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3 Trotzki zwischen zwei Revolutionen ( 1905 – 1917 )

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Trotzki war zum Marxisten und Revolutionär geworden. Auf Betreiben von Lenin sollte er zum jüngsten Redaktions­mitglied der »Iskra« werden. Und dies neben Plechanow, Vera Sassulitsch, Martow, Potressow und Axelrod. In einem Brief vom 2. März 1903 an Plechanow begründet Lenin seinen Vorschlag der Kooptierung Trotzkis in das Redaktionskomitee der Iskra wie folgt: »Die ›Feder‹ schreibt nicht erst seit einem Monat in jeder Nummer. Er arbeitet für die Iskra mit höchster Energie, hält Referate (mit großem Erfolg). Für Artikel und Notizen ist er uns nicht nur sehr nützlich, sondern geradezu unentbehrlich. Er ist zweifellos ein überzeugter und energischer Mensch von außerordentlichen Fähigkeiten, der es noch weit bringen kann. Auch auf dem Gebiet der Übersetzungen und der populären Literatur vermag er viel zu tun.« [8]

Von den sechs Redaktionsmitgliedern haben vier dem Vorschlag Lenins zugestimmt. Aber diese Mehrheit kam nicht zum Tragen, da Plechanow sein Veto einlegte und bei Kooptionen Einstimmigkeit erforderlich war. Auf diesem Hintergrund sowie infolge der gegensätzlichen Charaktere von Plechanow und Trotzki kam es zu Widersprüchen zwischen beiden, obwohl der Hauptantagonismus zwischen Plechanow und Lenin bestand.

In diese Zeit fiel die Vorbereitung auf den II. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR), die 1898 gegründet worden war. Bereits bei der Vorbereitung des Parteikongresses entstanden Probleme, bei denen Trotzki in Widerspruch zu Lenin geriet. Es ging um den Vorschlag Lenins, das sechsköpfige Redaktionsteam der Iskra auf die Hälfte zu reduzieren. Ihm ging es darum, in Vorausschau auf die heraufziehenden revolutionären Ereignisse von 1905 die Leitungstätigkeit zu straffen. Trotzki konnte sich dem nicht anschließen, weil dadurch alte und verdiente Parteikader wie Vera Sassulitsch und Axelrod ausgegrenzt würden und eine nicht wünschenswerte Zentralisation einträte. In mehreren persönlichen Gesprächen bemühte sich Lenin um das Verständnis bei Trotzki, was aber nicht gelang.

Im weiteren Verlauf verschärften sich die Differenzen zwischen Lenin und Trotzki im Zusammenhang mit Lenins Bestreben, den Parteiaufbau zu präzisieren und die Kriterien der Parteimitgliedschaft exakt zu definieren und im Parteistatut zu verankern. Trotzki und einige andere Führungspersönlichkeiten stimmten gegen Lenins Vorschläge, die dadurch nicht durchkamen. Aber die Mehrheitsverhältnisse änderten sich, weil die Vertreter der Union jüdischer Arbeiter Litauens, Polens und Russlands – generell kurz als Bund bezeichnet – den Kongress verließen, weil ihre Forderung nach Autonomie in der Partei abgelehnt wurde. Dadurch wurde die Leninsche Gruppierung zur Mehrheit, seine Vorschläge wurden angenommen und es entstanden die »Bolschewiki« und die »Menschewiki«. Trotzkis Resolution mit dem Ziel, die alte Redaktion der Iskra beizubehalten und die Leitungstätigkeit breiter zu gestalten, wurde abgelehnt. Von da an gehörte Trotzki zu den Menschewisten und wurde eine zeitlang zu ihrem Sprecher.

In der heutigen trotzkistischen Literatur ist die Haltung des damals Vierundzwanzigjährigen umstritten. Aber mehrheitlich wird Trotzkis Position in den damaligen Auseinandersetzungen als grober politischer Fehler eingeschätzt, den er erst 1917 korrigierte. [9]

Zunächst setzte Trotzki diesen gegen Lenin gerichteten Kurs fort. Auf der ersten Versammlung der Menschewiki nach dem Parteitag veranlasste Trotzki, die weiter unter der Leitung von Plechanow und Lenin stehende Iskra zu boykottieren. Er beschuldigte Lenin des Jakobinertums. Im August 1904 veröffentlichte Trotzki eine Schrift mit dem Titel: »Unsere politischen Aufgaben«. [10] Er analysiert die Entwicklung der Partei und kommt im Zusammenhang mit der Entstehung der Fraktionen von Bolschewiki und Menschewiki zu äußerst scharfen Formulierungen gegen Lenin. Er macht diesen verantwortlich für die Parteispaltung und bezichtigt ihn der »hemmungslosen Demagogie« [11], des »Zynismus« [12], des »Rückzugs vom Felde des Marxismus« [13] und dass Lenin die Dialektik auf den »Rang der Sophistik« herabsetze [14]. Pierre Broué bemerkt dazu: »Diese unglaublich maßlose Schmähschrift gegen Lenin … stellte später für einen Trotzki, der sich 1917 den Organisationsprinzipien Lenins angeschlossen hatte, ein schrecklich peinliches Dokument dar, zu dem er für den Rest seines Lebens eine große Diskretion bewahrt hat«. [15]

Ungeachtet dieser »Kampfschrift gegen Lenin« [16] versuchte Trotzki in der Folgezeit, die beiden Gruppierungen wieder zu vereinen. Das wurde natürlich durch die oben genannte Schrift behindert und kam auch nicht zustande. Damit hat sich Trotzki von beiden Fraktionen entfernt und nahm lange Zeit eine versöhnlerische Position zwischen ihnen ein.

Aber die Positionen der Bolschewiki und der Menschewiki präzisierten sich immer deutlicher. Es ging nicht mehr um Parteiaufbau, Parteistatut oder Zentralismus, sondern um die Frage, ob in den bevorstehenden revolutionären Ereignissen die Partei die Bourgeoisie unterstützen solle oder auf die Hegemonie des Proletariats hinzuarbeiten sei. Da Trotzki den letzteren Standpunkt einnahm, entfernte er sich zunehmend von den Menschewiki.

Das wurde besonders deutlich, als zu Beginn des I. Weltkrieges die II. Internationale zusammenbrach. Nur eine Handvoll marxistischer Politiker blieben dem Internationalismus treu. An der Seite von Lenin, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und anderen stand Trotzki. Auf der von den Kriegsgegnern 1905 organisierten Konferenz in Zimmerwald nahm Trotzki nicht nur teil, sondern schrieb im Auftrag der Konferenzteilnehmer ein Manifest, das von allen Delegierten einstimmig angenommen wurde. Im Verlaufe dieser Entwicklungen näherte sich Trotzki den bolschewistischen Positionen wieder und immer stärker.

Verallgemeinernd ist also festzustellen, dass Trotzki von 1904 bis 1917 eine Periode von Irrungen und Wirrungen durchlebt hat, die aber 1917 endgültig vorbei war. Dies festzustellen und historisch deutlich einzuordnen ist wichtig, weil Stalin nach Lenins Tod diese Fragen gemäß seinen machtpolitischen Zwecken instrumentalisiert und verfälscht hat.

Trotzki und Trotzkismus - gestern und heute

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