Читать книгу Vitalzeichen - Wohin geht die Reise Ihres Lebens? - Henry Bocala - Страница 4
Lebenswege
ОглавлениеBildlich gesprochen ist unsere Reise durch das Leben voller „aufeinander treffender Fahrspuren“. Jeden Tag kreuzen wir den Weg der verschiedensten Menschen - zu Hause, im Büro, in der Schule, auf öffentlichen Plätzen, auf den Korridoren und Nebenstraßen des modernen Lebens. Andauernd begegnen wir verschiedenartigen Einzelpersonen aus Gründen wie Arbeit, Familie, Geschäft, Bildung, Religion, Gesundheit und Erholung. Rund um die Uhr befinden wir uns in vielerlei „Querstraßen“ zu unseren Mitmenschen. Unser eigener Lebensweg führt zur persönlichen Begegnung mit zahllosen Männern und Frauen.
Wir müssen an diesen Stellen achtsam sein, so dass wir nicht jemand anderen auf die Füße treten, ihn an seinem Weg hindern, ihn weg drängeln oder ihn zu einem abrupten Halt nötigen. Und wenn gegen uns in diesen Punkten falsch gehandelt wurde, dann lassen Sie es durchgehen, wenn Sie können. Es ist die Sache nicht Wert, viel Aufhebens um eine Kleinigkeit zu machen und die Dinge überproportional aufzublasen. Das wäre unter Ihrer Würde, abgesehen von der Beeinträchtigung Ihres Tages. Ausgedrückt in der Sprache des Autoverkehrs wäre das so, als wenn Sie einen extrem aggressiven Fahrstil an den Tag legen würden, nur weil das Fahrzeug neben Ihnen in einer Kurve ziemlich nahe an Ihre Stoßstange geriet. Seien Sie besonders vorsichtig! Sie werden bald über diese Sache hinwegkommen. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf wichtigere Angelegenheiten.
Menschen, die zusammen leben oder arbeiten, können kleine Konflikte nicht vollständig vermeiden. Reibereien sind gleichsam vorprogrammiert, weil wir unterschiedlich denken oder verschiedene Auffassungen vertreten oder weil mein Weg, eine Sache zu tun, nicht genau dem Stil eines anderen entspricht. Einige Leute scheinen Schwierigkeiten zu haben das zu akzeptieren. Meinungsverschiedenheiten sind ziemlich normal in menschlichen Beziehungen. Wir sind nicht wie ein Bündel Dollarnoten, die von jedermann jederzeit gerne gemocht werden - auch dann nicht, wenn wir versuchen jedem gefällig zu sein. Wir leben in einer unvollkommenen Welt.
Wir können sehr vorsichtig sein, wenn wir am Verkehr teilnehmen, aber dennoch dem Risiko unterliegen, dass ein Unfall geschieht, denn die Straßen dort draußen sind voller leichtsinniger Fahrer. Eine amerikanische Studie, die mittels eines Fahrsimulators erstellt wurde, zeigt, dass manche Männer eine solche Leidenschaft für das Autofahren entwickeln, dass es zu einem sehr obsessiven Verhalten wird. Sie betrachten ihr Auto als eine Verlängerung ihrer eigenen Existenz und werden somit aggressiv, wenn sie an-gehupt oder geschnitten werden.1 Ein penetranter Fahrstil ist für manche Menschen der Weg ihre überzogene Männlichkeit zu zeigen, gestützt von einer Kultur, die in bestimmten Klischeevorstellungen des Männlichen untergeht. Diese Kraftfahrer bilden eine eigene Kategorie „Unannehmlichkeiten“ auf der Straße.
Fallen wir in diese Gruppe? Sind wir auf der Beobachtungsliste der Autobahnpolizei? Wenn ja: das Problem liegt in unseren Charaktereigenschaften. Sowohl auf der Straße wie anderswo geraten wir leicht in Schwierigkeiten, wenn wir unsere arroganten Verhaltensweisen, sarkastischen Kommentare, Aura der Selbstgerechtigkeit und Neigung das Leben anderer zu erschweren, nicht zügeln.
Die Straßen wären dann ein wenig sicherer, wenn Sie einfach zu Hause blieben. Gehen Sie dennoch hinaus, fahren Sie wohin Sie wollen! Bewegen Sie sich, wenn es notwendig ist, entlang der Kreuzungen ihrer gewöhnlichen Beschäftigungen, denn es ist über unsere häufige Begegnungen mit anderen, dass wir in der Tugend der Nächstenliebe wachsen können. Nur seien Sie von nun an rücksichtsvoller. Jene scharfe Bemerkung kann besser nicht ausgesprochen werden, es sei denn wir möchten nachher die unschönen Folgen bedauern. Eine snobistische Ausstrahlung oder kalte Abfertigung anderer kann uns in einen Kollisionskurs hineinführen (sogar unabhängig von hörbaren Worten), weswegen es besser ist, dass Sie höflich und zuvorkommend sind. Wir mögen die Eigenschaft haben, andere zu unterbrechen, wenn sie sprechen. Wenn Sie sich einmischen wollen, machen Sie es bitte in einer gefälligen Art. Vielleicht sind wir nicht gewohnt, dass man uns widerspricht. Es geht uns auf die Nerven. Es ist allerdings heilsam, eine aufgeschlossene und demokratische Gesinnung zu haben. Wir würden es nicht mögen, als in der Öffentlichkeit schreiender und brüllender Hitzkopf bekannt zu sein. Bleiben Sie ruhig! Unser aufkochendes Blut muss sich abgekühlt haben, bevor wir reagieren. Es zahlt sich aus, zu sagen „Es tut mir leid“, vor allem, wenn wir wirklich falsch lagen. Anschließend sollten wir danach streben, unseren rauen Charakter zu glätten.
Hüten Sie sich vor der Maxime des Teufels, die da lautet: „Vermuten Sie von anderen immer das Schlechte, damit Sie nicht zu kurz kommen werden!“ Einer meiner Freunde verspürte einen Ruck, als ein Geländewagen auf seine Fahrbahn schlitterte, der ihn zwang auszuweichen, wodurch er kurzzeitig die Kontrolle über sein Auto verlor. Wutentbrannt hielt er rasch an, warf die Türe seines BMWs weit auf und sprang hinaus um dem „Saukerl“, dessen Auto quietschend zum Stillstand gekommen war, lautstark die Meinung zu sagen. „Du betrunkener Fahrer, sei verdammt,“ brüllte er. Stattdessen erlebte er sein blaues Wunder als er entdeckte, dass der Kerl eine schwere Herzattacke erlitten hatte. Er eilte mit dem Mann zu einem nahegelegenen Krankenhaus, während die Reue sein Gewissen füllte: „Dummkopf! So schnell bist du damit, andere zu verurteilen.“ Der Fremde starb in seinen Armen.
Aufeinander treffende Fahrspuren, Vorfahrt gewähren. In einem positiven Licht gesehen sind „zusammentreffende Wege“ keine Bedrohung für uns. Weder signalisieren sie eine mögliche Rivalität, noch eine Gelegenheit zur Zwietracht, noch einen Grund für Uneinigkeit. Lebenswege, die zusammentreffen, sind dafür geschaffen, gemeinsame Interessen mit anderen zu teilen, sich an ihrer Gesellschaft zu erfreuen, ihre Beiträge willkommen zu heißen, ihnen von unserem Besitz etwas anzubieten, zusammen mit ihnen zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen. Durch die aufeinander treffenden Wege des Alltags lernen wir, eher etwas aufzubauen, als es zu zerstören, eher eine Brücke zum anderen zu bauen, als sich von ihm zu trennen.
Auf manchen Straßen gibt es als Variante auf das Schild, das uns zum Gewähren der Vorfahrt anhält, ein Schild, dass uns ausdrücklich anhalten lässt: das Stoppschild. Etwas ähnliches machen wir auch, wenn wir andere von ihren Fehlern freisprechen, Menschen mit einem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zuhören, anderen den besseren Teil überlassen oder niedergedrückte Freunde aufheitern. Ebenfalls „halten“ wir inne, wenn wir vergeben, eine schwierige Aufgabe übernehmen, eine helfende Hand reichen, Trost bieten und über kleinliche Streitereien hinweg sehen. Manchmal müssen wir Wege sich gleichsam kreuzen lassen, wenn wir in einer Position sind, eine Atmosphäre des vertrauensvollen Miteinanders zu schaffen, wenn es Streit gibt, um jeden Hass in der Quelle der Liebe zu ertränken.2 Wir sehen, dass „aufeinander treffende Fahrspuren – Vorfahrt gewähren!“ stellvertretend für eine große Zahl an Manifestationen der Nächstenliebe in unserem Alltagsleben stehen kann.
Es ist in Ordnung ein Ziel ein wenig verspätet zu erreichen, sogar wenn uns das an die Grenze unserer Geduld bringen würde. Es ist besser etwas später wohlbehalten anzukommen, als in einem Krankenhaus oder gar auf dem Friedhof zu enden. Somit ist es auch in Ordnung, bei den „aufeinander treffenden Fahrspuren“ des menschlichen Austausches „Vorfahrt“ zu gewähren, auch wenn es unseren Stolz verletzt. Es ist besser, einen kleinen Vorteil zu „verlieren“ und dabei unsere guten Beziehungen zu erhalten, als den ersten Platz auf Kosten entzweiter Freundschaften einzunehmen. Ein defensiver Fahrstil hat zahllose Vorzüge. Menschliche Diskretion hat einen unermesslichen Wert.
Vielleicht wünschen wir uns, dass sich unsere Fahrspur niemals mit der eines anderen kreuzt, so dass wir die lange, breite Straße für uns alleine hätten. Sicherlich könnten wir unsere Routinearbeit schneller und unterbrechungsfrei erledigen, wenn niemand uns jemals stören würde. Wir würden verschont bleiben von Ärger, wie er von nörgelnden Ehefrauen, tyrannischen Vorgesetzten, allwissenden Kollegen, unverschämten Nachbarn oder eingebildeten Kunden verursacht wird, - wenn wir uns täglich für jeweils 24 Stunden in unserem Zimmer einsperren. Das wäre jedoch kein wirkliches Leben.
Schnellstraßen stehen jedem offen, der fahren möchte: Männern und Frauen, Reichen und Armen, Jungen und Alten, Schwarzen und Weißen, Kranken und Gesunden, Klugen und Dummen. Nächstenliebe diskriminiert nicht, denn sie ist ein Weg für jedermann. Besser noch, sie eröffnet neue Wege für andere. Unsere Pflicht zur Nächstenliebe entstammt der Tatsache, dass wir alle Mitglieder der menschlichen Familie sind, alle völlig gleichwertig, gesegnet mit einer gemeinsamen Würde, geschaffen als Bild und Gleichnis Gottes (vgl. Gen. 1,26-27) und erlöst vom Blut Christi. Das ist die unermessliche Würde unseres Nächsten, auch wenn wir seinen Namen nicht kennen.
Wenn wir wissen, wie zu lieben, lernen wir unterschiedliche Charaktereigenschaften zu würdigen. Freundschaften und menschliche Beziehungen jeglicher Art gedeihen durch Vielfältigkeit. „Wir brauchen die lebendige, sprudelnde Person, die jede Begegnung belebt. Wir brauchen die warmherzige, kontaktfreudige Person, die unseren Geist aufrichtet. Wir brauchen die aktive, aus sich herausgehende Person, die uns motiviert unsere Aufgaben zu Ende zu bringen. Wir brauchen die stille, introvertierte Person, dessen Gesellschaft so erholsam und entspannend ist. Wir brauchen die nüchterne, besonnene Person, an die wir uns in Zeiten der Verwirrung wenden dürfen um einen guten Rat zu bekommen.“3