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ОглавлениеZwischenspiel
So lange Siegfried zurück dachte, besaß er ausreichend Geld. Jährlich füllte eine erkleckliche Summe, das Konto bei der Stadtsparkasse. Nachforschungen ergaben, dass die finanziellen Mittel von einer Stiftung überwiesen wurden. Doch, als er versuchte, näher einzusteigen, stoppte ihn ein Schreiben. Es lag, ohne Adressat, im Briefkasten. Falls er die Nachforschungen weiter betrieb, würde das die Einstellung der Zahlungen bedeuten. Gleichzeitig teilte man ihm mit, dass er, sobald er eine Anweisung unter dem Begriff ›Morgendämmerung‹ erhielt, diese auszuführen habe. Also machten sich die Nazis schon die russischen Dichter zu eigen. Soweit er wusste, schrieb Anton Tschechow irgendetwas zur Morgendämmerung. Wieder ein Bezug zu seiner Vergangenheit? Er stellte schweren Herzens die Erkundigungen ein. Die große Pseudoverwandtschaft, mittlerweile in die Jahre gekommen, wollte oder konnte ihm nichts Näheres dazu sagen.
In diesem Zusammenhang dachte er an ein Zeltlager in Lenste an der Ostsee. Weshalb es ihm in den Sinn kam, wusste er nicht. Die Kinder trieben morgendlichen Sport. Zackig, im Gleichklang, verrichteten sie Leibesübungen. Der Betreuer, mit militärisch kurzen Haaren, fungierte als Übungsleiter. Siegfried verbrachte seine dritten Ferien hier und zählte dreizehn Jahre. Ein Alter, bei dem er einiges hinterfragte. Die Gedanken behielt er für sich. Zurück zum Sport. Ein älterer hochgewachsener Mann trat während der Übung hinzu. Nun geschah etwas, was er später nie mehr erlebte. Der Betreuer erstarrte, presste die Hände an die Hose und reckte den Kopf. Er schnarrte mit einer harten Stimme: »Gruppe stillgestanden.« Dabei vollzog er eine neunzig Grad Drehung. »Obergefreiter Neuner mit zwanzig Zöglingen angetreten ... Herr Sturmbannführer.«
Der ältere Herr versteifte und das Blut stieg in seinen Kopf. »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen.«
Herr Neuner rührte sich nicht. Kein Gesichtsmuskel zuckte.
»Rühren«, befahl der hinzugekommene Mann. »Was tun Sie hier. Wir benötigen Wissenschaftler und keine Soldaten.« Er machte eine Bewegung mit der Hand. »Schicken Sie die Jungen in ihre Zelte.«
Auf dem Weg zum Zeltplatz beobachtete Siegfried die beiden, die sich scheinbar stritten. Nach dem Ferienlager blätterte er in einem Lexikon und fand die Erklärung für Sturmbannführer. Der Vorfall bestätigte seine Vermutung hinsichtlich der Nähe zu den Nazis.
Anfang der neunziger Jahre machte Siegfried Adler bei einem Empfang in der Staatskanzlei in Düsseldorf die Bekanntschaft eines Herrn, den er nachher niemals wieder sah. Mehr als deutlich empfahl dieser ihm, Geld in der ›Morgendämmerung‹ zu investieren, und zwar in Dienstleistungen im privaten Bereich. Zwar würden die Leistungen zurzeit noch von den Beschäftigten in der Klinik erbracht, jedoch stände eine Änderung bevor. Der Rat, es war schon mehr eine Anweisung, erwies sich als kluge Anlage.
Wie dramatisch, dachte er noch. Morgendämmerung … etwas Besseres fiel denen auch nicht ein.
Insgeheim ärgerte er sich. Natürlich verfolgte er die Tagespolitik und mit gemischten Gefühlen die Privatisierungsbestrebungen der Landesregierung. Sie entzogen ihm Personal, das seinem Einflussbereich unterstand. Sie entzogen ihm Macht.
Nichtsdestotrotz kaufte er unter einem Decknamen eine große marode Reinigungsfirma in Köln und pumpte viel Geld in die Infrastruktur. Ein Geschäftsführer machte ihm den Betrieb so fit, dass er europaweit konkurrenzlos arbeitete. Parallel überredete er einen Freund, eine kleine ortsansässige Firma in Aachen zu übernehmen. Geld spielte keine Rolle. Die Quelle schien unerschöpflich.
Kaum tätigte er die Geschäfte, setzte die breite Debatte über zu hohe Personalkosten im öffentlichen Dienst ein. Zunächst liefen die politischen Diskussionen an ihm vorbei. Personalabbau erfolgte zwangsläufig im Job bei sinkenden Zuweisungen des Ministeriums. Der Kampf wurde von Jahr zu Jahr härter. Oft wandte er in der Funktion als stellvertretender Verwaltungsleiter Finten an, um zumindest das Geld zu bekommen, was im vergangenen Jahr zugewiesen wurde.
Langsam sickerte in Siegfrieds Verstand, dass die Diskussionen um die Personalkosten bewusst hochgehalten wurden und er langsam aber sicher auf ein großes Geschäft zusteuerte. Vor allem, weil ein hoher Ministerialbeamter sehr dreist eine Abfindung von ihm forderte, falls er mit seiner Firma ins große Geschäft kommen sollte. Er hatte bis dahin zwar schon von Lobbyismus gehört, jedoch kaum einen Gedanken daran verschwendet. Ihn beunruhigte, dass der Beamte von der Beteiligung an der Dienstleistungsfirma zu wissen schien. Er wies den Geschäftsführer an, jemanden zu finden, der die Aufgabe der Schmiergeldzahlungen an die Politiker übernahm. Die Wahl fiel auf eine junge Betriebswirtschaftlerin, die den Job wahrnahm. Sie war gut, und zwar sehr gut.
Siegfried Adler trat immer weiter in den Hintergrund und hoffte, die Geschäfte so zu verschleiern, dass nichts mehr auf ihn wies.
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