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Vorwort

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„Von Kindern fernhalten!“

„Zahlen Sie Ihre Bestellungen!“

„Trinken Sie mit Maß!“

„Fahrspuren treffen aufeinander – Vorfahrt gewähren!“

„Einhalten, Hinschauen und Zuhören!“

Ü berall, wo wir hinkommen, sehen wir alle Arten von Erinnerungshilfen in Form von Straßenschildern, Produktkennzeichnungen und Gefahrenhinweisen. Sie sind so vertraut und alltäglich geworden, dass wir ihnen kaum noch Beachtung schenken. Doch in diesen öffentlichen Hinweisen steckt mehr als man denkt - sie helfen uns, Ordnung und Sicherheit zu erhalten; sie fordern uns alle zu gutem Benehmen auf, ohne uns unmittelbar zu einem tugendhaften Leben zu berufen.

Wenn wir innehalten, um die Lektionen in diesen Zeichen zu betrachten, werden wir uns realisieren, dass sie an unser Empfinden für Rationalität und Moral appellieren. Warum? Denn das ist es, was wir sind – uns selbst erkennende und rationale Wesen, die denken und entscheiden – basierend auf unserem Sinn für gut und böse. Wenn wir uns diese Zeichen zu Herzen nehmen, sind wir auf dem richtigen Pfad. Nein, sie geben keine detaillierten Hinweise dafür, was wir im Einzelnen tun müssen, um geformt zu werden. Es handelt sich hier um einfache, schnörkellose Anzeigen, die das Verhalten der Menschen ein wenig zu beeinflussen versuchen. Außerdem „hat Gott selbst den Menschen der Macht seiner Entscheidung überlassen“ (Sir. 15, 14).

Wenn moralische Ressourcen knapp sind, können einfache Hinweise, wie „Warten Sie, bis Sie an der Reihe sind!“ oder „Videoüberwachung in Betrieb“, eine große Hilfe sein, wenn nicht sogar eine Verpflichtung. Der erste Hinweis meint, dass wir die Ordnung einhalten sollen, während der Zweite die Warnung ausspricht, keinen Unsinn zu machen. Irgendwie müssen wir das ABC der guten Manieren und des richtigen Verhaltens, wie es uns im Kindergarten beigebracht wurde, von Neuem erlernen. Diese Hinweise haben uns viel über unsere menschliche Identität zu sagen: darüber, wer wir wirklich sind und wie wir unser Leben führen sollten.

Diese direkten, einfachen, prägnanten Botschaften enthalten eine Menge verborgenen Wissens. Sie sind kurz, weil sie für einen Leser in einem schnellen Fahrzeug oder für eine Person in Eile gedacht sind. Sie sind kurzgefasst, damit die Botschaft in einem Augenblick vermittelt werden kann und bündig, weil wir den Rest mit gesundem Menschenverstand leicht hinzufügen können. Es wird eben von uns erwartet, dass wir erwachsen sind, zu fundierten Einschätzungen fähig.

Waren Sie jemals am Ort eines Unfalls oder Verbrechens? Die Polizei trennt die Umgebung oftmals mit einem rot-weißen Plastikband ab, auf dem manchmal die Aufschrift „Unfallort! Betreten verboten!“ steht, womit gemeint ist, dass die Passanten nicht weiter gehen dürfen beziehungsweise fernzubleiben haben. Vor einigen Jahren gab es in einer Urlaubsgegend mit vielen Nachtklubs eine gewaltige Explosion, wobei zweihundert Menschen getötet wurden, von denen die meisten Touristen waren. Ein kleinerer Knall war ihr jedoch vorausgegangen. Wer auch immer die Bomben hochgehen ließ, hat die menschliche Furcht und Neugierde mit eingerechnet. Die erste Sprengung war nämlich dafür gedacht, die Menge herbei zu locken. Als der Tumult voller neugieriger Augen sich dann in der Nähe zusammengekauert hatte, kam der große Kracher. Durch diesen Trick konnten die Täter die Opferzahlen maximieren. Vielleicht hatte die Polizei keine Zeit gehabt, die Umgebung vor der zweiten Detonation zu sichern. Aber der Punkt ist, dass, wo immer es sichtbar ist, das Plastikband der Polizei eine moralische Lektion enthält.

So ist das auch der Fall mit Hinweisen wie „Zerbrechlich, mit Vorsicht zu behandeln!“, „Herumlungern verboten!“, „Langsam fahren, Kinder überqueren die Straße!“, „Ohne Ausweis kein Eintritt!“, „Lassen Sie Ihre Wertsachen nicht unbeaufsichtigt!“, „Helmpflicht!“, „Entflammbar: nicht rauchen im Umkreis von 50 m!“. Wie Sie wissen, ist die Liste solcher Vorschriften noch um einiges länger. Jede einzelne Botschaft spricht Sie und mich als verantwortungsbewusste Einzelperson an.

Obwohl die Hinweisschilder hauptsächlich zu Regulierungszwecken und nicht so sehr, um uns vom Gutsein zu überzeugen, aufgestellt wurden, fördern sie dennoch unser Tugendleben und helfen uns somit bessere Personen zu werden. Die Gesellschaftsordnung ist auf Werten und letztendlich auf menschliche Tugenden aufgebaut. „Zahlen Sie Ihre Bestellungen!“, erinnert uns an unsere Verpflichtungen der Gerechtigkeit. Im weiteren Sinne meint es auch, „Zahlen Sie Ihre Schulden!“ oder „Bringen Sie zurück, was Sie ausgeliehen haben!“ oder „Seien Sie aufmerksam gegenüber anderen!“. „Trinken Sie maßvoll!“, ermuntert uns nüchtern und maßvoll zu sein und uns selbst in allem, was wir angenehm finden, unter Kontrolle zu haben.“ „Anhalten, hinschauen und zuhören!“ ist eine andere Weise, um zu sagen: „Seien Sie klug und sorgfältig, suchen Sie Rat, lernen Sie von der Vergangenheit, denken Sie nach, bevor Sie handeln und seien Sie nicht leichtsinnig!“ So können wir diese Reihe immer weiter fortsetzen.

Es ist natürlich nicht die Aufgabe der Gesellschaft Heilige hervorzubringen. Sie werden wohl in den Einkaufszentren oder entlang den Straßen niemals Plakate sehen mit Texten, wie „Seien Sie ehrlich!“ oder „Leben Sie keusch!“. Von Natur aus vertritt die öffentliche Autorität oder der Staat nur eine sehr minimalistische Ethik. Die Aufgabe der Charakterbildung gehört richtigerweise in die Familie, Schule und Kirche. Die Aufgabe der Beamten des Staates geht hier nicht weiter als die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung.

In der medizinischen Fachsprache verweist der Ausdruck Vitalzeichen auf grundlegende Körperfunktionen, wie Herzschlag, Körpertemperatur, Blutdruck oder Atmungsfrequenz. Anders ausgedrückt, auf den Zustand der körperlichen Gesundheit. In diesem Buch nehme ich mir die Freiheit, den Begriff Vitalzeichen bildlich zu verstehen um Leitfäden zu geistiger Gesundheit zu bezeichnen, wie Produktaufschriften, Verkehrschilder, Gefahrenhinweise und ähnliches. Was ist die Verbindung? Nun, der Mensch ist eine Einheit von Fleisch und Geist, Leib und Seele, wobei letztere das Prinzip des Lebens ist.

Was mich inspiriert hat, Vitalzeichen zu schreiben, war der Mangel an eine eindeutige Richtung in dem Leben vieler Menschen und das Fehlen von moralischen Wegweisern in unserer verwirrenden Zeit. Die gesellschaftlichen Werte von früher sind weitestgehend verschwunden. Es gibt nur wenige Rollenmodelle, die oftmals auch noch weit entfernt sind. Viele ethische Systeme haben kein Bein, auf dem sie stehen könnten. Die Grenze zwischen Gut und Böse ist verwischt oder sogar komplett ausgewischt. Wenn Sie einen moralischen Kompass suchen inmitten einer Wüste des Relativismus, ist die Aussicht auf Erfolg ziemlich gering. Es ist wie die Suche nach seltenen Edelsteinen.

Wirklich wertvolle Materialien, wie Bücher über Tugenden (wo sie denn gefunden werden) sammeln Staub im Bücherregal an. Nur wenige machen sich die Mühe, diese zu lesen und noch weniger setzen das Gelesene auch um. In der Zwischenzeit tastet sich der Mann auf der Straße im Dunkeln herum. Somit müssen wir den geringsten Hinweis oder die kleinste Hilfe zu gutem menschlichen Verhalten wertschätzen. Der meist rudimentäre Plan zur persönlichen Entwicklung ist es wert, angesehen zu werden. Dies sind die Vitalzeichen, die wir oftmals als selbstverständlich erachten. Ich lade Sie ein, die Goldklümpchen Weisheit zu betrachten, die sie enthalten. Jedes Kapitel dieses Buches diskutiert eine Tugend, ausgehend von einem passenden Zeichen, das an und für sich nicht viel zu bedeuten haben mag, aber wenn es aus einer anderen Perspektive verstanden wird, eine Menge über menschliche Werte zu sagen hat. Dieses Buch ist leicht verständlich, aber machen Sie sich bereit dafür, etwas zu lernen.

Wir erkunden häufig die äußere Welt. Wir wissen allerdings nur wenig über uns selbst. Rund um die Uhr füllen wir unseren Tag mit zahlreichen Aktivitäten, während wir von der einen zur Nächsten eilen. Wir surfen im Internet, wir verbringen Zeit mit Freunden, kaufen viele Sachen, lesen die Tageszeitung, fahren mit dem Auto, pflegen den Garten oder treiben Sport. Wir scheinen voller Leben zu sein, aber das ist oftmals nur die Oberfläche. Unterhalb dieses Aktivismus findet sich oftmals nur eine gähnende Höhle innerer Leerheit. Das ist der Grund, wieso so viele Menschen nach außen hin glücklich erscheinen wollen, aber tief in ihrem Inneren von Trauer erfüllt sind.

Die hohe Geschwindigkeit des modernen Lebens lässt uns nur wenig Raum für Reflexion. Zahllose Bilder verwirren unseren Verstand. Da entsteht leicht ein Rausch, die Spitze zu erreichen und materiellen Komfort an erster Stelle zu stellen. Wenn wir uns nur Zeit nehmen könnten innezuhalten und uns selbst zu prüfen, würden wir unser inneres Leben entdecken; Gedanken, Emotionen, Überzeugungen und Werte – kurz gesagt, das Verlangen des Herzens nach einem wirklich sinnvollen Leben. Auf dem ersten Blick sind die Vitalzeichen, die wir an jeder Ecke sehen bloß offizielle Regeln, die jedermanns äußere Manieren lenken sollen. Aber sie zeigen ebenfalls auf unserer inneres Selbst; sie geben den Bereichen und Tendenzen unserer Seele eine Richtung an. Nächstes Mal also, wenn Sie über die Autobahn fahren, in einem Restaurant essen, einkaufen gehen oder eine Flasche Cognac öffnen, halten Sie Ihre Augen für diese Vitalzeichen offen! Sie werden so zu Lebensprinzipien, Hinweisen zur Erfüllung Ihres Selbst. Sie werden Ihnen helfen der Frage ins Auge zu schauen, die jeder Mann und jede Frau beantworten muss: „Wohin geht die Reise Ihres Lebens?“

Henry P. Bocala

Manila, 1. November 2014

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Vitalzeichen - Wohin geht die Reise Ihres Lebens?

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