Читать книгу AYESHA - SIE KEHRT ZURÜCK - Henry Rider Haggard - Страница 7

1. Das Doppelzeichen

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Fast zwanzig Jahre sind vergangen, seit der Nacht von Leos Vision - vielleicht die schrecklichsten Jahre, die Menschen jemals überstehen mussten -, zwanzig Jahre des Suchens und unerträglicher Strapazen, die mit einem erschütternden, wunderbaren Erlebnis zu Ende gingen.

Mein Tod steht vor der Tür, und ich bin froh darüber, denn ich möchte meine Suche in anderen Gefilden fortsetzen, so wie es mir vorausgesagt und versprochen worden ist. Mich drängt es, den Anfang und das Ende dieses spirituellen Dramas kennenzulernen, von dem ein paar Seiten auf Erden zu lesen mich das Schicksal bestimmt hatte.

Ich, Ludwig Horace Holly, bin sehr krank gewesen. Sie haben mich, mehr tot als lebendig, von den Bergen getragen, deren niedersten Gipfel ich von meinem Fenster aus sehen kann, denn ich schreibe diese Seiten in einem Ort an der Nordgrenze Indiens. Jeder andere Mann wäre sicher längst gestorben, doch das Schicksal hat mein Herz weiterschlagen lassen, vielleicht, damit dieser Bericht beendet werden und anderen hinterlassen werden kann. Ich muss einen Monat oder zwei hier ausharren, bis ich wieder kräftig genug bin, um die Heimreise antreten zu können, denn ich möchte an dem Ort sterben, an dem ich geboren wurde. Während ich noch die Kraft dazu habe, will ich die Geschichte zu Papier bringen, oder zumindest die wichtigsten Teile der Geschichte, denn vieles davon kann - und muss sogar - fortgelassen werden. Ich möchte kein zu dickes Buch schreiben, obwohl meine Notizen mir so viel Material geben würden, um mehrere Bände zu füllen.

Ich will mit der Vision beginnen.

Nachdem Leo Vincey und ich im Jahre 1885 aus Afrika zurückgekommen waren, auf der Suche nach Einsamkeit und Ruhe, die wir sehr dringend brauchten, um uns von dem entsetzlichen Schock zu erholen, den wir beide erlitten hatten, und um Zeit und Gelegenheit zum Nachdenken zu finden, fuhren wir zu einem alten Haus in Cumberland, das sich seit vielen Generationen im Besitz meiner Familie befindet. Dieses Haus gehört noch immer mir, falls es nicht jemand übernommen hat, der mich tot glaubte - und dorthin will ich reisen, um zu sterben.

Jeder, der diese Worte liest - falls überhaupt jemand sie lesen sollte - mag fragen: was für ein Schock?

Nun, ich bin Horace Holly, und mein Begleiter, mein geliebter Freund, mein Sohn im Geiste, den ich von Kindheit an großgezogen habe, war - nein, ist - Leo Vincey.

Wir sind die Männer, die in Verfolgung einer antiken Spur zu den Höhlen von Kôr in Zentralafrika gereist sind, wo wir die fanden, die wir suchten, die unsterbliche Sie-der-man-gehorchen-muss. In Leo hatte sie ihren Geliebten gefunden, den wiedergeborenen Killikrates, jenen griechischen Priester der Isis, den sie vor mehr als zweitausend Jahren in einem Anfall unbeherrschter Eifersucht erschlagen und so an ihm das Urteil der wütenden Göttin vollstreckt hatte. In ihr fand ich die Göttin, zu deren Anbetung ich verurteilt worden war - zu einer Anbetung aus der Ferne, nicht im Fleisch, denn das ist alles vergangen und dahin, doch dies ist noch schlimmer, weil die Last niemals von mir genommen wird. Das Fleisch stirbt, oder verändert sich zumindest, und die Leidenschaft vergeht, doch die Passion des Geistes - diese Sehnsucht nach dem Einssein - ist unsterblich.

Was für ein Verbrechen hatte ich begangen, dass mir eine so harte Strafe auferlegt worden war? Doch ist es wirklich eine Strafe? Könnte es nicht lediglich jenes schwarze, schreckliche Tor sein, das zum Palast der Glückseligkeit führt? Sie hat mir geschworen, dass ich auf ewig ihr Freund und der Freund Leos sein und für immer bei ihnen sein würde. Und ich glaube ihr.

Wie viele Winter sind wir durch die eisigen Berge gezogen, durch Steppen und Wüsten. Doch endlich kam der Bote und führte uns zum Berg, und auf dem Berg fanden wir den Schrein, und in dem Schrein den Geist. Könnten alle diese Dinge nicht eine Allegorie sein, die man zu unserer Belehrung vorbereitet hatte? Ich möchte daran glauben. Ich hoffe, dass dem so ist. Nein, ich bin dessen sicher!

Man wird sich erinnern, dass wir in Kôr die Unsterbliche fanden. Dort, vor den zuckenden Blitzen und den aufsteigenden Dämpfen bei den Pfeilern des Lebens, erklärte sie ihre mystische Liebe und wurde dann vor unseren Augen in einen Tod gerissen, der so entsetzlich war, dass die Erinnerung daran mich noch heute, nach allem, was inzwischen geschehen ist, erschauern lässt. Doch wie lauteten Ayeshas letzte Worte? Vergesst mich nicht... habt Mitleid mit meiner Schande. Ich sterbe nicht. Ich werde wiederkommen, und ich werde wieder schön sein. Ich schwöre es - es ist wahr...

Aber ich kann nicht wieder von dieser Geschichte reden. Außerdem ist sie niedergeschrieben worden. Der Mann, dem ich in dieser Angelegenheit mein Vertrauen schenkte, hat mich nicht enttäuscht, und das Buch, das er aus meiner Geschichte gemacht hat, scheint auf der ganzen Welt bekannt geworden zu sein. Ich habe es hier in Englisch gesehen, und als erstes eine hindustanische Übersetzung gelesen. Dieses Buch empfehle ich denen zu lesen, die auf den Beginn der Geschichte Ayeshas neugierig sind.

In dem Haus an der einsamen Küste Cumberlands lebten wir ein Jahr lang, trauerten um unseren Verlust, suchten nach einem Weg, Ayesha zurückzugewinnen, und fanden keinen. Doch hier gewannen wir unsere Kräfte wieder, und Leos Haar, das bei den entsetzlichen Ereignissen in der Höhle weiß geworden war, wuchs wieder in seiner natürlichen blonden Farbe nach. Auch seine Schönheit kehrte zurück, sein Gesicht wurde wieder so, wie es vorher gewesen war, doch durch das Leid veredelt.

Ich werde diese Nacht niemals vergessen - vor allem nicht die Stunde unserer Erleuchtung. Wir waren in Trauer und Verzweiflung gefangen; wir suchten nach Zeichen, konnten jedoch nirgends eines finden. Die Toten blieben tot, und niemand antwortete auf unsere Tränen.

Es war ein drückend schwüler Augustabend, und nach dem Abendessen gingen wir zur Küste, lauschten dem Rauschen der schweren Brandung und sahen Blitze aus einer weit entfernten Wolke zucken. Wir gingen schweigend, bis Leo plötzlich aufstöhnte - es war mehr ein Schluchzen - und nach meinem Arm griff.

»Ich ertrage es nicht länger, Horace«, sagte er. »Ich bin völlig aufgewühlt. Meine Sehnsucht nach Ayesha bringt mich um. Solange keine Hoffnung besteht, sie wiederzusehen, ist mein Leben sinnlos. Und ich bin kräftig. Vielleicht lebe ich noch fünfzig Jahre.«

»Was kannst du dann tun?«, fragte ich.

»Ich kann den kurzen Weg zum Wissen wählen - und zum Frieden«, antwortete er leise. »Ich kann sterben, und ich will sterben - ja, noch heute Nacht.«

Ich blickte ihn wütend an, denn seine Worte erfüllten mich mit Angst.

»Leo, du bist ein Feigling!«, sagte ich. »Kannst du nicht deinen Schmerz genauso ertragen wie... wie andere?«

»Du meinst, wie du, Horace«, sagte er mit einem bitteren Lachen, »denn auch auf dir ruht der Fluch - und mit weniger Grund. Du bist stärker als ich, und zäher; vielleicht weil du länger gelebt hast. Nein, ich kann es nicht länger ertragen. Ich will sterben.«

»Es ist ein Verbrechen«, sagte ich, »die größte Beleidigung gegenüber den Mächten, die dich geschaffen haben, das Leben wie einen abgenutzten, wertlosen Gegenstand fortzuwerfen, ein Verbrechen, das eine Strafe nach sich zieht, die schlimmer ist, als du sie dir vorzustellen vermagst; vielleicht sogar die Strafe ewiger Trennung.«

»Begeht ein Mann, der in der Folterkammer gequält wird, ein Verbrechen, wenn er ein Messer ergreift und sich umbringt? Vielleicht; aber sicher ist das eine Sünde, die vergeben werden kann - wenn zerfetztes Fleisch und zerrissene Nerven nach Erlösung schreien. Ich bin so ein Mann, Horace, und ich werde das Messer benutzen und das Risiko der Verdammnis auf mich nehmen. Sie ist tot, und im Tode werde ich ihr zumindest nahe sein.«

»Wer sagt, dass sie tot ist, Leo? Vielleicht ist Ayesha noch am Leben.«

»Nein. Wenn sie lebte, hätte sie mir irgendein Zeichen gegeben. Mein Entschluss steht fest, also spare dir deine Worte; wenn wir unbedingt reden müssen, so wollen wir wenigstens das Thema wechseln.«

Ich sprach weiter beschwörend auf ihn ein, obwohl ich kaum hoffte, ihn umstimmen zu können, denn ich sah, dass meine seit langem gehegte Befürchtung eingetroffen war: Leo war verrückt geworden! Schock und Trauer hatten seinen Verstand zerstört. Wenn dem nicht so wäre, würde er, der auf seine Weise ein sehr religiöser Mensch war und in diesen Fragen eine sehr strikte Auffassung hatte, wie ich wusste, niemals auch nur dem Gedanken an einen Selbstmord Raum geben.

»Leo«, sagte ich, »bist du so herzlos, dass du mich allein zurücklassen könntest? Vergiltst du mir so all die Liebe und Sorge für dich? Willst du mich in den Tod treiben? Wenn du das tust, besudelst du deine Hände mit meinem Blut.«

»Mit deinem Blut? Warum mit deinem Blut, Horace?«

»Weil der Weg in den Tod breit genug ist, dass zwei ihn gehen können. Wir haben lange Jahre miteinander gelebt und gemeinsam vieles erlitten. Ich bin sicher, dass wir nicht für lange getrennt sein werden.«

Damit hatte ich ihn in die Enge getrieben, und jetzt bekam er Angst um mich.

»Wenn du dich tötest, werde ich auch sterben«, antwortete ich nur auf seine Einwände. »Dein Tod wäre auch mein Ende.«

Nun gab Leo nach. »Also gut!«, rief er plötzlich. »Ich verspreche dir, dass es nicht heute Nacht geschehen wird. Wir wollen dem Leben eine zweite Chance geben.«

»Danke«, sagte ich. Doch die Angst schnürte mir noch immer die Kehle zu, als ich an diesem Abend zu Bett ging. Denn ich war sicher, dass sein Todes wünsch, nachdem er einmal von ihm Besitz ergriffen hatte, wachsen und wachsen würde, bis er eines Tages übermächtig geworden war, und dann... dann würde auch ich, der ich nicht allein leben konnte, welken und sterben. In meiner Verzweiflung schickte ich meine Seele der entgegen, die von uns gegangen war.

»Ayesha!«, rief ich. »Wenn du irgendwelche Macht hast, wenn es dir irgendwie möglich ist, gib uns ein Zeichen, dass du noch lebst; rette deinen Geliebten vor der Sünde und mich vor dem Tod an gebrochenem Herzen. Habe Mitleid mit seiner Trauer und gib ihm Hoffnung, denn ohne Hoffnung kann Leo nicht leben, und ohne ihn kann ich nicht leben.«

Völlig erschöpft schlief ich ein.

Leos Stimme riss mich aus dem unruhigen Schlaf.

»Horace«, sagte er leise und erregt aus dem Dunkel, »Horace, mein Freund, mein Vater, höre mich an!«

Ich war sofort hellwach, denn der Ton seiner Stimme verriet mir, dass etwas geschehen war, das unser beider Schicksal bestimmen würde.

»Lass mich zuerst eine Kerze anzünden«, sagte ich.

»Lass doch die Kerze, Horace! Mir ist es lieber, im Dunkeln mit dir zu sprechen. Ich bin eingeschlafen und habe den lebhaftesten Traum gehabt, den ich je geträumt habe. Ich stand unter dem Himmelsgewölbe, und es war schwarz, schwarz, schwarz; nicht ein einziger Stern schien, und ich wurde von einem unerträglichen Gefühl der Verlassenheit ergriffen. Doch plötzlich sah ich, weit oben an dem schwarzen Gewölbe, viele hundert Meilen entfernt, ein winziges Licht und glaubte, dass ein Planet aufgetaucht sei, um mir Gesellschaft zu leisten. Das Licht kam langsam näher, wie ein herabschwebendes, brennendes Papier. Tiefer und tiefer und tiefer sank es, bis es direkt über mir stand, und ich erkannte, dass es wie eine Feuerzunge aussah. In der Flöhe meines Kopfes verharrte diese Feuerzunge, und ich sah, dass sich unter ihr eine Frauengestalt befand, auf deren Stirn dieses Fanal brannte. Die Flamme wurde heller, und jetzt erkannte ich die Frauengestalt.

Horace, es war Ayesha! Ihre Augen, ihr wunderschönes Gesicht, ihr dunkles Haar! Und sie blickte mich mit einem traurigen, vorwurfsvollen Ausdruck an, als ob sie mir sagen wollte, so kam es mir vor, wie konntest du an mir zweifeln?

Ich wollte ihr etwas sagen, doch meine Lippen waren wie zugeschnürt. Ich versuchte auf sie zuzutreten, sie zu umarmen, doch mein Körper war wie gelähmt. Zwischen uns war eine Barriere. Sie hob eine Hand und winkte mir, als ob sie mich aufforderte, ihr zu folgen.

Dann glitt sie fort, und, Horace, meine Seele schien sich aus meinem Körper zu lösen und hinter ihr herzuschweben. Wir flogen ostwärts, über Länder und Meere und... ich kannte den Weg. An einem Punkt verhielt sie, und ich blickte hinab. Unter mir lagen im hellen Schein des Mondes die Ruinen der Schlösser von Kôr.

Weiter über die Marschen, und kurz darauf standen wir auf dem Kopf des Äthiopiers, und um uns versammelt waren die Araber, unsere Gefährten, die in der See ertrunken waren. Job befand sich unter ihnen, und er lächelte mich traurig an und schüttelte den Kopf, als ob er uns gerne begleiten würde, es ihm aber unmöglich wäre.

Wieder über einen Ozean und sandige Wüsten, erneut über ein Meer, bis die Küste Indiens unter uns auftauchte. Dann nach Norden, immer weiter nach Norden, über Dschungel und Steppen, bis vor uns ein von ewigem Schnee bedecktes Gebirge auftauchte. Wir zogen auch über das Gebirge hinweg und schwebten ein paar Sekunden lang über einem Gebäude, das am Rand eines kleinen Plateaus stand. Es war ein Kloster, denn ich sah alte Mönche, die auf der Terrasse beteten. Ich werde es wiedererkennen; es ist in der Form eines Halbmondes gebaut, und vor dem Kloster erhebt sich die gigantische, halb verfallene Statue eines Gottes, der ewig über die Unendlichkeit der Wüste blickt. Ich weiß - wieso, kann ich dir nicht erklären -, dass wir uns jenseits der Grenzen Tibets in einem unentdeckten Land befanden. Das Kloster stand auf einem Plateau am Rand einer gewaltigen Bergkette, und jenseits der Wüste erhob sich ein weiteres Gebirgsmassiv, Hunderte von schneebedeckten Gipfeln.

In der Nähe des Klosters erhob sich ein einzelner, steiler Berg, der höher war, als alle anderen. Wir standen auf seinem schneebedeckten Gipfel und warteten, bis plötzlich ein greller Lichtstrahl über die Berge und die Wüste zuckte, wie ein Signal über das Meer. Wir glitten an dem Lichtstrahl hinab - über die Wüste und die Gebirgskette hinweg und über die weite Ebene hinter den Bergen, auf der ich mehrere Dörfer entdeckte, und eine Stadt, die auf einem Hügel erbaut worden war, bis wir auf dem Gipfel eines hoch aufragenden Berges landeten. Ich sah, dass der Gipfel die Form eines Ringes hatte, wie das Lebenssymbol der Ägypter - das Crux-ansata - und auf einem mehrere hundert Fuß hohen, pfeilerförmigen Lavafelsen getragen wurde. Ich sah auch, dass der Feuerschein, der durch diesen Ring fiel, aus dem Krater eines Vulkans kam, der hinter diesem Berg lag. Wir befanden uns auf dem höchsten Punkt des Ringes und ruhten uns ein wenig aus, bis Ayeshas Hand nach unten deutete. Dann lächelte sie und verschwand. Und ich erwachte.

Horace, ich sage dir, das ist das Zeichen, auf das wir gewartet haben!«

Seine Stimme erstarb im Dunkel. Ich saß reglos und dachte über seine Worte nach. Leo tastete sich zu mir, packte meinen Arm und schüttelte ihn.

»Schläfst du?«, fragte er ärgerlich. »Sprich, Mann, sag doch etwas!«

»Ich war noch nie so wach wie jetzt«, antwortete ich. »Lass mir etwas Zeit!«

Ich stand auf, trat zum offenen Fenster und starrte zum Himmel empor, der sich mit der anbrechenden Dämmerung perlgrau färbte. Leo trat neben mich und lehnte sich auf das Fensterbrett. Ich fühlte, dass sein Körper zitterte, als ob er fröre.

»Du sprichst von einem Zeichen«, sagte ich nach einer Weile, »doch ich kann nichts anderes sehen, als einen wilden Traum.«

»Es war kein Traum«, widersprach er hitzig, »es war eine Vision.«

»Gut, meinetwegen eine Vision; aber es gibt echte und falsche Visionen, und woher sollen wir wissen, dass die deine echt ist? Hör mir zu, Leo! Was ist in deinem ganzen, wunderbaren Traum, das nicht Produkt deiner eigenen Phantasie sein könnte, ein Wunschdenken deines Gehirns, das vor Trauer und Sehnsucht an den Rand des Wahnsinns getrieben worden ist? Du hast geträumt, dass du allein unter einem dunklen Himmel stündest. Ist nicht jede lebende Kreatur in letzter Konsequenz allein? Du hast geträumt, dass die schattenhafte Gestalt Ayeshas zu dir gekommen sei. Ist sie jemals von deiner Seite gewichen? Du hast geträumt, dass sie mit dir über Länder und Meere schwebte, über Orte, an die sich Erinnerungen eures gemeinsamen Lebens knüpfen, über die mysteriösen Berge des Unbekannten zu einem unentdeckten Gipfel. Führt sie dich nicht schon seit langem durch das Leben zu jenem Gipfel, der jenseits der Pforten des Todes liegt? Du hast geträumt...«

»Hör auf! Hör auf!«, schrie er. »Ich weiß, was ich gesehen habe, und ich werde Ayeshas Zeichen folgen! Denke, was du willst, Horace, und tu, was du willst! Ich jedenfalls werde morgen nach Indien aufbrechen; mit dir, wenn du dazu bereit bist, oder ohne dich.«

»Warum bist du so grob, Leo?«, sagte ich. »Du vergisst, dass ich kein Zeichen gesehen habe, und dass der Alptraum eines Mannes, der sich so nahe am Rand des Wahnsinns befindet, dass er erst vor wenigen Stunden den Selbstmord plante, eine sehr schwache Stütze ist, wenn wir im Schnee Zentralasiens verkommen. Eine sehr unzuverlässige Vision, Leo, mit einem Berggipfel, der wie ein Crux-ansata geformt ist, und so weiter. Bist du der Überzeugung, dass Ayesha in Zentralasien wiedergeboren wurde - als eine Art weiblicher Dalai Lama oder etwas Ähnliches?«

»Daran habe ich bisher nicht gedacht«, sagte Leo ruhig, »aber warum nicht? Erinnerst du dich an eine bestimmte Szene in den Höhlen von Kôr, als die Lebenden die Toten anblickten, und die Lebenden und die Toten gleich waren? Und erinnerst du dich, dass Ayesha geschworen hat, wiederzukommen - ja, in diese Welt; und wie könnte sie das tun, wenn nicht durch eine Wiedergeburt, oder, was dasselbe ist, durch eine Seelenwanderung?«

Ich fand keine Antwort auf dieses Argument! Ich kämpfte mit mir um einen Entschluss.

»Ich habe kein Zeichen erhalten«, sagte ich, »obwohl ich eine Rolle in diesem Spiel hatte, eine bescheidene Rolle, zugegeben, doch immerhin eine Rolle, die ich, wie ich glaube, noch immer spielen muss.«

»Ja«, sagte er, »du hast kein Zeichen erhalten. Ich wünschte, dass dem so wäre. Oh! Wie sehr wünschte ich, dass du so überzeugt wärst wie ich, Horace!«

Wir schwiegen eine lange Weile, den Blick auf den heller werdenden Himmel gerichtet.

Es wurde ein stürmischer Sonnenaufgang. Eine dichte, phantastisch geformte Wolkendecke hing über der See. Eine der Wolken sah aus wie ein riesiger Berg, und wir blickten zu ihr hinauf. Sie veränderte ihre Form, und ihr Gipfel wurde zu einem riesigen Krater. Aus dem Krater drängte sich eine andere Wolke, ein langgezogenes, pfeilerförmiges Gebilde mit einem Knopf oder Klumpen an seiner Spitze. Plötzlich fielen die Strahlen der aufgehenden Sonne auf diesen Berg und den Pfeiler, und sie strahlten blendend weiß wie Schnee. Dann löste sich das Zentrum des Klumpens an der Spitze des Pfeilers, wie von den Strahlen der Sonne geschmolzen, auf, und zurück blieb ein riesiger Wolkenring.

»Sieh!«, sagte Leo mit leiser, beinahe verängstigt klingender Stimme. »Das ist die Gestalt des Berges, den ich in meiner Vision gesehen habe. Und dort ist der Ring auf seinem Gipfel, durch den der Schein des Vulkanfeuers fällt. Es scheint, als ob das Zeichen uns beiden gilt, Horace.

Ich blickte noch immer zu den Wolken hinauf, bis sich der dunkle Ring auflöste. Dann wandte ich mich Leo zu.

»Ich werde mit dir nach Zentralasien gehen«, sagte ich.

AYESHA - SIE KEHRT ZURÜCK

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