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»Annus prosperrimus«

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Im Frühling 1638 stirbt der von Krankheit und Alter gezeichnete Grossunternehmer und Landeshauptmann Michael Mageran, der die Wirtschaft und die Politik des Wallis zwei Jahrzehnte dominiert hat. Jetzt ist der Weg frei für Stockalper. Er vermerkt das Ableben seines Konkurrenten in seinen »für künftige Jahrhunderte äusserst nützlichen Anmerkungen« mit drei dünnen Zeilen und kaum verhohlener Schadenfreude. »Anno 1638, die ~ may, obyt illustrissimus dominus ballivus Michael Mageran, multorum votis paucorum moerore.« – »Im Jahr 1638, am ~ Mai, starb der erlauchteste Herr Landeshauptmann Michael Mageran, auf den Wunsch vieler, zur Trauer weniger.«73

Nachdem also Mageran auf vielseitigen Wunsch das Zeitliche gesegnet hat, bricht die Ära Kaspar Stockalper an, in der sich dieser voll entfalten wird. Das Jahr 1639 ist für ihn das Jahr des Durchbruchs, wirtschaftlich wie politisch. Er wird es sein »annus prosperrimus«74 nennen, sein höchst vorteilhaftes, äusserst günstiges Jahr. Offenbar herrscht nun nicht mehr nur in seinem Zenden Brig, sondern auch auf Landesebene die Ansicht vor, er sei der kommende Mann. Gleich reihenweise werden ihm Privilegien zugehalten, Aufgaben anvertraut und Ämter übertragen, die ihn überall in Schlüsselpositionen bringen, sein Ansehen mehren und seine Geschäfte beflügeln.

In der Junisession bittet ihn der Landrat, das Transitmonopol im Wallis zu übernehmen, das Mageran innehatte, das aber seit mehreren Jahren brachliegt. Formal ist es die alleinige Befugnis, die Transitgebühren für Fuhren durch das Wallis einzuziehen. Dabei stellt der Landrat ihm frei, jährlich hundert Silberkronen pauschal an den Staatssäckel abzuliefern oder zwei Drittel der eingezogen Trattengebühren zu übergeben.75 In kühler Kalkulation wählt Stockalper in einem Vertrag über zwölf Jahre nicht die fixe Summe, sondern die mengenabhängige Variante, denn »in Anschaw, dass wan sich ein gutter Generalfriden (den uns Gott gnädig verliche) under den Potentaten tractirt, wurden die Kaufmannswharen in geringer Zahl hiedruch passieren«.76 So begrenzt er sein Risiko, falls der Krieg in Europa endet und die kriegsbedingte Konjunktur am Simplon zurückgeht. Der Dreissigjährige Krieg will jedoch nicht so bald enden, und damit auch nicht Stockalpers Profit an dieser Situation. Im ersten Jahr liefert er etwa hundert Kronen ab und fordert von seinen Geschäftspartnern auch rückwirkend die Trattengelder für die Zeit des Interregnums ein, später überantwortet er dem Staatssäckel bis zu 400 Kronen. Das Geschäft läuft, von einigen Baissen abgesehen, blendend. Von 1638 bis 1645 transportiert Stockalper rund 4100 Ballen, im Jahresdurchschnitt also gut 500 Ballen oder 33 Tonnen Ware, von Italien nach Frankreich. Umgekehrt von Frankreich nach Italien sind es insgesamt 8200 Ballen und damit im Schnitt 1000 Ballen pro Jahr. Allein im ersten Jahrzehnt, so ist errechnet worden, bringt ihm sein Speditionsgeschäft nach Abzug der Monopolabgabe Einnahmen von mindestens einer Million Franken nach heutiger Kaufkraft ein.77

Vor allem aber versetzt das Transitmonopol Stockalper in die Lage, die Verkehrsinfrastruktur von Gondo über den Simplon durchs Wallis bis an den Genfersee unter seine Kontrolle zu bringen, nach seinen Bedürfnissen auszubauen und den gesamten Verkehr für seine Zwecke zu reorganisieren. Mit dem Ziel, dass der Warenstrom kontinuierlich und reibungslos fliesst und Zölle, Weggelder und weitere Gebühren in seine Kassen spült, startet er, oft auf eigene Rechnung, ein umfassendes Bauprogramm. Die über gut 30 Kilometer und 1300 Höhenmeter führenden, noch aus der Römerzeit stammenden Pfade zwischen Brig und Gondo lässt er in den nächsten Jahren auf 2,5 Meter verbreitern, sodass Saumtiere kreuzen können, verlegt sie zum Teil auf sichereres und weniger steiles Gelände und lässt sie mit Steinplatten und Trittsteinen versehen. Zudem lässt er Brücken, Trassen, Stützmauern, Befestigungen und Wasserableitungen bauen, übernimmt und errichtet Zollstationen, Magazine, Warenlager, Susten, Gasthäuser und Schutzbauten. Für die Abwicklung des Verkehrs verpflichtet er Säumer, Fuhrleute, Lagerhalter, örtliche Faktoristen und Verwalter. Er verschafft sich die Sust- und Beförderungsrechte, vereinnahmt bestehende Transportgenossenschaften entlang der Route, verhandelt Tarifordnungen und Transportreglemente.

Die Ballengeteilschaften, zunftartig organisierte Säumereigenossenschaften von Brig und Simplon, die bisher den Transport auf den Wegstücken von Brig bis zur Passhöhe und von dort bis Varzo bestritten, stellen sich sukzessive in seinen Dienst. Jene von Simplon schliessen 1651 einen Vertrag mit ihm, jene von Brig erhalten zuerst eine neue Ordnung aufgedrängt und übergeben ihm schliesslich 1669 nach zähen Verhandlungen alle Rechte, »so sie hent auf der Susten und deren Lauben, das ich daruf ken bawen nach meinem Belieben, allein den Pas, im Fall der Not, auf die Susten, Lauben, so doch mein ist«.78 Bis zu 200 Ballenführer beschäftigt er zu dieser Zeit. Ausgehend von seinem Transportmonopol kreiert er so ein integriertes, leistungsfähiges Verkehrssystem im Transitkorridor der Rhone, das zum Rückgrat seines Imperiums werden wird.79

Bei der Vergabe des Transportmonopols nutzt Stockalper die Gunst der Stunde, um sich möglichst auch alle andern staatlichen Monopole zu verschaffen. Das erste, das er sich 1639 sichert, ist das Schneckenmonopol. Das ist keineswegs kurios, sondern ein gutes Geschäft nach dem Motto: Kleinvieh macht auch Mist. Schnecken gelten nicht als Fleisch und sind deshalb in Fastenzeiten ein beliebtes Nahrungsmittel und besonders in Frankreich generell als Delikatesse geschätzt. Zudem verschliessen sie sich selbst und sind damit haltbar und transportfähig. Stockalper betrieb das Schneckengewerbe schon einige Zeit, nachdem es vorher anderen Pächtern vorbehalten war. Gegen eine jährliche Abgabe von 27 Kronen für zwölf Jahre lässt er sich nun das alleinige Recht verschreiben, im Wallis Schnecken aufzukaufen und zu exportieren.80 Jeweils von Herbst bis Januar kauft er den Bauern jedes Quantum »gedeckelter Schneggen« ab, 3000 Stück für etwa 70 Batzen.

Vier Jahre später übernimmt Stockalper weitere lukrative Monopole des Landes aus dem Portfolio der Mageran-Erben, nämlich jenes für den Handel mit Lärchenharz und Lärchenschwamm. Lärchenharz, auch »Lertschinen« genannt, dient vor allem als Lösungsmittel, der »Agaric« genannte Lärchenschwamm wird als Arzneimittel und Zunder verwendet. Mit den Monopolvergaben beabsichtigt der Landrat, am Fiskus vorbeiziehende Exporte zu unterbinden, damit die Einnahmen den Landleuten und die Abgaben der Staatskasse zugute kommen. Waren diese Monopole für Lärchenharz und Lärcheschwamm vorher mit dem Salzmonopol verknüpft und wie das Transitmonopol in den Händen von Mageran, so überträgt sie der Landrat 1643 für zehn Jahre gegen eine Gebühr von jährlich fünfzig Silberkronen an Stockalper.81 Damit hat der junge Multiunternehmer die Magerani-Familie fünf Jahre nach dem Tod des allmächtigen Handelsherrn im Montangeschäft in die zweite Reihe verwiesen und sie sowohl aus dem Transit- und Handelsgeschäft als auch aus der Monopolwirtschaft weitgehend verdrängt – bis auf den Salzhandel, wo die Magerani noch bis 1647 das Monopol halten.

Politisch kommt Stockalper in seinem »annus prosperrimus« in unheimlichem Tempo und ebensolcher Leichtigkeit in wichtige Positionen.82 Offenbar trauen seine Landsleute dem sprachgewandten, weitgereisten, geschäftlich und politisch gewieften Mann aus Brig nun alles zu. Nur wenige Monate im Amt des Grosskastlans von Brig und erstmals als Abgeordneter im Landrat, wird er mit einer heiklen Mission betraut: »Am 5. März wurde ich zu Leuk auf dem Landrat durch die erlauchten Herren Landeshauptmann und Abgeordnete aller 7 Zenden nach Solothurn zu Seiner Excellenz dem Ambassador Meliand gesandt, um namens des Landes Wallis über die strittigen Punkte wegen der Kriegszüge und der gewohnten Pensionen zu verhandeln.«83

Frankreich hatte mit dem Wallis Verträge zur Rekrutierung mehrerer Söldnerkompanien und zahlte dafür Staatspensionen und Jahrgelder. Diese wurden an die Zenden und Gemeinden sowie an frankreichfreundliche Persönlichkeiten verteilt und machten einen beträchtlichen Teil der öffentlichen Einnahmen und auch der Einkünfte der beteiligten Oberschicht aus. Doch Frankreich war mit der Auszahlung der Pensionen seit geraumer Zeit in Verzug. Zudem wollte das Wallis schon länger nicht mehr nur Freikompanien nach Frankreich schicken, sondern einen geschlossenen Verband unter Walliser Kommando. Darüber soll Stockalper in Solothurn mit dem französischen Ambassador Blaise Méliand verhandeln und bei ihm ein »Frid- und Jhargeld« für die Landschaft locker machen. Er tut dies erfolgreich. Am 20. April kehrt er zurück mit 12838 französischen Pfund und »darüber hinaus beladen mit grenzenlosen Ehren und Versprechungen«.84

Dass Stockalper bei derlei Missionen nicht nur die Interessen des Wallis im Auge hat, sondern auch die eigenen, wird sich bald zeigen. Die Kontakte zum Ambassador in Solothurn und der Vertrauenskredit, den er sich mit seiner ersten Mission erwirbt, ermöglichen ihm wenig später selbst den Einstieg ins Söldnergeschäft und damit den Aufbau eines weiteren, profitablen Geschäftszweigs. Zudem gewinnt Stockalper im Wallis schon mit der ersten Mission Einfluss auf die Verteilung der Pensionen, die an die Zenden und in die Taschen einiger weniger Notablen fliessen.85 Darüber hinaus empfiehlt er sich für militärische Chargen. Am 4. Juni 1639, nach der Rückkehr von seiner ersten Mission, wird er in seinem Zenden Brig zum Zendenhauptmann gewählt, nach dem Bannerherrn der zweithöchste Offizier des Zenden und Kommandant über die waffenfähige Mannschaft von Brig. Bannerherr wird sein Freund Georg Michlig-Supersaxo (1601–1676) von Naters.86

Die Kriegsangst ist unvermindert gross in dieser Zeit. Der Dreissigjährige Krieg steht inzwischen in seinem 21. Jahr, und ständig bleibt das Alpengebiet mit seinen strategisch wichtigen Pässen im Fokus der Krieg führenden Mächte. Die Eidgenossenschaft ist innerlich gespalten in protestantische und katholische Orte, aussenpolitisch handlungsunfähig und verfügt nicht einmal über eine zentrale Militärorganisation zum Schutz des Territoriums. Gezwungenermassen praktizierte die Eidgenossenschaft mitten im europäischen Ringen – bisher mit durchzogenem Erfolg – die »Kunst des Stillesitzens«.87 Als sich 1629 die Kämpfe um die Bündner Pässe verschärften, der Kaiser die Öffnung der Gebirgswege forderte und sein Oberbefehlshaber Albrecht von Wallenstein seine Armee am Bodensee konzentrierte, raffte sich die Tagsatzung erstmals zur einhelligen Zurückweisung eines Truppendurchzugs auf, »da es […] zur Erhaltung des freien Standes kein köstlicheres Kleinod gibt, als die Pässe in der Gewalt zu haben«.88 Gleichwohl wurden danach fallweise Durchzüge fremder Heere gewährt, auch weil man militärisch kaum in der Lage gewesen wäre, sie zu verhindern. Aber es kam auch zu mutwilligen, groben Grenzverletzungen, wie im September 1633, als der schwedische General Gustav Karlsson Horn mit 6000 Mann durch Stein am Rhein und den Thurgau marschierte, um das kaisertreue Konstanz zu belagern. Dieser Vorfall riss die reformierten und katholischen Orte um ein Haar in einen Bruderkrieg, führte jedoch letztlich zu einem Umdenken. Es setzte sich die Einsicht durch, dass die Eidgenossenschaft mit ihren bei allen Seiten begehrten Pässen nur zu schützen sei, wenn sie sich gegenüber den Kriegsparteien neutral verhalte und sich gemeinsam verteidige. An der Tagsatzung im Mai 1637 beschlossen die Abgeordneten deshalb, »die Pässe wohl verschlossen zu halten« und jedem Ort, der von fremdem Volk angegriffen werde, »mit Leib und Gut und ganzem Vermögen bei[zu]springen, wie solches redlichen Eidgenossen gebührt«.89

Diese Absichtserklärung wurde schon bald auf die Probe gestellt, als Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar, der mit seinen Truppen im Bistum Basel einquartiert war, Ende Januar 1638 überraschend mit 6000 Soldaten durch baslerisches Gebiet ins österreichische Fricktal hineinstiess und Waldshut, Laufenburg, Säckingen und Rheinfelden an sich brachte. Im Februar bekräftigten Reformierte und Katholiken an der Tagsatzung einhellig, ihre Festungen und Truppen zu verstärken und »niemanden den Pass durch die eidgenössischen Lande zu gestatten und jeden allen Ernstes davon abzuhalten«.90 Die Sammlung fremder Kriegstruppen am Oberrhein, die das Fürstbistum Basel mit der Besetzung Delsbergs durch die Schweden stark in Mitleidenschaft zog, und insbesondere die Eroberung der Festung Breisach im Dezember 1638 durch Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar beunruhigten die Eidgenossen stark. Im Januar 1639 rückten sie enger zusammen. Die Konferenz der katholischen Orte in Luzern zeigte sich entschlossen, »des Vaterlandes Conservation wohl wahrzunehmen«, und bekräftigte die Erwartung, dass die reformierten Orte ihrerseits bereit seien, »jeden Durchpass durch die Eidgenossenschaft abzuwehren«.91 Die anschliessende gemeineidgenössische Tagsatzung in Solothurn rief zur Wachsamkeit auf und zur Sicherung der Pässe durch Wachposten, »damit nicht durch plötzlichen Einbruch dem Vaterland Schaden zugefügt werde, da nämlich bei den gegenwärtigen Läufen niemand zu trauen sei«.92

Auch im Zugewandten Ort Wallis steigen die Befürchtungen, dass die Auseinandersetzungen übergreifen könnten, da »die Umständ disser ietzigen betriebten Zeit und gefährlicher Kriegsleuffen da dann ein L.[öbliche] Eidgnossschafft wie auch unsser geliebtes Vaterlandt mit schweren Armaden umbgeben« sind.93 Hinzu kommt, dass im Herzogtum Savoyen vor den Toren des Wallis ein bewaffneter Erbfolgezwist im Gange ist, der auch auf das Wallis ausstrahlen könnte. So sieht sich der Landrat im Februar 1639 genötigt, sein Wehrwesen zu reorganisieren und die Wehrbereitschaft des Landes sicherzustellen.94 Vielerorts sind Musterung, Ausbildung und Ausrüstung vernachlässigt worden. Die Zenden werden nun aufgerufen, in den Mannschaftsrodeln die Namen der Männer des ersten und zweiten Auszugs zu erfassen und die durch Wegzug in fremde Dienste oder durch Todesfälle entstandenen Lücken zu füllen. Es wird untersagt, sich ohne Bewilligung der Obrigkeit in fremde Dienste zu begeben, Männer ab ihrem 24. Lebensjahr sollen mit Gewehren und Munition versehen werden und jederzeit einsatzbereit sein. Ausfuhren von Lebensmitteln und Blei werden verboten und die Zenden aufgefordert, Vorräte anzulegen. Ende Mai 1639 ruft der Landeshauptmann Johann von Roten zur Wachsamkeit auf und bittet die Zenden, Erkundigungen einzuziehen und Späher an die einschlägigen Orte zu schicken. Da man »nicht wissen möge auff welches Intent der frembden Fürsten und Potentaten Sinn unnd Meinung dirigiert und hangen thut«,95 legt von Roten am Juni-Landrat in Sitten besonderen Wert auf die Anwesenheit von Kaspar Stockalper. Dieser verfügt über ein dichtes Beziehungs- und Informationsnetz im In- und Ausland und kann Auskünfte und Einschätzungen geben über die schnellen Veränderungen in den Konfliktherden Europas.

Im Juli bestellt der Landrat einen neuen Kriegsrat, den der Oberbefehlshaber der Walliser Truppen einberufen und den auch der Landeshauptmann zu Rate ziehen kann. Der meist mit den Bannerherrn und den Zendenhauptmännern bestückte »Kriegsrat« oder »geheime Rat« ist das entscheidende militärische Gremium, eine Art Generalstab, der in allen militärischen Belangen des Landes Ordnung zu schaffen, Vorkehrungen zu treffen und im Notfall rasch bereitzustehen hat, »dass inn dissen alsso gefährlichen und bluotigen Kriegsleüffen die nothwendige Fürsähung geschehe«.96 Stockalper wird am 27. Juli in den diesen Kriegs- beziehungsweise geheimen Rat gewählt. Damit rückt er auch im Militärwesen in eine entscheidende Position, von der aus er sechs Jahre später selbst zum Oberbefehlshaber und Generalstabschef der Walliser Truppen aufsteigen wird.97

Sein Glücksjahr krönt Kaspar Stockalper jedoch mit einer besonderen Mission, die ihn über die Landespolitik hinaus und in die eidgenössische Politik hineinführt. Am 9. September 1639 wird er zusammen mit Hauptmann und Landvogt Peter Allet als Repräsentant der Landschaft Wallis an die Tagsatzung der eidgenössischen Orte nach Baden abgeordnet. Diese Tagsatzung ist auf Antrag von Zürich angesetzt worden, das ausdrücklich auch die Anwesenheit des Zugewandten Ortes Wallis wünscht. Hauptgeschäft ist die Situation in den Drei Bünden und das am 3. September zwischen Spanien und den Drei Bünden geschlossene Übereinkommen. Es ist dies das sogenannte »Mailänder Kapitulat«, ein Friedens- und Allianzvertrag, in dem die Talschaften Veltlin und Bormio an die Drei Bünde zurückgegeben werden, die Spanier dort jedoch ein uneingeschränktes und exklusives Durchgangsrecht für Waren, Zahlungsmittel und Truppen erhalten.98 Zürich protestierte dagegen und kritisierte, »dass die namhaften Pässe fremder Willkür preisgegeben werden«. Für den französischen Ambassador ist es blanker Verrat und ein Vertragsbruch, denn die Konvention widerspreche einem früheren Bündnis mit Frankreich, das mit sämtlichen Orten, den Drei Bünden und dem Wallis 1602 erneuert worden sei. Die Gesandten der Drei Bünde erinnern daran, dass sie »von den Franzosen mit Versprechungen hingehalten und getäuscht worden seien«, und »den Pass habe man Spanien gestattet in ähnlicher Weise, wie er ihm von den löblichen katholischen Orten erlaubt sei«. Überhaupt sei das Friedenstraktat von den Gemeinden »ohne Beschiss und Betrug angenommen worden«, und dabei bleibe es. Der Gesandte des Königs von Spanien, Graf Carlo Casati, beteuert schliesslich, das Mailänder Kapitulat sei der Eidgenossenschaft »durchaus nicht nachtheilig, sondern vermehre vielmehr die Sicherheit ihrer Lande«.

Nach zehntägigem Lavieren und Verhandeln nimmt die Tagsatzung das Spanienbündnis der Drei Bünde schliesslich hin. Stockalper hält dazu fest: »Am 8. September zu Sitten im bischöflichen Schlosse wurde ich mit dem höchst klugen Hauptmann und Landvogt Peter Allet namens dieser Landschaft Wallis auf die Tagsatzung nach Baden abgeordnet. Diese Gesandtschaft haben wir im Laufe von 16 Tagen höchst glücklich vollendet. Gott und der Jungfrau und Mutter Maria sei Lob dafür! Auf dieser Tagsatzung verhandelte man hauptsächlich über das Bündnis der Rhätier mit den Spaniern, den Schutz der burgundischen Grafschaft, das Bistum Basel, die schwedische Armee bei Basel und die bayrische Armee bei Schaffhausen. Diese Geschäfte wurden aufs Tapet gebracht, mit gewohnter schweizerischer Vorsicht in schwerwiegenden Worten entschieden und in Abschied genommen.«99

Mit dieser Mission hat Stockalper nicht nur sein Ansehen und Gewicht als Repräsentant des Wallis gemehrt. Er hat auch weitere wichtige Kontakte gewonnen, wie jene in Zukunft bedeutende zum spanischen Gesandten Carlo Casati. Zudem erhält er nun leichteren Zugang zu Informationen, die ihm als Herrn über den Simplonpass wertvoll sein werden. Ein Informationsvorsprung über die Lage in der Eidgenossenschaft und in den Machtzentren an ihren Grenzen, über die Veränderungen der Passpolitik an den östlichen und zentralen Alpentransitwegen, über die gefestigte Position von Spanien-Mailand in Oberitalien, über die Verschiebung der strategischen Bedeutung der savoyischen Alpenübergänge und über die Pläne in der Freigrafschaft Burgund – all das ist in seinen Händen Gold wert.

So kann er das ausserordentliche Jahr in seinen Annalen als »annus prosperrimus« festhalten: »Es ist mir dieses Jahr 1639, das 30. meines Alters, durch Gottes Gnade höchst vorteilhaft geworden; nämlich unverdient stand ich dem Amte eines Zendenrichters glücklich vor; die Gesandtschaft nach Solothurn habe ich allein über alle Erwartung glücklich vollendet; ich wurde namens unseres Zenden in den geheimen Rat des Landes, den man Kriegsrat nennt, aufgenommen; ich wurde Zendenhauptmann, und endlich habe ich mit dem erlauchten Herrn Hauptmann Peter Allet die Tagsatzung der Eidgenossen und Verbündeten glücklich vollendet.«100

Der Günstling

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