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»Ich habe begonnen, mich in Brigs Politik einzumischen«

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Ein leichtes Frösteln rieselt über seinen Nacken, als er vom bernischen Waadtland herkommend die steinerne Bogenbrücke über die Rhone im Engnis bei Saint-Maurice überquert. Der Winter kündigt sich früh an in diesem Spätherbst 1628, von den Höhen herunter zieht ein rauer Wind durch das Tal. Bei der Festung am Schattenhang mustert ihn ein mürrischer Wächter und gibt mit einem knappen Kopfnicken den Weg frei.6 Der stattliche Jüngling mit dem dichten schwarzen Haar, dem markanten Gesicht und der hohen Gestalt zieht den langen Reitermantel enger, spannt die Muskeln und gibt dem Pferd die Sporen. Er hat noch einen weiten Weg vor sich, als er nach der Brücke auf die Reichsstrasse ins Walliser Kernland einbiegt – das Rhonetal hinauf, vorbei an Sitten mit seinen mächtigen Stadtmauern, wo im Schloss Majoria der Fürstbischof residiert, dann durch den düsteren Pfynwald nach Siders und rasch vorbei an Leuk, diesem Nest der Bosheit und Hinterlist, hinauf nach Turtmann, Raron, Visp, bis in sein Heimatstädtchen Brig am Fuss des Simplonpasses. Vor gut einem Jahr hat Kaspar Stockalper7 das Wallis verlassen, um fernab von den politischen Wirren an der Jesuitenakademie zu Freiburg im Breisgau zu studieren. Wie ihn seine Heimat jetzt empfangen wird, weiss er nicht. Eine Zeit lang hat der Jüngling mit sich gerungen. Doch jetzt steht sein Entschluss fest. Er wird nicht in den Jesuitenorden eintreten, wie Familienmitglieder befürchten. Er will in die Politik. »Anno 1629 incepi me rebus publicis immiscere Brygae« – »1629 habe ich begonnen, mich in Brigs Politik einzumischen« – wird er Jahre später in einer Rückschau auf diese Zeit des Umbruchs schreiben.8 Kaspar Stockalper, erst zwanzig Jahre alt, hat damit eine Entscheidung getroffen, die weitreichende Folgen haben wird, für ihn selbst und sein Geschlecht, für das Wallis, ja gar für die Geopolitik in diesem Krisenjahrhundert.

Der junge Mann, der da selbstbewusst und zielstrebig die politische Bühne betritt, ist nicht irgendwer. Kaspar Stockalper wurde am 14. Juli 1609 in eine angesehene, wohlhabende Oberwalliser Patrizierfamilie hineingeboren und gehörte damit schon in der Wiege der Elite an. Die Vorfahren hatten die auf 1500 Metern gelegene Stockalpe im Gantertal oberhalb Berisal auf der Nordseite des Simplonpasses bewirtschaftet. Als der Wald dort gerodet wurde, um Weideland zu gewinnen, blieben die Wurzelstöcke stehen – daher der Name und die drei Strünke im Familienwappen. Seit 1366 stellte die Stockalpersippe mehrfach den Meier und damit den führenden Mann im Gerichts- und Verwaltungsbezirk Ganter. Im 15. Jahrhundert siedelte das Geschlecht nach Brig am Fuss des Simplon um, und viele seiner männlichen Vertreter übernahmen Führungsämter im Zenden Brig, einem der sieben kleinen Staatswesen des Wallis.

Auch auf Landesebene tat sich das Stockalpergeschlecht hervor. Besonders erfolgreich war Kaspars Urgrossvater Peter I. Stockalper (ca. 1495–1563). Er zog dreimal als Hauptmann und Kompanieführer für den französischen König in den Krieg, amtete zweimal als Grosskastlan und damit oberster Richter und Präsident des Zenden Brig und regierte als Landeshauptmann zweimal die Landschaft Wallis. Er besass reichlich Grundbesitz in Brig, Glis, Brigerberg, Ganter und Simplon und baute in Brig ein herrschaftliches Haus, seither der Stammsitz der Familie. Ein zweiter bedeutender Mann aus der Sippschaft war Peter Owlig (ca. 1500–1545). Owlig war Grosskastlan und Bannerherr von Brig, hatte 1536 bei der Eroberung der Gebiete um Monthey im Unterwallis sowie des Chablais südlich des Genfersees die Walliser Truppen gegen den Herzog von Savoyen geführt und hielt zwei Jahre lang das Amt des Landeshauptmannes inne. Eine seiner Töchter, Margaretha Owlig, heiratete Crispin Stockalper, den Grossvater Kaspar Stockalpers. So hat die Familie, als der junge Mann auf die Bühne tritt, zwei Walliser Regierungschefs in ihrer Ahnenreihe vorzuweisen.9

Stockalpers Vater Peter II. war ein dem Schöngeistigen zugeneigter »Doctissimus Artium atque Excellentissimus Philosophus«, der als öffentlicher Notar in Brig amtete und im Jahr von Kaspars Geburt Grosskastlan von Brig wurde. Kaspar Stockalpers Mutter Anna Im Hoff entstammte einer alten, begüterten Familie aus Brig, mit Ursprüngen in Zwischbergen jenseits des Simplonpasses und im Lötschental. Peter II. starb früh, 1611, sodass Kaspar vaterlos aufwuchs. Nach der Grundschule in Brig schickte man ihn 1621 ans Jesuitenkollegium von Venthône ob Sitten, das später nach Brig übersiedelte. Nach den üblichen sechs Jahren »Humanoriam« schrieb er sich im Herbst 1627 an der Jesuitenuniversität in Freiburg im Breisgau ein. Dort besuchte er ein gutes Jahr Vorlesungen in »Dialecticis« (Logik), was ihn für den Beruf des Juristen und für das Amt des öffentlichen Notars befähigte. Er erhielt von den papsttreuen Jesuiten, die nach dem Wahlspruch »Omnia ad maiorem Dei gloriam« – »Alles zur grösseren Ehre Gottes« – lebten, offenkundig eine starke Bindung an die katholische Kirche vermittelt und trotz der Kürze seiner akademischen Unterweisung eine solide humanistische Bildung. Sechs Sprachen beherrschte er am Ende der Schulzeit – Latein, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch und wohl auch etwas Griechisch – und damit auch, wie sich bald zeigen sollte, eine Weltläufigkeit und einen Horizont, der weit über das Wallis hinausreichte.

Einen akademischen Titel bringt der junge Kaspar Stockalper nicht mit, als er im kühlen Spätherbst 1628 ins Wallis zurückkehrt. In der Tasche hat er wohlverwahrt lediglich ein Testat, datiert auf den 24. Oktober. Es bescheinigt ihm den einjährigen Aufenthalt an der Akademie und bezeichnet ihn als »ingenia et magna spes adolescens ex Valesia«, also als jungen Mann aus dem Wallis von Verstand und eine grosse Hoffnung. Von gewissenhafter Gründlichkeit, von Fortschritten und Erfolg ist darin die Rede und davon, dass er Vorbild und Beispiel für seine Mitschüler sei.10 Das erste Amt, das er nach der Rückkehr nach Brig übernimmt, ist noch kein politisches, sondern eine Polizeifunktion: Er wird Kommissär der Pestwache bei der alten Landmauer in Gamsen, jener mittelalterlichen Talsperre westlich von Brig, wo wie auf den Pässen und den anderen Zugängen zur Seuchenbekämpfung der Verkehr kontrolliert wird. Bei Verdacht muss Stockalper Waren und Reisende zurückhalten und mehrere Wochen in Quarantäne nehmen. Wer Einreiseverbote missachtet, wird schwer gebüsst oder in Halseisen gelegt.11 Der ehrgeizige junge Rückkehrer aus der Briger Führungsschicht tut gut daran, sich zunächst mit einem solchen Amt die Sporen abzuverdienen und sich noch nicht politisch zu exponieren. Denn die Lage in der Landschaft Wallis ist äusserst angespannt.

Der Günstling

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