Читать книгу Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski - Henryk Sienkiewicz - Страница 33
Vierter Teil. Erstes Kapitel.
ОглавлениеAuf den starken Schneefall folgte nun strenge Kälte mit trockenen aber hellen Tagen. Da funkelte der Wald in den Strahlen der Sonne, über dem Fluß lag eine dicke Eisschichte und vom Morast war nichts mehr zu sehen. Es kamen helle Nächte, in denen sich die Kälte dermaßen steigerte, daß die Bäume im Walde laut krachten und barsten. Die Vögel näherten sich den Behausungen, die Straßen wurden gefährlich, denn die Wölfe scharten sich rudelweise zusammen und überfielen nicht nur einzelne Wanderer, sondern drangen sogar bis zu den Dörfern vor. In den raucherfüllten Hütten, am wärmenden Herde, glaubten indessen die Landleute nach dem strengen Winter ein fruchtbares Jahr voraussagen zu können und sahen den herannahenden Festtagen heiter entgegen. Der fürstliche Jagdhof war verödet. Die Fürstin hatte sich mit dem Hofstaate und dem Pater Wyszoniek nach Ciechanow begeben. Zbyszko, der sich zwar schon viel wohler fühlte, aber doch noch nicht kräftig genug war, um ein Pferd zu besteigen, blieb mit seinen Leuten, Sanderus und dem böhmischen Knappen auf dem Jagdhof zurück, wo nun eine, die Oberaufsicht führende Edelfrau in gesetztem Alter die Pflichten der Hausfrau erfüllte. Aber mit allen Fibern seines Herzens zog es ihn zu seinem jungen Weibe. Wohl war es ihm ein unendlich süßer Gedanke, daß Danusia sein eigen war und keine Macht der Welt sie ihm mehr zu rauben vermochte, aber andererseits steigerte dieser Gedanke seine Sehnsucht noch mehr. Unaufhörlich wünschte er den Augenblick herbei, da er im stande sein werde, den Jagdhof zu verlassen, und überlegte, was er dann zu thun, wohin er sich zu wenden habe, und wie er Jurand versöhnen könne. Zwar überkam ihn auch manchmal eine große Unruhe, aber im allgemeinen stellte sich ihm die Zukunft im rosigsten Lichte dar. Danusia zu dienen und den Feinden die Pfauenbüsche von den Helmen zu reißen, dies erschien ihm als das Ziel seines Lebens. Gar häufig überkam ihn die Lust, mit dem Böhmen, den er lieb gewonnen hatte, davon zu sprechen, allein da er bemerkte, daß der Knappe, der Jagienka mit ganzer Seele ergeben war, nur ungern von Danusia sprach, und da er zudem das Geheimnis nicht enthüllen und nicht alles sagen durfte, was geschehen war, stand er schließlich immer wieder von seinem Vorhaben ab.
Seine Gesundheit besserte sich indessen von Tag zu Tag. Eine Woche vor dem Christabend konnte er zum erstenmal ein Pferd besteigen, und obwohl er fühlte, daß ihm dies in der Rüstung noch nicht möglich sein werde, faßte er dennoch frischen Mut. Uebrigens glaubte er auch nicht, daß er sich binnen kurzem in Panzer und Helm zu Roß setzen müsse, und im schlimmsten Falle, meinte er, werde es nicht mehr allzulange währen, bis er kräftig genug dazu sei. In der Stube versuchte er zuweilen mit dem Schwerte zu einem Schlage auszuholen, und er kam ganz gut damit zu stande. Das Beil war ihm zwar noch zu schwer, doch sagte er sich, wenn er es mit beiden Händen beim Stil fasse, werde er es ganz gut schwingen können.
Schließlich zwei Tage vor dem heiligen Abend, befahl er, die Wagen in Bereitschaft zu halten, die Pferde zu satteln und kündigte dem Böhmen an, er werde sich nach Ciechanow begeben. Der treue Knappe geriet darob nicht wenig in Sorge, vornehmlich da eine grimmige Kälte herrschte, aber Zbyszko sagte ihm: »Aengstige Dich nicht um mich, Glowacz,« – so nannte er ihn bisweilen, indem er seinen Namen ins Polnische übertrug – »wozu sollten wir denn noch länger hier auf dem Jagdhofe verweilen? Wenn ich in Ciechanow erkranken würde, ließe man mir auch dort die nötige Pflege angedeihen. Uebrigens will ich den Weg nicht zu Pferd, sondern zu Schlitten zurücklegen, ich will mich bis zum Halse unter dem Heu vergraben, mit Fellen zudecken, und erst wenn wir in der Nähe von Ciechanow angelangt sind, werde ich mein Pferd besteigen.
Und so geschah es in der That. Der Böhme kannte seinen jungen Herrn genau und wußte, daß es nicht ratsam war, sich ihm zu widersetzen oder seine Befehle unausgeführt zu lassen. Eine Stunde später brachen sie daher auf. Als Zbyszko kurz vor der Abreise Sanderus mit seinen beiden Laden in einen Schlitten steigen sah, sagte er zu ihm: »Weshalb bist Du an mir hängen geblieben wie eine Klette an der Schafwolle? Du sprachst doch davon, daß Du nach Preußen wollest.«
»Ja, ich sprach davon, daß ich nach Preußen wolle,« entgegnete Sanderus. »Aber wie könnte ich mich bei solchem Schnee allein auf die Reise machen? Die Wölfe würden mich ja auffressen, bevor der erste Stern am Himmel erscheint, und hier zu bleiben, dazu habe ich gar keine Ursache. Nein, ich ziehe vor, die Leute in der Stadt durch fromme Werke zu erbauen, sie mit meiner heiligen Ware zu beschenken und aus den Klauen des Teufels zu retten, wie ich es dem Vater der ganzen Christenheit in Rom geschworen habe. Zudem habe ich Euer Gnaden außerordentlich lieb gewonnen und ich will Euch vor meiner Rückkehr nach Rom nicht verlassen, weil es wohl möglich ist, daß ich Euch irgend eine Gefälligkeit erweisen kann.«
»Er ist besonders gern bereit, auf Euere Kosten zu essen und zu trinken, Herr,« bemerkte nun der Böhme, »diese Gefälligkeit erweist er Euch am liebsten. Aber wenn uns im Walde bei Przasnysz ein Rudel Wölfe überfällt, dann können wir ihn zum Fraße hinwerfen, denn zu etwas Besserem taugt er nicht.«
»Paßt nur auf, daß Euch die sündigen Worte nicht am Schnurrbart anfrieren,« entgegnete Sanderus. »Solche Eiszapfen schmelzen nur im Höllenfeuer.«
»Ei was!« versetzte Glowacz, seinen noch etwas spärlichen Schnurrbart streichend, »und ich sage Dir, sobald wir Rast machen, wird Bier gewärmt, Du aber bekommst nichts davon!«
»Eine neue Sünde! Denn es heißt in der Schrift: Du sollst den Durstigen tränken!«
»Nun, einen Eimer voll Wasser sollst Du dort haben, und inzwischen bekommst Du, was ich jetzt in der Hand halte.«
Bei diesen Worten nahm er soviel Schnee, als er mit beiden Händen fassen konnte, und warf ihn Sanderus ins Gesicht. Doch dieser wich zurück, indem er sagte: »Ihr seid ganz unnötig in Ciechanow, denn dort wird ein kleiner Bär aufgezogen, der schon ganz gut mit Schneebällen werfen kann.«
So ergingen sie sich in Spottreden, obwohl sie sich im Grunde recht zugethan waren. Zbyszko ließ es ruhig zu, daß Sanderus mitfuhr, denn der wunderliche Mann ergötzte ihn und schien zudem eine gewisse Anhänglichkeit an ihn zu haben.
Der Aufbruch vom Jagdhofe fand an einem hellen Morgen statt, während eine solche Kälte herrschte, daß man die Pferde durch Decken schützen mußte. Eine dichte Schneeschichte lag über der ganzen Gegend. Die Dächer der Hütten waren kaum zu sehen, stellenweise schien der Rauch gerade aus den weißen Schneemassen hervorzukommen und von der Morgenröte rosig gefärbt, stieg er dann empor, sich hoch oben in kleine, den Federbüschen der Ritter gleichende Ringe zerteilend.
Zbyszko fuhr in einem Schlitten, teils um seine Kräfte zu schonen, teils der strengen Kälte wegen, vor der er sich auf dem Heulager und durch Pelzdecken am besten schützen konnte. Er befahl Sanderus, sich zu ihm zu setzen und die Armbrust bereit zu halten, falls sich Wölfe zeigen sollten. Unterdessen aber plauderte er fröhlich mit ihm.
»In Przasnysz,« sagte er, »wollen wir nur die Pferde füttern und uns erwärmen. Dann fahren wir sogleich weiter nach Ciechanow, um der Herrschaft meine Verehrung zu bezeigen und dem Gottesdienst anzuwohnen.«
»Und dann?« fragte Glowacz.
Zbyszko lachte und entgegnete: »Wer weiß, dann vielleicht nach Bogdaniec.«
Voll Verwunderung schaute ihn der Knappe an. Der Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, daß sein Herr der Tochter Jurands entsagt habe, und dies erschien ihm um so wahrscheinlicher, als die Jungfrau den Jagdhof verlassen hatte. Zu den Ohren des Böhmen aber war die Kunde gedrungen, daß der Gebieter von Spychow dem jungen Ritter feindlich gesinnt war. Darob fühlte der treue Bursche eine gewisse Befriedigung, denn obgleich er selbst Jagienka liebte, blickte er doch zu ihr empor wie zu einem unerreichbaren Stern am Himmel und hätte freudig sein Leben hingegeben, um ihr Glück damit zu erkaufen. Auch Zbyszko hing er treu an, und den beiden bis zum Tode zu dienen, war das Ziel seiner Wünsche.
»So läßt sich Euer Gnaden schon auf Euerm Erbgut nieder?« fragte er voll Vergnügen.
»Wie könnte ich mich auf meinem Erbgut niederlassen?« entgegnete Zbyszko. »Habe ich nicht jene Kreuzritter herausgefordert und zuvor schon Lichtenstein? De Lorche erzählte mir, der Meister werde wahrscheinlich den König nach Thorn zu Gast bitten, und dann kann ich mich dem königlichen Gefolge anschließen. Auch glaube ich, daß in Thorn Herr Zawisza aus Garbow oder Herr Powala aus Taczew mir bei unserm Herrn die Erlaubnis auswirkt, bis aufs äußerste mit diesen Kreuzrittern, diesen Mönchen zu kämpfen. Sicherlich stellen sich diese mit ihren Knappen auf dem Wahlplatze ein und Du kommst gleichfalls ins Treffen.«
»Käme es nicht so weit, so würde ich am liebsten Mönch werden,« sagte der Böhme.
Zbyszko blickte ihn voll Befriedigung an.
»Nun, dem wird es auch nicht gut gehen, der Deinem Eisen zu nahe kommt! Unser Herr Jesu verlieh Dir außerordentliche Stärke, doch darfst Du Dich dieser Stärke nicht allzusehr rühmen, denn ein richtiger Knappe muß demütig sein.«
Der Böhme nickte mit dem Kopfe, zum Zeichen, daß er sich seiner Stärke nicht rühmen, den Deutschen gegenüber aber auch nicht mit seiner Kraft zurückhalten wolle, und Zbyszko lachte, während sie so weiter fuhren, aber nicht mehr über den Knappen, sondern über seine eigenen Gedanken.
»Der alte Herr wird froh sein, wenn wir zurückkehren,« hub Glowacz nach einer Weile wieder an – »und auch in Zgorzelic werden sie sich freuen.«
In diesem Augenblick sah Zbyszko Jagienka so deutlich vor sich, wie wenn sie ihm gegenüber auf dem Schlitten säße. Und so war es immer, so oft er an sie dachte, stand sie ihm auch deutlich vor Augen.
»Nein,« sagte er sich, »sie wird sich nicht freuen, denn wenn ich nach Bogdaniec zurückkehre, so wird Danusia bei mir sein – und Jagienka mag einen andern nehmen!« Hier zogen Wilk aus Brzozowa und der junge Cztan aus Rogow vor seinem geistigen Auge vorüber und plötzlich war ihm der Gedanke unangenehm, daß das Mägdlein einem von diesen beiden in die Hände fallen könne. »Wenn sie doch einen andern, bessern fände!« dachte er. »Sie ist so züchtig, so redlich und gut, jene Burschen aber sind Biersäufer und Spieler.«
Er wußte auch schon im voraus, daß sein Oheim höchst ungehalten sein werde, wenn er erfuhr, was geschehen war, aber der Gedanke tröstete ihn wieder, daß Macko in erster Linie Wert auf Herkunft und Vermögen legte und darauf bedacht war, das Ansehen seines Geschlechtes zu erhöhen. Jagienka stand ihm zwar näher und war die Tochter seines nächsten Nachbarn, hingegen war aber Jurands Grundbesitz größer als der Zychs aus Zgorzelic, und so konnte man leicht voraussehen, daß Macko nicht lange über dies Ehebündnis zürnen werde, zumal ihm die Neigung seines Bruderssohnes bekannt war und er auch wußte, wieviel Dank dieser Danusia schuldete. Brummte er also anfangs, so beruhigte er sich gewiß auch wieder und dann gewann er wohl Danusia so lieb wie sein eigenes Kind.
Und plötzlich empfand Zbyszko große Sehnsucht nach seinem Oheim, an dem er mit ganzer Seele hing und der, obwohl er kein weichherziger Mensch war, ihn doch liebte wie seinen Augapfel, der ihn in allen Kämpfen besser als sich selbst geschützt, sich nur um seinetwillen durch Beute bereichert hatte, nur um seinetwillen darauf ausging, sein Hab und Gut zu mehren. Sie standen ja auch ganz allein auf der Welt, sie hatten keine Blutsverwandten außer dem Abte, und gewöhnlich, wenn sie sich trennen mußten, wußte der eine nicht, was er ohne den andern beginnen sollte, vornehmlich aber dem alten Mann ging es so, welcher für sich keinen Wunsch mehr hatte.
»Hei! Er wird sich freuen! Er wird sich sicherlich freuen!« sagte sich Zbyszko unablässig, »und ich wollte nur, daß Jurand mich so aufnehme, wie Macko mich aufnehmen wird.«
Und er suchte sich vorzustellen, was Jurand sagen und wie er sich gebärden werde, wenn er von der Trauung erfuhr. Dieser Gedanke beunruhigte ihn wohl einigermaßen, bereitete ihm aber keinen großen Kummer, weil die Sache nun einmal geschehen und nichts mehr daran zu ändern war. Zum Kampfe durfte er Jurand nicht herausfordern, wenn dieser aber seine Zustimmung durchaus nicht geben wollte, konnte Zbyszko folgendermaßen zu ihm sprechen: »Willigt ein, ich bitte Euch darum, denn Ihr habt ja nur ein menschliches Anrecht auf Danusia, ich aber habe ein Anrecht, daß mir von Gott verliehen worden ist – und jetzt gehört sie nicht mehr Euch, die Meine ist sie nun!«
Von einem in der heiligen Schrift bewanderten Kleriker hatte der Jüngling gehört, das Weib müsse Vater und Mutter verlassen und dem Manne folgen, daher war er überzeugt, daß ihm die Gewalt über sein Weib zustand. Doch glaubte er nicht, daß es zwischen ihm und Jurand zu einem dauernden Zwiste kommen werde, weil er durch Danusias Bitten viel zu erreichen hoffte und eben so viel, wenn nicht mehr, durch die Vermittlung des Fürsten, dessen Unterthan Jurand war, sowie durch die Fürsprache der Fürstin, welche er als Pflegemutter seines Kindes hochschätzte.
In Przasnysz riet man Zbyszko, Nachtrast zu machen, indem man ihn vor den Wölfen warnte, welche sich des Frostes wegen in großen Rudeln zusammenscharten und die Straßen noch unsicherer machten als sonst. Doch Zbyszko beachtete diese Warnung nicht, weil er zufälliger Weise in der Schenke einige masovische Ritter mit ihrem Gefolge traf, die sich ebenfalls zum Fürsten nach Ciechanow begeben wollten, sowie einige bewaffnete Kaufleute aus Ciechanow, die mit ihren schwerbeladenen Wagen aus Preußen kamen. Im Verein mit all diesen Leuten war nichts zu befürchten, und so brachen sie denn bei Anbruch der Nacht auf, obwohl sich schon gegen Abend ein heftiger Wind erhoben hatte, der die Wolken vor sich hertrieb, und ein dichtes Schneegestöber begonnen hatte. Unterwegs hielten sie sich dicht aneinander, doch kamen sie so langsam vorwärts, daß Zbyszko befürchtete, sie würden ihr Ziel schwerlich am heiligen Abend erreichen. An einigen Stellen war es nötig, den Schnee wegzuschaufeln, da die Pferde nicht weiterkommen konnten. Zum Glück war der Weg durch den Forst nicht zu verfehlen, doch langten sie erst am Christabend in Ciechanow an. Möglicherweise wären sie durch Schnee und Wind rings um die Stadt gefahren, ohne zu ahnen, daß sie sich schon ganz nahe befanden, wenn sie nicht auf dem Hügel, wo das neuerbaute Schloß stand, ein hellloderndes Feuer erblickt hätten. Niemand wußte, ob das Feuer an diesem heiligen Abend angezündet worden war, um einsamen Wanderern als Wegweiser zu dienen, oder ob es nach althergebrachter Sitte geschah, aber keiner von Zbyszkos Reisegefährten sann jetzt darüber nach, denn alle waren vornehmlich darauf bedacht, so rasch wie möglich eine Unterkunft in der Stadt zu finden.
Mittlerweile ward der Sturm immer stärker. Ein scharfer kalter Wind wehte große Schneemassen empor, rüttelte an den Bäumen, heulte, raste, riß ganze Schneelawinen mit sich fort, wirbelte sie umher, überschüttete damit Wagen und Pferde, trieb die naßkalten Flocken in die Gesichter der Reisenden, nahm ihnen den Atem und erstickte ihre Worte. Das Geläute der an den Deichseln angebrachten Glocken war nicht mehr zu hören, hingegen ließen sich mitten durch das Brausen und Pfeifen des Sturmes zuweilen klagende Laute vernehmen, die bald wie das Geheul von Wölfen, bald wie das ferne Gewieher von Rossen klangen, zuweilen aber auch wie die in namenloser Angst ausgestoßenen Hilferufe eines Menschen. Die ermatteten Pferde drängten sich noch dichter aneinander und kamen immer langsamer vorwärts.
»Hei! Welch ein Schneesturm ist dies! Welch ein Schneesturm!« sagte der Böhme mit vom Sturme halberstickter Stimme. »Ein wahres Glück, Herr, daß wir uns in der Nähe der Stadt befinden und das Feuer dort uns leuchtet, sonst wäre es uns schlimm ergangen.«
»Wer sich jetzt auf freiem Felde aufhält, dem ist der Tod gewiß!« entgegnete Zbyszko. »Aber ich sehe das Feuer gar nicht mehr.«
»Der Schein kann nicht durch den aufgewirbelten Schnee dringen. Oder vielleicht hat der Wind das aufgehäufte Holz auseinandergetrieben.«
Auch auf den andern Wagen sprachen die Kaufleute und Ritter von dem Unwetter. Alle meinten, wer fern von menschlichen Behausungen von einem solchen Schneesturm überrascht werde, für den würden am anderen Morgen keine Glocken mehr läuten.
Und Zbyszko, der plötzlich unruhig geworden war, hub wieder an: »Gott verhüte, daß Jurand jetzt unterwegs ist.«
Der Böhme, der unausgesetzt nach der Richtung blickte, wo das Feuer gebrannt hatte, wandte sich nun um, indem er sagte: »Wird denn der Herr aus Spychow hierher kommen?«
»Ja!«
»Mit dem Jungfräulein?«
»Fürwahr, die Flamme scheint erstickt zu sein!« war Zbyszkos Antwort.
In der That war das Feuer erloschen. Auf dem Wege, dicht bei den Wagen und Pferden zeigten sich nun einige Reiter.
»Weshalb reitet Ihr geradewegs auf uns zu?« rief der wachsame Böhme, die Armbrust ergreifend. »Wer seid Ihr?«
»Wir sind Mannen des Fürsten, die ausgesandt wurden, um bedrängten Reisenden Beistand zu leisten.«
»Gelobt sei Jesus Christus!«
»Von Ewigkeit zu Ewigkeit!«
»Geleitet uns zur Stadt!« sprach Zbyszko.
»Ist keiner von Euern Gefährten unterwegs zurückgeblieben?«
»Keiner!«
»Woher kommt Ihr?«
»Von Przasnysz!«
»Und mit fremden Reisenden seid Ihr nicht zusammengetroffen?«
»Nein! Aber vielleicht befinden sich noch Reisende auf den andern Landstraßen.«
»Unsere Leute sind nach allen Richtungen ausgeschickt worden. Fahrt nun hinter uns her, Ihr seid vom Wege abgekommen. Nach rechts müßt Ihr Euch halten!«
Alle wendeten nun die Pferde. Während einiger Zeit war nur das Brausen des Windes vernehmbar.
»Befinden sich schon viele Gäste in dem alten Schloß?« fragte Zbyszko nach einer Weile.
Einer der hinter ihm reitenden Mannen beugte sich vor, weil er ihn nicht recht verstanden hatte.
»Was sagt Ihr, Herr?«
»Ich frage, ob sich viele Gäste bei dem Fürstenpaar befinden.«
»So viele wie gewöhnlich! Also genug!«
»Und ist der Herr aus Spychow schon hier?«
»Nein, aber er wird erwartet. Einige Leute sind ihm entgegen geritten.«
»Mit Pechpfannen?«
»Ja, doch bei solchem Winde werden sie wenig nützen.«
Weiter konnten sie nicht sprechen, weil der Sturm immer mehr raste und tobte.
»Eine wahre Teufelshochzeit,« sagte der Böhme.
Doch Zbyszko gebot ihm zu schweigen und den Bösen nicht unnötiger Weise heraufzubeschwören.
»Weißt Du denn nicht,« sagte er, »daß an einem solchen Festtage die Macht des Teufels erlahmt, und daß sich die Teufel unter dem Eise verbergen? Einer von ihnen wurde einst am Christabend bei Sandomir von Fischern in einem Netze gefunden. Er hielt einen Hecht im Maule, aber als er das Geläute der Glocken hörte, da war es mit seiner Kraft vorbei, und sie schlugen mit ihren Stöcken auf ihn ein bis zum feierlichen Mahle am Christabend. Dies ist ja ein heftiger Sturm, doch will es unser Herr Jesus so haben, damit der morgige Tag umso schöner werde.«
»Wie nahe sind wir schon an der Stadt gewesen, aber ohne diese Mannen wären wir vielleicht bis Mitternacht in der Irre herumgefahren,« bemerkte Glowacz.
»Weil das Feuer erloschen ist.«
Mittlerweile waren sie in der Stadt angelangt. Hier lag der Schnee so hoch, daß er an vielen Stellen bis zu den Fenstern reichte und sie verdeckte. Dies war der Grund, weshalb sie keinen Lichtglanz gesehen, als sie sich noch außerhalb der Stadt befanden. Der Sturm war hier weniger fühlbar. Die Straßen waren verödet, denn für die Bürger hatte die Feier des heiligen Abends schon begonnen. Von einem Haus zum andern zogen Knaben mit dem Kripplein und einer Ziege und sangen, trotz des Sturmes, ihre Weihnachtslieder. Auf dem Marktplatze sah man Leute, die mit Erbsenstroh umhüllt waren und wie Bären umhersprangen, doch sonst waren wenig Menschen zu sehen. Die Kaufleute, welche Zbyszko und die andern Ritter begleitet hatten, blieben in der Stadt zurück, während jene weiter bis zu dem vom Fürsten bewohnten alten Schlosse fuhren, dessen erleuchtete Glasfenster in heiterm Glanze strahlten.
Die Zugbrücke war schon herabgelassen, denn die alten Zeiten, da die Litauer ins Land einzufallen pflegten, waren vorüber, und die Kreuzritter, welche einen Krieg mit dem König von Polen voraussahen, bemühten sich eifrig um die Freundschaft des Fürsten von Masovien. Einer der Mannen des Fürsten blies in sein Horn, worauf das Thor sofort geöffnet wurde. Am Eingange standen einige Bogenschützen, aber auf den Zinnen war keine menschliche Seele zu sehen, da der Fürst den Wachen gestattet hatte, sich zurückzuziehen. Der alte Mrokota, welcher schon zwei Tage vorher angelangt war, kam den Gästen entgegen, und nachdem er sie im Namen des Fürsten begrüßt hatte, geleitete er sie in ihre Stuben, damit sie sich für die Mahlzeit festlich kleiden konnten.
Zbyszko begann ihn jetzt nach Jurand auszuforschen, und Mrokota antwortete, der Gebieter von Spychow sei noch nicht anwesend, werde aber erwartet, denn er habe versprochen, zu kommen, und wenn seine Krankheit sich verschlimmert hätte, so würde er Kunde davon gegeben haben. Indessen seien ihm einige Reisige entgegengeschickt worden, weil sich die ältesten Leute keines solchen Schneesturmes erinnern konnten.
»Vielleicht wird es nicht mehr allzulange dauern, bis sie hier sind.«
»Traun, allzulange kann es nicht mehr währen. Die Fürstin befahl schon, Schüsseln für sie zu dem gemeinsamen Mahle aufzustellen.«
Nun freute sich Zbyszko im Herzen, obgleich ihm stets ein wenig bange vor Jurand war, und er sagte sich: »Was er thun wird, weiß ich nicht, aber das kann er nicht ungeschehen machen, daß sie meine Gattin geworden ist, daß die heißgeliebte Danusia mein Weib ist.« Und während er darüber nachsann, vermochte er kaum an sein eigenes Glück zu glauben. Dann kam ihm auch der Gedanke, daß sie ihrem Vater vielleicht schon alles gestanden, ihn zu versöhnen gesucht und ihn gebeten habe, sie mit ihrem Gatten zu vereinigen. »Denn fürwahr, was hat er Besseres zu thun? Jurand ist ein kluger Mann, und er weiß, wenn er jetzt zwischen sie und mich träte, würde ich sie doch mit mir fortnehmen, denn ich habe nun ein größeres Anrecht an sie.«
Mittlerweile unterhielt er sich mit Mrokota, während er sich zum Mahle ankleidete, er fragte nach dem Befinden des Fürsten und besonders nach dem Befinden der Fürstin. Mit großer Freude vernahm er, daß im Schlosse alle wohlauf und heiter waren, wennschon sich die Fürstin sehr nach ihrem teuern Singvögelchen sehnte. Mrokota fügte hinzu, Jagienka, welche von der Fürstin gleichfalls geliebt werde, die aber ihrem Herzen nicht so nahe stehe, spiele ihr jetzt zuweilen auf der Laute vor.
»Wie? Jagienka?« fragte Zbyszko voll Verwunderung.
»Jagienka aus Wielgolas, die Enkelin des alten Herrn aus Wielgolas. Ein schönes Mägdlein, zu dem der Lothringer in Liebe entbrannt ist.«
»So befindet sich Herr de Lorche hier?«
»Wo sollte er sonst sein? Vom Jagdschlößchen kam er hierher, und er wird auch bleiben, denn es gefällt ihm gut am Hofe. An Gästen fehlt es unserm Fürsten niemals.«
»Ich sehe ihn gern wieder, denn er ist ein Ritter, der jedes Lob verdient.«
»Auch er ist Euch zugethan. Doch gehen wir jetzt, der Fürst und die Fürstin werden sich sogleich zu Tische setzen.«
Miteinander verließen sie die Stube. In den beiden Kaminen des Speisesaales brannten mächtige Feuer, die von den Dienern fleißig geschürt wurden. Zahlreiche Gäste und Hofleute waren schon versammelt. Der Fürst trat zuerst ein, in Begleitung des Wojwoden und einiger ihm nahestehenden Hofherren. Zbyszko ließ sich vor ihm auf die Knie nieder und küßte seine Hand.
Er aber fuhr ihm sanft über das Haupt, führte ihn dann ein wenig beiseite und sagte: »Ich weiß schon alles. Anfangs war ich ungehalten darüber, daß es ohne meine Einwilligung geschehen ist, aber Ihr hattet ja wirklich keine Zeit dazu, sie einzuholen, weil ich mich damals in Warschau befand, wo ich auch die Festtage verbringen wollte. Eine bekannte Thatsache ist übrigens, daß man den Weibern nicht Widerpart halten soll, wenn sie etwas durchsetzen wollen, denn man erreicht doch nichts damit. Die Fürstin liebt Euch wie eine Mutter, und ihr willfahre ich gern, um ihr Kummer und Thränen zu ersparen.«
Zbyszko beugte zum zweiten Mal die Knie vor dem Fürsten.
»Gebe Gott, daß ich Eure Gnade vergelten kann, allergnädigster Herr!«
»Gepriesen sei er, der Dich gesunden ließ! Sagt der Fürstin, mit welchem Wohlwollen ich Euch aufnahm, darüber wird sie sich freuen. Du lieber Gott! Ihr Vergnügen ist auch mein Vergnügen! Bei Jurand werde ich ein gutes Wort für Dich einlegen, und so denke ich, daß er seine Zustimmung giebt, denn er ist der Fürstin treu zugethan.«
»Und gäbe er seine Zustimmung auch nicht – so habe ich jetzt doch ein größeres Anrecht an Danusia!«
»Wohl hast Du jetzt ein größeres Anrecht an sie, damit muß er sich aussöhnen, aber seinen Segen kann er Euch vorenthalten. Mit Gewalt bringt niemand etwas bei ihm zu stande, und ohne des Vaters Segen bleibt auch der göttliche Segen aus.«
Als Zbyszko diese Worte vernahm, wurde er sehr betrübt, denn daran hatte er bisher nicht gedacht. Mittlerweile trat die Fürstin mit Jagienka aus Wielgolas und andern Hofdamen ein, und er neigte sich tief vor der Herrin. Sie begrüßte ihn noch gnädiger als der Fürst, auch begann sie sogleich mit ihm von Jurands baldiger Ankunft zu sprechen. Die Schüsseln für die Erwarteten seien schon aufgestellt, sagte sie, man habe Leute ausgesandt, um sie ungefährdet durch den Schneesturm zu geleiten. Aber an diesem heiligen Abend noch länger mit dem Mahle zu warten, sei unmöglich, da der »Herr« dies nicht liebe. Ihrer Ansicht nach könnten sie indessen noch vor Beendigung des Mahles eintreffen.
»Was Jurand anbelangt,« bemerkte die Fürstin, »so wird Gott ihn erleuchten. Entweder sage ich ihm heute noch alles, oder morgen nach dem Frühgottesdienst, und auch der Fürst versprach mir, daß er ein gutes Wort für Dich einlegen wolle. Zwar pflegt Jurand oft halsstarrig zu sein, aber nicht denen gegenüber, die er liebt, und nicht denen gegenüber, welchen er verpflichtet ist.«
Nun beredete sich die Fürstin mit Zbyszko darüber, wie er sich bei einem Zusammentreffen mit dem Vater seines Weibes zu verhalten habe, um ihn nicht zu beleidigen und seinen Zorn nicht auf sich zu laden. Scheinbar war die Herrin guten Mutes, aber ein besserer Menschenkenner und schärferer Beobachter als Zbyszko hätte in ihren Worten doch eine gewisse Unruhe wahrgenommen. Vielleicht lag der Grund darin, daß der Gebieter von Spychow nicht leicht zu behandeln war, vielleicht auch begann sie sich ein wenig zu ängstigen, daß die Erwarteten so lange ausblieben. Denn draußen tobte der Schneesturm immer heftiger, und alle meinten, wer auf freiem Felde davon überrascht werde, der könne sich nicht weiterhelfen. Die Fürstin indessen hatte ihre besondern Mutmaßungen; sie sagte sich, Danusia habe möglicherweise ihrem Vater gestanden, daß sie Zbyszko angetraut war, jener sei aufgebracht darüber und habe beschlossen, sich nicht nach Ciechanow zu begeben. Doch zog die Herrin vor, Zbyszko ihre Gedanken nicht mitzuteilen, zudem wäre ihr kaum Zeit dafür geblieben, da die Pagen nun die Speisen auftrugen. Doch Zbyszko eilte auf die Fürstin zu, umfaßte ihre Knie und fragte: »Und wenn sie nun kommen, wie wird es dann werden, allergnädigste Herrin? Mrokota sagte mir, für Jurand sei eine Stube bereit und für seine Knappen befände sich auch ein Heulager darin. Aber was wird sonst noch bereit sein?«
Die Fürstin lachte, und ihm mit ihrem Handschuh leicht ins Gesicht schlagend, sagte sie: »Stille! Was willst Du denn? Seht mir einmal den an!«
Damit trat sie zu dem Fürsten, für den die Lehensträger schon den Armstuhl zurechtstellten, damit er Platz nehmen konnte. Zuvor jedoch reichte ihm einer von ihnen eine flache Schüssel voll dünner, zerschnittener Fladen und Oblaten, welche der Fürst mit den Gästen, Hofherren und Dienern zu teilen hatte. Mit einer ähnlichen Schüssel wartete der Fürstin ein schöner Knabe auf, der Sohn des Kastellans aus Sochaczew. Auf der andern Seite des Tisches stand der Pater Wyszonick, welcher den Segen über das auf duftendes Heu gestellte Mahl sprechen sollte.
Da plötzlich zeigte sich an der Thüre ein Mann, der über und über mit Schnee bedeckt war und laut ausrief: »Allergnädigster Herr!«
»Was ist geschehen?« fragte der Fürst, welcher es nur ungern sah, daß die Ceremonie unterbrochen wurde.
»Auf der Landstraße von Radzanow sind einige Reisende ganz verschüttet. Es ist nötig, noch mehr von unsern Leuten abzuschicken, um sie aus dem Schnee herauszugraben.«
Alle erschraken, als sie dies hörten, auch der Fürst geriet in Bestürzung, und sich zu dem Kastellan aus Sochaczew wendend, gebot er: »Berittene mit Schaufeln! Schnell!«
Dann fragte er den Verkündiger der schlimmen Nachricht: »Und sind viele verschüttet?«
»Darüber kann man nichts Sicheres sagen. Der Sturm tobt noch zu heftig. Es sind Pferde und Wagen. Und eine ganz beträchtliche Anzahl von Leuten scheint es zu sein.«
»Was für Leute es sind, wißt Ihr nicht?«
»Der Gebieter von Spychow mit Gefolge soll es sein.«