944 an seine Frau Alice: “Die Stimmung hat oft geschwankt zwischen Hoffnung und trübsten Erwartungen, meistens nicht bestimmt durch verstandesmäßige Überlegungen, oft durch ziemlich unbedeutende Dinge. In Stettin hofften wir Leidensgenossen auf unsere baldige Entlassung; diese Stimmung war stark genährt durch die Äußerungen der dortigen Gestapo. In einem Punkt ist aber meine Stimmung bis heute ganz gleichmäßig, ruhig und fest geblieben: ich habe mich bedingungslos in Gottes Willen ergeben. […] Geholfen hat, dass ich nicht der Versuchung nachgegeben habe, mir selber leid zu tun. Ich habe auch die wehmütigen und sehr sehnsüchtigen Gedanken an meine Lieben und an Schmenzin kurzgehalten.“
Aus dem Brief vom 2. Dezember 1944 an seine Frau: “Gestern habe ich Haftbefehl wegen Hochverrats erhalten. […] Der Wert eines Volkes wird allein dadurch bestimmt, wie weit es auf Gott gerichtet ist. Es kann ein nichtchristliches Volk Gott näher stehen als ein christliches. Die heutigen christlichen Völker stehen Gott sehr fern. Aber es kommt in der Welt eine andere, bessere Zeit.”
Aus dem Brief vom 12. Januar 1945 an seine Frau: “Heute hat mir der Rechtsanwalt gesagt, voraussichtlich würde in etwa 14 Tagen gegen mich verhandelt. Die Todesstrafe wäre völlig sicher. Ich war darauf gefasst, aber ich wundere mich doch, einen wie geringen Eindruck diese Mitteilung auf mich gemacht hat. Es liegt wohl daran, dass mich nur noch die Liebe zu Dir, den Kindern und Mama mit der Erde verbindet. Sonst glaube ich, hat sich meine Seele von dem Irdischen weitgehendst frei gemacht. […] Es geht zum Vater. Es ist eigenartig, dass ich mich dabei noch über Essen, Rauchen und ein Buch harmlos freuen kann.”
Franz Reinisch (1. Februar 1903 – 21. August 1942) Priester. Am 3. November 1928 Eintritt bei den Pallottinern. Am 7. Juli 1942 wegen Verweigerung des Fahneneides von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und am 21. August 1942 in Brandenburg-Görden enthauptet.
In der Begründung seiner Verweigerung des Fahneneides führte er aus: “Die gegenwärtige Regierung ist keine gottgewollte Autorität, sondern eine nihilistische Regierung, die ihre Macht errungen hat durch Gewalt, Lug und Trug. […] Das NS-Prinzip >Gewalt geht vor Recht< zwingt mich in die Notwehrstellung. Es gibt daher für mich keinen Eid der Treue auf eine solche Regierung.”
Aus dem Abschiedsbrief an die Eltern vom 14. April 1942: “Mein Segen gelte auch meinen lieben Geschwistern und ihren Nachkommen und meiner ganzen Heimat Tirol!”
Kaj Munk (dänischer Dichter und Pfarrer). Er wurde wegen seines Widerstandes gegen das NS-Regime in den ersten Tagen des Jahres 1944 erschossen.
Aus seinen Predigten: “Es gibt Leute, die sich einbilden, dass man die Wahrheit sozusagen einsalzen könne. Man könne sie im Salzeimer versteckt liegen lassen, meinen sie, um sie herauszunehmen und ein Stück davon zu verwenden, wenn sich gelegentlich die Situation dafür eignet. Aber auch bei uns gibt es Leute, die den lebendigen Glauben haben, dass die Wahrheit da ist, um gesagt zu werden, und dass sie nur da ist, wenn sie gesagt wird. […] Aber eines Tages sehen sie ein, dass die Feigheit ihre Zungen nicht mehr binden darf, dass die Leiden, die durch Heuchelei, Schweigen und Lüge über das Volk kommen, tausendmal gefährlicher sind. Auch in unserem Land haben wir einen Herodes, der mit den fremden Göttern Unzucht treibt. Ich meine jenen Geist der Kompromisse, der um des Wohlbefindens willen nicht vor unwürdigen Handlungen zurückschreckt.”
An seine Landsleute im Gefängnis, weil sie für die Wahrheit eintraten: “Ihr habt Euch der Sache der Wahrheit angenommen, während einige das Lügen und andere das Schweigen vorzogen. Ihr habt dadurch eine Tat vollbracht, aus der eine wahre Zukunft sprossen kann.”
“Du Grundgütiger Heiliger Geist! Trockne mir die Tränen von den Augen, damit ich den Erlöser erblicke, den Erlöser klar genug, dass ich meinem Volke jetzt in seiner Schicksalsstunde von Ihm zu erzählen vermag,”
“So beten wir dänischen Pastöre im Jahre 1941. Die Kanzel ist uns eine Stätte solcher Verantwortung geworden, dass wir unter unserem Talar schlottern, wenn wir ihre Stufen betreten. […] Hier drinnen gilt nur des Heiligen Geistes Zensur, und das ist die Zensur, die uns nicht zwingt, zu schweigen, sondern zu reden! […] Die Kirche ist … der Ort, wo Barmherzigkeit geübt werden soll als Quell des Lebens, als der Herzschlag der Menschheit. Und wo man etwas anderes lehrt als diesen Glauben, da lehrt man Dschungel und Tod.”
Christoph Probst (6. November 1919 – 22. Februar 1943): Enthauptet in München-Stadelheim. Er und sein Kommilitone Alexander Schmorell führten die Widerstandsbewegung der Münchner Studenten an. Sie handelten aus dem Gewissen heraus und starben in einer Zeit, als das Gewissen in Deutschland unter Strafe stand. Ihre Tat war ein Lichtsignal in der Dunkelheit der deutschen Geschichte.
Aus dem Brief von Christoph Probst vom 22. Februar 1943: “Meine liebste Herzensschwester! Samstag, als ich meinen Urlaubsschein für Tegernsee holen wollte, wurde ich festgenommen und nach München gebracht. Nun sitze ich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Zelle und weiß nicht, was der nächste Tag bringt. […] Liebe, beunruhige Dich nicht, mach Dir keine Sorgen um mich. Wenn die Tage auch schwer sind, so waren sie ja vorher auch nicht leichter. Wie schwer mir die Trennung von Frau und Kindern ist, weißt Du. Aber mein Vertrauen und meine Hoffnung sind stark und helfen mir.”
Aus dem Brief von Christoph Probst vom 22. Februar 1943 an die Mutter: “Ich danke Dir, dass Du mir das Leben gegeben hast. Wenn ich es recht bedenke, so war es ein einziger Weg zu Gott. Seid nicht traurig, dass ich das letzte Stück nun überspringe. Bald bin ich noch viel näher bei Euch als sonst. Ich werde Euch dereinst einen herrlichen Empfang bereiten.”
Die Briefe an seine Schwester und Mutter wurden am Tage der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof geschrieben. Noch am Nachmittag desselben Tages wurde er enthauptet. Mutter und Schwester lasen die Abschiedsbriefe im Beisein einer Aufsichtsperson. Ausgehändigt wurden die Briefe nicht.
Alexander Schmorell (16. September 1917 in Orenburg [am Uralfluss] – 13. Juli 1943). Hingerichtet in München-Stadelheim.
Letzter Brief an die Eltern vom 13. Juli 1943: “Meine lieben Vater und Mutter! Nun hat es doch nicht anders sein sollen, und nach dem Willen Gottes soll ich heute mein irdisches Leben abschließen, um in ein anderes einzugehen, das niemals enden wird und in dem wir uns alle wieder treffen werden. Dies Wiedersehen sei Euer Trost und Eure Hoffnung. […] Ich gehe hinüber in dem Bewusstsein, meiner tiefen Überzeugung und der Wahrheit gedient zu haben. Dies alles lässt mich mit ruhigem Gewissen der nahen Todesstunde entgegensehen. Denkt an die Millionen junger Menschen, die draußen im Feld ihr Leben lassen – ihr Los ist auch das meinige. In wenigen Stunden werde ich im besseren Leben sein, bei meiner Mutter, und ich werde Euch nicht vergessen, werde bei Gott um Trost und Ruhe für Euch bitten.”
Roger Péronneau (9. November 1920 – 29. Juli 1942). Student; zum Tode verurteilt am 23. März 1942, erschossen zu Mont-Valérien nach elfmonatiger Kerkerhaft.
Aus seinem Abschiedsbrief: “Innig geliebte Eltern, ich werde sogleich erschossen werden – um die Mittagsstunde, und jetzt ist es 9¼. Das ist eine Mischung aus Freude und Erregung.
Verzeiht mir allen Schmerz, den ich Euch bereitet habe, jetzt bereite und noch bereiten werde. Verzeiht mir alle wegen des Bösen, das ich getan, wegen des Guten, das ich nicht getan habe.
Mein Testament ist kurz: Ich beschwöre Euch, euren Glauben zu bewahren. Vor allem: keinen Hass gegen die, die mich erschießen. >Liebet Euch untereinander!< hat Jesus gesagt, und die Religion, zu der ich zurückgekehrt bin und von der Ihr nicht lassen sollt, ist eine Religion der Liebe.“
Cato Bontjes van Beek (14. November 1920 – 5. August 1943), Studentin; verhaftet 20. September 1942 wegen zweimonatiger Zugehörigkeit zu einer jugendlichen Widerstandsgruppe; zum Tode verurteilt am 21. Januar 1943; hingerichtet in Plötzensee am 5. August 1943.
Abschiedsbrief (als Kassiber in der abgegebenen Wäsche gefunden): “Plötzensee, den 5. August 1943. Meine liebe, liebe Mama, ich habe geglaubt, ich könnte Dir diesen Brief als Geburtstagsbrief schreiben, und nun wird es der allerletzte an Dich sein. Meine Mama, es ist nun soweit, und ich werde nur noch ein paar Stunden unter den Lebenden sein. […] Die Ruhe, die ich mir immer für diese letzten Stunden gewünscht habe, ist nun auch wirklich bei mir, und sie gibt mir viel Kraft, mit meinen Gedanken bei Dir zu weilen, bei Tim in Russland und bei Meme und bei allen anderen Lieben. Ich sagte es Dir schon bei der letzten Sprechstunde, dass ich es als eine Gnade empfinde, jede Nacht in meinen Träumen bei Euch in Fischerhude zu sein. Könnte ich doch meine Ruhe auch auf Dich übertragen. Mein Herz ist so übervoll, um Dir zu danken, und die Liebe zu Euch allen werde ich dalassen.
Meine geliebte Mama, ich hoffe so sehr, dass Du diesen Schmerz, den ich Dir durch meinen Tod bereite, überwinden wirst und Du dadurch in Deiner Kunst noch größer wirst.“
Jaroslav Ondrousek (23. Juni 1923 – 25. Mai 1943), Student aus Ricany bei Brünn. Durch Verrat eines Spitzels 1941 verhaftet, im Gestapogefängnis im vormaligen Kounic-Studentenheim gefangengehalten und am 25. Mai 1943 in Breslau hingerichtet.
Nach dem Urteilsspruch schrieb er den letzten Brief an seine Eltern: “Geliebte, in einer Weile werde ich schon bei Euch sein, mit Euch, meine Teuren! Ich ende mein Leben, und es ist mir so leicht in der Seele. So schön. Ich bin fast glücklich, dass ich in einer so schönen Stimmung sterben darf. […] Vater, weißt Du, es ist schön zu sterben in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Menschheit. […] Meine schöne Heimat, wie gern ich Dich habe, süßes Heimatland! Heute sterbe ich, es ist Mai, wir sind hier vier im Raum, wir warten aufs Abschiednehmen. Ich werde bei Euch sein, in Eurer Mitte, mit Euch auf der Gartenbank sitzen, mein Geist wird immer mit Euch sein. Die schönste Erinnerung sende ich Euch und verabschiede mich von Euch. […] Verlangt meine Asche.“
Kim Malthe-Brunn (8. Juli 1923 in Schaheswan-Forts, Kanada), Schiffsjunge und Leichtmatrose. Als Mitglied einer illegalen Gruppe hater ein Zollboot entwendet und nach Schweden gebracht, um seiner Gruppe Waffen zu beschaffen. Erschossen am Sonntag, 8. April 1945 in Kopenhagen.
Kassiberbrief vom 13. Januar 1945: “Die Gestapo setzt sich aus primitiven Menschen zusammen, die sich eine Fähigkeit erworben haben, schwache Seelen zu überlisten und zu erschrecken; schaust Du sie etwas genauer an während eines solchen Verhrs, so wirst Du sie eine unbeherrschte Unzufriedenheit zur Schau tragen sehen, als ob sie alle ihre Selbstbeherrschung zusammennehmen müssten, und als wäre es eine Gnade ihrerseits, dass sie einen nicht auf der Stelle niederschössen, weil man ihnen nicht viel mehr erzähle.
Du kommst in ein Zimmer oder einen Gang und musst Dich mit dem Gesicht gegen die Mauer stellen. Steh dann nicht zitternd da bei dem Gedanken, dass Du nun vielleicht sterben musst. Ist Dir bange vor dem Tod, dann bist Du nicht alt genug, Dich am Freiheitskampf zu beteiligen, auf keinen Fall aber reif genug. Ist diese Zwangsvorstellung imstande, Dich zu erschrecken, dann bist Du das ideale Objekt für ein Verhör. Sie geben Dir plötzlich und unmotiviert eine Ohrfeige. Bist Du hinlänglich mürbe, so ist sogar die Schmach einer Ohrfeige eine solche Erschütterung, dass die Gestapo die Oberhand gewinnt und dem Opfer einen solchen Schrecken einjagt, dass alles nach ihrem Kopfe geht.
Tretet ihnen ruhig und ohne Hass oder Verachtung entgegen, weil beides ihre überaus empfindliche Eitelkeit viel zu stark reizt. Betrachtet sie als Menschen und nutzt ihre Eitelkeit gegen sie selber aus.“
Nach einer Folter wird er am 2. März 1945 bewusstlos in die Zelle getragen.
Aus dem Brief vom 3. März 1945: “Ich habe seitdem über das Merkwürdige nachgedacht, was eigentlich mit mir geschehen ist. Gleich hernach fühlte ich eine unbeschreibliche Erleichterung, einen jubelnden Siegesrausch, eine so unsinnige Freude, dass ich wie gelähmt war. Es war, als ob die Seele sich vom Körper ganz frei gemacht hätte, als ob diese zwei sich als freie Wesen tummelten, das eine in einem vollkommen frei gewordenen überirdischen Rausch, das andere sich wälzend in einem stark erdgebundenen, leidenschaftslosen Kampf. […] Als die Seele wieder zum Körper zurückkam, war es, als hätte sich der Jubel der ganzen Welt hier versammelt. […], als der Rausch vorüber war, kam die Reaktion. Ich wurde gewahr, dass meine Hände zitterten, dass in mir etwas gespannt worden war, dass es war, als ob ein Element in den Tiefen des Herzens Kurzschluss bekommen hätte und sich nun schleunigst entlüde.”
Aus dem Abschiedsbrief an die Mutter vom 4. April 1945: “Liebe Mutter! Ich bin zusammen mit Jörgen, Niels und Ludwig heute vor ein Kriegsgericht gestellt worden. Wir wurden zum Tode verurteilt. Ich weiß, dass Du eine starke Frau bist, und dass Du dies auf Dich nehmen wirst, aber, hörst Du, es ist nicht genug, dass Du es auf Dich nimmst. Du musst es auch verstehen. Ich bin nur ein kleines Ding, und meine Person wird sehr bald vergessen sein, aber die Idee, das Leben, die Inspiration, die mich erfüllten, werden weiterleben. Du wirst ihnen überall begegnen – in den Bäumen zur Frühlingszeit, in Menschen, die Deinen Weg kreuzen, in einem liebevollen kleinen Lächeln. Du wirst auf das stoßen, was an mir vielleicht einen Wert hatte. Du wirst es liebhaben, und Du wirst mich nicht vergessen. Ich werde dabei wachsen dürfen, groß und reif werden.“
Ulrich von Hassell (12. November 1881 – 8. September 1944), Botschafter, außenpolitischer Denker der deutschen Widerstandsbewegung. Er drängte auf Taten: >Es ist unsere Pflicht, den Wagen nicht erst in den Abgrund rasen zu lassen, sondern sich noch vorher auf den Bock zu schwingen, obwohl keine Ehre dabei zu holen und nur noch wenig zu retten ist.< Am 28. Juli 1944 drang die Gestapo in Hassells Büro, der sie an seinem Schreibtisch empfing. Am 8. September 1944 wurde er hingerichtet.
Abschiedsbrief vom 8. September 1944 aus Berlin-Plötzensee, Königsdamm 7, an seine Frau kurz vor der Hinrichtung geschrieben: “Mein geliebtes Ilselein! Heute vor 30 Jahren habe ich meine französische Kugel bekommen, die ich im Herzen bei mir trage. Heute ist auch das Urteil des Volksgerichtshofes gefällt worden. Wenn es, wie ich annehme, vollstreckt wird, so endet heute das über alle Maßen reiche Glück, das mir durch Dich geschenkt worden ist. Es war gewiss zu reich, um länger zu dauern! Ich bin in diesem Augenblick vor allem von tiefer Dankbarkeit erfüllt gegen Gott und gegen Dich. Du stehst neben mir und gibst mir Ruhe und Stärke. Dieser Gedanke übertönt den heißen Schmerz, Dich und die Kinder zu verlassen. […] Aber Du bist im Leben; das ist mein ganzer Trost in allen Sorgen um euch, auch den materiellen, und um die Zukunft der Kinder, dass Du stark und tapfer bist, ein Fels, aber ein lieber, süßer Fels für die Kinder. Sei immer so gut und gütig wie Du bist, verhärte Dich nicht. Gott segne Dich und segne Deutschland!”
Ulrich-Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld (11. Dezember 1902 in Kopenhagen – 8. September 1944 Plötzensee), Gutsbesitzer, hingerichtet im Zusammenhang mit den Ereignissen des 20. Juli 1944.
Aus dem Abschiedsbrief vom 8. September 1944 an seine Frau kurz vor der Hinwichtung: “Dass ich ungebeugt in den Tod gehe in dem festen Bewusstsein, nichts für mich und alles für unser Vaterland gewollt zu haben, das muss Dir immer Gewissheit bleiben und das musst Du den Söhnen immer wieder sagen. Du weißt, dass zu allen Zeiten mein Handeln auf Deutschland ausgerichtet war, nach der Tradition der Familie aus glühender Vaterlandsliebe, die alles andere überwog. Andere Zeiten werden andere Sitten und Anschauungen im einzelnen bringen, aber die Liebe zum Vaterland wird ewig der Bestandteil des Lebens bleiben, der alles andere beherrscht. […] Erziehe die Söhne zu christlichen Edelleuten ohne Engigkeit im Denken, aber auch ohne Laxheit. […] Sei tapfer und bewahre mir Deine Liebe bis an Dein Lebensende.
Ich muss Schluss machen. […] Ich umarme Dich und die Jungens in Gedanken als Dein Dir unendlich dankbarer Ulrich-Wilhelm.”
Aus dem Testament: “Ich bestimme ferner, dass an der Stelle im Kieslager meines Sartowitzer Forstes, wo die Ermordeten aus dem Spätherbst 1939 ruhen, sobald die Zeitumstände es erlauben, ein sehr hohes Holzkreuz aus Eiche gesetzt wird mit folgender Inschrift: Hier ruhen 1400-1500 Christen und Juden. Gott sei ihrer Seele und ihren Mördern gnädig.”
Justus Delbrück (25. November 1902 in Charlottenburg – 1945) Regierungsrat a.D., Fabrikant. Am 3. August 1944 wegen Beteiligung an der Verschwörung des 20. Juli verhaftet, von den Russen befreit, wieder verhaftet und in russischer Gefangenschaft gestorben.
Aus dem Abschiedsbrief (ohne Datum) an seine Frau: “Wenn esaber Dein Wille ist, lieber Vater, mich wieder zu ihr zurückzuführen, so lass meine Seele erschüttert sein, dass sie nicht vergesse, Dir zu danken für jeden Tag, den Du mir schenkst. Lass die Anschauung des Todes wie einen Sturmwind das Feuer der Liebe anfachen, lass mich wissen, dass meine Liebe Deine Liebe ist.
Ellen, meine Ellen, weißt Du noch, wie Du einmal sagtest, Du wollest meine Liebe spüren wie einen glühenden Schmerz? Ach, nun brenne ich – nun brenne unsere Liebe als eine ewige Flamme vor dem Angesicht Gottes.”
Gottes Tisch in der Zelle – Lehrter Straße 3
von Eberhard Bethge: “Eines Tages bittet einer (Lindemann) um das Heilige Abendmahl. Es hatte sich herumgesprochen, dass ich Geistlicher bin. Schon früher, als meine Zellentür noch nicht offenstand, hatte mir ein jüdischer Kalfaktor beim Essensempfang einen Kassiber zugesteckt. Einer, der das Todesurteil erwartete, bat um das Sakrament. Man suchte Anträge zu stellen; aber niemand wagte, eine Entscheidung zu treffen, oder der Bittzettel verschwand. Kurz, es gelang nicht. Nun aber ist der Bittende selber ein Kalfaktor. Es ist streng verboten, dass sich mehrere Häftlinge in einer Zelle aufhalten. Aber Kalfaktoren finden vielleicht einen hinreichenden Grund. Er ist Sozialdemokrat und hatte während der schrecklichen Verhörzeit dreimal in diesem Gebäude versucht, sich das Leben zu nehmen. Nun bittet er um die Kommunion und drängt, dass wir es wagen sollen.
Doch, wie kommen wir zu Brot und Wein? Auf unserem Flur liegt als Gefangener der Pater Rösch. Auch er arbeitet an der Lösung dieser Frage wie wir. Ein treuer Wächter findet sich; der bringt ihm aus der Pfarrei in der Stadt die Oblaten. Wenn wir nachmittags zum Spaziergang auf den runden Hof geführt werden, überholt der Pater mit eiligen Schritten – das wird immer wieder verboten – die Reihe der Gehenden und spricht im Flüsterton schnell mit seinen Pfarrkindern, wer wohl das Sakrament begehrt. Dann bittet er uns, Kassiber zu vermitteln: die schriftliche Beichte. Und des Morgens, wenn er unbemerkt seine Messe gelesen hat, tragen wir die geweihte Hostie in die angegebene Zelle. Seine Gemeinde wächst und wächst. Es ist selbstverständlich, dass er mir von seinen Oblaten gibt, als sich unsere Abendmahlsgemeinde bildet.
Auch zum Weine kommen wir. Ernst v. Harnack, zum Tode verurteilt, wird verlegt. >Verlegen< sagt man ihm und uns, die wir ihm die Sachen zusammensuchen helfen und heruntertragen. Man gibt sich Mühe, in der quälenden Stunde des Abschieds das zu glauben. Wie alle in dem ungleichen Kampf um das Leben hatte auch er die begehrlichen Wächter mit diesem und jenem, was seine Frau herantragen konnte, bestochen. Dadurch konnte er wohl manche vorübergehende Erleichterung erfahren, aber doch nichts verhindern. So findet sich bei ihm eine Flasche Wein, und ehe sich die Wache mit dem Besitz des Toten eine unwürdige Szene machen kann, nehme ich sie für meine und des Paters Zwecke. Sie wird uns lange dienen.
Durch die allnächtlichen Fliegerangriffe kommt man sogar zu einigen Kerzen. Ein Holzkreuz ohne Ständer ist vorhanden. Die Bibel liegt auf dem numerierten, geflickten Handtuch, das als Altardecke dienen muss. Endlich ist der armselige, graue Tisch an der Zellenwand zum wahrhaftigen Tisch des Herrn geworden. Der leidende Gott vereinigt sich mit uns und unserem Leib, greifbar und gegenwärtig und tröstend.
Alles muss schnell gehen. Wir hatten gefürchtet, die Angst vor Entdeckung würde alle Sammlung und den würdigen Empfang empfindlich stören. Doch das Gegenteil tritt ein. Die überlieferten Worte, die alte Handlung werden in dieser Wirklichkeit neu und voll Gewalt. Das war die erste Kommunion.
Nun kommen die Tage, da die näherrückenden Fronten und die täglichen Angriffe die Anspannung in den Zellen furchtbar steigern. Exekutionen oder nicht? Befreiung oder Liquidierung? Die Wachen scheiden sich in solche, die es für richtig halten, schärfer gegen ihre Opfer vorzugehen, und solche, die von den zukünftigen Befreiten etwas erwarten, und endlich solche, deren Frömmigkeit an dem, was sie da sehen, wiedererwacht. Es gibt Gerüchte. So heißt es, zu Ostern würden wir uns im Keller einen Abendmahlsgottesdienst halten können. Aber die Angst bei den Verantwortlichen erreicht jetzt erst ihren Höhepunkt. So muss es bei unserer Heimlichkeit bleiben.
Doch nun ist es schwieriger als ehedem. Was soll man für einen Grund angeben, wenn zwei Häftlinge in der Zelle hinter verschlossener Tür gefunden werden? Wir müssen die Stunde abpassen, in der die gutgesinnte Wachablösung kommt. Dann knien wir vor unserem grauen Wandtisch. Hinter der Bibel stehen jetzt ein paar Zweige der blühenden gelben Forsythie. Draußen hören wir den gleichmäßigen Schritt des Postens. Er beobachtet, ob die Kontrolle schon in unserem Flügel unterwegs ist. Ich teile das Sakrament aus. Die Kommunikanten sind zum Tode verurteilt. Der eine (5teltzer) wird die Freiheit in dieser Welt wiedersehen, der andere nicht mehr (Justus Perels). Jetzt wissen wir davon noch nichts.”