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4. Die Lawine

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Am Morgen des zweiten Tages nach dieser Nacht befanden wir uns bei Sonnenaufgang bereits auf unserem Weg durch die Wüste. Eine Meile hinter uns konnten wir die verfallene Buddha-Statue sehen, die vor dem alten Kloster stand, und in der klaren, trockenen Wüstenluft erkannten wir sogar die gebeugte Gestalt unseres Freundes, des alten Abtes Kou-en, der am Sockel der gigantischen Statue lehnte und uns nachblickte, bis er uns aus den Augen verlor. Alle Mönche hatten geweint, als wir uns von ihnen verabschiedet hatten, und Kou-en noch bitterlicher als die anderen, da er uns in der Zwischenzeit liebgewonnen hatte.

»Ich bin traurig«, hatte er gesagt, »sehr traurig, und das dürfte ich nicht, denn so ein Gefühl grenzt an Sünde. Doch finde ich Trost, denn obwohl ich weiß, dass ich mein derzeitiges Leben sehr bald verlassen werde, werden wir uns wiedersehen, in einer oder mehreren unserer zukünftigen Inkarnationen, und nachdem ihr eure närrischen Ambitionen überwunden habt, gemeinsam den Weg zum letzten Frieden beschreiten. Nun nehmt meinen Segen und meine Gebete mit euch und geht. Und vergesst nicht, dass ihr, falls ihr lebend zurückkehren solltet...« - und bei diesen Worten schüttelte er zweifelnd den Kopf -, »ihr hier immer willkommen seid.«

Wir umarmten ihn und gingen.

Man wird sich erinnern, dass ich meinen Kompass bei mir hatte, als das geheimnisvolle Licht auf uns fiel, während wir auf dem einsamen Gipfel waren, und ich so die ungefähre Richtung bestimmen konnte, aus der das Licht gekommen war. Da wir keine genaueren Angaben hatten, marschierten wir also in diese. Richtung, nach Nordosten. Den ganzen Tag über durchquerten wir bei wunderbarem Wetter die blütenübersäte Wüste und begegneten niemand außer zwei kleinen Herden Wildeseln, die von den Bergen heruntergestiegen waren, um das frische Gras zu äsen. Bevor es dunkelte, schossen wir eine Antilope und schlugen unser Lager auf - wir hatten das Yak und unser Zelt mitgenommen - in einem Tamarisken-Gebüsch, dessen trockene Äste uns mit Brennstoff versorgten. Auch an Wasser bestand kein Mangel; wenn wir mit den Händen den von Schmelzwasser durchtränkten Boden aufgruben, fanden wir eine mehr als ausreichende Menge. An diesem Abend erlaubten wir uns also ein luxuriöses Dinner aus Tee und Antilopenbraten und konnten unsere mageren Vorräte schonen.

Am nächsten Morgen führten wir, so gut es uns möglich war, eine Ortsbestimmung durch und stellten fest, dass wir etwa ein Viertel der Wüste hinter uns gebracht hatten, eine Schätzung, die sich als ziemlich genau herausstellte, denn am vierten Abend erreichten wir die Ausläufer der Fernen Berge, ohne jeden Zwischenfall und ohne uns zu ermüden. Wie Leo es ausdrückte, lief alles wie am Schnürchen, doch ich erinnerte ihn daran, dass ein guter Anfang oft ein böses Ende bedeute. Und damit sollte ich auch recht behalten, denn jetzt begannen die wirklichen Strapazen unserer Reise. Gleich zu Beginn dieser Etappe stellten wir fest, dass die Berge erheblich höher waren, als wir vorausgesehen hatten; wir brauchten fast zwei Tage, um die erste, niedere Gebirgskette zu überwinden. Außerdem hatte die Sonnenwärme die Schneedecke angetaut und gelockert, was den Anstieg wesentlich erschwerte, und obwohl wir durch lange Reisejahre in diesem Gebiet an Schnee gewöhnt waren, blendeten seine weiten weißen Flächen unsere Augen.

Am Morgen des siebenten Tages nach unserem Aufbruch aus dem Kloster befanden wir uns an der Mündung einer Schlucht, die in vielen Windungen in das Herz des Bergmassivs führte. Da es der einzige passierbare Weg schien, folgten wir ihm und entdeckten zu unserer Freude und Erleichterung, dass hier einst eine Straße verlaufen war. Natürlich konnten wir sie nicht sehen, da alles unter einer dicken Schneedecke begraben lag, doch waren wir sicher, dass sich unter unseren Füßen eine Straße befinden musste, da der Untergrund, selbst wenn wir am Rand des Weges und unmittelbar an einem Abgrund entlang gingen, immer eben war; außerdem zeigten beide Wände gelegentlich deutliche Spuren der Bearbeitung durch Menschenhand. Wir hatten nicht die geringsten Zweifel, denn da der Schnee an diesen Stellen nicht haftete, erkannten wir unverwechselbare Werkzeugspuren an den glatten Flächen.

An mehreren Stellen waren einstmals auch Galerien errichtet worden, einfache Balkengerüste, wie man sie in Tibet häufig findet. Die Balken waren natürlich längst verrottet, und wenn wir so eine Stelle erreichten, an der die Straße unterbrochen war, sahen wir uns gezwungen, zurückzugehen und einen Umweg zu suchen; doch auch wenn wir dadurch ziemlich aufgehalten wurden, gelang es uns doch immer wieder, zur Straße zurückzukommen, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahren.

Was uns weitaus mehr belastete - denn hier konnten uns unsere Bergerfahrungen nicht helfen - war die grausame Nachtkälte in dieser großen Höhe, und der eisige, schneidende Wind, der unaufhörlich vom Pass herab durch die Schlucht wehte.

Schließlich, am Ende des zehnten Tages, erreichten wir das Ende des Tales und kampierten, als es dunkel wurde, in der eisigen Kälte der Passhöhe. Es waren elende Stunden, denn jetzt hatten wir kein Holz mehr, um uns am Feuer zu wärmen oder auch nur Tee zu kochen, und mussten unseren Durst stillen, indem wir Schnee aßen. Unsere Ohren schmerzten derart vor Kälte, dass wir nicht einschlafen konnten, und trotz der dicken Decken und der Körperwärme unseres Yak klapperten unsere Zähne vor Kälte wie Kastagnetten.

Endlich dämmerte es, und bald danach ging die Sonne auf. Wir krochen aus dem Zelt, das wir vorläufig stehen ließen, und schleppten unsere steifgefrorenen Körper etwa hundert Meter weiter, bis zu einer Stelle, an der der Weg eine Biegung machte, wo die Sonne einfiel, um uns in den ersten Sonnenstrahlen ein wenig auftauen zu lassen.

Leo erreichte die Biegung als erster, und ich hörte, wie er einen überraschten Ausruf von sich gab. Sekunden später war ich an seiner Seite, und vor unseren Augen lag das Gelobte Land!

Tief unter uns - mindestens zehntausend Fuß tief - man muss sich erinnern, dass wir auf dem Gipfel eines Berges standen, erstreckte sich das Gelobte Land, so weit das Auge reichte. Es war fast völlig flach, wahrscheinlich eine Schwemmebene, die in grauer Vorzeit einmal der Grund eines der riesigen Seen gewesen war, von denen es in Zentralasien eine ganze Reihe gibt, die meisten von ihnen ausgetrocknet oder im Prozess der Austrocknung. Nur ein einziges Objekt belebte die Monotonie dieses völlig flachen, ebenen Landes: ein alleinstehender, schneebedeckter, gigantischer Berg, dessen Konturen wir selbst auf die große Entfernung, die sich zwischen ihm und unserem Standpunkt befand, klar erkennen konnten. Wir konnten sogar noch weitere Einzelheiten ausmachen, so eine große Rauchwolke über dem abgerundeten Gipfel, die bewies, dass dieser Berg ein aktiver Vulkan war, und auf dem uns zugewandten Rand des Kraters einen gewaltigen Pfeiler aus Fels oder Lava, auf dessen Spitze ein ringförmiges Gebilde saß.

Ja, dort stand es vor unseren Augen, das Symbol unserer Vision, nach dem wir so viele, viele Jahre gesucht hatten, und bei seinem Anblick schlugen unsere Herzen rascher und unser Atem ging in kurzen, erregten Stößen. Wir hatten es während unseres Marsches durch das Gebirge nicht sehen können, weil die hohen Wände der Schlucht und die vor uns liegenden Gipfel es vor unseren Blicken verborgen hatten. Trotzdem erkannten wir auf Anhieb, dass jener Berg erheblich höher war als alle anderen Gipfel des Massivs. Das erklärte die Tatsache, wie es möglich war, dass der Lichtstrahl, der durch den Ring des Symbols gefallen war, den schneebedeckten Gipfel des hohen Berges auf der anderen Seite der Wüste erreichen konnte, den wir damals bestiegen hatten.

Jetzt wussten wir auch, welchen Ursprung dieser Lichtstrahl hatte, denn der aufsteigende Rauch hinter dem Symbol löste dieses Rätsel. Wenn der Vulkan ausbrach, loderten zweifellos Flammen aus dem Krater, der hinter dem Symbol lag und jetzt nur dünne Rauchwolken ausspie; zuckendes Feuer aus dem Inneren der Erde, das Licht von einer unvorstellbaren Intensität ausstrahlte; und dieses Licht war es, das uns auf jenem Gipfel erreicht hatte, von dem Ring gebündelt und gerichtet.

Bei genauerem Hinschauen konnten wir jetzt auch eine kleine Stadt entdecken; ihre verschneiten Häuser standen auf einem flachen Hügel, an dessen Fuß ein breiter Fluss vorbeiströmte. Es musste eine größere Bevölkerung auf dieser Ebene leben, denn mit Hilfe unseres Feldstechers, einem der wenigen Ausrüstungsgegenstände, die wir durch all die Jahre gerettet hatten, sahen wir das Grün frischer Saaten durch die tauende Schneedecke sprießen, erkannten dunklere Streifen als Bewässerungskanäle und mit Büschen und Bäumen bestandene Raine.

Ja, vor uns lag das Gelobte Land, und dort erhob sich aus ihm der mystische Berg; wir brauchten jetzt nur noch die schneebedeckten Hänge der Berge hinabzusteigen, um es zu betreten.

So dachten wir in unserem Optimismus und ahnten nicht, dass die größten Schwierigkeiten uns noch bevorstanden, welche Strapazen und Schrecken wir noch erleiden mussten, bevor wir endlich im Schatten des Lebenssymbols standen.

Kälte und Erschöpfung waren vergessen; wir gingen rasch zum Zelt zurück, schlangen etwas von unserer Trockennahrung hinunter, zusammen mit ein paar Klumpen Schnee, der so eisig kalt war, dass er neue Kälteschauer durch unsere Körper jagte und unsere Zähne schmerzen machte; doch wir waren gezwungen, mit ihm unseren Durst zu löschen. Schließlich zerrten wir das arme Yak auf die Beine, beluden es und brachen auf.

Wir hatten so große Eile, endlich unser Ziel zu erreichen, und waren so mit unseren eigenen Gedanken beschäftigt, dass wir, wenn ich mich recht erinnere, kaum ein Wort miteinander wechselten. Rasch und ohne zu zögern schritten wir den Berghang hinab, denn auf dieser Seite des Gebirges war die Straße zu beiden Seiten mit Steinsäulen markiert. Der Anblick dieser Markierungen wirkte äußerst beruhigend auf uns, sagten sie uns doch, dass wir uns auf der Straße befanden, die ins Gelobte Land führte.

Doch war es eine Straße, die offensichtlich nicht mehr begangen wurde, da wir außer den Spuren von Wildschafen, Bären und Bergfüchsen keine Anzeichen ihrer Benutzung entdecken konnten. Das ließ sich wohl damit erklären, sagten wir uns, dass die Straße wohl nur während des Sommers benutzt wurde. Oder die Menschen, die jetzt in diesem Land lebten, waren Stubenhocker, die ihre kleine Stadt nicht verließen.

Die Berghänge erwiesen sich als länger, als wir angenommen hatten, und als es dunkel wurde, hatten wir den Fuß des Berges noch längst nicht erreicht. Also waren wir gezwungen, noch eine Nacht im Schnee zu verbringen und schlugen unser Zelt im Schutz einer überhängenden Felsplatte auf. Da wir einige tausend Fuß tiefer gestiegen waren, wurde es nicht ganz so kalt, wie in den vorangegangenen Nächten; ich glaube, dass wir nicht mehr als zehn Grad unter Null hatten. Tagsüber hatte die Sonne den Schnee auch schon an einigen günstigen Stellen weggeschmolzen, so dass wir Trinkwasser fanden und das arme, alte Yak seinen Magen mit trockenem Bergmoos füllen konnte.

Wieder zog ein neuer Tag herauf, die aufgehende Sonne warf ihr rotes Licht über die endlosen, verschneiten Bergmassen, und wir krochen unter den Decken hervor, aßen etwas von den Resten unserer Vorräte und brachen auf.

Jetzt war uns der Ausblick auf die Ebene versperrt; wir konnten nicht einmal mehr den alles überragenden Vulkan sehen; er war hinter einem langgestreckten, steilen Grat verborgen, der von einem engen Einschnitt durchbrochen war, und auf diesen Hohlweg bewegten wir uns nun zu. Und die Pfeiler zu beiden Seiten bewiesen uns, dass auch die Straße direkt darauf zuführte. Gegen Mittag schienen wir dem Einschnitt schon sehr nahe gekommen zu sein, und wir gingen rascher. Aber es bestand keinerlei Grund zur Eile, wie wir eine Stunde später feststellen sollten.

Zwischen uns und dem Hohlweg lag eine breite Schlucht, die drei- bis vierhundert Fuß tief zu sein schien; und auf ihrem Grund hörten wir das Rauschen von Wasser.

Die Straße führte offensichtlich bis zum Rande dieser Schlucht, denn einer der Markierungspfeiler stand hart am Abgrund; doch wie konnte eine Straße durch diese Schlucht führen? Wir standen fast eine Minute lang reglos und starrten in die Tiefe. Dann fiel uns eine mögliche Erklärung ein.

»Siehst du nicht«, sagte Leo mit einem bitteren Lachen, »dass dieser Spalt sich geöffnet haben muss, nachdem man die Benutzung der Straße aufgegeben hatte? Vulkantätigkeit wahrscheinlich.«

»Vielleicht. Oder es hat an dieser Stelle eine Holzbrücke oder eine Galerie gegeben, die inzwischen verrottet ist. Das spielt jetzt keine Rolle; wir müssen versuchen, einen anderen Weg zu finden, das ist alles«, sagte ich so optimistisch, wie es mir möglich war.

»Ja, und zwar sehr bald«, antwortete Leo, »wenn wir nicht für immer hier hängenbleiben wollen.«

Also wandten wir uns nach rechts und gingen am Rand der Schlucht entlang, bis wir nach etwa einer Meile einen kleinen Gletscher erreichten, dessen Oberfläche mit eingefrorenen Steinen gesprenkelt war. Der Gletscher hing über den Rand der Schlucht wie ein gefrorener Wasserfall, doch ob er bis zum Grund reichte oder nicht, konnten wir nicht beurteilen. Es war aber auf jeden Fall unmöglich, über ihn auf den Grund zu gelangen. Von unserem Standpunkt aus konnten wir erkennen, dass das Eis immer weiter überhing und auf dem letzten Stück, das wir einsehen konnten, fast senkrecht abfiel.

Also gingen wir zur Straße zurück und weiter in die andere Richtung. Hier schoben sich die Bergflanken immer näher und steiler an die Schlucht heran, die an dieser Stelle aber ebenso breit und grundlos erschien wie auf ihrer übrigen Länge. Da es dunkel zu werden begann, sahen wir uns nach einem passenden Platz für unser Zelt um und entdeckten, etwa eine Meile entfernt, einen kahlen Felsen, der unmittelbar am Rand der Schlucht stand. Wir gingen so rasch wir konnten darauf zu, in der verzweifelten Hoffnung, von seiner Höhe aus vielleicht doch eine Stelle zu entdecken, an der wir auf den Boden der Schlucht gelangen könnten.

Als wir endlich völlig ausgepumpt den flachen Gipfel des etwa hundertfünfzig Fuß hohen Felsens erreicht hatten, stellten wir fest, dass auch hier, genau wie jenseits des Gletschers, die Schlucht erheblich tiefer, und ihre Wände noch steiler waren, als an der Stelle, wo die Straßen an ihrem Rand endete, so tief, dass wir nicht den Grund sehen konnten. Doch auch hier hörten wir das Tosen von Wasser. Außerdem war die Schlucht hier eine gute halbe Meile breit.

Während wir in das bodenlose Dunkel hinabstarrten, verschwand die Sonne hinter den Bergen, und da der Himmel verhangen war, wurde es so plötzlich dunkel, als ob man eine Kerze gelöscht hätte. Für einen Abstieg von dem Felsen war das wenige Licht längst nicht ausreichend, vor allem, da wir an einer Stelle wegen des Yaks eine Art Steintreppe benutzen mussten, die wir in der Dunkelheit ungern hinabsteigen wollten. Da wir außerdem nur die Wahl hatten, die Nacht auf diesem flachen Felsplateau oder im Schnee an seinem Fuß zu verbringen, wo es genauso kalt war wie hier, und wir außerdem ziemlich erschöpft waren, beschlossen wir, die Nacht hier oben zu bleiben, und das rettete, wie wir bald erfahren sollten, uns das Leben.

Wir sattelten das Yak ab, schlugen unser Zelt im Windschatten einer kleinen Felsennase auf und aßen etwas Trockenfisch und Maiskuchen. Es war der letzte Rest der Vorräte, die wir aus dem Lama-Kloster mitgenommen hatten, und wir sagten uns, dass wir tags darauf unbedingt irgendein Wild schießen mussten, falls wir nicht auf die allerletzte Reserve zurückgreifen und unseren alten Freund, das Yak essen wollten. Dann wickelten wir uns in unsere dicken Felle und Decken und vergaßen unsere missliche Lage im Schlaf.

Es kann nicht lange vor Tagesanbruch gewesen sein, als wir von einem berstenden Krachen aufgeschreckt wurden, das wie Kanonendonner klang, gefolgt von tausend anderen Geräuschen, die sich wie Salvenfeuer von Musketen anhörten.

»Mein Gott! Was ist das?«, rief ich erschrocken.

Wir krochen aus dem Zelt, konnten jedoch nichts erkennen. Das Yak schrie hysterisch vor Angst. Wenn wir auch nichts sehen konnten, konnten wir doch hören und fühlen. Das Donnern und Krachen hatte aufgehört und wurde von einem schleifenden, schabenden Geräusch gefolgt, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. Es wurde von einem seltsamen, stetigen, unnatürlichen Wind begleitet, der uns schwer wie Wasser zu umströmen schien. Dann begann es zu dämmern, und wir sahen, dass der ganze Berghang in Bewegung geraten war! Eine gewaltige Schneelawine bewegte sich auf uns zu!

Was für ein grauenhafter Anblick! Vom Gipfel des steilen Berges, mehr als zwei Meilen über uns, kroch sie den Hang herab auf uns zu, rollend, gleitend, rutschend, ein lebendes Wesen; staute sich hier und dort, rauschte in stürzenden, springenden Wellen zu Tal, ergoss sich in klaffende Schluchten, wie sturmgepeitschte Meereswogen, und über ihr hingen dichte Wolken aufgewirbelten Pulverschnees.

Während wir emporstarrten, vor Entsetzen aneinandergeklammert, krachte die erste der Wellen gegen unseren Berg und brachte seine Felsmasse zum Erzittern, wie eine Yacht unter dem Aufschlag eines Brechers. Die Schneewelle brandete gegen den Fels, teilte sich an ihm und rauschte majestätisch wie ein Wasserfall in die Schlucht. Wir hörten ein donnerndes Dröhnen aus ihrer Tiefe, als die Schneemassen auf dem Grund aufschlugen. Doch dies war nur der Anfang, ein kleiner Vorbote, hinter dem die Masse der Lawine zu Tal glitt.

Sie kam in mehreren Wellen, und die Schneemassen türmten sich an der steilen Flanke unseres Felsens auf; ja, sie reichten bis zu fünfzig Fuß unterhalb des kleinen Plateaus, auf dem wir uns befanden, so dass wir überzeugt waren, dass selbst dieser fest verankerte Felsen aus seiner Bettung gerissen und über den Rand der Schlucht in ihre dunkle Tiefe geschleudert werden würde. Und dazu dieser Lärm! Das Heulen des Windes, der durch die Kompression der Luft hervorgerufen worden war, das ständige dumpfe Aufschlagen von Millionen Tonnen Schnee, die über den Rand der Schlucht geschoben wurden und auf ihren Grund fielen.

Und selbst das war noch nicht das Schlimmste, denn als der tiefe Schnee am oberen Teil der Hänge dünner wurde, lösten sich riesige Steinblöcke, die vielleicht seit Jahrtausenden dort geruht hatten, aus ihren Bettungen und donnerten den Berg hinab. Zuerst bewegten sie sich nur langsam und schoben den harten Schnee zu beiden Seiten zurück, so wie ein Schiff das Wasser verdrängt und eine schäumende Bugwelle vor sich herschiebt. Doch dann wurden sie schneller, wurden von Unebenheiten hoch in die Luft geschleudert, wie Querschläger von einer harten Oberfläche, um den letzten Teil der Strecke wie riesige Geschosse herabzustürzen, gegen unseren Felsen zu prallen und nach beiden Seiten geschleudert zu werden - einige von ihnen sausten sogar über uns hinweg - bis sie schließlich wie Meteore in der Tiefe der Schlucht verschwanden. Jeder Aufschlag dieser mehrere Tonnen schweren Felsbrocken ließ unseren Felsen erbeben, als ob er von einer schweren Granate getroffen worden wäre, riss riesige Steintrümmer aus dem gewachsenen Fels, und das ständige Donnern und Krachen zerrte an unseren Nerven. Kein von Menschen ersonnenes und geleitetes Bombardement konnte auch nur halb so schlimm sein wie der Anschlag dieser Naturgewalten, und - hätte es hier etwas zu zerstören gegeben - von einer nur halb so verheerenden Wirkung.

Die unbeschreibliche Gewalt dieser entfesselten Naturkräfte war ein entsetzliches Erlebnis, besonders, da sie ohne jede Vorwarnung, von einer Sekunde zur anderen über uns hereinbrach. Die Naturgewalten, die im Schoß der stillen Berge, unter dem ruhigen, friedvollen Himmel geschlummert hatten, waren plötzlich freigesetzt worden und hatten sich unter der Begleitung von Wirbelwinden und all den furchtbaren, entsetzlichen Geräuschen auf die Häupter von uns beiden gestürzt.

Beim ersten Anschlag der Schneemassen waren wir hinter die schützende Felsennase zurückgesprungen, hatte uns

zu Boden geworfen und uns aneinandergeklammert vor Angst, dass uns der Wind in die Schlucht reißen könnte. Unser Zelt war schon längst wie ein welkes Blatt davongewirbelt worden, und wir waren überzeugt, dass wir ihm bald folgen würden.

Tonnenschwere Felstrümmer krachten gegen unseren kleinen Berg, schossen zu beiden Seiten vorbei und über unsere Köpfe hinweg. Einer von ihnen schlug dicht neben uns auf dem Felsplateau ein und zersprang dabei in Trümmer und scharfkantige Splitter, die surrend wie Schrapnells nach allen Seiten flogen. Wir hatten das Glück, unverletzt zu bleiben, doch als wir den Kopf wieder zu heben wagten und nach dem Yak Ausschau hielten, sahen wir es tot und ohne Kopf auf der Mitte des Plateaus liegen. Wir blieben weiter am Boden, warteten auf das Ende und fragten uns, ob wir unter den Schneemassen begraben, mit dem ganzen Hügel in die Schlucht gerissen, von fliegenden Steintrümmern erschlagen oder von dem Sturm fortgeweht werden würden.

Wie lange es dauerte? Wir wissen es nicht. Es konnten zehn Minuten oder mehrere Stunden gewesen sein, denn in einer solchen Situation verliert man jedes Zeitgefühl. Irgendwann merkten wir, dass der Wind aufhörte und die Geräusche des herabdonnernden Schnees und der fliegenden Felsstücke aufhörten. Vorsichtig kamen wir auf die Beine und sahen um uns.

Der steile Berghang vor uns, zwei Meilen hoch und über eine halbe Meile breit, der vorher mit einer dicken Schneeschicht bedeckt gewesen war, zeigte jetzt seine kahle, felsige Oberfläche. Zwischen seinem Fuß und unserem Hügel lag eine Zunge von Schnee, die der ungeheure Druck fast zu der Festigkeit von Eis zusammengepresst hatte, und in die Steine und Felstrümmer eingebettet waren. Der Felshügel, auf dem wir saßen, war verschrammt und aufgerissen; riesige Flächen waren aus seiner Oberschicht herausgeschlagen worden, so dass frisches Gestein frei lag, in dem Glimmer oder ein anderes Mineral glitzerte. Die riesige Schlucht hinter uns war zur Hälfte mit Schnee und Gesteinstrümmern gefüllt. Doch sonst wirkte das Land, als ob nichts geschehen sei. Die Sonne strahlte am wolkenlosen Himmel, und ihr Licht wurde von den schneebedeckten Hängen hunderter anderer Berge reflektiert. Und wir hatten alles überstanden und lebten noch, waren sogar unverletzt!

Doch in welcher Lage befanden wir uns. Wir wagten nicht, unseren Felshügel zu verlassen, da wir fürchteten, in dem lockeren Schnee zu versinken. Außerdem kamen noch immer auf der ganzen Breite des Hangs gelegentlich Steinlawinen und tonnenschwere Felsbrocken herabgepoltert, und mit ihnen oft Schneemassen, die von der Lawine zurückgelassen worden waren; jede von ihnen recht klein, zugegeben, doch groß genug, um ein paar Dutzend Männer zu töten. Es war uns deshalb klar, dass wir hier oben gefangen waren, bis die Umstände günstiger werden würden - oder uns der Tod erlösen würde.

So saßen wir nun nebeneinander, hungrig und voller Angst, und fragten uns, was unser Freund Kou-en sagen würde, wenn er uns so sehen könnte. Mit der Zeit wurde unser Hunger so wütend, dass er alle anderen Gefühle überwältigte, und wir begannen, sehnsüchtige Blicke auf den kopflosen Kadaver des Yak zu werfen.

»Wir wollen ihn abhäuten«, schlug Leo vor. »Das gibt uns etwas zu tun, und außerdem werden wir das Fell heute Nacht dringend brauchen.«

Also unterzogen wir uns mit einem an Ehrfurcht grenzenden Gefühl dieser Aufgabe an dem toten Gefährten unserer langen Reisen und waren glücklich, dass nicht wir ihn zum Tode gebracht hatten. Unser langes Zusammenleben mit Menschen, die glaubten, dass ihre Seelen von Tieren stammten oder auf Tiere übergehen könnten, hatte uns in diesen Belangen ein wenig abergläubisch gemacht. Es wäre sicher kein angenehmes Erlebnis, sagten wir uns, in einer zukünftigen Inkarnation unseren treuen Freund in Menschengestalt wiederzutreffen und von ihm beschuldigt zu werden, ihn ermordet zu haben.

Da er jedoch bereits tot war, hinderten uns nun keine Tabus daran, ihn zu essen. Also schnitten wir kleine Streifen Fleisch aus dem toten Körper, rollten sie im Schnee, bis sie aussahen, als ob sie mit Mehl paniert worden wären, und schluckten sie hinunter, ohne sie zu zerkauen. Es war ein widerliches Mahl, und wir kamen uns dabei wie Kannibalen vor; aber was hätten wir sonst tun sollen?

AYESHA - SIE KEHRT ZURÜCK

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