Читать книгу Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski - Henryk Sienkiewicz - Страница 24
Zweites Kapitel.
ОглавлениеDer dumme Zbyszko hatte Bogdaniec in der That mit schwerem Herzen verlassen. Zuvörderst war ihm nicht wohl zu Mute ohne den Oheim, von dem er seit Jahren nicht getrennt gewesen und an den er so gewöhnt war, daß er jetzt gar nicht wußte, wie er sich auf seiner Kriegsfahrt ohne ihn behelfen solle. Dann ging ihm auch die Trennung von Jagienka nahe, denn obgleich er sich selbst sagte, daß er nun zu Danusia kommen werde, die er von ganzer Seele liebte, hatte er sich doch immer so glücklich bei Jagienka gefühlt, daß er jetzt erst empfand, welchen Frohsinn sie um sich her verbreitete, wie öde und leer ihm alles vorkam ohne sie. Er wunderte sich selbst über seinen Kummer, er fühlte sich sogar deshalb beunruhigt. Wenn er sich nach Jagienka gesehnt hatte, wie ein Bruder nach seiner Schwester, wäre es kein Unrecht gewesen. Er fühlte jedoch, daß ihn darnach verlangte, sie zu umfassen und auf das Pferd zu heben oder sie vom Sattel herabzunehmen, um sie durch den Bach zu tragen, daß ihn darnach verlangte, ihr das Wasser aus den Zöpfen zu winden, mit ihr durch die Wälder zu streifen, sie anzuschauen und mit ihr zu plaudern. Die Gewohnheit wirkte dabei so mächtig, und all diese Erlebnisse waren ihm eine solche Wonne gewesen, daß er sich jetzt vollständig in der Erinnerung verlor. Auch vergaß er ganz, daß er sich auf dem Weg nach Masovien befand, dagegen stand ihm fortwährend der Moment vor Augen. da Jagienka ihm im Walde zu Hilfe gekommen war, als er mit dem Bären gerungen hatte. Ihn dünkte, dies sei erst gestern gewesen, und erst gestern sei es gewesen, daß sie zur Biberjagd an den Ostapange-See gingen, damals hatte er ja nicht bemerkt, wie sie sich des Bibers wegen mutwillig in Gefahr begab, jetzt aber dünkte ihn, daß er sie vor sich sehe – und wieder überkam ihn ein Zittern, gerade wie vor einigen Wochen, als Jagienkas Gewand im Winde flatterte. Dann gedachte er auch des Tages, da sie sich prächtig gekleidet zur Kirche nach Krzesnia begeben hatte, er erinnerte sich, wie er sich gewundert hatte, daß solch ein Mädchen, das ihm anfangs so einfach erschienen war, jetzt gleich einem Hoffräulein aus vornehmem Geschlechte daherritt. All dies bewirkte, daß ein eigentümlicher Schwindel ihn erfaßte, daß ein seliges Wonnegefühl, Trauer und Verlangen sein Herz erfüllten, und während er noch darüber nachsann, daß sie vollständig in seiner Gewalt gewesen war, während er darüber nachsann, wie sie sich zu ihm hingezogen gefühlt, wie sie ihm in die Augen geblickt hatte, und wie sie ihm vollständig zu eigen gewesen war, konnte er kaum auf dem Pferde bleiben. »Wenn ich sie jetzt irgendwo träfe und wenigstens Abschied nehmen und sie mit meinen Armen umfassen könnte, würde mir leichter ums Herz werden,« sagte er sich, aber alsbald empfand er auch, daß er sich täusche, denn schon bei dem Gedanken an einen derartigen Abschied lief es wie Feuer durch seine Adern, obwohl die Nacht kalt war.
Schließlich erschrak er über seine eigenen verwegenen Gedanken, und er suchte sie von sich abzuschütteln, wie man Schneeflocken vom Mantel schüttelt. »Zu Danusia begebe ich mich ja, zu meiner geliebten Herrin!« sagte er sich.
Und zugleich erkannte er, daß dies eine andere Liebe war, eine ruhigere Liebe, die weniger sein ganzes Sein und Wesen durchdrang. Allmählich, je mehr seine Füße in den Steigbügeln erstarrten und der rauhe Wind ihm das Blut kühlte, wendeten sich seine Gedanken Danusia zu, ihr – ja ihr war er in der That Dank schuldig. Wäre sie nicht gewesen, so hätte ja sein Haupt auf dem Markte zu Krakau fallen müssen, da sie in Gegenwart der Ritter und Bürger ausrief: »Mein bist Du!« entriß sie ihn den Händen des Henkers, und seitdem gehörte er ihr an, wie der Sklave seinem Herrn. Nicht er hatte sie erwählt, sondern sie hatte ihn erkoren, daran konnte selbst Jurand nichts ändern. Sie allein hätte ihn verabschieden können, wie die Herrin den Diener verabschieden kann, gleichwohl hätte er sie aber auch dann nicht verlassen, weil ihn sein eigenes Gelübde band. Auch wußte er, sie werde ihn nicht von sich scheuchen, sondern eher den masovischen Hof verlassen und ihm folgen bis ans Ende der Welt. Und während er darüber nachsann, verherrlichte er sie unwillkürlich in seinem Innern, Jagienkas Bild hingegen ward in den Hintergrund gedrängt, als ob es ausschließlich ihre Schuld gewesen wäre, daß ihn zuweilen ein süßes Verlangen nach ihr überkam, und daß sein Herz sich im Zwiespalt befand. Daß Jagienka den alten Macko geheilt hatte, daß ohne ihr Dazwischenkommen der Bär ihm selbst in jener Nacht vielleicht die Haut vom Leibe gerissen hätte, kam ihm jetzt gar nicht in den Sinn. Absichtlich redete er sich in einen gewissen Zorn gegen Jagienka hinein, weil er meinte, daß er sich auf diese Weise Danusia gegenüber verdient mache, und weil er sich in seinen eigenen Augen rechtfertigen wollte.
Ein Reitersmann, der ein zweites, reichbeladenes Pferd am Zügel führte, weckte ihn aus seinen Gedanken. Es war der Böhme Hlawa.
»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte er, sich tief verneigend.
Zwar hatte ihn Zbyszko schon in Zgorzelic gesehen, doch er erkannte ihn jetzt nicht und erwiderte: »Von Ewigkeit zu Ewigkeit! Wer bist Du denn?«
»Euer Knecht, edler Herr!«
»Wieso mein Knecht? Dies sind meine Knechte!« entgegnete Zbyszko, auf die beiden Türken, die er von Sulimczyk Zlawisza zum Geschenk erhalten, und auf zwei kräftige Bursche zeigend, die zu Roß saßen und die Hengste des Ritters am Zügel führten, »Wer hat Dich hierher geschickt?«
»Die Jungfrau Jagienka Zych aus Zgorzelic!«
»Die Jungfrau Jagienka?« Zbyszko, der sich soeben erst im Innern förmlich gegen sie aufgelehnt hatte, dessen Herz noch von Groll gegen sie erfüllt war, versetzte: »Kehre nach Hause zurück und danke Deiner Herrin in meinem Namen für ihre Gewogenheit, denn Du kannst nicht bei mir bleiben.«
Aber der Böhme schüttelte den Kopf: »Ich kehre nicht zurück, Herr! Euer bin ich jetzt, und ich habe geschworen, Euch zu dienen bis zum Tode.«
»Wenn ich Dich von ihr zum Geschenk erhalten habe, bist Du mein Diener!«
»Euer Diener, Herr!«
»Und ich befehle Dir, zurückzukehren.«
»Ich aber habe geschworen, und wennschon ich bei Boleslawicz zum Gefangenen gemacht wurde, wennschon ich als Knecht dienen muß, bin ich doch auch ein Edelmann.«
Nun geriet Zbyszko in Zorn: »Packe Dich fort! Wie, Du kannst mir doch nicht gegen meinen Willen dienen? Packe Dich fort, sonst lasse ich die Armbrust spannen.«
Der Böhme band ruhig einen mit Wolfspelz gefütterten Mantel auf, überreichte ihn Zbyszko und sagte: »Die Jungfrau Jagienka sendet Euch auch dies.«
»Willst Du, daß ich Dir die Knochen entzwei schlage?« fragte Zbyszko, seine Lanze aus der Hand eines Knechtes nehmend.
»Und hier ist auch eine Geldkatze, die Euch zu Gebot steht!« fügte der Böhme hinzu.
Zbyszko hatte schon die Lanze angelegt, doch nun erinnerte er sich, daß dieser Mann wohl ein Gefangener, aber aus adeligem Geschlechte war, und daß er offenbar nur deshalb hatte bei Jagienka bleiben müssen, weil er nichts besaß, um sich loszukaufen, daher ließ er die Lanze wieder sinken. Der Böhme aber neigte sich tief bis zu seinen Füßen herab und sagte: »Erzürnt Euch nicht, Herr! Da Ihr mir nicht befehlt, bei Euch zu bleiben, will ich einige hundert Schritte oder noch etwas mehr hinter Euch reiten, aber begleiten werde ich Euch, denn dies habe ich bei meinem Seelenheil geschworen.«
»Und wenn ich Dich totschlagen oder fesseln lasse?«
»Wenn Ihr mich totschlagen laßt, wird es nicht meine Sünde sein, und wenn Ihr mich fesseln laßt, werde ich es aushalten, bis gute Leute mich befreien oder die Wölfe mich auffressen.«
Zbyszko gab keine Antwort – er trieb sein Pferd an, und auch seine Leute setzten sich in Bewegung. Mit der Armbrust auf der Schulter, dem Beile im Arm, ritt der Böhme hinter ihnen her. Er hatte das zottige Fell eines Auerochsen um sich geschlagen, denn ein scharfer Wind wehte und führte dichte Schneeflocken mit sich.
Das Unwetter nahm mit jedem Augenblick zu. Trotz ihrer Schafpelze waren die Türken wie erstarrt vor Kälte, Zbyszkos Diener schlugen sich in die Hände, und da er selbst nicht warm genug gekleidet war, warf er hie und da einen verstohlenen Blick auf den mit Wolfspelz gefütterten Mantel, der ihm von Hlawa gebracht worden war, und schließlich gebot er einem der Türken, ihm den Mantel zu reichen. Und als er sich dicht hineingehüllt hatte, fühlte er bald eine wohlthuende Wärme, welche den ganzen Körper durchdrang. Den besten Dienst leistete ihm die Kapuze, welche seine Augen und einen großen Teil seines Gesichtes bedeckte, so daß er den Wind kaum mehr spürte. Nun sagte er sich unwillkürlich, daß Jagienka doch ein seelengutes Mädchen sei – und er hielt sein Pferd an, weil ihn die Lust überkam, den Böhmen nach ihr und nach allem auszuforschen, was sich mittlerweile in Zgorzelic zugetragen hatte.
Er winkte daher dem Boten Jagienkas und richtete an ihn die Frage: »Weiß denn der alte Zych, daß Dich die Jungfrau zu mir gesandt hat?«
»Er weiß es!« entgegnete Hlawa.
»Und er hat sich nicht widersetzt?«
»Ja, er hat sich widersetzt!«
»Erzähle mir ganz genau, wie es gewesen ist.«
»Der Herr rannte in der Stube herum und die Jungfrau hinter ihm her. Er war sehr ärgerlich und schrie, aber das Mädchen gab keinen Laut von sich – doch als er sich zu ihr umwandte, fiel sie zu seinen Füßen nieder, ohne ein einziges Wort zu äußern. Schließlich sagte der Herr: ›Du bist wohl taub geworden, daß Du gar nichts auf meine Vorstellungen erwiderst? Sprich Dich wenigstens aus, denn am Ende muß ich es ja doch gestatten. Aber wenn ich es gestatte, reißt mir der Abt den Kopf herunter!‹ Als nun die Jungfrau sah, daß sie ihren Willen durchsetzen werde, dankte sie unter Thränen. Der Herr machte ihr Vorwürfe, daß sie ihn überredet hatte, und klagte darüber, daß sie in allem ihren Willen durchsetzen wolle, zuletzt aber sagte er: ›Versprich mir, daß Du Dich nicht heimlich hinausstiehlst, um Dich von ihm zu verabschieden, dann gebe ich meine Einwilligung, sonst aber nicht!‹ Da wurde die Jungfrau sehr betrübt, aber sie versprach es – und der Herr war sehr froh darüber, weil er und der Abt eine furchtbare Angst gehabt hatten, ihr könne die Lust kommen, Euer Gnaden noch einmal zu sehen … das war aber noch nicht alles, denn die Jungfrau wollte, daß ich mich mit zwei Pferden zu Euch aufmache, und der Herr untersagte es, das Jungfräulein wollte Euch den Wolfspelz und die Geldkatze schicken, der Herr untersagte es. Doch was nützen solche Verbote? Wenn es ihr in den Sinn käme, das Haus anzuzünden, so würde der Herr es schließlich auch erlauben. So bin ich denn mit zwei Pferden, mit dem Wolfspelz und der Geldkatze zu Euch gekommen.«
»Welch gutes Mädchen!« sagte sich Zbyszko im Innern.
Nach einer Weile fragte er: »Und hatten sie mit dem Abte nicht ihre liebe Not?«
Der Böhme lächelte wie ein verständiger Mann, welcher alles wahrnimmt, was um ihn her vorgeht, und erwiderte: »Die beiden verheimlichten es vor dem Abte, und was weiter geschah, weiß ich nicht, weil ich zeitig wegritt. Der Abt bleibt immer der Abt – zuweilen schreit er auch das Jungfräulein Jagienka an, aber dann betrachtet er sie unverwandt, um zu ergründen, ob er sie beleidigt hat. Ich war selbst einmal dabei, als er mit ihr zankte, gleich darauf jedoch an seine Truhe ging, eine Kette herausnahm, wie selbst in Krakau keine schönere zu finden ist, und sagte: »Hier, nimm!« Ja, auch mit dem Abte wird sie sich zu helfen wissen, denn der eigene Vater hat sie nicht lieber als er.«
»Gewiß, so ist es!«
»So wahr Gott im Himmel ist!«
Ein kurzes Schweigen folgte, und weiter ritten sie, inmitten des Sturmes und des Schneegestöbers. Da hielt Zbyszko sein Pferd an, denn plötzlich ließ sich eine klagende, durch das Rauschen des Waldes kaum hörbare Stimme vernehmen: »Christen, errettet einen Diener Gottes aus seiner Bedrängnis!«
Beinahe gleichzeitig erblickten sie einen Mann in halb geistlicher, halb weltlicher Tracht, der ihnen entgegeneilte und vor Zbyszko stehen bleibend, ausrief: »Wer Du auch seist, Herr, hilf Deinem Nebenmenschen in seiner schweren Not!«
»Was ist geschehen? Ist Euch etwas zugestoßen?« fragte der junge Ritter.
»Ich bin ein Diener Gottes, wenngleich ich nicht die Weihen empfangen habe, und mir ist das Unglück zugestoßen, daß mein Pferd, welches zwei Laden mit Heiligtümern trug, sich heute früh losriß. Allem, ohne Waffen bin ich zurückgeblieben, der Abend naht heran und bald werden sich die wilden Tiere im Walde vernehmen lassen. Ich gehe zu Grunde, wenn Ihr mich nicht rettet!«
»Wenn Du durch meine Schuld zu Grunde gingest, wäre ich ja für Deine Sünden verantwortlich,« entgegnete Zbyszko. »Aber woran erkenn’ ich, daß Du die Wahrheit sagst, und daß Du nicht irgend ein Landstreicher oder ein Beutelschneider bist, wie sich deren so viele herumtreiben?«
»Meine beiden Schreine sollen Dir den Beweis liefern, Herr! Gar mancher würde gern einen Beutel voll Dukaten für das geben, was sich darin befindet. Du aber wirst umsonst etwas daraus bekommen, wenn Ihr mich und meine Schreine mitnehmt.«
»Du sagst, Du seist ein Diener Gottes und weißt nicht einmal, daß man nicht auf irdischen, sondern nur auf himmlischen Lohn rechnen darf, wenn man jemand aus der Not hilft? Aber wieso hast Du die Laden bei Dir behalten, wenn das Pferd, das sie trug, Dir entlaufen ist?«
»Weil das Pferd, ehe ich es fand, offenbar von den Wölfen auf einer Waldwiese zerrissen worden war, die Laden aber zurückblieben und ich sie hierher an den Weg schleppte, um zu warten, bis gute Menschen sich meiner erbarmen würden.«
Und als ob er zugleich den Beweis liefern wollte, daß er die Wahrheit redete, zeigte er auf zwei unter einem Fichtenbaum liegende Schreine.
Zbyszko betrachtete den Unbekannten mit mißtrauischen Blicken, zumal dessen Sprache zwar richtig war, aber doch den Ausländer verriet. Gleichwohl wollte er dessen Bitte um Hilfe nicht abschlagen und gestattete ihm, sich mit den beiden Laden, welche auffallend leicht waren, sich auf das herrenlose Pferd zu setzen, das der Böhme ihm zugeführt hatte.
»Möge Gott Deine Siege mehren, tapferer Ritter!« sagte der Unbekannte.
Und das jugendliche Gesicht Zbyszkos näher ansehend, fügte er hierauf halblaut hinzu: »Und Deine Barthaare gleichfalls.«
Dann ritt er neben dem Böhmen her. Während einiger Zeit vermochten sie nichts zu reden, weil der Sturm zu heftig tobte und ein starkes Rauschen durch den Wald ging, aber als es stiller geworden war, vernahm Zbyszko folgendes Gespräch der hinter ihm Reitenden.
»Darüber will ich nicht mit Dir streiten, ob Du in Rom gewesen bist, aber jedenfalls siehst Du aus, wie ein Biersaufer,« sagte der Böhme.
»Hüte Dich vor ewiger Verdammnis!« entgegnete der Unbekannte, »denn Du sprichst mit einem Menschen, der am letzten Osterfest harte Eier mit dem heiligen Vater verspeist hat. Sprich mir auch nicht bei solcher Kälte von Bier, oder wenigstens von gewärmtem, aber wenn Du irgendwo eine Flasche mit Wein bei Dir hast, so gieb mir zwei Schluck oder drei, dann sollst Du Ablaß für einen Monat Fegfeuer von mir bekommen.«
»Du hast die Weihen nicht erhalten – ich hörte ja, daß Du davon sprachst – wie kann ich also Ablaß für einen Monat Fegfeuer von Dir bekommen?«
»Nein, die Weihen habe ich nicht, aber mein Kopf ist geschoren, denn dazu habe ich die Erlaubnis erhalten und außerdem führe ich Ablaßzettel und Reliquien bei mir.«
»In diesen hölzernen Schreinen?« fragte der Böhme.
»Ja, in diesen hölzernen Schreinen. Ach, wenn Ihr alles sehen würdet, was ich habe, so würdet Ihr auf Euer Antlitz niederfallen und mit Euch würden alle Fichtenbäume im Walde samt den wilden Tieren niederknien.«
Aber der Böhme, der zwar noch jung, aber doch klug und erfahren war, sah den Verkäufer der Ablaßzettel mißtrauisch an und ließ sich also vernehmen: »Und die Wölfe haben also Dein Pferd aufgefressen?«
»Ja, ja sie haben es aufgefressen, weil sie sich wie die Teufel daraufstürzten, aber dann sind sie auch zerplatzt. Einen der zerplatzten Wölfe habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen. Wenn Du Wein hast, so gieb her, denn obgleich der Wind nachgelassen hat, bin ich starr vor Frost, weil ich so lange am Wege saß.«
Doch der Böhme gab ihm keinen Wein, und wieder ritten sie schweigend weiter, bis der Reliquienhändler von neuem begann: »Wohin begebt Ihr Euch?«
»In ferne Lande. Einstweilen aber nach Sieradz. Geht Ihr mit uns?«
»Ich muß wohl. Im Stalle kann ich mich dann ausschlafen, morgen schenkt mir der gottesfürchtige Ritter vielleicht dies Pferd – und dann eile ich weiter.«
»Woher bist Du?«
»Unter preußischer Herrschaft stehe ich, bei Marienburg bin ich zu Hause.«
Als Zbyszko dies hörte, wandte er sich um und winkte dem Unbekannten, er möge sich nähern.
»Bei Marienburg bist Du zu Hause?« fragte er. »Kommst Du von dort?«
»Ja, von Marienburg!«
»Aber zweifellos bist Du kein Deutscher, da Du unsere Sprache so gut sprichst. Wie nennt man Dich?«
»Ich bin ein Deutscher und werde Sanderus genannt. Eure Sprache spreche ich, weil ich in Thorn geboren bin, wo alles Volk so spricht. Später wohnte ich in Marienburg, aber dort war es gerade so. Sogar die Ordensbrüder verstehen Eure Sprache.«
»Und seid Ihr schon lange aus Marienburg weg?«
»Herr, ich bin im heiligen Lande gewesen, dann in Konstantinopel und in Rom, von dort kehrte ich durch Frankreich nach Marienburg zurück. Von Marienburg begab ich mich nach Masovien, um die heiligen Reliquien feilzubieten, welche fromme Christen ihres Seelenheiles wegen gerne kaufen.«
»Bist Du in Plock gewesen? Oder vielleicht in Warschau?«
»Ich bin hier und dort gewesen. Möge Gott den beiden Fürstinnen Gesundheit verleihen! Nicht umsonst wird die Fürstin Alexandra auch von den preußischen Machthabern verehrt, denn sie ist eine gottesfürchtige Frau – und die Fürstin Anna, Januszs Gattin, ist nicht minder vortrefflich.«
»Hast Du in Warschau den Hof gesehen?«
»Nicht in Warschau, sondern in Ciechanow, wo das Fürstenpaar mich als Diener Gottes gastfreundlich aufnahm und mich freigebig mit einem Zehrpfennig versah. Aber ich ließ ihnen auch Reliquien zurück, welche den Segen Gottes auf sie herabrufen werden.«
Zbyszko stand schon im Begriff, nach Danusia zu fragen, aber plötzlich überkam ihn eine unbestimmte Scheu, und ein gewisses Schamgefühl hielt ihn davon ab, denn er sagte sich, das hieße einen Unbekannten von niederem Stande, einen Menschen, der zudem verdächtig aussah und ein gewöhnlicher Betrüger sein konnte, zum Vertrauten seiner Liebe machen.
Nach kurzem Schweigen fragte er daher: »Was für Reliquien führst Du denn mit Dir in der Welt herum?«
»Ablaßzettel und Reliquien biete ich feil, und die Ablaßzettel sind verschieden: es giebt solche für ewige Zeit und für fünfhundert, dreihundert, zweihundert Jahre und für kürzere Zeit, auch ganz billige, damit die armen Leute sie kaufen können, um sich dadurch die Höllenqualen zu verkürzen. Ich habe Ablaßzettel für die früheren und für die künftigen Sünden, aber denkt nicht, Herr, daß das Geld, welches ich einnehme, mir gehört. Ein Stückchen Schwarzbrot und ein Schluck Wasser, das ist alles, was ich brauche. Den Rest von dem, was ich zusammenbringe, sende ich nach Rom, auf daß mit der Zeit ein neuer Kreuzzug unternommen werden kann. Zwar gehen viele Schwindler auf der Welt herum, deren Ablaßzettel und Reliquien und Siegel und Zeugnisse gefälscht sind – und diese verfolgt der Heilige Pater mit Fug und Recht durch Steckbriefe, mir aber hat der Prior von Sieradz eine schwere Kränkung zugefügt, und sehr ungerecht ist er gegen mich gewesen – denn meine Siegel sind ganz echt. Betrachtet nur das Wachs, Herr, und sagt selbst, ob es nicht wahr ist!«
»Und was that der Prior von Sieradz?«
»Ach Herr, gebe Gott, daß ich unrecht hatte, wenn ich behauptete, der Prior sei durch die ketzerische Lehre Wikless angesteckt worden. Wenn Ihr Euch aber nach Sieradz begebt, wie mir der Knecht von Euer Gnaden sagte, will ich mich dem Prior gar nicht zeigen, um ihn nicht zur Sünde und zur Lästerung der heiligen Reliquien zu verleiten.«
»Dies soll, kurz gesagt, wohl heißen, daß er Dich für einen Betrüger und Beutelschneider hält?«
»Herr, wenn er mich dafür hielte, so würde ich ihm dies aus reiner Nächstenliebe verzeihen, ja, ich habe ihm sogar schon verziehen, aber er hat meine heilige Ware gelästert, wofür er, wie ich fürchte, ohne Rettung ewig verdammt bleiben wird.«
»Was für eine heilige Ware hast Du denn?«
»Eine Ware, von der man nicht mit bedecktem Haupte sprechen sollte, da ich aber diesmal die Ablaßzettel bereit halte, gebe ich Euch, Herr, die Erlaubnis, die Kapuze aufzubehalten, weil der Wind wieder anfängt zu blasen. Kauft dafür einen Ablaßzettel, sobald wir Rast machen, und die Sünde wird Euch nicht angerechnet werden. Was habe ich nicht alles feil! Ich habe den Huf des Eseleins, auf welchem die Flucht nach Aegypten unternommen wurde. Bei den Pyramiden ist dieser Huf gefunden worden, der König von Aragonien hat mir fünfzig Dukaten in gutem Golde dafür geboten. Aus den Flügeln des Erzengels Gabriel besitze ich eine Feder, welche er bei der Verkündigung verlor; ich habe zwei Köpfe von den Wachteln, welche den Israeliten in die Wüste herabgesandt wurden; ich habe das Oel, worin die Heiden Johannes braten wollten – und eine Sprosse der Leiter, von der Jakob träumte – und Thränen von der Aegyptischen Maria und ein wenig Rost von den Schlüsseln des hl. Petrus. Aber alles vermag ich nicht aufzuzählen, erstens weil ich ganz erstarrt vor Kälte bin und Dein Knappe, Herr, mir keinen Wein geben will, und zweitens darum, weil ich bis in die späte Nacht nicht damit fertig würde.«
Nach einiger Zeit brachten denn auch die Knechte ein neues Brett herbei und Sanderus begann zu schreiben.
»Das sind wertvolle Reliquien, wenn sie echt sind,« bemerkte Zbyszko.
»Wenn sie echt sind? Nimm die Lanze aus der Hand des Knechtes, Herr, und stoße zu, denn offenbar ist der Teufel in der Nähe und giebt Dir solche Gedanken ein. Herr, halte ihn Dir durch die Lanze vom Leibe! … Und wenn Du kein Unglück auf Dich herabbeschwören willst, so kaufe bei mir einen Ablaßzettel für diese Sünde – sonst wird innerhalb dreier Wochen das Wesen sterben, das Du am meisten auf der Welt liebst.«
Zbyszko erschrak über diese Drohung, denn unwillkürlich kam ihm Danusia in den Sinn, und er sagte daher: »Ich bin es ja nicht, der an der Echtheit Deiner Reliquien zweifelt, sondern der Prior der Dominikaner in Sieradz.«
»Betrachtet doch nur einmal das Wachs der Siegel, Herr – Wer weiß ob der Prior jetzt noch am Leben ist, denn Gottes Strafe bleibt nie lange aus.«
Doch als sie in Sieradz anlangten, zeigte es sich, daß der Prior noch am Leben war. Zbyszko wandte sich sogar an ihn um zwei Messen, die eine für Macko, die andere der Pfauenbüsche wegen lesen zu lassen, auf deren Eroberung er bedacht war. Der Prior, einer der Ausländer, die damals in Polen lebten, war in Cilli geboren, hatte sich aber durch seinen vierzigjährigen Aufenthalt in Sieradz die Polnische Sprache vollständig zu eigen gemacht und war ein ausgesprochener Feind der Kreuzritter. Als er Zbyszkos Absicht erfuhr, sagte er: »Gott wird wohl noch eine schwere Strafe über die Kreuzritter verhängen. Und Dir rate ich nicht ab, das auszuführen, was Du Dir vorgenommen hast, erstens weil Dein Eid Dich bindet und zweitens weil die Polen sich nicht genug für das rächen können, was die Kreuzritter in Sieradz gethan haben.«
»Was haben sie denn gethan?« fragte Zbyszko, welcher sich immer freute, wenn er etwas von den widerrechtlichen Thaten der Kreuzritter vernahm.
Da faltete der greise Prior die Hände und fing an laut für die ewige Ruhe der Seelen zu beten. Hierauf ließ er sich auf einen Sessel nieder, drückte eine Weile die Augen zu, wie wenn er alte Erinnerungen heraufbeschwören wolle, und begann folgendermaßen:
»Durch Wincenty aus Szamotor wurden sie hierhergeführt. Damals war ich zwölf Jahre alt und gerade aus Cilli angekommen. Mein Oheim Petzoldt hatte mich von dort mit hierher genommen. Des Nachts nun fielen die Kreuzritter in die Stadt ein und steckten sie in Brand. Von der Schutzwehr aus sahen wir, wie sie Männer, Frauen und Kinder köpften, wie sie Säuglinge in die Flammen warfen … Ja, ich sah es sogar mit an, wie sie auch Geistliche totschlugen, da sie in ihrer Wut niemand schonten. Der Zufall wollte es, daß der Prior Mikolaj aus Elbing den die Krieger anführenden Komtur Hermann kannte, daher ging er mit den älteren geistlichen Brüdern dem blutgierigen Ritter entgegen und vor ihm niederknieend, flehte er ihn in deutscher Sprache an, er möge sich seiner christlichen Nebenmenschen erbarmen. Doch der Komtur entgegnete: »Ich verstehe Euch nicht!« und befahl, die Menschen weiter zu schlachten. Damals tötete man auch die Klosterbrüder und mit ihnen meinen Oheim. Mikolaj aber ward einem Pferde an den Schwanz gebunden. Frühmorgens war kein einziger Lebender mehr in der Stadt außer den Kreuzrittern und mir. Denn ich hatte mich oben an der Kirchenglocke hinter einem Brett versteckt. Bei Plowce wurden sie von Gott für all dies bestraft, aber nun lauern sie beständig auf den Untergang unseres christlichen Reiches und sie werden so lange lauern, bis Gottes Arm sie ganz zerschmettert hat.«
»Bei Plowce sind fast alle Männer meines Stammes zu Grunde gegangen,« erwiderte Zbyszko, »aber ich beklage es nicht, weil Gott dem König Lokietek einen so großen Sieg verliehen hat und zwanzigtausend Deutsche gefallen sind.«
»Du wirst wohl noch größere Schlachten und noch größere Siege erleben!« sagte der Prior.
»Amen!« entgegnete Zbyszko.
Dann kam die Rede auf andere Dinge. Der junge Ritter fragte den Prior nach dem Reliquienhändler, den er unterwegs getroffen hatte, und erfuhr, daß sich viele solche Schwindler auf den Straßen umhertrieben, um leichtgläubige Leute zu bethören. Auch sagte ihm der Prior, durch eine päpstliche Bulle sei den Bischöfen geboten worden, diese Händler zu verfolgen und sofort Gericht über jeden zu halten, der nicht die richtigen Schriften und Siegel aufweisen könne. Weil nun die Zeugnisse jenes Landstreichers dem Prior verdächtig erschienen waren, hatte er ihn der Jurisdiktion des Bischofs überliefern wollen. Würde der Reliquienhändler damals die Echtheit seiner Ablaßzettel bewiesen haben, so wäre er straflos davongekommen, doch er hatte vorgezogen, sich durch die Flucht jeder Verantwortung zu entziehen. Vielleicht hatte er vornehmlich die Verzögerung seiner Reise befürchtet, jedenfalls war er aber durch sein Verschwinden nur noch verdächtiger erschienen.
Als Zbyszko im Begriff stand, sich zu entfernen, lud der Prior ihn ein, im Kloster zu übernachten, allein der Jüngling konnte nicht darauf eingehen. Er wollte an die Schenke eine Tafel hängen lassen, mit einer Herausforderung zum Kampfe »zu Fuß oder zu Pferd« an alle Ritter, welche es bestritten, daß die Jungfrau Danuta, Jurands Tochter, das schönste und tugendhafteste Mädchen im Königreiche sei – und eine solche Herausforderung an die Klosterpforten anzubringen, wäre durchaus nicht thunlich gewesen. Auch verstand sich weder der Prior noch einer der Klosterbrüder dazu, die Herausforderung zu schreiben, wodurch der junge Ritter in große Verlegenheit geriet und nicht wußte, wie er sich Rat schaffen solle. Erst als er die Schenke betrat, kam ihm der Gedanke, sich um Beistand an den Ablaßverkäufer zu wenden.
»Der Prior ist durchaus nicht klar darüber, ob Du ein Taugenichts bist!« erklärte der junge Ritter dem Händler, »denn er sagt: ›Weshalb sollte jener Mann das bischöfliche Gericht fürchten, wenn seine Zeugnisse nicht gefälscht sind‹?«
»Den Bischof fürchte ich auch nicht,« antwortete Sanderus, »sondern einzig nur die Mönche, welche sich nicht auf die Siegel verstehen. Jetzt wollte ich mich nach Krakau begeben, aber ich besitze kein Pferd und muß daher warten, bis mir jemand eines schenkt. Mittlerweile sende ich ein Schreiben ab, auf das ich mein eigenes Siegel drücken will.«
»Ei, wenn Du der Schrift kundig bist, so ist dies ein Beweis, daß Du nicht zu den einfältigen Menschen zählst. Und wie übersendest Du Deinen Brief?«
»Durch irgend einen Pilgrim oder einen fahrenden Bruder. Es wallfahren ja manche Leute ans Grab der Königin nach Krakau.«
»Könntest Du mir nicht die Herausforderung schreiben?«
»Herr, ich will alles, was Ihr verlangt, schreiben – ganz schön und ganz richtig, selbst wenn es auf einem Brette sein müßte.«
»Ein Brett wird am besten sein, weil man es nicht zerreißen kann und es mir auch später von Nutzen sein wird.«
Nach einiger Zeit brachten denn auch die Knechte ein neues Brett herbei und Sanderus begann zu schreiben. Was er schrieb, konnte Zbyszko zwar nicht lesen, gleichwohl befahl er, die Herausforderung sofort an dem Thore zu befestigen und darunter sein Schild aufzuhängen. Die beiden Türken mußten dies abwechselnd bewachen. Wer dann mit der Lanze darauf schlug, gab damit das Zeichen, daß er die Herausforderung annahm.
Indessen schien es in Sieradz offenbar an Leuten zu fehlen, welche an solchen Sachen Gefallen fanden, denn weder an diesem Tage noch am folgenden Morgen erklang der Schild auch nur ein einziges Mal. Etwas niedergeschlagen brach der Jüngling um die Mittagszeit wieder auf.
Bevor er aber Sieradz verließ, kam Sanderus zu ihm und sagte: »Herr, würdet Ihr den Schild in dem Gebiet der preußischen Machthaber heraushängen, so müßte Euch der Knappe schon jetzt die Riemen der Rüstung festziehen.«
»Wie wäre dies möglich! Ein Kreuzritter darf sich ja als Ordensbruder keine Herrin erkiesen, der er in Liebe dient. Dies ist ihm verboten.«
»Ob es ihnen verboten ist, weiß ich nicht, ich weiß nur, daß sie sich auch ihre Herrinnen erwählen. Das ist wahr, daß ein Kreuzritter sich nicht zum Zweikampf stellen kann, ohne Aergernis zu geben, weil er geschworen hat, daß er, gemeinschaftlich mit allen andern, nur für den Glauben kämpfen werde. Außer den Ordensbrüdern halten sich aber auch fremde weltliche Ritter dort auf, welche den preußischen Herren stets zu Hilfe kommen. Die warten nur auf eine Gelegenheit, sich mit irgend jemand im Kampfe zu messen, und besonders die französischen Ritter zeigen immer Lust dazu.«
»Traun! Ich habe sie bei Wilna gesehen und will’s Gott, werde ich sie auch in Marienburg sehen. Die Pfauenbüsche an den Helmen der Ritter muß ich erobern, denn ich habe es gelobt, verstehst Du?«
»Kauft mir zwei oder drei Tropfen von dem Schweiße ab, den der heilige Georg beim Kampfe mit dem Drachen vergossen hat. Mehr als alle andern ist einem Ritter diese Reliquie von Nutzen. Gebt mir dafür das Pferd, auf dem ich hierherritt, wie Ihr befahlt, dann lege ich Euch auch noch einen Ablaßzettel für das Christenblut hinzu, welches Ihr im Kampfe vergießen werdet.«
»Laß mich in Frieden, sonst werde ich böse. Von Deiner Ware werde ich nichts nehmen, ehe ich weiß, daß sie echt ist.«
»Nun, Herr, wie Ihr gesagt habt, begebt Ihr Euch ja an den masovischen Hof zum Fürsten Janusz. Fragt also dort darnach, wie viele Reliquien mir abgekauft wurden – auch von der Fürstin selbst – und von den Rittern und von den Jungfrauen bei den Hochzeiten, denen ich angewohnt habe.«
»Bei welchen Hochzeiten?« fragte Zbyszko.
»Vor dem Advent finden ja immer viele statt. Und ein Ritter nach dem andern vermählte sich, denn die Leute sprechen davon, daß ein Krieg zwischen dem polnischen König und den preußischen Herren aus dem Gebiete von Dobrzyn ausbrechen werde. Da sagt sich denn mancher: ›Gott weiß, ob ich am Leben bleibe!‹ und deshalb will er zuvor im glücklichen Besitz seines Weibes sein.«
Die Kunde von dem Kriege machte einen tiefen Eindruck auf Zbyszko, aber noch tieferen Eindruck machte das, was Sanderus von den verschiedenen Ehebündnissen berichtet hatte. Daher fragte er: »Welche Mägdlein sind es, die sich vermählt haben?«
»Hoffräulein der Fürstin. Ich weiß nicht, ob ein einziges übrig geblieben ist, denn ich hörte, wie die Fürstin sagte, sie müsse sich neue zu ihren Diensten heranziehen.«
Als Zbyszko dies hörte, schwieg er eine Weile, dann aber fragte er abermals mit ganz veränderter Stimme: »Und hat sich die Jungfrau Danuta, Jurands Tochter, deren Namen auf der Tafel steht, auch vermählt?«
Sanderus zauderte mit der Antwort, erstens deshalb, weil er nichts sicher wußte, und zweitens, weil er sich sagte, wenn er den Ritter in Ungewißheit lasse, werde er ein gewisses Uebergewicht über ihn erlangen und könne ihn dadurch besser ausnützen. Längst schon hatte er bei sich erwogen, ob er sich nicht zu diesem Kämpen halten solle, dessen Wohlhabenheit nicht nur das ansehnliche Gefolge, sondern auch das ganze Auftreten verriet. Sanderus verstand sich auf das Gefolge und auf die Ausrüstungen der Ritter. Die große Jugend Zbyszkos schien ihm auch eine Gewähr dafür zu leisten, daß sich dieser sehr freigebig erweisen und mit dem Gelde leicht um sich werfen werde. Dafür bürgten ja auch die kostbare Mailänder Rüstung und die mächtigen Kriegsrosse, die der erste beste nicht besitzen konnte. Demzufolge kam er daher zu der Ueberzeugung, das Anschließen an ein solches Herrlein werde ihm sowohl Gastfreundschaft auf den Höfen verschaffen, wie Sicherheit auf den Wegen bieten, und ihm mehr als eine Gelegenheit zum günstigen Verkaufe des Ablasses verbürgen, ganz abgesehen von dem reichlichen Essen und Trinken, um was es ihm ja vor allem zu thun war.
Als er daher Zbyszkos Frage vernahm, runzelte er zuerst die Stirne, zog die Brauen in die Höhe, als ob ihn das Denken anstrenge, und erwiderte erst dann in wichtigem Tone: »Das Jungfräulein Danusia, Jurands Tochter … Woher ist sie denn?«
»Jurands Tochter, Danusia, ist aus Spychow.«
»Ich habe wohl alle gesehen, aber gerade derer, nach welcher Ihr fragt, kann ich mich nicht erinnern.«
»Ein gar junges Ding ist sie noch, und sie spielt die Laute und singt zur Ergötzung der Fürstin.«
»Aha, ein gar junges Ding ist sie noch, und auf der Laute weiß sie zu spielen! Gar viele junge Dinger habe ich gesehen. Ist sie nicht dunkel wie Achat?«
Zbyszko holte tief Atem.
»Nein, das ist sie nicht! Die, welche ich meine, hat zart gerötete Wangen, ist weiß wie Schnee und blond.«
Darauf erwiderte Sanderus: »Die eine, die dunkle, ist bei der Fürstin geblieben, all die andern aber sind schon Eheweiber geworden.«
»Du sagtest aber doch, Du habest ›fast alle‹ gesehen, nicht nur eine einzige. Beim allmächtigen Gotte, Du willst wohl, daß ich Dein Gedächtnis durch irgend etwas auffrische!«
»Laß mir nur drei oder vier Tage Zeit, dann werde ich mir alles wieder in die Erinnerung rufen können – am liebsten aber hätte ich ein Pferd, damit es die geweihte Ware trage, mit der ich handle.«
»Das sollst Du bekommen, so Du die Wahrheit sprichst.«
Jetzt ließ sich aber der Böhme, welcher diesem Gespräch von Anfang an zugehört hatte, verächtlich lächelnd, also vernehmen: »Die Wahrheit wird an dem masovischen Hofe zu Tage kommen.«
Sanderus schaute den Sprechenden einen Augenblick an, dann sagte er: »Glaubst Du denn, ich fürchte mich vor dem masovischen Hofe?«
»Ich behaupte nicht, daß Du Dich vor dem masovischen Hofe fürchtest, ich sage Dir nur eins: weder sofort, noch in drei Tagen, wirst Du Dich auf dem Pferde aus dem Staube machen, und zeigt es sich, daß Du lügst, dann kommst Du auch nicht auf den eigenen Füßen davon, denn dann läßt sie Dir Seine Gnaden entzwei brechen.«
»So wahr ich lebe!« rief Zbyszko.
Sanderus sagte sich sofort, unter solchen Umständen sei es am besten, recht vorsichtig zu sein, und warf daher ein: »Wenn ich lügen wollte, hätte ich sofort erklärt: die ist längst vermählt, oder: die ist noch nicht vermählt. Was habe ich aber geantwortet? Ich sagte nichts als: ich erinnere mich ihrer nicht. Wenn Du daher Verstand hättest, würde Dir meine Antwort ein Beweis für meine Tugend sein.«
»Mein Verstand hat mit Deiner Tugend nichts Gemeinsames. Selbst ein Hund zeichnet sich zuweilen durch irgend eine Tugend aus.«
»Wenn Du meine Tugend schmähst, schmähst Du Deinen Verstand; wer aber im Leben die andern anknurrt, der heult gar häufig nach dem Tode.«
»Ganz gewiß. Aus Tugend wirst Du freilich nach dem Tode nicht heulen, sondern höchstens knirschen, vorausgesetzt, daß Du Deine Zähne nicht schon zu Lebzeiten im Dienste des Teufels eingebüßt hast.«
So zankten sich die beiden eine geraume Zeit hindurch, denn Hlawa hatte eine gewandte Zunge und blieb dem Deutschen keine Antwort schuldig. Zbyszko erteilte indessen den Befehl zum Aufbruch, und unverzüglich setzten sich alle in Bewegung, nachdem sie zuvor bei erfahrenen Leuten den Weg nach Leczyc erfragt hatten. Nicht weit von Sierads gelangten sie in dichte, finstere Wälder, die eine große Strecke Landes bedeckten. Aber inmitten derselben kamen sie auf eine Heerstraße, welche teilweise frisch aufgeschüttet, teilweise an schadhaften Stellen durch Einrammung runder Pfähle fahrbar gemacht worden war, Einrichtungen, die noch aus der Regierungszeit des Königs Kasimir herrührten. Wohl wurden nach seinem Tode, während der wilden Streitigkeiten der Naleczy und der Grzymalitezye die Landstraßen schlimm verheert, allein unter der friedfertigen Herrschaft Jadwigas regten sich wieder allenthalben geschickte Hände, die in den Sümpfen Spaten und Schaufel, in den Wäldern die Axt führten. Noch vor Ende ihres Lebens leitete der Kaufmann seine Frachtwagen von einer bedeutsamen Stadt zur andern, ohne die Angst hegen zu müssen, sie könnten in einen Graben stürzen oder im Sumpfe stecken bleiben. Wohl mochte man von wilden Tieren oder von Räubern auf den Fahrten überfallen werden, allein gegen die Bestien schützten bei Nacht die Pechpfannen, bei Tag die Armbrust, und Ueberfälle von Räubern waren weit seltener als in den angrenzenden Ländern. Was hatte daher der zu fürchten, welcher bewaffnet und mit einem Gefolge reiste?
Zbyszko empfand auch weder vor Räubern noch vor gewappneten Rittern die geringste Angst, er dachte nicht einmal an sie; ihn beunruhigten ganz andere Dinge – seine Gedanken weilten an dem masovischen Hofe. Befand sich Danusia noch am Hofe der Fürstin, war sie vielleicht schon das Weib irgend eines masovischen Ritters geworden, darüber grübelte er, diese Fragen beschäftigten ihn vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Zuweilen dünkte es ihm unglaublich, daß sie seiner vergessen habe – gleich darauf kam es ihm aber dann wieder in den Sinn, daß vielleicht Jurand aus Spychow sich an den Hof begeben und die Tochter mit irgend einem Nachbarn oder Freund verheiratet habe. Hatte dieser denn nicht schon in Krakau erklärt, Danusia werde ihm, Zbyszko, niemals angehören, ließ sich daher aus dieser Erklärung nicht darauf schließen, daß sich Jurand durch einen Eid gebunden, daß er sein Versprechen eingelöst hatte? Je mehr Zbyszko über diese Vorgänge grübelte, desto klarer wurde ihm eins: er werde Danusia nicht mehr als Mädchen antreffen. Und stets von neuem rief er dann Sanderus zu sich, um ihn auszuforschen, um ihn zu befragen. Aber dieser erhöhte durch seine Aussprüche nur noch die Spannung. Bald versicherte er, sich der Tochter Jurands und ihrer Hochzeit zu erinnern – bald steckte er den Finger in den Mund, sann und sann und meinte schließlich: »Möglich, daß es auch eine andere gewesen ist.« Selbst der Wein, der, wie er behauptete, stets sein Gedächtnis stärkte, blieb dieses Mal ohne Wirkung, der Händler erinnerte sich an nichts, und er hielt fortwährend den jungen Ritter zwischen tödlicher Furcht und Hoffnung.