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Versalzung von Flüssen, Flächen und Trinkwasser – die Rolle von Unternehmen und Staat
Оглавление»Mehr als zehn Jahre hatte die Staatsanwaltschaft in Meiningen in Thüringen ermittelt wie es passieren konnte, dass der Kalikonzern K+S an der hessisch-thüringischen Grenze seine Salzlauge in den Untergrund versenken und damit auch Gewässer verunreinigen konnte.«
Mit diesen Worten beginnt die abendliche Hessenschau des Hessischen Rundfunks am 5. Mai 2021 ihre Berichterstattung über ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, das – für manche überraschend – eingestellt wurde. Und die Frankfurter Rundschau titelt am selben Tag: Werra-Versalzung: Ein Krimi aus der Hand eines Staatsanwalts.
Die betroffenen hessischen Behörden bis hin zum hessischen Umweltministerium reagieren abwehrend, noch schärfer die K+S AG. Was war geschehen?
Ein hessischer Polit-Krimi?
Ein weiterer Umweltskandal?
Oder: Die Kapitulation eines Umweltministeriums vor dem weltgrößten Salzproduzenten?
Solche Fragen wirft ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren auf, obwohl und weil es eingestellt werden musste, da die derzeitige Rechtslage Verurteilungen nicht zulässt.
Man muss dem ermittelnden Staatsanwalt aus Meiningen dankbar sein für seine 10-jährige Aufklärungsarbeit13, denn bisher wurden massive und lang wirkende Umweltschäden – ausgerechnet bei dem immer knapper werdenden sauberen Trinkwasser – anscheinend billigend in Kauf genommen, um Arbeitsplätze und nicht zuletzt Gewinne zu halten; und das zu großen Teilen sogar unter Aufsicht eines grünen hessischen Umweltministeriums mit teilweise prominenter Besetzung.
Man muss allerdings zugutehalten, dass es sich bei K+S nicht um irgendein Unternehmen handelt, sondern um den Weltmarktführer unter den Salzproduzenten. Und man darf den Gewöhnungseffekt nicht unterschlagen, der auch dadurch bedingt ist, dass die Versenkung von Salzlauge in den Untergrund bereits Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts begonnen wurde und negative Erscheinungen in Bezug auf das Trinkwassers zu Beginn der 40er Jahre dann in Erscheinung traten. Auch ich habe – wie schon geschildert – erlebt, wie es in den 50er Jahren hingenommen wurde, dass etwa eine Färberei den örtlichen Fluss regelmäßig in die unterschiedlichsten Farben tauchen durfte.
Allerdings: Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2021, und das Bundesverfassungsgericht kassiert aufgrund von Verfassungsbeschwerden das 2019 vom Bundestag verabschiedete deutsche Klimaschutzgesetz.
Und auch in Bezug auf das Ermittlungsverfahren zur Salzlaugenversenkung und -einleitung in Flüsse waren die heutigen Erkenntnisse nicht neu.
Aber der Reihe nach–im Folgenden referiert nach dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Meiningen vom 13.4.2021, das 27 Seiten umfasst und an die Werra-Weser-Anrainerkonferenz e.V. gerichtet ist, die Strafanzeige gestellt hatte:
Die Laugenversenkung in den Plattendolomit hat eine erhebliche Druckerhöhung in dieser Formation zur Folge, die sich auch nach einem Ende der Versenkung nur langsam abbaut.
Der durch den Salzaufstieg notwendigerweise als Transit- und Zirkulationsraum fungierende Buntsandstein-Grundwasserleiter bildet aber zugleich auch das Hauptreservoir für die Trinkwassergewinnung.
In diesen Bereichen mussten in den vergangenen Jahrzehnten Trinkwasserbrunnen wegen zunehmender Versalzung sukzessive stillgelegt, saniert oder in ihrer Förderung gedrosselt werden, um ein Vordringen von Salzwasser in den Förderstrom zu vermeiden.
Die Beeinträchtigung potentiell nutzbaren Trinkwassers durch die Laugenversenkung wurde durch ein im November 2016 fertiggestelltes 3D-Grundwassermodell der Firma Kali und Salz erstmals quantifiziert.
Nach den vorgelegten Berechnungen hat der vorgenannte Wirkmechanismus der Versenkung zur Folge, dass bis zum Jahr 2060 Trinkwasservorkommen im Volumen von 85 Millionen Kubikmetern zusätzlich über den für die Trinkwassernutzung maßgeblichen Chlorid-Schwellenwert von 250 mg/l hinaus versalzen werden im Vergleich zu einem Szenario, wonach die Versenkung im Jahr 2016 endet. Dabei geht das Grundwassermodell, wie die Ermittlungen ergaben, von geologischen Ausgangsparametern aus, die zu erheblicher Überschätzung der im Plattendolomit deponierten Abwassermengen führen und entsprechend zu einer Unterschätzung der Beeinflussung des Buntsandstein-Grundwasserleiters mit dem zur Trinkwassergewinnung genutzten Wasserhaushalt. Daher kann den Berechnungsergebnissen des Grundwassermodells auf jeden Fall analog entnommen werden, dass auch die Versenkung aufgrund der zuvor erteilten Erlaubnisse von 1976 bis 2015 noch mehrere Jahrzehnte nach Beendigung die Versalzung erheblicher Mengen nutzbaren Trinkwassers im Buntsandstein-Grundwasserleiter in der Größenordnung mehrerer hundert Millionen Kubikmeter zur Folge hat und haben wird. Der Großteil dieser Beeinträchtigungen geschieht auf dem Territorium des Freistaats Thüringen.
Zum 01.03.1960 ist in der Bundesrepublik Deutschland das Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts vom 27.07.1957 (Wasserhaushaltsgesetz, WHG) in Kraft getreten. Mit diesem wurde das Grundwasser in Abkehr von der bis dahin geltenden Rechtslage vom Eigentum an Grund und Boden gelöst und einer eigenen öffentlich-rechtlichen Benutzungsordnung unterstellt.
Materiell-rechtlich verstärkte das Wasserhaushaltsgesetz den Schutz des Grundwassers vor Verunreinigungen unter anderem durch die Einführung des Besorgnissatzes in § 34 WHG.
Diese Vorschrift ist auch für das Verwaltungsrecht deshalb bemerkenswert, weil sie beim Vorliegen einer Besorgnis für nachteilige Veränderungen des Grundwassers der Behörde kein Ermessen einräumt, sondern ihr die Erlaubniserteilung zwingend versagt. Ein Einleiten von Schadstoffen in das Grundwasser kann daher anders als ein Einleiten von Schadstoffen in ein Oberflächengewässer seit dem 01.03.1960 in der Bundesrepublik praktisch nicht mehr erlaubt werden.
Die befristeten Versenkgenehmigungen von Kaliendlauge vom 12.11.1958 und vom 18.01.1960, befristet bis zum 04.10.1976 fußten also noch auf dem alten Recht.
Aber die seit dem 01.03.1960 für die Bundesrepublik geltende Rechtslage stand einer Erteilung weiterer Versenkerlaubnisse über den 04.10.1976 hinaus klar entgegen.
In dem vorliegenden Ermittlungsverfahren ging die Staatsanwaltschaft unter anderem der auch in diesem Buch vorrangig interessierenden Frage nach, welche Abläufe dazu führten, dass das Regierungspräsidium Kassel trotzdem die zehn Versenkerlaubnisse der Jahre 1976 bis 2016 erteilte.
Dabei spielten, so die Staatsanwaltschaft weiter, neben den vom Unternehmen in Aussicht gestellten alternativen Entsorgungswegen (u.a. eine 450 km lange Rohrleitung zur Nordsee!) auch falsche Annahmen in Bezug auf den Versenkhohlraum in tieferen Gesteinsschichten eine entscheidende Rolle.
Auf Letztere stützten sich die in den folgenden Jahrzehnten erteilten Versenkerlaubnisse (1976, 1981, 1986, 1991, 1996, 2001 und 2006).
Im Zusammenwirken von Behörden und dem Unternehmen konnte die benutzte falsche Hohlraumtheorie als Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis etabliert sowie ein Aufkommen widersprechender Erkenntnisse durch unabhängige Wissenschaftler und aus den Reihen der hessischen Behörden unterbunden werden. Neuere Erkenntnisse nach 1990 versuchte die Firma Kali und Salz zu delegitimieren.
Wegen des Widerspruchs zwischen geowissenschaftlichem Kenntnisstand einerseits und der Bestätigung eines noch verfügbaren Versenkhohlraums im Plattendolomit andererseits wurden die Gutachten von 2001 und 2006 im Jahr 2009 durch die Leitung des hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG ) für ungültig erklärt. Das Verhalten der Firma Kali und Salz in der Zeit von 1993 bis 2006 war durch Einschüchterung gegenüber BehördenvertreterInnen, unabhängigen WissenschaftlerInnen und JournalistInnen geprägt.
Die Staatsanwaltschaft Meiningen weiter: Das umschriebene Regime aus Umdeutung von Messwerten und Behinderung wissenschaftlicher Erkenntnisfindung in den Jahren 1993 bis 2006 sei in erster Linie durch Vertreter der Firma Kali und Salz koordiniert betrieben, maßgeblich aber auch in den Reihen der mit der Laugenversenkung befassten Behörden Hessens und Thüringens mitgetragen worden. Im Ergebnis dieses Klimas musste jeder Bedienstete, der das Konzept in Frage stellte, mit Bloßstellung, persönlichen Angriffen oder Marginalisierung rechnen. Dennoch erwies sich dieses Vorgehen spätestens Ende 2007 als nicht mehr machbar, nachdem eine technische Angestellte des HLNUG mittels einfacher Tabellenkalkulationen und Mischungsrechnungen den Nachweis erbrachte, dass es sich bei den diffusen Einträgen in die Werra tatsächlich um Versenkrückläufe der hessischen Kaliwerke handelt und dass von der bisher versenkten Lauge allenfalls 40% im Plattendolomit sich befinden, während 30% im Buntsandstein-Grundwasserleiter zirkulieren müssen und weitere 30% als diffuser Eintrag in die Werra beziehungsweise die Solz abgeflossen sind. (Im Wirecardfall haben wir hier übrigens eine interessante Parallele in Bezug auf eine kritische Mitarbeiterin.) Dies hatte immerhin die Anordnung der Einstellung einiger Versenkungen zur Folge.
Auch dies sei im weiteren Zeitablauf heruntergespielt und umgedeutet worden, so die Staatsanwaltschaft. Gestützt auf ein Rechtsgutachten im Auftrag des hessischen Umweltministeriums waren die Behörden des Landes Hessen allerdings 2008 zu dem Schluss gekommen, dass eine Fortsetzung der Laugenversenkung über diesen Zeitpunkt hinaus rechtlich nicht möglich ist, da eine solche gegen den wasserrechtlichen Besorgnissatz (§ 48 WHG ) verstößt. Die Versenkung könne allenfalls noch über einen kurzen Übergangszeitraum erlaubt werden.
Daraufhin wurde 2010 von K+S die ›ernsthafte Prüfung‹ des Baus einer Rohrfernleitung zur Nordsee zur Entsorgung der Kaliendlaugen angekündigt, die aber nicht in Angriff genommen wurde.
Der Versuch, mit einem neuen Rechtsgutachten eine neue Versenkerlaubnis zu erreichen, scheiterte zunächst an dem HLNUG, das in einer umfangreichen Stellungnahme vom 10.07.2014 darlegte, dass eine Erhöhung der Förderung einen Anstieg der Chloridwerte jenseits des Grenzwerts mit Besorgnis erfüllen würde.
Durch Einwirkungen aus den Reihen des Regierungspräsidiums Kassel und des hessischen Umweltministeriums zwischen September 2014 und Januar 2015 habe sich das HLNUG schließlich im Januar 2015 zu einer Protokollnotiz bereit erklärt, das Wort ›Besorgnis‹ in Bezug auf die dort bewerteten Trinkwassergewinnungsanlagen nicht im wasserrechtlichen Sinn verwendet zu haben. Dadurch wurde es dem Regierungspräsidium Kassel wiederum ermöglicht, auch die weiteren Verwaltungsentscheidungen zur Laugenversenkung mit der These zu begründen, eine Gefährdung der Trinkwasserversorgung sei ausgeschlossen, da auch nach Ansicht des HLNUG in Bezug auf die bestehenden Gewinnungsanlagen keine Besorgnis bestünde.
Die letzten Versenkerlaubnisse vom 17.12.2015 und vom 23.12.2016 basieren entscheidend auf dem sogenannten 4-Phasenplan, den die hessische Umweltministerin und der Vorstandsvorsitzende der K+S AG im September 2014 unterzeichneten und der Öffentlichkeit präsentierten. Dieser sieht unter anderem eine Fortsetzung der Laugenversenkung bis Ende 2021 vor, schreibt aber auch deren endgültiges Ende zu diesem Termin fest. Weiterhin regelt der Plan eine Zeitschiene an Maßnahmen und Investitionen bis zu diesem Zeitpunkt, die bei Fortführung des Betriebs der Kaliwerke den Entsorgungsweg Versenkung ab Ende 2021 entbehrlich machen sollen.
Aber auch dieser 4-Phasenplan basierte auf dem bis dahin benutzten 3-D-Grundwassermodell, das die gesetzten Ansprüche nicht erfüllte, kritisiert die Staatsanwaltschaft.
Dennoch erließ das Regierungspräsidium Kassel am 17.12.2015 die Übergangserlaubnis und begründete das Fehlen einer Besorgnis gemäß § 48 WHG allein mit dem modifizierten Kurzgutachten des Behördengutachters. Die dem entgegenstehenden Passagen in den Stellungnahmen des HLNUG und des Thüringer Landesverwaltungsamts wurden in der Bescheidbegründung hingegen übergangen.
Dass der Staatsanwalt trotz alledem zu dem Schluss kommt, dass ein Strafverfahren nicht eingeleitet werden könne, bestätigt die Feststellung von Hans See zu Beginn dieses Buches, dass mit Einzelgesetzen einem solchen Zusammenwirken von Konzernen und Behörden nicht beizukommen ist.
Die Begründung der Staatsanwaltschaft für die Einstellung des Verfahrens fußt dann auch zum einen darauf, dass das Umweltstrafrecht ein Individualstrafrecht sei, und Rechtswidrigkeit nicht ausreiche.14
Zudem läuft der strafrechtliche Begriff der Drohung ins Leere, weil die Drohung wesentlich darin bestehe, dass der Druck mit dem Hinweis auf gefährdete Arbeitsplätze erzeugt wird. Dieses Muster wird uns immer wieder begegnen.
Die oben dargelegten Vorgänge erinnern sehr stark an den Wirecard-Betrug, bei welchem Wirecard gegen Privatpersonen und gegen eine Zeitung per Anzeige vorging, um sie einzuschüchtern. Und hinterher stellte sich heraus, dass die Kritik Recht hatte.
Die Aufklärung berührt auch sehr stark das Selbstverständnis der Grünen, nicht zuletzt, weil das involvierte hessische Umweltministerium gegenwärtig und seit längerer Zeit von prominenten Grünen geleitet wird und wurde: zurzeit von Priska Hinz (seit Januar 2014, aber auch schon unter Eichel, SPD von März 1998 bis April 1999). Außerdem war Joschka Fischer erster grüner Umweltminister unter Holger Börner, SPD, von 1984 bis 1987 und dann wieder unter Hans Eichel von April 1991 bis Oktober 1994. Die Grünen haben das hessische Umweltministerium seit den 80er Jahren bis heute insgesamt rund 17 Jahre geleitet. Daraus lassen sich schon Rückschlüsse auf die Durchsetzungsfähigkeit von Umweltschutzbelangen einer grünen Partei ableiten. Die positiven Seiten sind in der Regel bekannt, weil in der Politik Erfolge zählen. Dazu gehört in Hessen mit Sicherheit die Schließung der Hanauer Nuklearbetriebe.
Genauso wichtig aber ist die ehrliche Aufarbeitung von Misserfolgen und Fehlern!
Und zu diesen gehört eine sorgfältige Analyse der Durchsetzungsbedingungen zwischen Staat oder Kommunen und Unternehmen, besonders, wenn sie, wie K+S, in ihrem Tätigkeitsfeld weltweite Spitzenpositionen innehaben, also ›global player‹ sind.
Und für diese gehörte ›Ökodumping‹ immer schon zum Geschäftsmodell. Während die Gewinne zu den Aktionären fließen, werden die Kosten für die Schäden vergesellschaftet. Und zwar solange, wie es nur irgend geht.