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Gute Partien

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Zunächst wandelt der junge Geschäftsmann allerdings auf Freiersfüssen. Er sattelt sein Pferd, reitet aber nicht »Rott ab« zu den edlen Familien in Sitten und Leuk, sondern »Rott auf«. In Ernen, am Oberlauf des Rotten, wie die Rhone im Wallis genannt wird, klopft er bei der angesehenen und begüterten Familie Zum Brunnen an. Sie ist seit Langem mit der Familie Stockalper verbunden und hatte einst mit Moritz Zum Brunnen, einem Vertrauten von Stockalpers Urgrossvater Peter I. Stockalper, auch einen Landeshauptmann gestellt. Kaspar Stockalpers Auserwählte ist die jüngste Tochter des Hauses, die sechzehnjährige Magdalena. Am 30. September 1635 wird Verlobung gefeiert, der Ehevertrag aufgesetzt und die standesgemäss aufwendige Hochzeit auf den 1. November arrangiert. In der Kirche von Glis segnet der Pfarrer »mit Bystand der 250 Ehrenpersonen« die Ehe ein. Danach gibt das Brautpaar ein mehrtägiges rauschendes Fest, wie es sich bei der Verbindung zweier notabler Familien gehört. Glücklich berichtet der Gemahl von den Feierlichkeiten: »Solche Solemnitet bis auf den achten Tag mit Freyden, Rhuw, Lust und Gunst continuiert wird. Der Allmächtige lasse firbass herüber seine Gnad und Sägen erscheinen zu seiner Ehr und unserer zeitlichen und ewigen Wollfahrt. Als dies geschah, war ich 26 und sie 16 Jahre alt.«42

Für die Wohlfahrt des jungen Paares ist ausreichend gesorgt. Magdalena bringt als Mitgift unter anderem ein Haus, Äcker und Wiesen in die Ehe. Stockalper beziffert ihre Güter, die er in seinen Gebrauch nimmt und veräussert, auf 3600 Pfund, einen Realwert von mehr als 100 Kühen.43 Durch den Verkauf des Frauenguts wird er Schuldner der Erbengemeinschaft Zum Brunnen, aber lange zögert er nicht, mit dem Geld privat, geschäftlich und politisch zu wirtschaften. Der alte Stammsitz soll zum repräsentablen Heim des jungen Paares werden. Die Pläne hat er bereits seit einiger Zeit bereit. »Errichte im Norden des grossväterlichen Hauses einen vorzüglichen und kraftvollen Anbau; aus Stall und Heuboden forme einen heizbaren Saal, aus halbem Hof eine Halle und darüber eine vornehme Stube; im Hofgarten statte das Haus behaglich aus; im Hof ziehe einen Turm hoch, erneuere das Haus, Plätze und Gärten mach’ elegant.«44 Die Erweiterungsbauten am alten Stockalperhaus umfassen unter anderem den grossen nördlichen Anbau, einen kleinen, schmucken, italienisch anmutenden Arkadenhof, einen repräsentativen Haupteingang in einen neuen Treppenturm, eine Hauskapelle und den »Dreikönigssaal« im ersten Stock, mutmasslich das repräsentative Zentrum, von dem aus Stockalper die nächsten Jahrzehnte seine wirtschaftlichen und politischen Geschäfte dirigieren wird. Den Wahlspruch, den noch sein Urgrossvater Peter I. Stockalper in das Gewölbe vor dem Eingang zum Saal hatte schreiben lassen, lässt er stehen: »Soli Deo Honor et Gloria 1532« – »Gott allein sei Ehr’ und Ruhm«. Im neuen Zentralraum lässt er in den Spickeln über Türen und Fenstern zahlreiche Sentenzen anbringen, die sein Leben und Wirken begleiten sollen, und später wird sein Adelswappen, das ihm Kaiser Ferdinand III. 1653 verleihen wird, die Decke zieren.45 Mehrere Jahre wird sich die Veredlung des alten Stammsitzes hinziehen, aber bald ist er so weit hergerichtet, dass das junge Paar einziehen kann. »Nachdem ich ein Jahr lang im väterlichen Hause gewohnt hatte, zog ich am 31. Oktober 1636 mit meiner Frau und den übrigen Hausleuten in mein eigenes Haus, das einst meinen Großeltern und Urgrosseltern gehörte.«46 Ein knappes Jahr später bringt Magdalena eine Tochter zur Welt. »Am 19. Oktober, im Zeichen der Fische, vor dem Vollmond, als die Sonne im Skorpion stand, an einem Donnerstag, wurde mir Kaspar Stockalper, Notar, Säckelmeister und Verwalter des Eisenbergwerkes von Brig, meine Tochter Anna von meiner geliebten Gattin Magdalena Zum Brunnen geboren und am 25. Oktober zu Glis durch den ehrwürdigen Kaplan Peter Niggili getauft«, notiert der junge Vater.47

Durch die Heirat mit Magdalena kommt Stockalper auch in die Verwandtschaft mit Hieronymus Welschen.48 Dieser ist Bewirtschafter und Mitbesitzer des hoch verschuldeten Eisenbergwerks im Grund eingangs des Gantertals bei Brig, das – weil Eisen für die Landschaft ein wichtiger Rohstoff ist – unter dem Patronat der Burger von Brig steht. Sie suchen nach vielen gescheiterten Sanierungsanläufen nach einer Möglichkeit, das Werk weiterzuführen.49 Stockalper hatte sich schon eine Weile für das heruntergewirtschaftete Unternehmen interessiert, jetzt sieht er sich in einer guten Position, den Fuss ins Montangeschäft zu setzen. Landeshauptmann Michael Mageran, der mit Eifer andere Bergwerke betreibt, hatte auch ein Auge auf die Briger Eisenverhüttung geworfen und im Landrat angedroht, dass, falls Brig das Werk nicht auf Vordermann bringe, er selbst es im Namen der Landschaft »guberniren« und Ordnung schaffen werde.50 Der Landrat hatte den Brigern 1634 ein Ultimatum gestellt und war willens, das Bergwerk, das auch als Rüstungsbetrieb zu sehen ist, dem amtierenden Landeshauptmann zu übertragen. Er möge es »an sich ziehen und Anordnung geben, dass solche dem Vatterlandt nutzlich Mineralien und Ärtzen ersucht und aus der Erden gezogen werden«.51 Zu gerne würde Mageran das Bergwerk übernehmen und sich als Unternehmer mitten im oppositionellen Zenden Brig einnisten. Stockalper hat den Leuker Salz- und Handelsherrn insgeheim zum Vorbild genommen, eifert ihm nach und will in seine Fussstapfen treten. Im Transitgeschäft ist er bereits im Begriff, ihn abzulösen. Nun bietet sich die Möglichkeit, ihm im Montangeschäft in die Parade zu fahren. Auch aus politischen Gründen muss er den Konkurrenten aus Leuk von Brig fernhalten und ihm den Zugriff auf das Bergwerk verwehren. Dazu hat er 1634 ein Abwehrkonzept entworfen, »ne Ferrifodina in potestatem D. Mageran caderet« – »damit die Eisengrube nicht in die Gewalt Magerans falle«.52

Ende 1635 ist die Lage im Bergwerk wegen langer Abwesenheiten von Hieronymus Welschen auf der Landvogtei Monthey noch immer desolat. Am 14. Januar 1636 schreitet Stockalper zur Tat: Er organisiert in seinem Haus eine Versammlung massgebender Vertreter von Brig, in der auch etliche seiner Verwandten zugegen sind, so sein Bruder und Briger Kastlan Michael Stockalper, sein Bruder und Zendenweibel Johann Stockalper, Burgerschreiber Peter Stockalper und alt Säckelmeister Johann Owlig. Welschen, der »durch sein Hin- und Wegreysen ihme von uns vor etlichen Jaren anbefolne Bergwerk unnitzig sthen lassen«, wird von dieser Versammlung ohne Federlesens abgesetzt. Stattdessen beruft sie eine vierköpfige Verwaltung mit Schreiber Christoph Perrig, alt Säckelmeister Johannes Brinlen, Hans Michael Heiss und Kaspar Stockalper als Kurial. Diese kommissarische Verwaltung soll das Bergwerk auf Vordermann bringen.53

Das erweist sich in den kommenden Monaten jedoch als schwierig, auch weil missliebige Mitglieder des Führungsgremiums wie der ehemalige Verwalter Johannes Brinlen Obstruktion betreiben und versuchen, Mageran in die Hände zu spielen. Als die Gefahr offensichtlich wird, dass dieser sich kraft der Vollmachten des Landrates in den Besitz des Bergwerkes drängen könnte, ruft Stockalper erneut die Burger in seinem Haus zusammen. Es wird ein Heimspiel. Sicheren Schrittes steigt der 27-jährige seinen Gästen voraus die Treppe hoch, bittet die ehrenwerte Gesellschaft in seine Räumlichkeiten und eröffnet den Plan: Er will im Bergwerk das alleinige Sagen. Die Burgerschaft soll ihn als einzigen Administrator einsetzen, mit einer beratenden Kommission aus Briger Burgern an der Seite. Als Verwalter will er das Werk auf eigenes Risiko in Pacht nehmen, den Schuldenberg von 6000 Pfund abtragen, in die Anlagen investieren und die Verhüttung rentabel machen. Das ist ein grosses unternehmerisches Wagnis. Aber Stockalper erkennt wie beim Transitgeschäft ein Vakuum, in das er vorstossen kann, sieht die längerfristige Perspektive der kriegswichtigen Eisenproduktion und hat die Mittel, Risiken einzugehen und Misserfolge durchzustehen. So geschieht es: »Am 6. November 1636 wurde in meinem Hause der Vertrag wegen des Eisenbergwerkes (im Grund) zwischen den Herren Burgern von Brig und mir zuerst aufgerichtet. Anwesend waren mehr als 50 Burger, und zwar von den vornehmsten. Dieser Vertrag wurde dann 1637 im Burgerhause von mehr als 100 Burgern feierlich bestätigt.«54 Gleichzeitig trifft der Bannstrahl alt Säckelmeister Johannes Brinlen und dessen Bruder alt Kastlan Kaspar Brinlen, die sich nach wie vor als alleinige gesetzliche Verwalter sehen und heftig opponieren. In der Versammlung werden sie und ihre Nachkommen kurzerhand des Burgerrechts von Brig verlustig erklärt. »Dies geschah aus mannigfachen Gründen, besonders aber weil die beiden aus lauter Eigennutz und unverschämter Weise sich dem Gemeinnutz widersetzten und versucht hatten, durch freche Lügen die erlauchten Herren Landsleute zu gewinnen, den Vertrag zu vernichten und sich des Eisenbergwerkes zu bemächtigen«, notiert Stockalper.55

Er wirft sich nun mit Verve in die Aufgabe als Montanunternehmer. Der Betrieb wird innerhalb der nächsten drei Jahre reorganisiert. Aber rentabel wird er nicht, sodass Stockalper allerhand Finanz- und Spesenakrobatik anwendet, um den Pachtzins leisten und die Schulden abtragen zu können.56 Grosse Sorgen plagen ihn mit seiner ersten Risikoinvestition. Eine horrende Summe von insgesamt 12000 Pfund bezahlt er der Burgerschaft in vier Jahren. Und er weiss, dass ihm niemand auch nur einen Batzen Entschädigung leisten würde, »wan ich schon mein ganz arm Müetlein dorin verschmelzte«.57 Doch dann kommt ihm höhere Gewalt zu Hilfe. Vom 10. bis 13. September 1640 sucht eine Überschwemmung das Wallis heim, »wie sie die Älteren in hundert Jahren nicht gesehen haben«.58 Das Hochwasser zerstört fast alle Brücken am Rhonelauf und verwüstet am Zusammenfluss des Ganter-, Tafer- und Nesselbachs auch die Produktionsanlagen des Bergwerks im Grund, vernichtet einen Teil der Kohle- und sämtliche Holzvorräte. Stockalper schätzt den Schaden allein bei sich auf 10000 Silberkronen.

Jetzt sieht er die Chance, das Geschäft finanziell und organisatorisch neu auszurichten und politisch abzusichern. Er fackelt nicht lange und kauft innert Wochenfrist den Burgern die gesamte überschuldete und stark beschädigte Eisenverhüttung für wenig Geld ab. »Im Jahre des Herrn 1640 den 22. Oktober »hab ich das Bergwerck von den Hern Burgeren, als Sex- und Zwelfern, auch Sekelmeistren [die Sechser sind der Gemeinderat und die Zwölfer die Vertreter des Zenden] kaufft gänzlich, wie es im Grundt ist an ligendt und farendem Gutt, alles und iedes, nix ausbeschlossen, fir mich und meine Erben um 1500 lib [Pfund] omnibus computatis [alles mitgezählt] laut dem Accord, so bey der Syz[ung] verschriben und versiglet, an welchen mit Erlegung von 1200 lib in 12 Jaren wür einander um alles Verloffenen solemnissime quittiren.«59 Die Burgerschaft ist froh, das ewige Sorgenkind los zu sein und in Stockalpers Händen zu wissen, gewährt günstige Landpreise für den Bau neuer Verhüttungsanlagen, vorteilhafte Holzschlagrechte und Bewilligungen für das Flössen des Holzes auf der Rhone. Zudem verspricht die Burgerschaft, »ihme alle migliche Hilff, Rhaat unndt Beystandt, nit allein mit Wortt, sondern mit der That«.60 Stockalper, Retter in der Not, ist zufrieden mit dem günstigen Kauf, mit dem er nun Bergwerksbesitzer und Montanunternehmer geworden ist und dem gefrässigen Konkurrenten Mageran »das Maul beschoben«61 hat.

Er hat aber auch erkannt, was das eigentliche Problem des Eisenwerks im Grund ist. Die Rationalisierung des Betriebs ist das eine, das andere jedoch sind die fixierten Verkaufspreise für das Eisen: Im Landrat schildert er kurz nach der Übernahme die betriebliche Situation des stark beschädigten, darniederliegenden Werks und verlangt die Erhöhung der Absatzpreise. Sonst werde das Unternehmen scheitern und das Land des Eisens verlustig gehen, denn wegen des Krieges werde kaum genug Eisen importiert werden können. Der Landrat hat ein Einsehen und stimmt einer Verdoppelung des Eisenpreises von einem auf zwei Batzen je Pfund zu. Nun wirft sich Stockalper mit aller Kraft in die Arbeit. Er befasst sich mit sämtlichen Einzelheiten des Betriebs, verbringt Tage auf den Baustellen, prüft die Eignung der Werkzeuge, begeht mit den Holzmeistern die Wälder, lässt bessere Wege zum Schmelzofen anlegen. Wieder aufgebaut mit neuen Wasserrädern, Blasebälgen, einem besseren Ofen, optimierten Betriebsabläufen und effizienterem Kohleverbrauch, ist das Werk bald rentabel und eine Stütze von Stockalpers wachsendem Montanunternehmen. Wie Mageran gewinnt er Gefallen am Bergbau. Noch im gleichen Jahr kommt eine Beteiligung an einem Bleibergwerk in Bell im Aletschgebiet hinzu, später wird er Teilhaber und nach und nach Alleinbesitzer an den Bleibergwerken in Mörel, in Goppenstein am Eingang zum Lötschental sowie an einer Kupfermine bei Evolène im Val d’Hérens und an der Goldmine in Zwischbergen.

Mit dem Eisenbergwerk in Gantergrund hat sich Stockalper nicht nur vom Transportunternehmer und Handelsmann zum Industriellen erweitert. Der schrittweise Übernahmeprozess hat ihn auch erstmals direkt mit der Politik in Kontakt gebracht. Bei den Entscheidungsträgern hat er sich offenbar als geschickter, durchsetzungsstarker Verhandler erwiesen und Vertrauen gewonnen. Das ebnet ihm den Weg für seine eigene politische Laufbahn. Er wird nun in rascher Folge in politische Ämter gewählt, zuerst in lokale, dann regionale und schliesslich in solche auf Landesebene. Mit jeder neuen politischen Tätigkeit stärkt er sukzessive seine Hausmacht. Eingedenk der Bedeutung listet er die Etappen auf, unter der nicht gerade bescheidenen Überschrift »Annotationes futuri saeculi necessarissimae« – »für künftige Jahrhunderte äusserst nützliche Anmerkungen«.62 So wird er zwischen 1636 und 1638 Säckelmeister der Burgerschaft Brig und Gemeindeabgeordneter im »Rat der Sechser«, 1637 Kastlan des Freigerichts von Wayra (Zwischbergen) und Fraxinodi (Alpjen bei Gondo) und wie viele aus seiner Sippschaft vor ihm Meier von Ganter.63 Und schliesslich wird er am 18. November 1638 auf Vorschlag der Gemeinde Mund zum Richter und wie einst sein Vater zum Grosskastlan des Zenden Brig gewählt. Die Wahl sei »unanimi voto et applausu« erfolgt, vermerkt Stockalper und vergisst nicht zu erwähnen, dass er erst 29 ½ Jahre alt ist, als ihm diese Ehre zuteil wird.64

Der Grosskastlan ist das wichtigste Amt im Zenden. Er beruft den Zendenrat ein und setzt dessen Beschlüsse um. Er steht der Verwaltung vor, führt die Kasse, verteilt die Pensionen aus dem Soldbündnis mit Frankreich, verwahrt die »insignia desenalia«, die Waage, das Zendensiegel und das Zendenschwert, das Stockalper nun an feierlichen Anlässen als Hoheitszeichen für die Unabhängigkeit des Zenden vom Fürstbischof trägt. Hauptamtlich ist er Zendenrichter, der die Gerichtsbarkeit verantwortet und erstinstanzlich Urteile fällt. Darüber hinaus vertritt der Grosskastlan nach aussen die Interessen des Zenden, pflegt Kontakte, führt die Korrespondenz und Verhandlungen, schliesst Abkommen mit andern Zenden und fremden Orten. Er beruft auch die Boten des Zenden zum Landrat in Sitten, an dem er meist selbst teilnimmt und damit auch auf Landesebene Einfluss und Respekt gewinnt.65

Damit bringt sich Kaspar Stockalper geografisch entlang der Simplonroute in Stellung und dehnt seinen Einfluss sowie seine Hausmacht rasch vom Lokalen ins Regionale aus. Das Kastlanat Zwischbergen-Gondo an der Landesgrenze auf der Südseite des Simplons, wo er schon drei Jahre zuvor vorausschauend sein Burgerrecht hat erneuern lassen, ist für ihn von besonderer Bedeutung, denn als Kastlan ist er auch dort Richter und hat in allen politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten das bestimmende Wort. Schon nach einem Jahr ist er so gefestigt, dass er das Amt abgeben, seinen Bruder Anton Stockalper als Nachfolger installieren und sich Brig zuwenden kann. Gewählt als Grosskastlan des Zenden Brig, steht er auch diesseits des Simplonpasses in der Schlüsselposition als Chef der Zendenregierung, der Legislative und der Judikative. Schon in dieser ersten Phase seines politischen Aufstiegs ist im Keimstadium erkennbar, was Stockalpers Erfolg in den kommenden Jahrzehnten wesentlich ausmachen wird: Es ist diese systematisch angestrebte und fortlaufend realisierte engste Verzahnung von wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten, die sich gegenseitig bedingen und verstärken. Mit Stockalpers Wirtschaftskraft wächst sein politischer Einfluss, und seine politische Macht potenziert seinen wirtschaftlichen Erfolg.

Stockalpers Einstieg ins Bergbaugeschäft und in die Politik wird von einem traurigen Ereignis überschattet. Mitte März 1638 zwingt ein starkes Fieber seine junge Frau Magdalena Zum Brunnen ins Bett. Tagelang harrt Stockalper am Krankenlager aus. Dann schwindet die Hoffnung, die junge Mutter erhält die Sterbesakramente. Wie eine weisse, marmorne Madonna hält Stockalper sie in den Armen, als sie das apostolische Glaubensbekenntnis betet und ihren letzten Atemzug tut. »Am Mittwoch, den 28. März, um Mittag starb zu unser aller größten Trauer meine inniggeliebte Gattin Magdalena Zum Brunnen am 14. Tage ihrer Krankheit, nachdem sie von heftigem Fieber und Irrwahn befallen wurde und mit der hl. Eucharistie und letzten Ölung versehen worden war; sie zählte 18 Jahre und 8 Monate. Wie der sterbende Schwan sang sie vor ihrem Hinscheid mit heller Stimme die Worte ›die Lebenden wie die Toten‹ und gab in meinen und anderer Arme friedlich ihre Seele Gott zurück, während ihr Leichnam eine schimmernd weiße Gestalt annahm. – Nach zwei Tagen wurde sie unter großer Anteilnahme – da bereits das dritte Grab ihr die Aufnahme verweigerte – durch Zulassung Gottes endlich in jener prächtigen St. Anna-Kapelle zu Glis bestattet. Dies geschah ohne Zweifel, damit ich dieses nicht dotierten Altares eingedenk sei, und wenn Gott mir das Leben verlängert, ich ein Wohltäter dieser Kapelle werde. Gott sei ihr und mir gnädig«, notiert Kaspar Stockalper in einem der wenigen Einträge in seinen Geschäftsbüchern, in denen Gefühle zum Vorschein kommen.66

Ihren Tod behandelt er allerdings wie jedes andere Geschäft, ein frühes Zeichen für seine vollkommen emotionslose, rationalistische Beziehung zum Geld. So zieht er vom eingebrachten Frauengut, das seiner anderthalbjährigen Tochter Anna und bei deren Tod der Erbengemeinschaft Zum Brunnen zusteht, die Kosten für die Bestattung Magdalenas, für deren testamentarische Vergabungen und weitere Auslagen ab, sodass sich die Schuld gegenüber der Erbengemeinschaft reduziert. Die Güter veräussert er treuhänderisch für Töchterchen Anna, wobei er sich eine Provision zugesteht. Mit dem zinslosen Geld wirtschaftet er weiter wie mit dem eigenen.67

Lange trauert Stockalper nicht um seine innig geliebte Magdalena, nur wenige Wochen später ist er erneut auf Brautschau, denn die Nachfolge, insbesondere die männliche, soll gesichert werden. Wieder zieht er das Rhonetal hinauf, diesmal nach Münster. Sein Auge hat er auf eine junge Frau aus gutem Haus geworfen: Cäcilia von Riedmatten, Tochter einer angesehenen und wohlhabenden Familie, aus deren Reihen schon viele grosse Persönlichkeiten hervorgegangen sind – Offiziere, Richter, Landvögte, Landeshauptmänner, Bischöfe. Am 5. Mai wird Verlobung gefeiert, kaum zwei Monate nach dem Tod der ersten Frau schliessen Kaspar und Cäcilia den Bund der Ehe. »Am 20. Mai, am Dreifaltigkeitssonntag, feierte ich meine zweite Hochzeit mit der bescheidenen Cäcilia, der einzigen Tochter des hervorragenden und seligen Hauptmanns Peter v. Riedmatten, Bannerherrn des Zenden Goms und Landvogtes von Monthey, und der Cäcilia Im Ahoren. Ihr Vater war der Neffe des Bischofs Adrian und der Kleinneffe des Bischofs Hildebrand. Zu Glis hat Herr Adrian v. Riedmatten, Pfarrer von St. Leonhard, die Ehe eingesegnet in Gegenwart von sehr zahlreichen Verwandten sowohl von Sitten als von Goms und von Burgern von Brig; es waren mehr als 250 Personen. Ich war 28 ½, meine Frau 18 ½ Jahre alt.«68

Die Heirat mit Cäcilia von Riedmatten bedeutet für Stockalper in mehrerer Hinsicht grosses Glück. Sie bringt im Verlauf der nächsten Jahre dreizehn Kinder zur Welt. Obwohl neun von ihnen bereits im Kindesalter sterben und die Eltern auch die andern vier Nachkommen überleben werden, ist der Fortbestand des Geschlechts Stockalper mit einem überlebenden Enkel letztlich gesichert. Ausser ihre Gebährfähigkeit schätzt Stockalper noch andere Qualitäten an seiner Gattin. »Permodesta«, also züchtig und bescheiden, nennt er sie, und offenbar ist sie auch sehr geschäftstüchtig. Energisch führt Cäcilia den stetig grösser werdenden Hausstand, übernimmt bei den häufigen Auslandsabwesenheiten des Hausherrn die Leitung des ganzen Betriebs, die Verwaltung der Landgüter, die Führung der Handelssekretäre und Bergwerksleiter und berichtet über die sich stetig verzweigenden und unübersichtlichen geschäftlichen Dinge an ihren Gemahl.

Unmittelbar bedeutet die Heirat für Kaspar Stockalper zweierlei: Die Verbindung mit der Familie von Riedmatten mit ihrer langen Ahnenreihe von Bischöfen und Amtsträgern ist für Stockalper der definitive Schritt in die politische Führungsschicht des Wallis und erleichtert ihm, wie sich bald zeigen wird, den Zugang zu wichtigen Ämtern auf Landesebene. Wirtschaftlich ist Cäcilia wohl eine noch weit bessere Partie als seine erste Ehefrau Magdalena. Wie viel Frauengut Cäcilia in die Ehe einbringt, lässt sich aufgrund der Dokumente in Stockalpers Nachlass nicht eruieren, aber es dürfte erheblich gewesen sein.69

Zu Beginn seiner Karriere als Geschäftsmann und Politiker verfügt Stockalper somit über eine nicht allzu breite, aber solide Ausbildung, über die für die Handelstätigkeit mit unterschiedlichen Partnern und in wechselnden Rechtsordnungen höchst wertvollen Fremdsprachen, über ein geschäftliches Informationsnetz, über politische Beziehungen, vor allem aber über ein ansehnliches Startkapital. Zur Verfügung steht ihm von Anfang an der Ertrag aus seinem Anteil am väterlichen Erbe mit dem alten Stammsitz und weiteren Gütern und einiges an Wertgegenständen, wie das »Verzeichnus meines Silbergschirs« belegt.70 Hinzu kommen die Mitgift von Magdalena Zum Brunnen, die Mitgift von Cäcilia von Riedmatten sowie die Einkünfte aus dem anziehenden Transitgeschäft und bald auch aus der Eisenverhüttung. 1639 kommt es zu einer Übereinkunft, in der die vier Brüder Kaspar, Michael, Johann und Anton sowie das »Joderli«, Sohn des 1630 verstorbenen Bruders Crispin, das väterliche Vermögen per interim bis zum Tod der Mutter teilen. Ein Fünftel des väterlichen Erbanteils soll Kaspar zufallen, das »Joderli« will er »mit seiner Substanz zu handen« aufnehmen, sodass er mit dessen Anteil auf eigene Rechnung und gegen Entrichtung eines jährlichen Zinses wirtschaften kann.71 1640 stirbt Bruder Michael und Anfang 1642 Mutter Anna Im Hoff, auch deren Erbanteile werden in der Familie aufgeteilt. Insgesamt dürfte Kaspar Stockalpers Startkapital zu Beginn seiner Laufbahn einige 10000 Pfund oder gegen 1000 Kühe betragen haben.72 Auch wenn diese Mittel zum grossen Teil nicht liquid sind, kann er sie durch Schuldverschreibungen mühelos zu Spielgeld machen. Das braucht er jetzt. Denn wenige Tage vor seiner Hochzeit mit Cäcilia von Riedmatten ist etwas geschehen, das die Politik des Wallis grundlegend verändert und Kaspar Stockalper unverhofft politische und geschäftliche Möglichkeiten eröffnet.

Der Günstling

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