Читать книгу Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski - Henryk Sienkiewicz - Страница 40

Fünfter Teil. Erstes Kapitel.

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Inhaltsverzeichnis

Im Vorhofe der Burg angelangt, wußte Jurand anfangs nicht, wohin er sich wenden solle, da der Kriegsknecht, welcher ihn durch das Thor geführt hatte, ihn dann verließ und sich den Stallungen zuwandte. Allüberall auf den Zinnen standen Söldner, da und dort befand sich ein einzelner, an andern Stellen waren mehrere beisammen, allein ihre Mienen waren so frech, ihre Blicke so höhnisch, daß der Ritter sich sagen mußte, sie würden ihm den Weg nicht zeigen, und wenn sie seine Fragen überhaupt beantworteten, dies nur auf grobe und verächtliche Weise thun.

Manche lachten, indem sie mit den Fingern auf ihn zeigten, von andern ward er mit Schnee beworfen, gerade wie am Tage zuvor. Er aber, der jetzt eine Thüre gewahrte, die höher und breiter war als alle andern und über der ein Christusbild aus Stein angebracht war, schritt darauf zu, weil er dachte, wenn der Komtur und die Aeltesten sich in einem anderen Teile der Burg befänden, müsse ihn doch jemand über seinen Irrtum aufklären und auf den richtigen Weg weisen.

Und so geschah es auch. Im Augenblick, da Jurand sich jener Thüre näherte, öffneten sich plötzlich die beiden Thürflügel, und ein Jüngling trat hervor, dessen Haupt wie das eines Klerikers geschoren war, der aber weltliche Kleidung trug.

»Seid Ihr Jurand, der Herr aus Spychow?« fragte er.

»Ich bin es!«

»Der Komtur befahl mir, Euch zu geleiten. Folget mir!«

Und er führte ihn durch den gewölbten Gang der Treppe zu. An den Stufen blieb er indessen stehen und Jurand mit dem Blicke messend, fragte er: »Ihr tragt doch keine Waffen bei Euch? Man befahl mir, Euch zu durchsuchen.«

Da richtete sich Jurand hoch auf, so daß der Jüngling seine kraftvolle Gestalt so recht ins Auge fassen konnte, und entgegnete: »Gestern habe ich alle ausgeliefert.«

Jetzt dämpfte der Führer die Stimme und sagte beinahe im Flüstertone: »Dann hütet Euch, Euerem Zorn die Zügel schießen zu lassen, denn einer mächtig waltenden Hand seid Ihr anheim gegeben!«

»Aber durch den Willen Gottes!« antwortete Jurand.

Bei diesen Worten betrachtete er seinen Führer aufmerksam, und da er in dessen Antlitz etwas wie Mitgefühl wahrnahm, fügte er hinzu: »Offenheit und Redlichkeit schauen Dir aus den Augen, o Jüngling! Willst Du mir daher aufrichtig das beantworten, was ich Dich frage?«

»Sprecht schnell!« sagte der Führer.

»Werden sie nun, da ich gekommen bin, mein Kind freigeben?«

Der Jüngling zog verwundert die Brauen zusammen.

»Euer Kind ist es also, das sich hier befindet?«

»Meine Tochter.«

»Die Jungfrau in dem Turme am Thore?«

»Ja! Sie versprachen, das Kind zurückzuschicken, wenn ich mich selbst stelle.«

Der Führer machte eine Bewegung mit der Hand, zum Zeichen, daß er nichts wisse, aber sein Gesicht drückte Besorgnis und Zweifel aus.

Und Jurand fragte weiter: »Es ist doch wahr, daß sie unter dem Schutze von Szomberg und Markwardt steht?«

»Die beiden befinden sich gar nicht in der Burg. Bringt die Jungfrau fort, Herr, ehe der Starost Danveld wieder gesundet.«

Als Jurand dies vernahm, begann er zu zittern, aber er hatte keine Zeit, noch mehr zu fragen, da sie nun in den oberen Stock und zu dem Saal gelangt waren, wo Jurand vor das Antlitz des Starosten von Szczytno treten sollte. Der Jüngling öffnete die Thüre und zog sich dann sofort wieder zurück.

Der Gebieter von Spychow überschritt die Schwelle und befand sich in einer ungewöhnlich großen, aber düsteren Kemenate, da die in Blei gefaßten Fensterscheiben nur wenig Licht zuließen, der Tag aber trübe und winterlich war. Am äußersten Ende des Saales brannte zwar ein Feuer in dem großen Kamine, allein die feuchten Holzscheite leuchteten kaum. Erst nach einer gewissen Zeit, als Jurand sich an das Halbdunkel gewöhnt hatte, gewahrte er im Hintergrund einen Tisch, woran einige Ritter saßen, und hinter diesen eine ganze Schar bewaffneter Knappen, sowie bewaffneter Knechte, unter denen sich der Hofnarr befand, der einen zahmen Bären an der Kette hielt.

Schon in früherer Zeit war Jurand mit Danveld zusammengetroffen, dann hatte er ihn zweimal am Hofe des Fürsten von Masovien als Gesandten gesehen, seitdem waren einige Jahre verflossen. Trotz des Halbdunkels erkannte er ihn daher sofort wieder an den Umrissen seiner feisten Gestalt und seines Gesichtes, sowie auch daran, daß er in der Mitte auf einem Armstuhl saß und die geschiente Hand auf die Lehne stützte. An seiner rechten Seite saß der alte Zygfryd de Löwe aus Insburk, der unversöhnliche Feind Jurands und des polnischen Stammes überhaupt, an seiner linken die jüngeren Brüder Godfryd und Rotgier. Danveld hatte sie absichtlich herbeschieden, damit sie seinen Triumph über diesen furchtbaren Widersacher mitansehen konnten. So saßen sie denn gemächlich da, in weiche, dunkle Tuchgewänder gekleidet, mit leichten Schwertern an der Seite, froh erregt und voll Selbstbewußtsein.

Lange Zeit herrschte tiefes Schweigen, denn sie wollten sich weiden an dem Anblick des Mannes, den sie früher geradezu gefürchtet hatten, und der jetzt tief gebeugt vor ihnen stand, der jetzt in einen härenen Sack gehüllt war und um den Hals einen Strick trug, an dem die Scheide eines Schwertes hing.

Offenbar wünschten sie auch, daß eine große Anzahl von Leuten seine Demütigung mitansehe, denn durch die in die andern Stuben führenden Seitenthüren konnte eintreten, wer Lust hatte, und bald war der Saal fast zur Hälfte mit Bewaffneten angefüllt. Alle schauten mit unendlicher Neugierde auf Jurand, sprachen laut und machten Bemerkungen über ihn. Er aber faßte wieder Mut bei ihrem Anblick, denn er sagte sich, wenn Danveld nicht halten wollte, was er versprach, so hätte er nicht so viele Zeugen geladen.

Da gebot Danveld durch eine Handbewegung Schweigen und gab einem der Knappen ein Zeichen, worauf dieser sich Jurand näherte und den Strick an dessen Hals erfassend, ihn um einige Schritte näher zu dem Tische heranzog.

Jetzt nahm Danveld das Wort und sagte zu dem Gefangenen: »Du hast Dich mit dem Orden herumgebissen wie ein wütender Hund, deshalb fügte es Gott, daß Du wie ein Hund mit einem Strick um den Hals vor uns stehst und unserer Gnade, unserem Erbarmen anheim gegeben bist.«

»Vergleiche mich nicht mit einem Hunde, Komtur,« entgegnete Jurand, »denn damit nimmst Du auch all denen die Ehre, welche mit mir kämpften und durch meine Hand fielen.«

Auf diese Worte hin erhob sich ein Gemurmel unter den bewaffneten Mannen, doch wäre es schwer zu sagen gewesen, ob sie über diese kühne Antwort erzürnt oder von ihrer Richtigkeit betroffen waren.

Aber eine derartige Wendung des Gespräches behagte dem Komtur nicht und er sagte: »Seht, sogar hier besudelt er uns voll Hochmut und voll Hoffart mit seinem Geifer.«

Und Jurand hob die Hände empor wie ein Mensch, welcher den Himmel zum Zeugen anruft, und entgegnete, das Haupt schüttelnd: »Gott weiß, daß meine Hoffart mich verließ, als ich den Fuß in diese Burg setzte. Gott weiß aber auch und wird darüber richten, ob Ihr Euch nicht selbst beschimpft und in mir den ganzen Ritterstand, indem Ihr mich beschimpft. Denn die Ritterehre ist das, was jeder Gegürtete hochhalten sollte.«

Danveld runzelte die Stirne, aber in diesem Augenblick bewegte der Narr die Kette, woran er den Bären festhielt, so daß sie laut klirrte, und rief aus: »Eine Strafpredigt! Eine Strafpredigt! Ein Prediger aus Masovien ist zu uns hierher gekommen! Hört! Eine Strafpredigt! …«

Dann wendete er sich zu Danveld:

»Herr,« sagte er, »als Graf Rosenheim durch den Glöckner wegen der Predigt allzu früh erweckt ward, befahl er ihm, die Schnur des Glockenturmes von einem Knoten zum andern aufzuessen. Dieser Prediger hat ein Seil um den Hals, befiehl ihm, es aufzuessen, bevor die Predigt zu Ende ist.«

Während er so sprach, blickte er indessen mit einer gewissen Unruhe auf den Komtur, weil er nicht sicher war, ob jener lachen oder ihn wegen der unzeitigen Bemerkung auspeitschen lassen werde.

Als er jedoch sah, daß Danveld über seine Scherze durchaus nicht ungehalten war, wurde er kühn und schrie: »Hole den Striegel und kämme den Bären, dann mag er Dir als Gegendienst die Haarzotteln kämmen!«

Daraufhin ließ sich da und dort Gelächter vernehmen, und aus den Umherstehenden rief jemand: »Im Sommer wirst Du das Rohr am See schneiden!«

»Und mit Aas Krebse fangen,« rief ein anderer.

Ein dritter aber fügte hinzu: »Und jetzt fange an, die Krähen von dem Galgen zu verscheuchen. An Arbeit soll es Dir hier nicht mangeln.«

So verhöhnten sie Jurand, der ihnen einst so furchtbar erschienen war. Allmählich überkam eine gewisse Fröhlichkeit die ganze Versammlung. Manche traten hinter dem Tisch hervor, näherten sich dem Gefangenen, um ihn genau zu betrachten, und sagten: »Dies ist also der wilde Eber, dem unser Komtur die Hauzähne ausschlug. Er hat gewiß Schaum vor dem Maule, gar gerne würde er beißen, aber er kann nicht!« Danveld und die andern Ritter, welche anfangs dieser Vernehmung des Gefangenen den Anschein einer feierlichen Gerichtssitzung hatten geben wollen und nun sahen, daß die Sache eine andere Wendung nahm, erhoben sich alle von den Bänken und gesellten sich zu denen, welche bei Jurand standen.

Der alte Zygfryd aus Insburk sah dies ungern, doch der Komtur sprach zu ihm: »Runzelt die Stirne nicht, es wird noch größere Lustbarkeit geben!« Und auch sie begannen Jurand zu betrachten, da sich eine solche Gelegenheit selten bot, denn war einer der Ritter oder Knechte ihm zuvor so nahe gekommen, so schlossen sich meist dann seine Augen für immer.

Manche sagten: »Breitschultrig ist er, wenn schon er ein dickes Fell unter dem Sacke hat, man könnte ihn mit Erbsenstroh umwinden und auf den Jahrmarkt führen.« Wieder andere riefen nach Bier, damit der Tag sich noch fröhlicher für sie gestalte.

In der That vernahm man nach wenig Augenblicken das Klappern der gefüllten Krüge, und der düstere Saal erfüllte sich mit dem Geruch des unter den Deckeln hervorquellenden Schaumes. Der aufgeheiterte Komtur erklärte laut: »So ist es gerade recht, er soll nicht denken, daß sein Verhör eine wichtige Sache für uns ist.« Deshalb näherten sie sich ihm wieder und ihn mit ihren Krügen unter das Kinn stoßend, sagten sie: »Du würdest wohl gerne trinken, Du massurischer Rüssel?« Manche gossen sich Bier in die Hand und spritzten es ihm in die Augen, er aber stand da wie vernichtet, zuletzt aber stürzte er auf den alten Zygfryd zu, und offenbar fühlend, daß er sich nicht länger beherrschen könne, schrie er laut genug, um den im Saal herrschenden Lärm zu übertäuben: »Bei dem Leiden Christi und Euerm ewigen Seelenheil, gebt mir mein Kind zurück, wie Ihr versprochen habt!«

Und er wollte die Hand des alten Komturs ergreifen, allein dieser wich rasch zurück und rief: »Fort von mir, Sklave, was begehrst Du?«

»Ich entließ Bergow aus der Gefangenschaft und bin selbst hierhergekommen, weil Ihr verspracht, daß Ihr mir dafür meine Tochter wiedergebt, die sich hier befindet.«

»Wer versprach Dir dies?« fragte Danveld.

»Auf Glauben und Gewissen, Du, Komtur!«

»Zeugen hast Du jedoch nicht und in diesem Falle könnte von einer Berufung auf Zeugen auch nicht die Rede sein, da es sich um mein Versprechen und um meine Ehre handelt!«

»Ich beschwöre Dich bei Deiner Ehre! Bei der Ehre des Ordens!« rief Jurand.

»Die Tochter soll Dir wiedergegeben werden,« antwortete Danveld. Dann wendete er sich zu der Versammlung und sprach: »Alles, was ihm hier widerfuhr, ist unschuldiger Zeitvertreib und steht nicht in richtigem Verhältnis zu seinen Verbrechen. Dieweil wir aber versprachen, ihm die Tochter wiederzugeben, sobald er sich stelle und sich vor uns demütige, soll es sich auch zeigen, daß wir unser Wort halten, indem wir jenes Mädchen, das wir den Händen der Ränder entrissen, frei lassen und nach des Gefangenen strenger Buße wegen seiner Sünden gegen uns, auch ihm gestatten, sich in seine Burg zu begeben.«

Diese Rede setzte viele in Erstaunen, da sie Danveld und seinen langjährigen Haß auf Jurand kannten und solche Zugeständnisse nicht von ihm erwartet hatten. Der alte Zygfryd sowie Rotgier und Bruder Godfryd schauten ihn daher voll Verwunderung an, indem sie die Stirne runzelten, jener indessen that, als ob er die fragenden Blicke nicht sehe, und setzte hinzu: »Deine Tochter werden wir unter Bedeckung zurücksenden. Du aber bleibst hier, bis ihre Begleiter ungefährdet wiedergekehrt sind und Du das Lösegeld bezahlt hast.«

Jurand selbst war ein wenig erstaunt, denn er hatte schon die Hoffnung aufgegeben, daß sein Opfer Danusia etwas nützen werde. Deshalb schaute er fast dankbar auf Danveld und erwiderte: »Gott lohne Dir, Komtur! Da ich aber das Kind lange Zeit nicht gesehen habe, gestatte mir, es zu umarmen und ihm meinen Segen zu geben.«

»Wohl, doch nur in Gegenwart all der Unsrigen, daß sie Zeugen unserer Treue und unserer Gnade sind!«

So sprechend, gebot er einem auf der Seite stehenden Knappen, Danusia hereinzuführen, er selbst aber trat zu Zygfryd de Löwe, Rotgier und Godfryd heran, die ihn sofort umringten und eifrig auf ihn einzureden begannen.

»Ich werde keinen Einspruch erheben, obgleich ich ganz andere Absichten hatte,« erklärte der alte Zygfryd.

Und der heißblütige, wegen seiner Tapferkeit und Grausamkeit berüchtigte Rotgier sagte: »Wie! Nicht nur das Mädchen, sondern auch diesen verteufelten Hund läßt Du frei, auf daß er uns wiederum beißen kann?«

»Nun wird er sich noch toller gebärden!« rief Godfryd aus.

»Das Lösegeld wird er jedenfalls bezahlen!« entgegnete Danveld in sorglosem Tone.

»Und wenn er auch alles hingiebt, so stiehlt er in einem Jahre wieder zweimal soviel zusammen.«

»Ich erhebe keinen Einwand wegen des Mädchens,« wiederholte Zygfryd, »aber ist der Wolf frei, so müssen die Schäfchen des Ordens dafür büßen.«

»Und unser Wort?« fragte Danveld lachend.

»Du hattest früher andere Ansichten …«

Danveld zuckte die Achseln: »Habt Ihr Euch noch nicht genug ergötzt?« fragte er. »Verlangt Euch nach größerer Belustigung?«

Die andern umringten Jurand abermals, und überzeugt, daß von dem Lobe, welches Danveld ob seiner Redlichkeit gezollt ward, ein Abglanz auch auf sie falle, überboten sie sich dem Gefangenen gegenüber in Prahlereien.

»Was meinst Du, Steinadler,« sagte der Hauptmann der Bogenschützen, »Deine heidnischen Brüder würden doch mit unsern christlichen Rittern nicht so verfahren?«

»Du aber hast Dich in unserm Blute berauscht.«

»Und für Steine gaben wir Dir Brot.«

Doch Jurand achtete kaum auf den Hochmut, die Verachtung, welche in diesen Worten lagen. Sein Herz war allzuvoll, in seinen Augen standen Thränen. Dachte er doch, daß er innerhalb weniger Minuten Danusia wiedersehen werde, und daß er dies Wiedersehen der Gnade der Kreuzritter verdanke. Deshalb blickte er beinahe reuevoll auf die Sprechenden und schließlich sagte er: »Das ist die Wahrheit! Das ist die Wahrheit! Schwer bedrückte ich Euch, aber … Hinterlist kannte ich nicht.«

In diesem Augenblick rief eine Stimme am andern Ende des Saales: »Sie bringen das Mädchen!« und sofort trat tiefe Stille ein. Die Söldlinge stellten sich in zwei Reihen einander gegenüber auf, und da keiner von ihnen bisher Jurands Tochter gesehen hatte, ward ihr Interesse um so größer, als Danveld seine That in den Schleier des Geheimnisses gehüllt hatte und ihnen bisher nichts von der Ankunft des Mädchens in der Burg bekannt gewesen war. Die wenigen unter den Anwesenden, welche schon davon wußten, teilten flüsternd Bemerkungen über die wunderbare Schönheit der Erwarteten aus, aller Augen richteten sich daher mit außerordentlicher Neugier auf die Thüre, durch welche sie eintreten sollte.

Zuerst erschien ein Knappe, hinter ihm die allen wohlbekannte Dienerin des Ordens, dieselbe, welche sich einige Zeit in dem Jagdschlößchen aufgehalten hatte, und dieser folgte ein weißgekleidetes Mädchen mit aufgelösten, durch eine Stirnbinde festgehaltenen Haaren.

Und plötzlich ließ sich ein lautes Gelächter im ganzen Saale vernehmen. Jurand, welcher auf seine Tochter zugeeilt war, fuhr sofort wieder zurück und stand wie erstarrt, mit totenbleichem Antlitz da, indem er voll Verwunderung auf den spitzen Kopf, die bläulichen Lippen und blöden Augen der Jammergestalt sah, welche für Danusia galt.

»Das ist nicht meine Tochter!« sagte er mit bebender Stimme.

»Nicht Deine Tochter?« rief Danveld. »Beim heiligen Liborius von Paderborn, dann ist es entweder nicht Deine Tochter gewesen, die wir den Händen der Räuber entrissen, oder irgend ein Schwarzkünstler hat sie verzaubert, denn eine andere Jungfrau befindet sich nicht in Szczytno.«

Der alte Zygfryd, Rotgier und Godfryd wechselten Blicke miteinander, welche das größte Staunen über Danvelds Schlauheit und Verschlagenheit ausdrückten, doch keiner von ihnen hatte Zeit, sich zu äußern, da Jurand in diesem Augenblick mit furchtbarer Stimme ausrief: »Ja! Es befindet sich noch eine Jungfrau in Szczytno. Ich hörte wie sie sang, ich hörte Danusias Stimme!«

Nun wendete sich Danveld zu den Versammelten, indem er in ruhigem, entschiedenem Tone erklärte: »Ich rufe Euch, die hier Anwesenden, besonders aber Dich, Zygfryd aus Insburk und Euch Rotgier und Godfryd zu Zeugen darüber auf, daß ich meinem Worte und Versprechen gemäß diese Jungfrau, welche nach der Aussage der durch uns überwältigten Räuber die Tochter Jurands aus Spychow ist, zurückgebe. Ist diese Aussage unrichtig – dann darf man uns keine Schuld beimessen, wohl aber eine glückliche Fügung darin sehen, daß durch dies Mittel Jurand in unsre Gewalt gekommen ist.«

Zygfryd, sowie die beiden jüngeren Brüder neigten ihre Häupter zum Zeichen, daß sie seine Worte gehört hatten und Zeugnis ablegen wollten, wenn es nötig sei. Und abermals wechselten sie rasche Blicke – war dies doch mehr als sie selbst hatten erwarten können, denn welcher andere wäre im stande gewesen, Jurand festzunehmen, ihm die Tochter vorzuenthalten und den Anschein zu wahren, als ob er das gegebene Versprechen einlöse?

Aber Jurand warf sich auf die Knie nieder und beschwor Danveld bei allen Reliquien von Marienburg sowie bei der Asche seiner Väter, ihm die Tochter zurückzugeben und nicht wie ein Betrüger, ein Verräter an ihm zu handeln, der sich durch keinen Eid, kein Versprechen gebunden glaube. In seiner Stimme lag soviel ungeheuchelte Verzweiflung, daß manche der Anwesenden sich sagten, hier müsse ein Geheimnis im Spiele sein, wieder andere hingegen auf den Gedanken kamen, irgend ein Schwarzkünstler müsse in der That die Gestalt des Mädchens verwandelt haben.

»Gott sieht auf Deinen Verrat hernieder!« rief Jurand. »Bei den Wundmalen des Erlösers! Bei Deiner Todesstunde! Gieb mir mein Kind zurück!«

Und sich erhebend, schritt er tiefgebeugt auf Danveld zu, wie wenn er dessen Knie umfassen wolle, während seine Augen glühten wie im Wahnsinn, und er in abgerissenen Lauten bald seinen Schmerz, seine Angst und Verzweiflung äußerte, bald in unverhohlene Drohungen ausbrach. Als Danveld hörte, daß er vor der ganzen Versammlung der Verräterei und des Betrugs beschuldigt ward, begann er förmlich zu schnauben, gleich einer Flamme brach sein Zorn plötzlich hervor, er wollte den Unglücklichen nun vollständig vernichten, trat daher dicht zu ihm heran und sich zu dessen Ohr herabbeugend, stieß er leise zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor: »Wenn ich sie Dir je zurückgebe – dann kehrt sie mit einem Bastard von mir zurück!«

Aber im nämlichen Augenblick brüllte Jurand wie ein Stier, ergriff Danveld mit beiden Händen und hob ihn in die Höhe. Im Saale vernahm man noch den durchdringenden Ruf: »Erbarmen!« – dann schlug der Körper des Komturs mit solcher Gewalt auf den steinernen Fußboden auf, daß durch die zerschmetterte Hirnschale Zygfryd und Rotgier, welche in der Nähe standen, bespritzt wurden. Jetzt sprang Jurand auf die Rüstungen und Waffen zu, welche sich an einer Seitenwand befanden, ergriff ein riesiges Schwert und fiel, dem Sturmwind gleich, über die vor Schrecken wie versteinerten Ritter her.

Den an Kampf, Gemetzel und Blutbad gewöhnten Mannen sank der Mut so sehr, daß sie, als die Erstarrung schon von ihnen gewichen war, sich dennoch zurückzogen und die Flucht ergriffen wie eine Herde Schafe die Flucht vor den Wölfen ergreift. Der ganze Saal hallte wider von den Ausrufen des Entsetzens, dem Stampfen der Füße, von dem Klirren der umgestürzten Geräte, von dem Geheul der Knechte, dem Gebrüll des Bären, welcher sich von der Hand des Führers losgerissen hatte und nun auf das hohe Fenster hinaufzuklettern begann, von den verzweifelten Rufen nach Rüstungen, nach Schildern, nach Schwerten, nach Armbrüsten. Schließlich blitzten die Waffen und manche scharfe Klinge ward gegen Jurand gerichtet, er aber sah und hörte nichts mehr, halb von Sinnen stürzte er sich auf seine Feinde, und nun begann ein wilder Kampf, der eher einer Metzelei als irgend einem Waffengange glich. Der junge heißblütige Godfryd vertrat Jurand zuerst den Weg, allein dieser schlug ihm schnell wie der Blitz das Haupt samt der Schulter mit seinem Schwerte ab. Nach diesem fielen durch seine Hand der Hauptmann der Bogenschützen, sowie der Schloßverwalter von Bracht und der Engländer Hugues, die, ohne recht zu begreifen, um was es sich eigentlich handelte, anfangs Mitleid mit Jurands Qual gehabt und erst nach Danvelds Tötung zu den Waffen gegriffen hatten. Wieder andere, die erkannten, welch furchtbare Kraft diesem Manne innewohnte, wenn seine Leidenschaft entfesselt war, drangen scharenweise auf ihn ein, um gemeinsam seinen Widerstand zu brechen, aber durch diese Kampfesart wurden ihnen noch größere Verluste beigebracht, da Jurand mit gesträubten Haaren, wirren Blicken, ganz mit Blut überströmt und Blut schnaubend, rasend, tobend, mit triefendem Schwert in diesen zusammengewürfelten Haufen hineinschlug, ihn trennte und sich mit seinen Gegnern auf dem befleckten Boden wälzte, in seiner Wut dem Sturmwind gleichend, der mächtig an Gesträuchen und Bäumen rüttelt. Wieder überkam nun alle eine entsetzliche Angst, denn allem Anscheine nach waren sie diesem furchtbaren Masuren gegenüber, der sie darniederstreckte und mordete, völlig machtlos, und ebensowenig wie die bellende Meute ohne Hilfe der Bogenschützen den grimmigen Eber zu verscheuchen vermag, ebensowenig konnten sie ohne Hilfe gegen die tolle Wut Jurands aufkommen, weil der Kampf mit ihm ihnen nur Tod und Verderben brachte.

»Zerstreut Euch! Umzingelt ihn! Von rückwärts geht auf ihn los!« rief der alte Zygfryd de Löwe.

Und sie zerstreuten sich im Saale wie eine Vogelschar auf freiem Felde, auf welche sich plötzlich der Habicht von oben herabstürzt, doch ehe sie ihn noch umzingelt hatten, begann er sie in toller Raserei zu verfolgen, anstatt für sich selbst Deckung zu suchen, und wen er einholte, der sank hin wie vom Donner gerührt. Seine Demütigung und Verzweiflung, all seine getäuschten Hoffnungen äußerten sich nun in dem einen Verlangen nach Blut und schienen seine angeborene außerordentliche Kraft noch um das Zehnfache zu erhöhen. Ein Schwert, das die Stärksten, Gewaltigsten unter den Kreuzrittern nur mit beiden Händen gebrauchen konnten, führte er mit der einen wie wenn es eine Feder gewesen wäre. Ihm lag nichts mehr am Leben, nichts mehr an Befreiung, sogar nichts mehr an seinem Sieg, er dachte nur an Rache, und wie loderndes Feuer oder wie ein Strom, der, nachdem er die Dämme zerrissen, blindlings alles vernichtet, was sich seinem reißenden Laufe entgegensetzt, so ergriff auch er, der furchtbare Zerstörer, alles – so zerbrach er es, trat es mit Füßen, mordete es und löschte alles menschliche Leben aus.

Es war unmöglich, ihm auf irgend eine Weise beizukommen, denn die Söldner fürchteten sich sogar, ihn im Rücken anzugreifen. Wußten sie doch, wenn er sich gegen sie wende, würde keine Macht der Welt sie vor einem sicheren Tode retten. Gar manche wurden von Schrecken und Bestürzung ergriffen bei dem Gedanken, daß ein gewöhnlicher Mensch nicht im stande gewesen wäre, ihnen eine solche Niederlage beizubringen, und daß sie es mit einem Manne zu thun hatten, dem irgend eine übernatürliche Macht innewohne.

Aber der alte Zygfryd und Bruder Rotgier eilten auf die Galerie, welche längs des großen, mit vielen Fenstern versehenen Saales hinlief, und riefen den andern zu, ihnen zu folgen, dabei gingen aber alle so hastig zu Werke, daß sie sich auf den engen Stufen stießen und drängten, weil jeder zuerst oben anlangen wollte, um von dort aus den Gewaltigen niederzustrecken, der im Kampfe nicht zu besiegen war. Schließlich schlug der Letzte die zur Empore führende Thüre hinter sich zu, und Jurand blieb allein. Ein triumphierendes Freudengeschrei ließ sich nun auf der Galerie vernehmen, und sofort wurden schwere Schemel und Bänke aus Eichenholz, sowie die eisernen Behälter der Fackeln auf den Ritter niedergeschleudert. Er ward an der Stirne über den Brauen getroffen, und das Blut strömte ihm über das Gesicht. Gleichzeitig öffnete sich die große Eingangsthüre des Saales und scharenweise stürzten die durch die oberen Fenster herbeigerufenen Knechte herein, welche sich mit Speeren, Hellebarden, Beilen, Armbrüsten, mit Pfählen, Stangen, Stricken, kurz mit allem bewaffnet hatten, was ihnen in der Eile in die Hände gekommen war.

Und der rasende Jurand wischte sich mit der linken Hand das Blut vom Gesicht, auf daß es ihm nicht den Blick verdunkle, raffte sich auf und stürzte sich auf den ganzen Menschenschwarm. Im Saale vernahm man wieder Aechzen und Stöhnen, das Klirren der Waffen, Zähneknirschen und das durchdringende Geschrei der zu Tode getroffenen Mannen.

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