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5 Gründer der Roten Armee und Heerführer

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Die nach dem nunmehr verlustreichen Friedensschluss folgende Periode war die des Bürgerkrieges und der ausländischen Interventionen. Es entstand die objektive Notwendigkeit, für die junge und in Bedrängnis geratene Sowjetmacht eine Armee zu schaffen. Ungeachtet der Affäre von Brest-Litowsk vertraute Lenin im Einverständnis mit der gesamten Führung Trotzki diese Aufgabe an. Er wurde zum Volkskommissar für Militärangelegenheiten und zum Vorsitzenden des Obersten Kriegsrates berufen. Der Aufbau einer Armee angesichts des vorherigen Zerfalls der zaristischen Armee, der Kriegsmüdigkeit des ganzen Landes, der Probleme bei der Versorgung neuer Armeeeinheiten mit Waffen und Munition, mit Bekleidung und Verpflegung sowie des Mangels an der Sowjetmacht ergebenen Offizieren stieß auf fast unvorstellbare Schwierigkeiten. Dabei gab es auch innerhalb der sowjetischen Führungsgremien viel Unsicherheit und auch Widerspruch, z.B. in der Frage der Rekrutierung ehemaliger zaristischer Offiziere, bei der Disziplinierung von Armeeangehörigen oder bei der Einführung des Systems roter Kommissare an der Seite jeden Kommandeurs.

Hier ist nicht der Raum, um im Einzelnen diese komplizierte und widerspruchsvolle Entwicklung nachzuzeich­nen. Es sei verwiesen auf die Trotzki-Biographie von Pierre Broué, der Gründung und Aufbau der Roten Armee außerordentlich anschaulich und überzeugend darstellt, sich dabei auf umfangreiches Quellenmaterial stützt und auch die dabei aufgetretenen Widersprüchlichkeiten dialektisch auslotet.[29]

Bürgerkrieg und ausländische Interventionen waren in vollem Gange. Unter den weißgardistischen Generälen Kornilow, Koltschak und Denikin, verstärkt durch eine tschechoslowakische Legion, rückten die konterrevolutionären Armeen in Richtung Moskau und Petersburg vor. Die noch in Formierung befindliche und keineswegs gefestigte Rote Armee hatte größte Mühe, den Angriffen standzuhalten. Da nicht die Geschichte des Bürgerkrieges und der Interventionen hier Gegenstand ist, sondern Leo Trotzki, soll ein für den letztlichen Sieg der Roten Armee wesentliches Detail dargestellt werden.

Als Volkskommissar für militärische Angelegenheiten und Vorsitzender des Obersten Kriegsrates war Trotzki Oberbefehlshaber der Roten Armee. Um die zersplitterten Fronten ständig im Blick zu haben, den jeweiligen Abschnittskommandeuren konkret Rat und Hilfestellung geben zu können und um jungen Armeeeinheiten durch persönlichen Einfluss und Einsatz den Rücken zu stärken, wandte er eine in der Kriegsgeschichte einmalige Methode an. In der Nacht vom 7. zum 8. August 1918 ließ Trotzki auf der Basis des Salonwagens und einiger Spezialwaggons des früheren zaristischen Eisenbahnministers einen besonderen Zug zusammenstellen. Dieser Zug war wie folgt zusammengesetzt: ein zentraler Waggon des Volkskommissars als Arbeitsraum und Kommandozentrale, je ein Wagen für die Sekretäre und Mitarbeiter, eine Druckerei, ein Erholungsraum, ein Speiseraum, ein Wagen mit Lebensmitteln und Ausrüstungsreserven, ein Rundfunksender mit Telegrafenstelle und ein Sanitätswagen. An der Spitze und am Ende des Zuges waren je ein gepanzerter Wagen mit einer speziellen Maschinengewehrabteilung platziert. Außerdem gab es dazwischen noch einen Güterwaggon mit einer großen Ladefläche, in dem einige kleine Autos und ein Panzerwagen Platz hatten, um vom jeweiligen Standort des Zuges rasch zu den vorderen Frontabschnitten zu gelangen. Wegen der Schwere des Zuges und der nötigen Geschwindigkeiten wurde er von zwei Lokomotiven gezogen. Am Morgen des 8. August 1918 fuhr dieser Zug unter dem Kommando Trotzkis aus Moskau ab und war während der gesamten zweieinhalbjährigen Kriegszeit unterwegs an vielen Fronten. Er hat in etwa 36 Fahrten über 200.000 Kilometer absolviert. Wo er auftauchte, brachte er zurückweichende Fronten zum Stehen, fügte auseinanderlaufende Truppen zusammen und übte wesentlichen Einfluss auf die Kampfmoral der Truppen aus. Eine ausführliche Schilderung der Kampfesweise des Panzerzuges und der dabei praktizierten Armeeführung Trotzkis findet sich in der Trotzki-Biographie von Bertrand M. Patenaude (Ullstein Buchverlag Berlin 2010), auf den Seiten 32 bis 35.

Diese Art der Kriegsführung, bei der der Oberbefehlshaber der Armee nicht von einem Hauptquartier aus die Kämpfe leitet, sondern einen Panzerzug zum Hauptquartier macht und mit ihm an den verschiedensten Fronten selbst auftaucht – und zumeist dort, wo die Lage am meisten gefährdet war –, war ungewöhnlich und hat national wie international großes Aufsehen hervorgerufen. Trotzki hat sich mit seinem Panzerzug in die Kriegsgeschichte eingeschrieben.

Allerdings verliefen die Kriegsereignisse nicht so glatt und gradlinig, wie das hier erscheinen mag. Wie ernst der Bestand der Sowjetmacht gefährdet war, zeigen solche Vorgänge wie der Fall von Kasan oder die durch Denikin erfolgte Einnahme von Odessa und Kiew, von Kursk, Woronesch und Orel. Aber außer den vom Gegner verursachten Gefahren gab es auch innerhalb des Stabes und der Kommandos verschiedener Frontabschnitte Zwistigkeiten. Trotzki stand auch in dieser Hinsicht vor schwierigen Problemen. In einem Fall – es ging um die Strategie an der gefährdeten Südfront – konnte Trotzki seine militärstrategische Planung gegen Widerstände auch im Politbüro nur durchsetzen, in dem er seinen Rücktritt einreichte. Daraufhin erfolgte am 5. Juli 1919 die von Lenin und Stalin unterzeichnete Ablehnung dieses Rücktritts mit dem Zusatz: »Das Organisationsbüro und das Politische Büro lassen dem Genossen Trotzki völlige Freiheit, um mit allen Mitteln das zu erreichen, was er für eine Verbesserung der Generallinie in der Militärfrage hält…« [30] Der weitere Kriegsverlauf zeigte, dass Trotzkis Strategie die richtige war.

Interessant dabei ist, wie von hohen Militärs der Gegenseite der Kampf der Roten Armee und Trotzkis Führungsrolle eingeschätzt wurde. Der deutsche Generalmajor Max Hoffmann, Chef des deutschen Generalstabs an der Ostfront, stellte überrascht fest: »Sogar aus einem rein militärischen Standpunkt heraus ist es erstaunlich, dass die gerade erst ausgehobenen Roten Truppen die damals noch starken Kräfte der weißen Generäle zerschlagen und sie dann völlig vernichten konnten.« [31] Und Max Bauer, Angehöriger des deutschen Generalstabs, konstatierte: »Trotzki ist ein geborener Militärorganisator und Führer. Wie er aus dem Nichts und inmitten heftigster Schlachten eine Armee aus der Taufe hob und diese Armee dann organisierte und trainierte ist absolut napoleonisch.« [32]

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass in der bekanntlich von Stalin redigierten »Geschichte der KPdSU (Kurzer Lehrgang)« in Kapitel IX über die ausländische Intervention und den Bürgerkrieg zwar die Rede ist von der »Roten Armee, [die] eben erst geschaffen, zahlenmäßig noch klein war und keine Kampferfahrung besaß« – aber nicht ein einziges mal der Name Trotzki genannt wird, obwohl 14 Helden des Bürgerkrieges und Truppenführer sowie 6 erfahrene Parteifunktionäre an der Ostfront namentlich aufgeführt werden. [33]

Trotzki und Trotzkismus - gestern und heute

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