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5. Kapitel

Obwohl es Juli war, regnete es schon den dritten Tag, was hier im Roussillon ungewöhnlich ist. Dies war auch der Grund, warum es im „Le Carrefour“ so voll war.

Die Touristen mussten notgedrungen im Restaurant sitzen und auf ihre geliebte Terrasse verzichten. Der Wirt hatte richtig Mühe, alle Gäste unterzubringen. Nur der lange hintere Tisch war für Fremde tabu, darauf achtete er. An solchen Tagen fühlten sich auch die Einheimischen in den Restaurants nicht richtig wohl und blieben nur kurze Zeit.

Paul hatte sich mit Henri zum Essen im „Le Carrefour“ verabredet und Henri erzählte gerade, dass er in einer Zeitung einen hochinteressanten Artikel über die Zukunft des Finanzkapitalismus gelesen habe, und dass man darüber einmal ausführlich diskutieren müsse, als sich ein junges Pärchen direkt neben die beiden an den hinteren Tisch setzte.

Der Wirt hatte sie nicht eingewiesen. Sie setzten sich auf zwei freie Stühle. Die Antwort auf die Frage, ob hier noch frei wäre, beantwortete Henri zwar mit einem „Nein“. Offenbar hatten sie diese Antwort aber nicht verstanden. Beide sprachen englisch miteinander. Auch die Aufforderung des Wirtes den Platz zu räumen, schienen sie nicht zu verstehen, sodass sich alle in ihr Schicksal fügten.

Der junge Mann war typisch gekleidet; geschlossene Halbschuhe, weiße Strümpfe, Jeans und ein langärmeliges Hemd. Die junge Frau trug ein blaues Sommerkleid.

Paul schaute wie versteinert die junge Frau an und wurde blass. Er schien mit seinen Gedanken in einer anderen Welt zu sein.

Nach kurzer Zeit sagte er: „Nein, sie war nicht blond.“

Henri fragte, ob es ihm nicht gut gehen würde.

Paul antwortete nur leise und so, als würde er mit sich selbst reden, dass alles in Ordnung sei, und fügte hinzu: „Sie hatte schwarzes Haar.“

Da sich der Wirt nicht um die jungen Leute kümmerte, schauten sie sich Hilfe suchend um. Plötzlich stand der junge Mann auf und holte sich vom Buffet eine Speisekarte und gab sie seiner Begleiterin.

Die junge Frau versuchte lange, die Karte zu lesen und gab es schließlich auf. Sie erklärte ihm, dass man die Bedienung fragen müsse.

Als der Wirt sich schließlich erbarmte, die beiden nach ihren Wünschen zu fragen, war das Chaos perfekt.

Der Wirt wollte die beiden nicht verstehen und die jungen Leute hatten Mühe mit der französischen Sprache.

Plötzlich wandte sich die junge Frau an Paul und sagte: „Ich habe gerade gehört, dass sie deutsch sprechen.“

Offenbar hatten Paul und Henri bei ihrer Unterhaltung die Sprache gewechselt, was öfter vorkam.

Henri sah die junge Frau an und behauptete, kein Deutsch zu sprechen. Es könne sich nur um ein Missverständnis handeln.

Paul hingegen tat die junge Frau leid. Er starrte immer noch auf ihr blaues Kleid und bestätigte ihr noch leicht verwirrt, deutsch zu sprechen.

„Gott sei Dank. Wissen sie, ich habe geglaubt, mit meinem Schulfranzösisch durchzukommen. Niemand versteht mich. Ich bin schon ganz verzweifelt. Mein Freund ist Engländer und spricht nur englisch, weil er der Auffassung ist, dass überall englisch gesprochen und verstanden würde. Ihn versteht erst recht niemand. Unser Urlaub ist eine einzige Katastrophe“, sagte die junge Frau.

„Am Strand und auf der Touristenmeile braucht man kein Französisch“, warf Henri auf Englisch ein.

„Aber dort gibt es nur Pizza und Fast Food“, erwiderte sie und er antwortete auf Französisch: „Das reicht für Ausländer aus. Außerdem gibt’s auch noch Bier.“

„Und heute wollen sie einmal richtig französisch essen?“, fragte Paul die junge Frau.

„Ja, und wenn sie uns helfen könnten, wären wir ihnen dankbar“, antwortete sie.

„Was soll man da helfen. Der Engländer isst ohnehin Beefsteak mit Fritten, weil es in Frankreich keine Fish and Chips gibt“, lästerte Henri auf Französisch.

„Aber dem Mädchen können wir helfen“, ergänzte er noch.

„Ohne ihnen zu nahe treten zu wollen, gehe ich einmal davon aus, dass ihre Urlaubskasse nicht zu üppig ist“, begann Paul seine Hilfe.

„Das trifft zu, wir machen die ersten Ferien nach dem Abitur.“

„Nehmen sie die „plat de jour“. Heute gibt es einen vorzüglichen Lammspieß mit weißen Bohnen und als Vorspeise empfehle ich ihnen Schnecken auf katalanische Art oder einen Schinkentoast nach Art des Hauses“, schlug Paul vor.

Die junge Frau übersetzte seinen Vorschlag ihrem Freund, der sofort den Gesichtsausdruck wechselte.

„Und noch einen guten Rat! Beginnen sie jedes Gespräch mit dem Zaubersatz, dass sie sich dafür entschuldigen, dass sie als Ausländerin nur wenig französisch sprechen. Wenn langsam gesprochen würde, hätten sie weniger Probleme. Sie werden sehen, dieser Satz bewirkt Wunder“, ergänzte er noch.

Die junge Frau errötete leicht und wartete auf den Wirt, der offenbar gesehen hatte, dass Paul sich mit den jungen Ausländern unterhielt.

Die junge Frau fing das Gespräch mit dem Wirt unter Benutzung des „Zaubersatzes“ an.

„Sie sprechen recht gut französisch“, entgegnete der Wirt und empfahl ihr den Lammspieß. Sie entschied sich für den Spieß und die Schnecken.

Danach fragte der Wirt den jungen Mann. Wie Henri vorhergesehen hatte, bestellt er auf Englisch Beefsteak mit Fritten ohne Vorspeise.

Man merkte, dass der Wirt ihn verstanden hatte. Trotzdem musste die junge Frau übersetzen.

Es kam die Sprache auf die Getränke. Fragend schaute die junge Frau Paul an und er flüsterte ihr zu: „Muskat und Rotwein des Hauses.“ Der junge Mann bestellt selbstverständlich Bier.

Bevor Paul noch erklären konnte, dass man Flaschenbier als Hauptgetränk bestellen müsse, weil man sonst ein pression bekäme, das man hier als Aperitif trinke, war der Wirt schon weg und brachte pression.

Die junge Frau war von dem Essen begeistert. Der Engländer hingegen konnte offenbar nicht hinsehen, wie sie die Schnecken aß. Sein Beefsteak sah irgendwie traurig aus, aber er fand es offenbar recht schmackhaft.

Nach dem Essen wandte sich Paul nochmals an die junge Frau und fragte, wie es ihr geschmeckt habe.

„Ausgezeichnet, das war ein toller Rat!“

„Ich habe noch einen Tipp für sie. Sagen sie auch dem Wirt, dass es ihnen geschmeckt hat. Und wenn sie wieder einmal außerhalb von Deutschland ein Restaurant betreten, warten sie, bis man ihnen einen Platz zuweist.“

Die junge Frau errötete erneut und übersetzte ins Englische.

„Soweit kommt es noch. Ich mache hier Urlaub. Da muss ich mich nicht auch noch verbiegen“, antwortete der Engländer.

Die junge Frau merkte, dass beide ihren Freund verstanden hatten und war erneut peinlich berührt.

Jetzt sagte Henri auf Deutsch: „Ich habe auch noch einen Tipp für sie. Wenn man in ein anderes Land kommt, kann man es am besten kennenlernen, wenn man sich nach Landessitte durchisst und durchtrinkt. Dies zu ignorieren ist ein arrogantes Desinteresse.“ Und auf Französisch fügte er noch hinzu: „Und wenn es geht, meiden sie die Engländer.“

Den letzten Satz hatte die junge Frau offenbar verstanden.

„Er ist ein Schulfreund. Und ich glaube, nach dem Urlaub mein Exfreund.“

Jetzt kam Henri auf den Artikel über den Finanzkapitalismus, den er in der Zeitung gelesen hatte, zurück.

„Heute habe ich zwar keine Lust mehr, tiefgründige gesellschaftspolitische Unterhaltungen zu führen. Nur einen Passus muss ich ihnen mitteilen. Sinngemäß stand zu lesen, dass es der Kapitalismus gewesen sei, der die Menschen aus der Sklavenhalterwelt Oliver Twists befreit habe. Der Finanzkapitalismus hätte es den Menschen ermöglicht, sich aus langweiliger, ermüdender oder beschwerlicher Arbeit zu befreien und sich fortan geistig anspruchsvollen Tätigkeiten zuzuwenden. Wenn ich mir den jungen Engländer ansehe, stimmt das Fazit des Kolumnisten aber nicht.“

Paul gab Henri recht und dachte daran, was besonders die jungen Leute heute mit ihrer Freizeit machten.

„Man müsste eher sagen, dass der Finanzkapitalismus die Menschen verblödet hat. Was machen die jungen Leute in ihrer Freizeit, wer liest noch ein Buch oder geht ins Konzert?“, antwortete Paul schließlich.

Ein Mas im Roussillon

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