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4. Kapitel

Die Renovation des Mas Ferrol war so gut wie abgeschlossen. Paul hatte nicht nur neue Gartenmöbel gekauft, sondern auch vom örtlichen Schreiner catalanische Möbel anfertigen lassen. Es gab zwar keinen wirklichen rechten Winkel in seinem Mas, er war aber zufrieden und Henri war voll des echten Lobes und freute sich besonders über das Lavendelblau der Fenster und Türen.

„Offenbar muss mein neuer Freund Paul ein besonderes Verhältnis zur Farbe Blau haben“, dachte er sich, ohne ihn auf seine Vermutung anzusprechen.

Paul erinnerte sich wieder daran, dass ihm am Anfang seiner Renovierungsarbeiten sogar einmal der Verkauf von Baumaterial mit der Bemerkung verweigert worden war, dass man an Deutsche nichts verkaufen würde.

Er führte diese Verweigerung auf sein nicht perfektes Französisch zurück und kaufte das Material in einem anderen Geschäft.

Danach kaufte er - wie jeder Franzose - hier im Süden ein. Paul lernte schnell, dass es bei Geschäften im Süden von Frankreich nicht üblich ist, sofort über den Preis zu sprechen. Dieses Thema wird erst zum Schluss angesprochen.

Er stellte aber auch fest, dass dies für einen Fremden, zumal einen Deutschen, etwas gewöhnungsbedürftig ist; wenn man sich daran gewöhnt hat, ist es nur schön und angenehm. Irgendwann erhält man eine Rechnung, die ohne intensive Kontrolle bezahlt wird.

„Die eigenen Leute betrügt man nicht!“, sagen hier die Leute.

Nur hier im Süden kann man verstehen, dass Eile nicht das Gleiche wie Ungeduld ist, stellte er ebenfalls bald fest.

Paul hatte auch schnell begriffen, dass „demain“, oder „maniana“, wie die Catalanen in Spanien sagen, genau übersetzt „morgen“ bedeutet, man aber sagen will: „Ich kann es nicht sofort erledigen, es geht erst später.“

Im nahe gelegenen spanischen Empuriabrava hatte Paul einmal zufällig mitbekommen, wie ein deutscher Ferienhausbesitzer einen spanischen Handwerker mit den Worten verabschiedete: „Aber nicht spanisch maniana, sondern deutsches maniana, klar!“

Nach Wochen hat er ihn wieder getroffen und gefragt, ob der Handwerker tätig geworden sei.

„Ach, was meinst du denn! Das war eine richtige faule spanische Sau. Als ich nachgefragt habe, wusste der gar nicht mehr, dass er von mir einen Auftrag erhalten hatte.“

Ergänzend fügte dieser Bekannte hinzu: „Wenn du hier nicht immer hinterher bist, wird gar nichts. Am besten man beauftragt die wenigen deutschen Handwerker, die sich hier niedergelassen haben. Aber die beschäftigen meist Portugiesen und die sind noch fauler.“

Henri und Paul sahen sich jetzt öfter, gingen zusammen essen, machten sich über die Touristen lustig, alberten mit den Dorfkindern herum und unterhielten sich intensiv über Religion und Politik.

Henri besaß oben in den Albères, so nennt man die Ausläufer der Pyrenäen zum Mittelmeer hin, ein Mas. Es war in den Felsen hineingebaut und lag so am Hang, dass man nur auf der Terrasse sitzen konnte, weil es sonst keine begehbare Grundstücksfläche gab.

Er war damit zufrieden und sagte stets, dass man nicht mehr brauche, um glücklich zu sein.

Die Wohnfläche war nicht besonders groß. Das hintere Zimmer befand sich im Berg, hatte keine Fenster und wies fast das ganze Jahr die gleiche Temperatur auf. Vor diesem Felsenzimmer lagen das Bad, die Küche und ein Schlaf- und Essraum. Die Wände dieses Raumes waren vollgestopft mit Büchern, sodass man kein freies Stück Wand sah.

Im Sommer lebte Henri auf der Terrasse. Allerdings war das Dach nicht dicht und er sagte: „Mein Dach ist inkontinent, aber die Sonne bescheint lange diese Fläche. Schade, dass es keinen belle vue gibt. Man blickt unmittelbar auf einen bewaldeten Berghang. Dafür ist es absolut ruhig. Man hört keine, von Menschen herrührenden Geräusche; nur die der Natur.“

Man kann dieses Haus über einen steilen Feldweg erreichen. Es verfügte über einen Stromanschluss, jedoch keine öffentliche Wasserleitung. Aber auch das störte Henri nicht, weil er sein Trinkwasser aus einer Bergquelle bezog. Eine Telefonleitung führte einmal neben der Stromleitung zum Haus. Irgendwann war sie gerissen und er hat sie nie reparieren lassen. Er benutzte ein Handy, ein portable, wie man in Frankreich sagt. Auf einen Internetanschluss legte er keinen Wert. Nur auf den Fernseher wollte er nicht verzichten.

„Ich habe meine Bücher, das reicht mir. Ich will - außer für meine engsten Freunde - auch für niemand mehr erreichbar sein. Nur im Winter wird es manchmal kritisch. Aber so schnell verhungert man nicht.“

Für heute hatte Henri zum Barbecue eingeladen. Es gab wie immer gegrillte Hühnerbeine und als Vorspeise Tomaten auf geröstetem Brot und Olivenöl. Danach servierte er Ziegenkäse aus den Bergen und viel Rotwein.

„Warum sind sie Priester geworden?“, frage Paul während des Essens.

„Man kann eine solche Frage nicht einfach so beantworten. Jedoch in meinem Falle ist eine kurze Antwort möglich; zumal ich sie ihnen, lieber Freund, gebe.“

Paul war nach dieser Ankündigung gespannt, weil er wusste, dass Henri vom Amt des Priesters dispensiert worden war.

„Ein Jahr vor dem Abitur war ich unsterblich in eine Mitschülerin verliebt. Wochenlang gab sie mir das Gefühl, dass auch sie etwas für mich empfindet. So richtig wusste ich nicht, was ich ihr sagen oder was ich mit ihr anstellen sollte. Eines Tages sah ich sie mit einem anderen Jungen im Park beim Austausch von Zärtlichkeiten. Wie sie sicherlich verstehen werden, brach für mich die Welt zusammen. Meine schulischen Leistungen ließen nach und niemand konnte mit mir etwas anfangen. Eines Tages lief ich unserem uralten Priester über den Weg. Seit der Ministrantenzeit hatte ich mich bei ihm nicht mehr sehen lassen. Er erkannte mich sofort und fragte nach dem Grund meines schulischen Abgleitens. Weil ich auf seine Frage nicht recht antworten konnte, flüchtete ich mich in eine Ausrede. Ich wolle in ein Kloster gehen, weil ich die Welt - so wie sie ist - nicht mehr verstehen würde. Von meinem Liebeskummer habe ich ihm nichts erzählt. Ich hielt das für überflüssig, weil ich annahm, dass er in seinem Alter und als Priester ohnehin nicht wüsste, was das ist.

Zwei Tage später traf ich ihn erneut und er erklärte mir, dass mein Seelenzustand ein Zeichen Gottes sei. Gott habe mich auserkoren, Priester zu werden. Irgendwann hatte ich in der Schule erzählt, dass ich Philosophie studieren wollte. Dies muss unser alter Priester ebenfalls erfahren haben. Denn er erklärte mir sofort, dass er bereits mit dem Bischof gesprochen habe und ein Platz im Priesterseminar für mich freigehalten würde. Ein Studienplatz in Philosophie und Theologie sei ebenfalls kein Problem. Nach dem ersten Schreck über diese Neuigkeiten sagte ich ihm, dass ich darüber nachdenken wolle.

Nach dem Abitur, das ich mehr recht als schlecht bestanden hatte, wusste ich nicht, was, wo und wie ich studieren sollte. Da fiel mir unser alter Priester wieder ein und ich dachte mir, dass ich auf diese Art zum Philosophiestudium zuglassen werden könnte.

Mit Priesters und Bischofs Hilfe studierte ich Philosophie und Theologie. Außerdem trat ich in das nächste Priesterseminar ein und wurde dort fit für das Priesteramt gemacht. Heute würde man vielleicht von Gehirnwäsche sprechen. So war es aber auch wieder nicht. Zumindest habe ich damals nichts davon bemerkt. Bereits während der Praktika bekam ich manchmal Zweifel, ob ich alles richtiggemacht hätte. Doch mich reizte die feierliche Priesterweihe. Zeit für eine Freundin gab es ohnehin nicht, sodass ich auch mit dem Zölibat keine Probleme hatte. So wurde ich Priester.“

Er fügte aber sofort hinzu, dass diese Kurzfassung etwas sehr kurz geraten sei.

„Und warum sind sie Richter geworden?“

„Sie werden es kaum glauben, aber auch meine Geschichte ist ähnlich. Vorsorglich muss ich vorausschicken, dass Deutschland bis 1989 aus zwei Teilen bestand. Ein Teil, die Bundesrepublik, war der westliche demokratische Teil. Im Osten gab es den kommunistischen Staat DDR. Ich wurde in Dresden, also im kommunistischen Teil Deutschlands, geboren und habe dort auch Abitur gemacht.

Wegen meiner politischen Einstellung durfte ich aber nicht studieren, sodass ich Kellner wurde. Wie viele meiner Kollegen habe ich die Gäste betrogen und mich mit krummen Geschäften über Wasser gehalten. Im Jahre 1966 gelang mir die Flucht in den Westen. Weil mein ostdeutsches Abitur nicht anerkannt wurde, musste ich erneut in die Schule und das westdeutsche Abitur nachholen. Danach wusste auch ich nicht, was ich studieren sollte. Ein Freund sagte mir, dass er Jura studieren werde. Obwohl ich gar nicht wusste, was das war, habe ich auch Jura studiert. Meine Examensnoten reichten für das Richteramt aus und so wurde ich Richter. Mein Freund, der mich zu diesem Studium verleitet hatte, wurde Advokat.“

„Über ihre Flucht müssen sie mir unbedingt ein andermal erzählen“, sagte Henri.

Der Abend war lang geworden und Paul hatte Mühe nach Hause zu kommen.

Ein Mas im Roussillon

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